Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de von Anita Rüffer In Lissabon liegt einem die gan- ze Welt zu Füßen, wie Vanessa Brinktrines Foto zeigt: Ein junger Mann überquert in der portugiesi- schen Hauptstadt mit einem Sprung die Kontinente. Wie praktisch, wenn sich Weltkarten auf dem Boden be- finden. Ein Bild von Europa machen sollten sich Erasmus-Studierende für einen Fotowettbewerb zum 25. Geburtstag einer erfolgreichen Idee. Während Europa unter der Schul- den- und Finanzkrise um seinen Zu- sammenhalt ringt, füllen Studieren- de aller Mitgliedsstaaten die „Idee Europa“ mit Leben. Allein von der Universität Freiburg sind seit 1987 mehr als 10.000 Studierende in eine der mehr als 300 Partnerhochschu- len in 33 Ländern – darunter auch die Schweiz und die Türkei – aus- geschwärmt, um den europäischen Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen. Das war die Absicht der EU- Kommission, als sie ihr großes Bil- dungs- und Mobilitätsprogramm für den europäischen Hochschulraum gestartet hat. Die Albert-Ludwigs-Universität war von Anfang an dabei: Waren es zu Beginn gerade mal vier Studie- rende, die zum Austausch an drei europäische Hochschulen geschickt wurden, ziehen mittlerweile Jahr für Jahr rund 650 ins europäische Ausland. Diesen so genannten „Outgoings“ stehen 420 „Incomings“ gegenüber, die einen Studienauf- enthalt in Freiburg verbringen. Sprachengewirr in der Aula Lucia Candel Rubio ist eine von ihnen. Noch redet sie mit Händen und Füßen. Die Lehramtsstuden- tin aus Sevilla/Spanien ist erst seit Oktober in Freiburg und freut sich nicht nur auf neue Erkenntnisse in ihren Fächern Pädagogik und So- zialarbeit. In den nächsten sechs Monaten will sie auch „viele Leu- te kennen- und Deutsch sprechen lernen“. Spanisch, Englisch, Fran- zösisch: Ein aufgeregtes babyloni- sches Sprachengewirr herrscht in der Aula der Universität, bevor alle zu einer gemeinsamen Sprache fin- den: „Freude schöner Götterfunken“ – in erstaunlichem Gleichklang und mit Begeisterung tönt die „Europa- Hymne“ aus unzähligen Kehlen, um 25 Jahre Erasmus in Freiburg zu feiern. Erst seit vier Wochen exis- tiert der Chor – dank Carlos Tie- lesch, einem Freiburger Studenten, der bis vor Kurzem selbst in der spanischen Hauptstadt Madrid stu- diert hat. Hinter den Sängerinnen und Sängern ist das Erasmus-Logo mit dem Konterfei des universal gebildeten Humanisten aus dem 15. Jahrhundert zu sehen, der einst auch in Freiburg lehrte. Er würde sich vermutlich die Augen reiben, wenn er sehen könnte, welche Blü- ten das Programm, das seinen Na- men trägt, hervorgebracht hat. Dass das Programm in Freiburg so erfolgreich ist, ist vor allem das Verdienst von Klaus-Dieter Düfor- mantel, dem „Mr. Erasmus“ der Universität. Anfangs allein, ohne Computer- und Internetunterstüt- zung, heute mit fünf Festangestell- ten in einem Büro, das sich auch technisch auf der Höhe der Zeit be- findet: Seit 1987 ist Düformantel für die Umsetzung der EU-Bildungs- und Austauschprogramme zustän- dig. Wenn der Ansturm zu groß war und die Zimmer knapp wurden, hat er sich auch schon mal persönlich um Notunterkünfte für Studierende gekümmert. In seinem Team laufen die orga- nisatorischen Fäden zusammen, werden Anträge gestellt und Gel- der verteilt. Letztere bemessen sich jeweils nach der Zahl der Teilnehmenden im Vorjahr: Zurzeit sind das etwa 900.000 Euro für die Freiburger Universität. Das reicht für knapp 170 Euro monatlich je Austauschstudent für maximal zwei Semester. Mit der Umstel- lung auf die zeitlich eng getakte- ten Bachelor- und Masterstudien- gänge hatten sich vor drei Jahren plötzlich 150 Studierende weniger beworben. Der angestrebte ein- heitliche europäische Hochschul- raum hat auch sonst noch einige Tücken: „Die Vergleichbarkeit der Lehrpläne und die gegenseitige Anerkennung von Leistungen sind noch eingeschränkt“, stellt Düfor- mantel fest. Das muss in den Anfangsjahren noch viel schwieriger gewesen sein. Aber weil „der Kenntnisstand allseits gleich null“ war, wie Prof. Dr. Klaus Kammerer, altgedien- ter Fachkoordinator für Volkswirt- schaftslehre, sich erinnert, blieb viel Raum für Improvisation und Interpretation. „Haben Sie denn nix am Meer?“, sei er schon mal von einem Studenten gefragt worden. Einen anderen Studenten, einen „ängstlichen Schwarzwälder Bub“, habe er ins schweizerische Luga- no geschickt. Nach einem halben Jahr sei dieser als „weltgewandter junger Mann“ zurückgekommen. Wesentlich an einem Erasmus- Aufenthalt sei natürlich die Erfül- lung der Leistungsanforderungen, aber vor allem der Reifeprozess, den junge Menschen durchlaufen. Dafür wurde, wie der emeritierte Professor Rüdiger Brenn, ehema- liger Fachkoordinator für Physik, einräumt, in den Anfangsjahren etwas lockerer mit den Leistungs- nachweisen umgegangen. Da sei auch schon mal ein Schein für ei- nen Schießkurs im Rahmen eines Geoprojekts in Norwegen ausge- stellt worden. In den ersten Jahren sei bei allen Beteiligten „viel indivi- dueller Spürsinn“ gefragt gewesen. Professionell und unbürokratisch Die inzwischen eingekehrte „Professionalisierung ohne große Bürokratisierung“, wie Brenn es ausdrückt, möchte aber niemand mehr missen. Dazu gehört auch, dass inzwischen Verwaltungsmit- arbeiterinnen und -mitarbeiter an dem Programm teilnehmen können, um die Abläufe an anderen europä- ischen Universitäten besser verste- hen zu lernen. Wer will, kann über Erasmus auch Betriebspraktika ab- solvieren, um künftige Berufsfelder zu erkunden – auch wenn dies im eigenen Studiengang nicht explizit vorgesehen ist. Der Informatikprofessor Chris- tian Schindelhauer gehört zu den wenigen Dozenten, die mit gutem Beispiel vorangegangen sind: Eine Woche lang hat er im Rahmen von Erasmus in Breslau Vorlesungen für polnische Studierende gehalten. „Ein wissenschaftlicher Kongress ist bequemer“, sagt er. Aber die Arbeit habe sich gelohnt, auch we- gen der Kontakte. Jetzt ist Schin- delhauer als Fachkoordinator aktiv und versucht, auch seinen Studie- renden einen Austausch schmack- haft zu machen. 06 2012 Seit 25 Jahren schwärmen Studierende im Rahmen des Erasmusprogramms aus und lernen an Partnerhochschulen fürs Leben Verbunden: Was sind die Ziele von German U15? > Seite 2 Verflucht: Welche Schimpfwörter benutzen Deutsche? > Seite 10 In der portugiesischen Hauptstadt Lissabon sind die Kontinente nur einen Katzensprung voneinander entfernt, wie eine Aufnahme von Vanessa Brinktrine beweist. Die Freiburger Romanistikstudentin hat mit diesem Bild den ersten Platz beim Erasmus-Fotowettbewerb belegt. Foto: Brinktrine Verrührt: Wie gelingen Weihnachtsplätzchen? > Seite 8 Der Sprung nach EuropaDer Sprung nach Europa