03 2017 03 2017 campus 7 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de Freiheit auf dem Fahrrad Das Team von Bike Bridge bringt geflüchteten Frauen das Radfahren bei von Sarah Schwarzkopf Ob eigentlich auch Frauen in dieser Flüchtlingsunterkunft lebten, frag- te Shahrzad Mohammadi einen der Basketballspieler auf dem Sportplatz an der Bissierstraße. Sie hatte ihm und seinen Freunden eine Weile beim Springen und Dribbeln zugeschaut und dabei nirgendwo eine Frau gesehen. Die seien in den Wohnungen, erklärte der Mann. „Er erzählte mir, dass es für Frauen keine Freizeitangebote gebe. Daraufhin unterhielt ich mich lange mit seiner Ehefrau“, berichtet Mohammadi, Doktorandin der Sportwissenschaft an der Universität Freiburg. Das war die Geburtsstunde von Bike Bridge. Bei Bike Bridge lernen geflüchtete Frauen das Radfahren. Ziel des Pro- jekts ist es, die soziale Isolation von weiblichen Flüchtlingen zu bekämpfen und ihre Inklusion zu erleichtern. „Wir machen sie mobiler und bringen sie mit einheimischen Frauen zusammen“, sagt Mohammadi, die sich in ihrer Dissertation mit Gender-Aspekten im Sport beschäftigt. Nach ihrem Erlebnis im Flüchtlingsheim fanden sie und die beiden Mitorganisatorinnen Clara Speidel und Lena Pawelke heraus, dass es tat- sächlich keine sportbezogenen Projek- te für weibliche Flüchtlinge gab. Das Trio wollte die Lücke füllen. Doch wa- rum ausgerechnet mit Fahrrädern? „In meinem Land durfte ich wegen der Kultur nicht Fahrrad fahren“, erzählt eine Jesidin aus dem Irak, die ihren Namen lieber nicht in der Zei- tung lesen möchte. Sie lebt seit zwei Bike Bridge möchte die Autonomie weiblicher Flüchtlinge stärken. FOTO: PETER HERRMANN Jahren in Deutschland und hat bei Bike Bridge das Fahrradfahren ge- lernt. „In vielen islamischen Ländern wie dem Irak oder Syrien ist Rad- fahren für Frauen tabu“, ergänzt Mohammadi, „dort kommt der Druck von der Gesellschaft. Im Iran ist es sogar gesetzlich verboten. In Deutsch- land sind Fahrräder aber sehr wichtig, gerade in Freiburg.“ Das Radfahren bringe den Teilnehmerinnen daher nicht nur Mobilität, sondern integriere sie auch in die Gesellschaft. „Da- durch habe ich nun sehr viel Freiheit“, bestätigt die jesidische Frau. Das Projekt ging 2016 in die Pilot- phase – in der größten Flüchtlingsunter- kunft Freiburgs an der Bissierstraße. Ein Kurs bei Bike Bridge dauert drei Monate. Zehn Teilnehmerinnen treffen sich zweimal die Woche. Jede Frau be- kommt eine Tandempartnerin als Trai- nerin zur Seite gestellt. Die Gruppen erlernen Verkehrsregeln und das Rad- fahren und bekommen Sprachunter- richt. Anfangs wird ohne Pedale gefah- ren, die Frauen bewegen das Fahrrad nur mit den Beinen fort, um erst mal ein Gefühl dafür zu bekommen. Und sie lernen auch, wie man es wieder instand setzt. „Die Teilnehmerinnen lieben den Reparaturworkshop: Sie lernen und üben – es ist wundervoll“, freut sich Mo- hammadi. Im dritten Monat unternimmt die Gruppe Radtouren. Wie oft und ob es in einen Park oder in ein Museum geht, entscheidet jede Gruppe selbst. Vor Ort machen die Frauen ein Picknick, tauschen sich aus und lernen etwas über den Stadtteil. Am Ende des Kur- ses dürfen sie ihr Fahrrad behalten. Bisher gab es vier Kurse in verschie- denen Wohnheimen. Die Teilnehmerin- nen im Alter von 20 bis 65 Jahren ka- Horn auf: Die Bläserformation übt regelmäßig vor dem Herderbau. FOTO: JÜRGEN GOCKE Den Marsch blasen Mit Jagdhörnern lassen Studierende den Klang des Waldes vor dem Herderbau erschallen von Stephanie Streif Ein Mittwochabend im Mai. Während sich der Feierabendverkehr die Habsburgerstraße entlangächzt, stehen 15 Jagdhornbläser und eine Jagdhorn- bläserin in grünen Poloshirts auf der Wiese vor dem Herderbau. Noch ist es still. Kein Ton. Dann der Befehl „Horn auf!“. Und schon liegen die Hörner an den Lippen und tönen gegen Motoren- geräusche und Straßenbahngeklingel an. Der Wald ist plötzlich ganz nah. Die Jagdhornbläsergruppe, von zwei Studenten der Forstwissenschaften ge- gründet, gehört zur Universität Freiburg. Einer von ihnen ist Valentin Platten. Als er vor dreieinhalb Jahren zum Studium nach Freiburg kam, stand für ihn fest, dass er zu den Jagdhornbläsern gehen würde. Von seinem Onkel, der ebenfalls an der Albert-Ludwigs-Universität Forstwissenschaften studiert hatte, wusste er, dass es eine solche Gruppe geben musste. Also machte sich Plat- ten auf die Suche. Und fand – nichts. Zusammen mit seinem Kommilitonen Patrick Zaglauer gründete er 2014 eine neue Bläserformation. Beide finden, dass so viel Tradition sein muss. Das sei ein Stück Geschichte, die nicht ver- gessen werden sollte, findet Platten. „Ohne Jagdhorn“, ergänzt Zaglauer, „hätte sich früher nie eine Jagd organi- sieren lassen.“ Per Horn seien damals Signale wie „Treiben beginnt“ oder „Sau tot“ durch den Wald geschickt worden. „Handys gab es keine, und irgendwie mussten die Jäger ja untereinander kommunizieren.“ Ein wichtiger Brauch sei auch das „Totblasen“: wenn das er- legte Wild nach der Jagd in Strecke liege und die Jäger zum Horn griffen, um es zu ehren. sie sogar zusammen mit den Jagdhorn- bläsern Dreisamtal auf dem Wasser- schlösslefest des Freiburger Energie- versorgers Badenova. Applaus von Passanten Immer wenn es das Wetter zulässt, verlegen die Jagdhornbläser ihre Pro- ben in den Garten des Herderbaus. Über ihnen das Blätterwerk von Buchen und Linden. Und vor ihnen vorbeieilen- de Passantinnen und Passanten, die auch mal stehen bleiben, zuhören und applaudieren. Anfangs waren Platten und Zaglauer zu zweit. Mittlerweile spielen zwischen 15 und 20 Studieren- de mit, darunter drei Frauen und ein Nichtförster: Leopold Pfl uger studiert Erneuerbare Energien, einen Jagd- schein hat er auch. Der Bläsergruppe hat er sich angeschlossen, weil er es toll fi ndet, „gemeinsam etwas herauszu- scheppern“. „Jagdhorn spielende Jung- jäger, das ist doch cool“, sagt er. Als er zur Truppe stieß, bekam er kaum einen Ton aus dem kleinen Fürst- Pless-Horn, doch innerhalb von knapp zwei Jahren spielte er sich von der drit- ten zur zweiten Stimme hoch. Nicht ohne Hindernisse: Ein knappes Jahr sei es jetzt her, dass seine Nachbarin abends bei ihm geklingelt und ihn da- rum gebeten habe, doch bitte mit dem Spielen aufzuhören, da einfach keiner- lei Fortschritte zu erkennen seien. Pfl u- ger machte weiter. Andere Bläser aus der Gruppe holen ihr Horn auch mal heraus, wenn sie auf der A5 im Stau stecken. „Im Auto übt es sich wunder- bar“, sagt Leonard Kloos. Sobald bei den Förstern irgendwo ge- feiert wird, rückt die Bläsertruppe an, etwa beim Weihnachts- oder beim Som- merfest. Im vergangenen Jahr spielte Die Stimmung ist gut. Viel Gequat- sche, viel Gelache, und in den Proben- pausen wird auch mal ein Bier aufge- men aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, Iran, Nigeria, Somalia und Ka- merun. Die gemeinsame Sprache ist Deutsch – bei Verständnisproblemen übersetzt die Trainerin. Das können auch ehemalige Teilnehmerinnen sein. „Die Gruppe kann von ihren Sprach- kenntnissen profi tieren, und das Projekt wird nachhaltiger: Wir lassen die Frau- en am Ende der Saison nicht allein“, erklärt Mohammadi. So war es auch bei der Jesidin aus dem Irak. Sie spricht Arabisch, Kurdisch und Deutsch und trainiert inzwischen gemeinsam mit deutschsprachigen Trainerinnen ihren ersten Kurs. Spenden für Fahrräder und Helme Einige nationale und regionale Preise hat das Projekt bereits gewonnen. Die Wartelisten sind lang. Es gibt außerdem Anfragen aus Hamburg, Frankfurt und vielen anderen Städten, die die Idee bei sich umsetzen möchten, doch bisher fehlen die Kapazitäten. „Wir versuchen zunächst, in Freiburg eine gute Basis aufzubauen“, erklärt Mohammadi. Fahrräder, Helme und Schlösser finanziert Bike Bridge bisher über Spenden. Da Ausrüstung für schlech- tes Wetter fehlt, fi nden die Kurse nur im Frühling und im Sommer statt. Im nächsten Jahr will das Team sie gleich zehnmal anbieten. Die neueste Idee richtet sich an Fortgeschrittene: Mohammadi möchte Müttern beibrin- gen, wie sie auch ihre Kinder mit dem Rad transportieren können. https://bikebridge.org macht. Während die Truppe plaudernd beisammensteht, weht der warme Som- merabendwind ab und an ein Noten- blatt vom Ständer und fegt es über die Wiese. Dann nichts wie hinterher. Wenn deutsches Liedgut wie „Ein Jä- ger aus Kurpfalz“ oder „Auf, auf zum fröhlichen Jagen“ mehrstimmig getönt wird, greifen Platten und Zaglauer zu den großen Parforcehörnern. Im Ver- gleich zu den Fürst-Pless-Hörnern klin- gen die voller und tiefer. Beide Hörner kommen ganz ohne Ventile aus. „Die Töne werden mit den Lippen gemacht“, erklärt Zaglauer. Deshalb seien Jagd- hornbläser auch die besseren Küsser, wird nebenbei gewitzelt. Dann wird es ernst. „Jägermarsch Nummer drei“, gibt Zaglauer vor. „Tem- po halten, bitte, laut, leise, leise, laut. Und Horn auf.“ Alles, was danach kommt, passiert fast synchron. Die Blä- ser führen das auf dem rechten Ober- schenkel abgelegte Horn zum Mund. Dann folgt Ton auf Ton. Auf der ande- ren Seite des Zauns geht eine Frau den Gehweg entlang. Sie schaut in den Garten, hebt die Hand, winkt. Und marschiert im Takt der zum Sommer- abend erklingenden Musik. Mitspielen Interessierte aller Fachrichtungen sind herzlich eingeladen, bei der Bläsergruppe mitzuspielen. Wer erst einmal schnuppern will, be- kommt ein Fürst-Pless-Horn gestellt. E-Mail: Patrick.Zaglauer@t-online.de