Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 02 2018 Medaillen: Gold für Anna-Lena Forster in Pyeongchang > S. 2 Motto: „Connecting Creative Minds“ setzt Kreativität frei > S. 3 Menü: Verschwendung von Lebensmitteln vermeiden > S.6 Du kommst hier nicht rein An HIV erkrankte Menschen können mit Medi- kamenten behandelt werden – doch das Virus arbeitet im Hintergrund weiter und senkt die Lebenserwartung um bis zu zehn Jahre. FOTO: ARTEMEGOROV/FOTOLIA Mit Genscheren und veränderten Stammzellen könnten HIV-positive Patienten geheilt werden. Der Trick: Das Virus findet keinen Eingang in die Zelle von Jürgen Schickinger Machtlos steht HIV vor der Tür zur Zelle. Das Aidsvirus müsste hinein, um sich zu ver- mehren. Doch es kann die Zelltür nicht öffnen, weil ein Griff fehlt. Abgeschraubt hat ihn Prof. Dr. Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Genthera- pie der Universitätsklinik Freiburg. Cathomens Schraubendreher sind moderne Genscheren wie TALEN oder CRISPR: „Damit wollen wir HIV-Patientinnen und -Patienten dauerhaft heilen.“ Der Molekular- biologe arbeitet mit Stammzellen. Er will HIV-empfi ndliche Immunsys- teme komplett durch HIV-resistente ersetzen, in denen es keine Türgrif- fe für das Virus gibt. Das wäre ein spektakulärer Durchbruch. Im Labor funktioniert das Verfahren so gut, dass 2019 die erste klinische Studie mit sechs Patienten anläuft. Medikamente können die Immun- schwäche Aids unterdrücken und weitgehend entschärfen. „Aber HIV-positive Personen werden das Virus nicht los“, sagt Cathomen. Es arbeitet im Hintergrund weiter und senkt die Lebenserwartung wohl um fünf bis zehn Jahre. Auch dar- um will der gebürtige Schweizer die Betroffenen dauerhaft heilen: „Das geht nur, wenn wir ihre Blutstamm- zellen verändern.“ Stammzellen geben genetische Eigenschaften an ihre Abkömmlinge weiter. Die Im- munzellen, die HIV befällt, sofern ein Türgriff vorhanden ist, gehen aus den Blutstammzellen im Kno- chenmark hervor. Hier entfernt Cathomen alle Griffe. Die veränder- ten Blutstammzellen bilden nur noch Immunzellen mit grifflosen Türen. Ein HIV-resistentes Immun- system entsteht. Spender und Empfänger in einer Person Die Tür zu der Zelle, die HIV be- nutzt, ist ein Rezeptor. Der Türgriff, den es zusätzlich benötigt, ist der Co-Rezeptor CCR5. Menschen, die von Natur aus ein fehlerhaftes CCR5-Gen haben, sind resistent gegen HIV. Das stellte sich 1996 heraus. „Warum ich nicht?“, wun- derte sich damals der homosexuel- le US-Amerikaner Stephen Crohn. Viele seiner Sexualpartner steckten sich mit HIV an. Doch er blieb ver- schont. Wissenschaftler entdeck- ten, dass in Crohns CCR5-Gen 32 Buchstaben fehlten. Darum hatten seine Immunzellen keinen CCR5- Türgriff. Crohn war HIV-resistent. Rund jeder zehnte Nordeuropäer hat diese CCR5-Delta-32-Mutation – ein Glücksfall für Timothy Ray Brown. Der HIV-positive Leukämie- patient erhielt in Berlin 2007 eine Transplantation von Blutstamm- zellen. Die Ärzte fanden einen Spender mit der CCR5-Delta- 32-Mutation. Seine Stammzellen befreiten Brown vom HI-Virus. Er ging als erster geheilter HIV-Patient in die Geschichte ein. Wenn Empfänger und Spender verschiedene Personen sind, steigen die Risiken einer Transplan- tation, und die Erfolgschancen sinken. Daher sind Cathomens Patienten beides zugleich: Spender und Empfänger. Vor der Trans- plantation müssen sie eine Chemo- therapie durchlaufen, die ihr Knochenmark zerstört, um Platz für die neuen Blutstammzellen zu schaffen. Die Belastungen der Chemotherapie wollen Cathomen und sein Team aus ethischen Grün- den zunächst nur HIV-positiven Patienten mit Lymphkrebs zumuten: „Lymphompatienten erhalten im Rahmen ihrer Krebs therapie sowie- so eine Chemotherapie.“ Saubere Schnitte setzen Als Erstes entnehmen Catho- mens Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter den Patienten Blutstammzel- len und vermehren sie. „Dann zerschneiden wir das CCR5-Gen mit Genscheren“, erklärt Cathomen. Die molekularen Werkzeuge arbei- ten sehr genau. Im riesigen, drei Milliarden Buchstaben umfassen- den menschlichen Erbgut fi nden sie eine gewünschte Abfolge von 30 Buchstaben. Dort, also im Gen für den CCR5-Griff, sollen die Gen- scheren schneiden. „Eine Heraus- forderung ist, falsche Schnitte zu vermeiden“, sagt Cathomen. Fehl- schnitte können Probleme machen, möglicherweise Blutkrebs verursa- chen. Zur Sicherheit verwendet der Forscher inzwischen TALEN. Die Genschere CRISPR hat in seinen Versuchen zu viele Fehler gemacht. Dagegen leistet sich TALEN pro 10.000 Stammzellen nur 25 Fehl- schnitte an unwichtigen Stellen, schaltet aber bei mehr als neun von zehn Zellen das CCR5-Gen aus. Schließlich bekommen die Pati- enten ihre eigenen Blutstammzellen mit inaktiviertem CCR5-Gen wieder zurück. Sie bilden ausschließlich Blut- und Immunzellen ohne Türgrif- fe. Ein HIV-resistentes Immunsys- tem baut sich auf. Den HI-Viren geht es an den Kragen. Dazu müs- sen viele Einzelheiten stimmen – etwa der Virustyp, die Reaktion des Patienten auf die Chemotherapie und die Qualität der Stammzellen. Sechs Monate nach der Stammzell- transplantation kommt die Stunde der Wahrheit. Dann setzen die Patienten ihre HIV-Medikamente ab. Tritt das HI-Virus nun wieder auf oder nicht? „Unser Ziel sind HIV- und lymphomfreie Patienten“, sagt Cathomen, „Ob das klappt, können wir noch nicht sicher sagen.“ Für den Einsatz am Menschen braucht Cathomens Team noch mehr Stammzellen – 600-mal mehr als bei Labortests: „Das ist auch eine fi nanzielle Sache.“ Stammzel- len sind teuer. In Freiburg kann Ca- thomen sie zudem nicht genetisch verändern, weil die Universitätskli- nik kein Geld für einen sterilen Reinraum hatte. Wahrscheinlich werden die Zellen deshalb in Tübin- gen oder Ulm hergestellt. „Generell klappt die Zusammenarbeit in Frei- burg sehr gut“, lobt er. Am Stamm- zellprojekt arbeiten Mitglieder seiner 120-köpfigen Gruppe ge- meinsam mit Fachleuten aus meh- reren medizinischen Disziplinen. Andere schreiben Berichte und stel- len Anträge. Der ersten Studie müs- sen noch mehrere Kommissionen zustimmen. Doch Toni Cathomen denkt schon weiter. Er hofft, bald auch krebsfreie Patienten von HIV befreien zu können. Sein großer Traum ist, das Immunsystem von Kleinkindern mit angeborener Im- munschwäche zu reparieren: „Mit den Genscheren können wir nicht nur Gene ausschalten, sondern sie auch korrigieren.“