02 2018 forschen 5 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de „Ich wachse wie ein Baum“ Je weiter die Schulzeit zurückliegt, desto positiver werden die Metaphern fürs Lernen Institut für Erziehungswissenschaft, „nämlich, wie Menschen das Lernen empfinden.“ Die einen erfahren es als fremdbestimmten Zwang, die anderen als bereichernde Selbsterfahrung und wieder andere als sportliche Herausforderung. Über tausend Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrende und andere Be- rufstätige hat die Freibur- ger Psychologin in den vergangenen fünf Jahren gefragt, welche Metaphern sie für das Lernen gebrau- chen. Ausgangspunkt war Wegners Promotionsarbeit, für die sie Hochschulleh- rende nach deren Vorstel- lungen vom Lehren und Ler- nen befragte. Die Antworten fielen recht malerisch aus. Ein Philosophiedozent meinte bei- spielsweise, Lernen sei „wie durch einen Säulengang wandeln und philosophische Fragen disku- tieren“. Ein Ökologe imaginierte sich mit Studierenden bei einer gemein- schaftlichen Exkursion im Wald, ein Sprachwissenschaftler sagte, Lernen sei „wie gemeinsam Bücher lesen“. Motivation aus dem Sport „Ich wollte wissen, ob die Lernenden das ähnlich sehen“, erläutert Wegner. Sie weitete ihre Erhebungen auf Schü- ler, Studierende und Berufstätige aus. Schnell wurde klar, dass Studierende die partizipierende Denkweise ihrer Dozentinnen und Dozenten nicht teil- ten. „Bei Schülern und Studierenden war auffällig, wie häufig motivationale Metaphern aus dem sportlichen Be- reich vorkamen“, berichtet die For- scherin. „Sie beschrieben das Lernen mit Sätzen wie ‚Ich muss einen Hür- denlauf schaffen‘, ‚Ich muss mich überwinden und anstrengen‘.“ Viele verbänden Lernen auch mit Wissens- erwerb – etwa der Vorstellung, „eine Bibliothek aufzubauen“ oder „Fotos zu machen“. Bilder, die mit persönlicher Entfaltung zu tun haben – „Ich wachse wie ein Baum“, „Ich bin auf einer Reise“ – seien ebenfalls häufig genannt wor- den. Es gebe aber auch negative As- soziationen. Lernen sei „wie putzen“, bekam Wegner auch schon mal zu hören. Eine Schülerin meinte, Lernen sei „wie mit einer Käsereibe über die Stirn hobeln“ – ein etwas verstörender Vergleich. Wegner hat beobachtet, dass vor allem Schüler Metaphern nutzen, in denen Zwang und Druck zum Aus- druck kommen. „Für sie geht es oft darum, ein vorgegebenes Ziel in einer bestimmten Frist zu erreichen, zum Beispiel die Abiturprüfung zu schaffen.“ Je weiter die Befragten aber mit ihrer Ausbildung oder der Ausübung eines Berufs voranschritten, desto eher näh- men sie das Lernen als Selbstentfal- tung und Bereicherung wahr. Bei Stu- dierenden, die Wegner in Abständen wiederholt befragte, konnte sie anhand der Metaphern Entwicklungsprozesse erkennen. Eine Probandin, die im ers- ten Semester das Lernen mit „Kuchen essen“ umschrieben hatte, meinte im vierten Semester, es sei eher wie „Ku- chen backen“. „Der Kuchen blieb das positive Denkbild, wurde aber nicht mehr passiv konsumiert, sondern aktiv gestaltet“, erläutert die Forscherin. Weniger bimsen, mehr bauen Wer die Ausbildung hinter sich hat und im Berufsleben angekommen ist, stellt meistens gar keine Verbindung mehr zwischen Lernen und Zwang her. Dass das Lernen nicht mit der letzten bestandenen Schul- oder Hochschul- prüfung endet, hört man von Berufstä- tigen häufiger: Sie sprechen dann da- von, dass es wie „atmen“ oder ihr „täglich Brot“ sei – ein Leben ohne Ler- nen erscheint quasi unvorstellbar. Ihre Erkenntnisse vermittelt Elisa- beth Wegner in ihren bildungswissen- schaftlichen Veranstaltungen, die an- gehende Lehrerinnen und Lehrer besuchen. Wenn sie mit den Studie- renden die Metaphern bespricht, kon- frontiert sie sie damit, dass Lernen für sie selbst etwas anderes bedeutet als für die Schüler, die ihnen später im Klassenzimmer begegnen werden. Wegner hofft, dass Lehrende das Un- terrichtsklima verbessern können, wenn sie positive Bilder für das Lernen verwenden. Ihr Credo lautet: Im Unter- richt weniger von „bimsen“, dafür mehr von „bauen“, „wachsen“ oder „reisen“ sprechen. von Verena Adt Ein Mensch sitzt allein in einem Raum. Sein Kopf ist wie ein Früh- stücksei geöffnet, und in die Hirnschale gießt eine unsichtbare Hand den Inhalt ILLUSTR ATION: SVENJA KIRSCH einer riesigen Flasche. Ein Bergwan- derer ist fast auf dem Gipfel angekom- men und freut sich trotz des anstren- genden Marsches an der schönen Aussicht. Ein Mann im Sportdress schwitzt bei Hantelübungen auf einer Trainingsbank. „Diese drei unterschied- lichen Bilder beschreiben alle das Glei- che“, erklärt Dr. Elisabeth Wegner vom An den Schaden anpassen Selbst wenn der Klimawandel beendet wäre, ließen sich seine Folgen nicht sofort stoppen – wie können Städte darauf reagieren? von Thomas Goebel Einige Menschen bestreiten, dass es den Klimawandel gibt. Viele versu- chen, ihn aufzuhalten. Hartmut Fünf- geld interessiert sich für etwas anderes: „Ich befasse mich seit etwa zehn Jahren damit, wie sich vor allem städtische Ge- sellschaften an die Folgen des Klima- wandels anpassen können“, sagt der Freiburger Professor für Geographie des Globalen Wandels. Das sei keine Kapitulation – natürlich müsse jede An- strengung unternommen werden, den Klimawandel zu bremsen: „Die beste Art der Anpassung ist es, Treibhaus- gase zu reduzieren.“ Aber selbst wenn diese heute auf null gebracht würden, ließen sich die globalen Veränderun- gen nicht sofort stoppen. „Deshalb soll- ten wir gleichzeitig überlegen, wie wir Bevölkerung und Infrastruktur schützen können.“ Fünfgeld ist seit Februar 2018 Pro- fessor in Freiburg, davor hat er lange in Melbourne/Australien gelebt und ge- forscht. Dort sind manche Folgen des Klimawandels schon deutlicher zu spü- ren als in Mitteleuropa: Hitze, Trocken- heit, Buschfeuer. Wie wirken sich solche Veränderungen auf Stadtgesell- schaften aus – und wie können diese darauf reagieren? Fünfgeld untersucht solche Fragen aus sozialwissenschaft- licher Perspektive. Ihn interessiert zum Beispiel, welche Bevölkerungsgruppen von welchen Extremereignissen be- sonders betroffen sind und ob es Aus wirkungen auf bestimmte Wirt- schafts bereiche gibt, wenn politische Entscheidungen so oder so ausfallen. Hitzewellen könnten sich zum Bei- spiel auf soziale Dienstleistungen in einer Stadt auswirken. Fünfgeld er- wähnt die Versorgung von älteren Men- schen in Melbourne mit „Essen auf Rädern“. Häufig liefern Ehrenamtliche, die selbst im Ruhestand sind, die Mahl- zeiten aus. Bei extremer Hitze seien viele von ihnen gesundheitlich nicht in der Lage, ihren Dienst zu leisten, oder müssten sich selbst um Angehörige kümmern. „So können routinierte Ver- sorgungsabläufe von einem Tag auf den anderen zusammenbrechen.“ Der Forscher kombiniert verschiede- ne sozialwissenschaftliche Methoden wie Fragebögen, Tagebücher zum All- tagsverhalten und Interviews mit Er- kenntnissen der Umweltmeteorologie. Gerade hat er mit Kollegen einen For- schungsantrag eingereicht, bei dem es um die Entwicklung von interdisziplinä- ren Methoden geht, um die komplexen Auswirkungen von Hitzewellen auf der Ebene von Stadtvierteln zu erkunden – vom Baumbestand bis zu demografi- schen Gruppen, ihren Verhaltensmus- tern und sozialen Netzwerken. „Die gesellschaftlichen Reaktionen auf den Klimawandel sind ein typisches ‚wicked problem‘ – vielschichtig und schwer einzugrenzen“, sagt Fünfgeld. Das gelte auch für die Entschei- dungsstrukturen und Zuständigkeiten In einem neuen Projekt untersucht Hartmut Fünfgeld, wie sich Hitzewellen auf einzelne Stadtviertel auswirken. FOTO: ANDREW SEAMAN/UNSPLASH innerhalb von Stadtverwaltungen: Das Thema Klimawandel liege quasi quer über allen klassischen Dezernaten und Ämtern. Bisher habe man vor allem auf Hitzewellen, Starkregen oder Wasser- knappheit reagiert. „Seit etwa acht bis zehn Jahren stellen sich manche Kom- munen aber verstärkt die Frage: Wie können wir längerfristig planen?“ Man- che entwickelten sogar eigene kommu- nale Strategien zur Klimaanpassung. Extremereignisse ließen sich zwar nicht exakt vorhersagen – aber gene- rell müsse man davon ausgehen, dass sie in den nächsten 50 bis 100 Jahren öfter, länger und stärker aufträten, so Fünfgeld. In einem Zeithorizont also, der für die Planung von Infrastruktur wie öffentlichen Gebäuden, Grünflä- chen, Plätzen und Abwassersystemen durchaus eine Rolle spielt. kleinen See entstehen lässt. „So können Starkregenereignisse kontrol- liert und in die Stadt integriert werden – mit einem positiven sozialen Effekt.“ Das könne zu ganz neuen Ideen füh- ren, sagt Fünfgeld und erzählt von ei- nem baulich problematischen Platz in einem strukturschwachen Viertel von Rotterdam/Niederlanden, auf dem sich bei starkem Regen stets das Wasser staute. Statt einfach die Kanalisation weiter auszubauen, entwickelten Stadt- planerinnen und Stadtplaner gemein- sam mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in der Senke ein tiefer- gelegtes Basketballfeld, das bei star- kem Regen geflutet werden kann, das gefilterte Wasser auffängt und einen Die Entwicklung einer Anpassungs- strategie berühre auch Fragen der so- zialen Gerechtigkeit, sagt Fünfgeld. Und sie könne zu Konflikten führen, etwa im Hinblick darauf, wie öffentli- cher Raum genutzt wird, in welcher Weise Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden und wie welche Veränderun- gen finanziert sind. In dieser Hinsicht sei der Klimawandel für Stadtgesell- schaften weit mehr als ein Umwelt- thema: „Wir kommen um politische Wertedebatten nicht herum.“