03 2019 aktuell unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de „Als Baby in Rente gehen“ Der Ökonom Bernhard Neumärker erforscht, wie sich die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in die Realität umsetzen lässt Seit etwa 15 Jahren steht das bedin- gungslose Grundeinkommen (BGE) als ein Modell für soziale Sicherheit und Menschenwürde in Deutsch- land in der Diskussion. In den kommenden zehn Jahren unter- stützt die dm-Werner-Stiftung die Forschung dazu mit insgesamt zwei Millionen Euro, indem sie die Götz- Werner-Professur für Wirtschafts- politik und Ordnungstheorie an der Universität Freiburg fördert. Inhaber der neuen Namensprofessur ist Prof. Dr. Bernhard Neumärker. Judith Burggrabe hat mit dem Ökonom über die Voraussetzungen und Konse- quenzen des BGE und die damit ver- bundenenHoffnungengesprochen. uni’leben: Herr Neumärker, welches Ziel verfolgt das BGE? Bernhard Neumärker: Die Idee ist, dass jedes Gesellschaftsmitglied, ganz egal welchen Alters oder sozialen Stan des, monatlich eine regelmäßige Zah lung vom Staat bekommt. Es geht unter anderem darum, dass Arbeit und Ein kommen entkoppelt werden und Men schen dadurch Tätigkeiten übernehmen können, die gemeinnützig sind. Es gibt genug Leute, die sich gern stärker eh renamtlich engagieren möchten, dies aber nicht tun können, weil sie sich um ihr Einkommen kümmern müssen. Welche Varianten des BGE gibt es? Es gibt die partielle Existenzabsiche rung, hinter der das eher konservative Prinzip steht, dass nur ein Teil der Existenz abgesichert wird, um den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin Anreize für die Erwerbstätigkeit zu geben. Anders sieht das bei der zwei ten Variante, dem so genannten partizi pativen oder totalen BGE, aus: Dabei erhalten die Bürger einen Betrag, der ihnen auch die Möglichkeit bietet, sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, sei es, ins Theater zu gehen oder Fußballspiele zu besuchen. Wie hoch müsste das partizipativ angelegte Grundeinkommen derzeit sein? Es müsste zwischen 1.000 und 1.500 Euro liegen. Welche Folgen hätte das für die Leistungen des Sozialstaats? Auf staatlicher Seite könnten beim partizipativen BGE die Arbeitslosen versicherung und die Rente wegfallen. Voraussetzung für den Erhalt des BGE ist, dass man anspruchsberechtigt oder ein Mitglied der Gesellschaft ist. Anspruchsberechtigt sind alle, die in Deutschland geboren sind. Die Frage der gesellschaftlichen Zugehörigkeit ist etwas kniffl iger und muss erst noch, auch innerhalb der Europäischen Union, ausdiskutiert und defi niert werden. Also kein Sozialstaat mehr? Doch, aber reduzierter. Die Kosten für die Absicherung im Krankheits oder Pfl egefall beispielsweise können nicht komplett auf das BGE umgelegt werden. Es gibt schwere oder chroni sche Erkrankungen, deren Behand lung nicht aus dem Grundeinkommen bezahlt werden kann. Da bräuchte es einen zusätzlichen Fonds. Auch beim Wohnen bräuchte es eine sozialver trägliche Lösung, zum Beispiel Beihilfe. Nicht dass die Mieten so steigen, dass das Grundeinkommen nur noch für die Miete reicht. Wie würde sich das gesellschaft- lich auswirken? Die Wertschätzung für jede Art von Arbeit würde steigen. Bisher haben wir in unserer Wirtschaft nur Konsumenten souveränität. Das heißt, wir haben Geld, das wir verdient oder geerbt ha ben, und können es ausgeben oder sparen. Was dabei fehlt, ist der Frei heitsfaktor – unsere Lebenszeit. In die Wirtschaftssprache übersetzt, ist das die Zeitsouveränität. Die wird uns größtenteils genommen. Im Modell der Standardökonomie kommt die Zeitsou veränität nicht vor. Alles dient der Er werbsarbeit, auch die Gesundheit. Bei der Rehabilitation geht es beispiels weise nicht um das Gesundwerden, sondern darum, die Person wieder fi t genug zu machen, damit sie arbeiten gehen kann. Könnte der Zeitgewinn auch die HäufigkeitvonBurn-outsmindern? Sicherlich, denn die Arbeitnehmerin nen und Arbeitnehmer wüssten dann, dass sie jederzeit aussteigen könnten, ohne dass sie von der Gesellschaft diskriminiert werden. Mit der Einfüh rung des bedingungslosen Grundein kommens könnte man im Prinzip als Baby in Rente gehen. Aber das macht Die Profi tgier eindämmen, die Zukunft mitge stalten: Bernhard Neumärker sieht Parallelen zwischen der Bewegung „Fridays for Future“ und dem bedingungslosen Grundeinkommen. FOTO: MARKUS SPISKE/UNSPLASH niemand, und das ist das Faszinieren de: Die Menschen wollen arbeiten, aber eben nur das, was aus ihrer Sicht Sinn ergibt. Was macht Sie so sicher, dass sich nicht halb Deutschland auf die faule Haut legen würde? Ein Motiv ist die intrinsische Motiva tion, also der innere Anreiz. Mit dem BGE wird kreative Freizeit und sinn stiftende Arbeit ermöglicht. In den standardökonomischen Modellen wird davon ausgegangen, dass bei der Erwerbstätigkeit „Arbeitsleid“ empfun den wird. Nach diesem Modell arbeiten arbeiten. Zudem möchte ich heraus finden, wie der Freiheitsbegriff im Ordoliberalismus aussieht und wie eine wirtschaftliche Rahmenordnung mit dem BGE funktionieren könnte. Fragen, die sich dabei stellen, sind etwa: Aus welchen Steuerquellen lässt sich das BGE finanzieren? Wel ches Finanzierungssystem bewirkt welche Verteilungseffekte? Besteht in der Gesellschaft überhaupt die Be reitschaft, ein solches System einzu führen? Begreifen die Bürger das BGE als eine soziale Dividende auf ihren Anteil an der Gesellschaft? Ziel unserer Forschung ist auch, eine breite Außenwirkung zu erzielen, um Bernhard Neumärker schätzt, dass das bedingungslose Grundeinkommen bereits in den nächsten 15 Jahren eingeführt werden könnte. FOTO: PATRICK SEEGER die Bürger in der Marktwirtschaft nur, wenn man sie aus ihrer Hängematte rauskauft. Das BGE bietet einen anderen Lösungsweg. Und es schützt uns! Ge rade im Hinblick auf die Digitalisierung. Diese wird uns sehr viel Wohlstand bringen, die Produktivität wird extrem steigen. Gleichzeitig steigt aber auch die Gefahr, arbeitslos zu werden, weil Roboter viele Tätigkeiten übernehmen werden. Mit dem BGE wären die Bürger abgesichert. Welche Forschungsziele haben Sie sich gesteckt? Wir werden vor allem interdiszipli när mit der Soziologie, der Psycholo gie, der politischen Philosophie und der Volkswirtschaftslehre zusammen die enge Verbindung zwischen Wis senschaft und Gesellschaft deutlich zu machen. Wie lange dauert es noch, bis das BGE kommt? Die jüngere Generation macht sich viele Gedanken darüber, was für ihre Zukunft wichtig ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Initiative „Fridays for Future“. Ich behaupte, das BGE ist genauso wichtig wie die Schonung der Umwelt, weil es die Menschen schützt und ihnen Teilhabe gewährt. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich gesagt, dass es noch eine Weile braucht, eventuell 15 Jahre. An gesichts der aktuellen Entwicklungen könnte es aber auch früher kommen. 3 Europäische Universität mit acht Partnern Sechs Länder, acht Hochschulen, ein europaweiter Campus für knapp 270.000 Studierende: Die Europäische Kommis sion hat das Konsortium „European Partnership for an Innovative Campus Unifying Regions“ (EPICUR) als „Europä ische Universität“ ausgewählt. Die Uni versität Freiburg und ihre sieben Koope rationspartner haben die Jury mit ihrem Konzept überzeugt, das die Liberal Arts and Sciences, die digitale Transformation von Lehrformen sowie den Ausbau der Mobilität für Studierende ins Zentrum stellt. „Wir möchten junge Menschen aus bilden, die über Grenzen, Disziplinen, Kulturen und Sprachen hinweg die großen Herausforderungen, denen sich Europa gegenübersieht, angehen. Euro päische Lehre ist die Grundlage für die Stärkung einer europäischen Identität“, sagt Prof. Dr. HansJochen Schiewer, Rektor der Universität Freiburg. Zu den Partnern des EPICURKonsortiums gehören außer der Universität Freiburg das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die französischen Hochschulen Strasbourg und HauteAlsace sowie die Universität Amsterdam/Niederlande, die AdamMickiewiczUniversität Poznań/ Polen, die Universität für Bodenkultur Wien/Österreich und die Aristoteles Universität Thessaloniki/Griechenland. Die Europäische Kommission fördert die 17 Konsortien, die in der ersten Runde erfolgreich waren, mit insgesamt bis zu 85 Millionen Euro. Kooperation mit Bosch Das Technologieunternehmen Bosch unterstützt in einer neuen Kooperation mit der Universität Freiburg die Grundlagen forschung von Frank Hutter, Professor für Maschinelles Lernen an der Technischen Fakultät, bis Ende 2022 mit etwa 6,4 Millionen Euro. Hutter gilt als einer der Mitbegründer der Forschung zum Automatisierten Maschinellen Lernen (AutoML). Bosch nutzt AutoMLTechniken innerhalb des Bosch Center for Artifi cial Intelligence (BCAI), um das Trainieren von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zu automatisieren. Dadurch soll der Ein satz neuer Ansätze der KIForschung vereinfacht und somit der Transfer von der Grundlagenforschung zur Anwendung in der Praxis beschleunigt werden. Bosch plant, einen Teil der in Hutters Grund lagenforschung erarbeiteten Ergebnisse aufzugreifen und innerhalb des BCAI weiterzuentwickeln. Anwendungsmöglich keiten des automatisierten Maschinellen Lernens finden sich in der Robotik, in autonomen Fahrzeugen, in der Auswer tung von Sensordaten – beispielsweise für vorausschauende Wartung, die so genannte Predictive Maintenance – sowie in der Bild und Spracherkennung. Grüne Geldanlagen Die Universität Freiburg hat die An lagerichtlinien für ihr Körperschafts vermögen zugunsten von Investitionen in nachhaltige Energieformen überarbeitet. Demzufolge tätigt sie keine neuen Einzel investments mehr in Aktien, An leihen und ähnliche Wertpapiere von Unternehmen, deren Kerngeschäft in erster Linie auf fossilen oder nuklearen Energiequellen basiert. Bestehende Papiere dieser Art werden so bald wie möglich ersetzt. In ihrem Körperschaftsvermögen, in dem die Universität unter anderem 34 Treuhand stiftungen verwaltet, hat sie insgesamt circa 15 Millionen Euro in Finanzanlagen investiert. Die Universität Freiburg hat sich schon 2003 dem Leitbild der „Nach haltigen Universität“ verpfl ichtet und 2007 in ihren Umweltleitlinien das visionäre Ziel der CO2Neutralität festgeschrieben. Die aktualisierten Anlagerichtlinien hat sie auf ihrer Website veröff entlicht. www.zuv.uni-freiburg.de/service/ anlagerichtlinien