uni'wissen 02-2018

02 2018 Jahresbericht 2018: Hinter Zahlen stehen Menschen Forschung Die positive Entwicklung der AlbertLudwigsUniversität Freiburg lässt sich nicht ausschließlich in Zahlen fassen. Denn hinter den Zahlen stehen Menschen und ihre Leistungen. Mit dem herausnehmbaren Jahresbericht zeigt die Universität in kompakter Form die Daten und Fakten des vergangenen Jahres. Suche nach dem ursprünglichen Rhein Forschende des Upper Rhine Cluster for Sustainability Research beschäftigen sich mit Fragen des nachhaltigen Wandels 4 Schwarmintelligenz ohne Scheuklappen 8 Um das Phänomen des Heroischen zu begreifen, machen sich Forschende vieler Disziplinen gemeinsam ans Werk Mitgezählt Jahresbericht 2018 Urprojekt der Systembiologie Im Forschungsnetzwerk LiSym entschlüsseln Physiker und Mediziner die Signalwege von Leberzellen Umstrittene Helfer Welche Regularien braucht es in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine? Dringliche Forschung Das Projekt „Tracing Narratives of Flight and Migration“ verbindet Theorie und Praxis 12 16 20 Von der Laborbank zum Krankenbett Dem Sonderforschungsbereich für Medizinische Epigenetik gelingt es, Grundlagenforschung und klinische Anwendung zu verbinden 24 Netzwerken für die Artenvielfalt Auf Versuchsfeldern in verschiedenen Ländern untersuchen Forscherteams, wie Baumarten auf Durchmischung reagieren Dünne Elektrode statt Medikamente Die neue Technologie eines Freiburger Start-Ups senkt erhöhten Blutdruck mit elektrischen Impulsen Fitter, glücklicher, selbstständiger Eine Forschungsgruppe erörtert unter - schiedliche Aspekte der Selbstoptimierung Lehre Zwischen Zwängen und Moral In einem Seminar von Eucor – The European Campus erforschen Studierende den Umgang mit ethischen Konﬂ ikten 28 32 36 40 Das Stethoskop des 21. Jahrhunderts 44 Am Universitäts-Herzzentrum üben angehende Mediziner den Umgang mit tragbaren Ultraschallgeräten Der umgedrehte Unterricht Von der „PDF-Schleuder“ zum digital vernetzten Lehren und Lernen 48 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg An dieser Stelle sollte der Jahresbericht 2018 der AlbertLudwigsUniversität Freiburg zu finden sein. Der Bericht ist auch auf den Internetseiten der Universität abrufbar: www.pr.uni-freiburg.de/go/jahresbericht_2018

4 Liebe Leserin, lieber Leser, mit unserem neuen Motto für die strategische Entwicklung „Connecting Creative Minds: Trinational, European, Global“ wollen wir an der Universität Freiburg Grenzen überwinden. Creative Minds – das sind alle Mitglieder der Albert LudwigsUniversität: Es sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich über die Grenzen der Disziplinen hinweg austauschen, gemeinsame Forschungsfragen ent wickeln und ihr Denken in ungewöhnliche Bahnen lenken, um neuartige Lösungen für bedeutende Fragen zu finden. Es sind Studierende, die lernen, komplexe Probleme aus unter schiedlichen Perspektiven wissenschaftlich zu betrachten und die den Lehrpersonen mit ihrer Neugier und Begeiste rung wertvolle Impulse geben. Es sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltung und Technik, die Forschung und Lehre unterstützen. Kreativität kann sich nur entfalten, wenn alle, die an unserer Universität arbeiten, lehren, forschen und studieren, sich gegenseitig inspirieren. Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins uni’wissen, die Sie in den Händen halten, stellt ausgewählte Forschungs und Lehrprojekte vor, in denen Grenzen aufgelöst werden: Sie lernen Sonderforschungsbereiche und Arbeitsgruppen kennen, in denen Forschende unterschiedlicher Fachrich tungen und Institute oder auch in mehreren Ländern erfolgreich zusammenarbeiten und außergewöhnliche Projektideen entwickeln. Wir stellen Ihnen ein Lehrformat vor, dem es im Verbund EUCOR – The European Campus gelungen ist, die Wirtschaftswissenschaften und die Theologie an verschiedenen Universitäten miteinander zu verknüpfen. Und Sie bekommen Einblicke in Seminar konzepte, die dank ELearningPlattformen Expertinnen und Experten mit Studierenden an mehreren Standorten zusammenbringen oder es schaffen, in der medizinischen Ausbildung Hierarchien aufzubrechen. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre. Herzliche Grüße Ihr Prof. Dr. HansJochen Schiewer Rektor der AlbertLudwigsUniversität Der Rhein ist aus geowissenschaftlicher Sicht kein Fluss mehr – eher eine Wasser straße“, sagt Prof. Dr. Frank Preusser, der Geo logie an der Universität Freiburg lehrt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das natürliche Flussbett des Rheins begradigt und fast komplett umgestaltet – aus Gründen, die im damaligen Kontext nachvollziehbar erscheinen, betont Preusser: Hochwasserschutz, Landgewinnung und Schiffbarkeit. Aber der massive Umbau der Natur durch den Menschen bedeute auch einen riesigen ökologischen Verlust. „Heute gibt es Be strebungen, wieder einen zumindest etwas naturnäheren Zustand zu schaffen“, erklärt der Forscher. „Nur weiß man gar nicht mehr genau, wie der Rhein früher ausgesehen hat.“ Hier setzt Preusser an: Er will mit unterschiedlichen geowissenschaftlichen Methoden den ur sprüng lichen Verlauf des Rheins, seine Dynamik und die ihn umgebende Umwelt, wie sie war, re konstruieren – und damit eine Grundlage für einen ökologisch nachhaltigeren Umgang mit dem Fluss schaffen. Das Projekt ist Teil des „Oberrheinischen Clusters für Nachhaltig keitsforschung“ oder „Upper Rhine Cluster for Sustainability Research“. Blick unter die Oberﬂ äche „Der Rhein war geologisch komplex, er hatte ein verzweigtes Flussnetz, hat stark mäandert und hatte ein großes Überschwemmungsgebiet“, sagt der Freiburger Geologe. Durch die Begradigungen habe der Fluss zwischen Basel und Mainz etwa 60 Kilometer Länge verloren. Das führte zu einem stärkeren Gefälle, einer höheren Fließgeschwindig keit und größerem Erosionspotenzial: Der Rhein grub sich tiefer in sein eigenes Bett ein, was wiede rum den Grundwasserspiegel sinken ließ. „Wir wollen den natürlichen Zustand ab Beginn der heutigen Warmzeit erfassen, denn damals hat sich das Flusssystem etabliert, das bis zu den mensch lichen Eingriﬀ en bestand“, erklärt Preusser. Dafür arbeitet er eng mit Kolleginnen und Kolle gen in Strasbourg zusammen und wertet unter an derem hochauﬂ ösende Geländedaten von beiden Seiten des Rheins aus. Geringe Höhenunter schiede von zehn bis zwanzig Zentimeter, die in der Natur mit dem bloßen Auge kaum sichtbar sind, verweisen auf frühere Verläufe. „Wir wollen aber auch wissen, wie es unter der Oberﬂ äche aussieht“, sagt der Geologe. Sein Team nimmt Bodenproben an ausgewählten Stellen im frühe ren Überschwemmungsbereich des Flusses.

uni wissen 02 2018 5 Suche nach dem ursprünglichen Rhein Forschende des Upper Rhine Cluster for Sustainability Research beschäftigen sich mit Fragen des nachhaltigen Wandels von Thomas Goebel Wilder und ursprünglicher – so verläuft der Rhein noch im Naturschutzgebiet Taubergießen. Foto: Gemeinde Rust „Dort haben sich verschiedene Sedimente abge setzt“, sagt Preusser. „Unten sind eiszeitliche Kiese, darüber zum Beispiel Kies, Sand und Lehm, aber auch organisches Material mit Schneckenge häusen, Holzresten oder Pollen.“ „Unser Ziel ist es, dass der Oberrhein zu einer trinationalen Modellregion für nachhaltige Strategien wird“ Die Bohrkerne werden beschrieben und ent nommene Proben im Labor analysiert. „Freiburg und Strasbourg ergänzen sich dabei sehr gut“, sagt Preusser. Zum Beispiel sei das Team der französischen Universität um Prof. Dr. Laurent Schmitt darauf spezialisiert, die Dynamik von Flüssen zu rekonstruieren. Preusser selbst ist Spezialist für die Datierung nicht organischen Ma terials. Hierfür wendet er eine Methode an, mit der sich messen lässt, wie lange ein Sandkorn seit der letzten Tageslichtexposition im Dunkeln gelegen hat. Letztlich, so Preusser, dienen alle Ergebnisse dazu, den Fluss und seine Veränderungen besser zu verstehen. Davon könnten auch Länder profi - tieren, in denen größere Eingriﬀ e in Flusssysteme noch anstehen, wie etwa Nigeria – von dort stammt einer seiner Doktoranden. Der Rhein selbst werde sicher nicht wieder in seinen natürli chen Zustand zurückversetzt, sagt Preusser. Auf seine Schiﬀ barkeit oder seine Bedeutung als Energielieferant zu verzichten stehe außerhalb der Diskussion. „Aber wir wollen verstehen, wie man dem naturnahen Zustand wieder möglichst nahe kommen kann, ohne die anderen Bedürfnisse zu vernachlässigen.“ Forschung am Oberrhein bündeln Die vielfältigen Aspekte von Nachhaltigkeit über Länder und Fächergrenzen hinweg zu er forschen ist das Ziel des Upper Rhine Cluster for Sustainability Research. Gegründet wurde der Verbund 2016, um die am Oberrhein vertretenen Forschungsschwerpunkte zu Nachhaltigkeits themen zu bündeln. Beteiligt am Cluster sind alle Universitäten von Eucor – The European Campus:

6 Vor der Begradigung war der Rhein geologisch komplexer und hatte ein stark verzweigtes Flussnetz. Forschende aus Freiburg und Strasbourg wollen früheren Verlauf, Dynamik und Umgebung rekonstruieren. Foto: Stadtarchiv Rastatt Basel, Freiburg, Karlsruhe, Mulhouse und Strasbourg sowie zusätzlich die Universität KoblenzLandau und der Standort Strasbourg des nationalen französischen Forschungszentrums CNRS. Die insgesamt 16 Arbeitsgruppen be fassen sich mit Themen in den Bereichen Steue rung von Mobilität, Erneuerbare Energie und Netzinfrastruktur, gesellschaftlicher Wandel und Innovation, Ressourcenmanagement sowie den Fragen zur Bedeutung von Multikulturalismus und Mehrsprachigkeit in der nachhaltigen Entwicklung. Grenzüberschreitende Forschungsverbünde er öﬀ nen neue Forschungsansätze und verstärken die eigenen Forschung und die Forschung in der Region sagt Prof. Dr. Barbara Koch. Die Frei burger Professorin für Fernerkundung und Land schaftsinformationssysteme ist stellvertretende ClusterDirektorin. „Die grenzüberschreitende Zu sammenarbeit ist durch die Digitalisierung heute eigentlich Standard in der Wissenschaft – aber in der trinationalen Region ist sie auch deshalb be sonders bedeutend, da man so gemeinsame Forschungsräume für räumlich vernetzte Heraus forderungen schaﬀ en kann. Und zum praktischen Austausch im Verbund trügen nicht zuletzt die so genannten Enabler bei: Das sind bisher acht wis senschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus Mitteln des Clusters fi nanziert werden und Forschungsprojekte unterstützen: „Es ist schön, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ideen diskutieren“, sagt Koch. „Aber es muss auch Leute geben, die sie ausarbeiten, Workshops organisieren, Fördermöglichkeiten recherchieren, Anträge schreiben.“ Wie die Zusammenarbeit im Cluster konkret aussehen kann, zeigt ein zunächst in Freiburg ent standenes Projekt, an dem alle EucorUniversitäten beteiligt sind. „Unser Ziel ist es, einen integrierten, grenzüberschreitenden Energiemarkt für erneuer bare Energien am Oberrhein zu etablieren“, erklärt Ines Gavrilut. Sie ist Mitarbeiterin des Zentrums für Erneuerbare Energien (ZEE) der Universität Freiburg und koordiniert als Enabler das von Koch geleitete Forschungsvorhaben. Erneuerbare Energien im Ländervergleich Am Oberrhein werde schon viel erneuerbare Energie dezentral erzeugt – etwa durch Windräder, Fotovoltaikanlagen, Geothermie oder Wasserkraft. Sowohl Deutschland als auch Frankreich und die Schweiz hätten ambitionierte Klimaziele. „Wir stel len uns nun die Frage, wie man Versorgungssicher heit gewährleisten und das Potenzial der gesamten Region grenzüberschreitend am besten nutzen kann“, sagt Gavrilut. Und zwar, ohne den Strom

uni wissen 02 2018 7 über die Hauptleitungen der großen Versorger zu schicken. In verschiedenen fächerübergreifenden Arbeitspaketen sollen die Rahmenbedingungen hierfür untersucht werden. Außer für die Erzeu gung, die Möglichkeiten zur Speicherung und den Verbrauch des Stroms in der gesamten Region interessieren sich die beteiligten Forscherinnen und Forscher auch für rechtliche Hürden einer grenz überschreitenden Zusammenarbeit, für wirtschaft liche und politische Rahmenbedingungen sowie für soziologische und kulturelle Aspekte: Erneuerbare Energien spielen etwa in der französischen Öﬀ ent- lichkeit eine geringere Rolle als in der deutschen. Trotzdem stoßen Windräder in Frankreich oft auf weniger Widerstand. Eucor – The European Campus hat dieses Projekt mit einer Anschubfi nanzierung, dem Seed Money, unterstützt. Zurzeit entstehen Vollanträge für eine dreijährige Förderung ab 2019. Auch Praxispartner sollen bis dahin mit gewonnen werden, zum Beispiel Behörden, regionale Energie versorger, Unternehmen aus der Solarbranche und Energiekooperativen. „Wir wünschen uns, dass der Oberrhein zu einer trinationalen Modellregion für nachhaltige Strategien wird“, sagt Gavrilut und be schreibt damit auch das Ziel des gesamten Clusters. Prof. Dr. Frank Preusser Prof. Dr. Barbara Koch Ines Gavrilut studierte Geologie und Palä- ist seit 1994 Professorin für studierte Rechtswissen- ontologie mit den Nebenfä- Fernerkundung und Land- chern Chemie, Kristallo - schaftsinformationssysteme grafie, Mineralogie und phy- an der Fakultät für Umwelt schaft an der Universität Iași/Rumänien. Nach ihrem Bachelorabschluss studier- sikalische Geologie an der und Natürliche Ressourcen te sie Wirtschaftswissen- Universität zu Köln, wo er der Universität Freiburg. Sie schaften an der Universität auch promoviert wurde. An- studierte von 1977 bis 1982 Bonn und Environmental schließend arbeitete er als Forstwissenschaft an der Governance an der Uni Postdoc, Assistent und Do- Ludwig-Maximilians-Uni- Freiburg, wo sie 2014 ihren zent an der Universität Bern, versität München. 1982 bis Masterabschluss machte. an der er sich 2008 habilitierte. 1994 war sie an der Techni- 2015 bis 2016 arbeitete sie 2011 wurde er Professor für schen Universität in Mün- in Brüssel für Eurosif, einen Quartärgeologie an der Uni- chen wissenschaftliche Dachverband für nach- versität Stockholm, seit 2014 Mitarbeiterin, 1988 wurde haltige Geldanlagen. Seit ist er Professor für Sedimen- sie an dieser promoviert. 2016 ist Gavrilut Mitarbei- tologie an der Uni Freiburg. Zudem absolvierte sie einen terin des Zentrums für Er- Zu seinen Schwerpunkten Forschungsaufenthalt am neuerbare Energien (ZEE) gehört die Geochronologie; Jet Propulsion Laboratory in der Uni Freiburg und koor- er forscht zu den Wechsel- Kalifornien/USA. 2005 grün- diniert als Enabler For- www.nachhaltigkeit-oberrhein.info wirkungen zwischen Klima- dete sie das Steinbeis- schungsprojekte im www.pr.uni-freiburg.de/pm/online-magazin/ forschen-und-entdecken/dem-natuerlichen- ﬂ usslauf-auf-der-spur veränderungen und Wand - Forschungszentrum „FeLis“, Rahmen des Upper Rhine lungen der Erdober fläche, das wissenschaftliche Er- Cluster for Sustainability speziell in den Alpen, im kenntnisse ihres Fachs der Research. Zu ihren For- arabischen Raum und in Wirtschaft und Betriebs- schungsinteressen zählen forschung zugänglich macht. Umwelt- und Forstpolitik, Ihre Forschungsschwer- politischer Wandel sowie punkte sind Fernerkundung, Schnittstellen zwischen Geomatik und räumliche Wissenschaft, Politik und Modellierung. Sie ist stell- Praxis. vertretende Direktorin des Foto: Paul Padurariu „Upper Rhine Cluster for Sustainability Research“. Foto: Thomas Kunz den Anden. Foto: Thomas Kunz Zum Weiterlesen Eschbach, D./Schmitt, L./Imfeld, G./May, J.H./Payraudeau, S./Preusser, F./ Trauerstein M./Skupinski G. (2018): Longterm river trajectories to enhance restoration eﬃ ciency and sustainability on the Upper Rhine, Rohrschollen Island, France. In: Hydrology and Earth System Sciences 22, S. 2717–2737. Preusser, F./May, J.H./Eschbach, D./Trauerstein, M./Schmitt, L. (2016): Infrared Stimulated Luminescence dating of 19th century ﬂ uvial deposits from the Upper Rhine River. In: Geochronometria 43, S. 131–142. Ringler, P./Keles, D./Fichtner, W. (2017): How to benefi t from a common European electricity market design. In: Energy Policy 101, S. 629–643. Rehner, R./McCauley, D. (2016): Security, justice and the energy crossroads: Assessing the implications of the nuclear phaseout in Germany. In: Energy Policy 88, S. 289–298.

8 Schwarmintelligenz ohne Scheuklappen Um das Phänomen des Heroischen zu begreifen, machen sich Forschende vieler Disziplinen gemeinsam ans Werk von Rimma Gerenstein E s gibt sie seit Jahrtausenden. Sie leben in religiösen Schriften, Romanen, Gedichten, Gemälden, Filmen und Liedern. Geschichten von Heldinnen und Helden erzählen sich Menschen nicht nur in allen Kulturen und Sprachen Euro pas – von den edlen Heroen der Antike, die Städte begründeten und Gefahren bannten, von Feldherren, die Schlachten für ihre Königreiche gewannen, von Feuerwehrmännern, die todes mutig in brennenden Gebäuden nach Überleben den suchten, oder von modernen Superstars wie der Lasso schwingenden Amazone Wonder Woman, die sich dem Kriegsgott Ares in den Weg stellte. Die Faszination, die von Heldengeschich ten ausgeht, scheint über die Jahrhunderte hin weg ungebrochen. Mehr noch: Für die Forschung sind diese Geschichten ein Akt der Selbstoﬀ enba- rung: „Wen eine Gemeinschaft zum Helden erklärt, wen sie verehrt und bewundert, gibt vor allem über die Gemeinschaft selbst Aufschluss – wie sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt sieht, was sie fürchtet, was ihr wichtig ist, worüber sie streitet“, sagt Prof. Dr. Ralf von den Hoﬀ . Der Klassische Archäologe ist Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Uni versität Freiburg. Seit 2012 arbeiten unter des sen Dach knapp 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Fragen der Heldenforschung: Was erhebt eine Figur zum Helden? Welche Heldentypen bringt ein bestimmtes Zeitalter her vor? Und wie erschaﬀ en Gemeinschaften ihre Helden? Kurzum: Wie sehen die unterschiedlichen politischen, historischen oder gesellschaftlichen Prozesse aus, in denen Helden konstruiert wer den? Komplexe Fragen, deren Antworten sicher

uni wissen 02 2018 9 „Verbundforschung braucht nicht unbedingt eine Corporate Identity, aber ein Corporate Ethos“ nicht innerhalb einer Disziplin zu finden sind, hebt von den Hoff hervor. Hier brauche es organisierte Schwarmintelligenz: „Kulturelle Phänomene sind auf starke Weise miteinander verbunden. Wie Kultur tickt, wie Menschen in un terschiedlichen Epochen handeln, können wir nur gemeinsam und im Vergleich begreifen.“ Ge meinsam bedeutet konkret: mit Forscherinnen und Forschern aus den Geschichts, Literatur und Bildwissenschaften sowie aus der Soziolo gie und der Theologie. und prüfen unsere Erkenntnisse“, berichtet von den Hoff. Das Plenum ist nicht zimperlich. Es sitze immer mindestens eine Person im Raum, die sage: „Moment mal, das passt so nicht.“ Darin sieht der SFBSprecher einen entschei denden Vorteil: Wenn die jeweilige Disziplin ihre Scheuklappen ablege, steigere das die Kritik fähigkeit und fördere die Kreativität. „Das bringt uns weiter. Verbundforschung braucht nicht unbedingt eine Corporate Identity, aber ein Corporate Ethos.“ Arbeitsgruppen, Sammelbände, Ringvorlesungen Sechzehn so genannte Teilprojekte laufen derzeit am SFB. Ob heldenhaftes Warten in der Literatur, Modelle des Heroischen in militäri schen Selbstzeugnissen oder die Heroisierung von Arbeit in China und Russland: Diese Teilpro jekte sind relativ fachspezifisch ausgerichtet. Für den Austausch zwischen den Disziplinen setzt der SFB auf unterschiedliche Formate. „Wir wäh len bestimmte Themen aus, die wir im Verbund stärker behandeln wollen. Dafür arbeiten wir zwei Jahre lang in relativ lockeren Verbundar beitsgruppen aus vier bis fünf Disziplinen zu sammen“, erklärt von den Hoff. Solche Gruppen beschäftigten sich zum Beispiel bisher mit den Themen „Gewalt“, „Verehrer und Publikum“ und „Antihelden“. Im Laufe der Zeit habe sich gezeigt, dass die ses Format nicht nur die produktivsten Ergebnis se zutage fördere, sondern auch den größten Spaß mache. „Wenn ich frage, was die Leute besonders am SFB schätzen, lautet die einstim mige Antwort: dass es ein Ort ist, an dem sie auf sehr gute, wissenschaftlich und intellektuell interessante Kolleginnen und Kollegen treffen können.“ Parallel erarbeiten die Wissenschaftler Sammelbände, in denen sie Forschungser gebnisse veröffentlichen, und organisieren regelmäßig Tagungen und Ringvorlesungen. „Hier kommen wir alle zusammen, präsentieren Neben dieser Verzahnung auf horizontaler Ebene liegt dem Forscher auch die vertikale Ver netzung am Herzen: Der SFB sei eben auch ein universitärer Bildungsbetrieb mit einer eigenen Graduiertenschule. Er lebt davon, dass Master studierende, Promovierende, Postdocs sowie Professorinnen und Professoren gemeinsam über Fragestellungen brüten. „Das ist eine Kooperation, die man auf keinen Fall unter schätzen sollte. Jeder merkt sofort, was er von der anderen Gruppe lernen kann und was er viel leicht schon verlernt hat.“ Gemeinsame Fragen entwickeln Doch von den Hoffs Loblied auf das fächer übergreifende und vernetzte Arbeiten hat seine Grenzen. Interdisziplinarität könne nicht die „exzellenten Individualisten“ ersetzen, die eine Universität genauso brauche. Außerdem seien Modeerscheinungen mit Vorsicht zu genießen. Der Trend gehe derzeit dazu, Disziplinen um jeden Preis unter ein Dach zu stecken – das mache sich gut in Förderanträgen. „Dabei ist allein das Label ‚Interdisziplinarität‘ wertlos. Die Herausforderung liegt darin, gemeinsame Fragen zu entwickeln, die für alle Disziplinen interessant sind.“ Dazu brauche es vor allem Leute, die bereit seien, erst einmal zuzuhören, ohne Inhalte gleich in ein fachspezifisches Korsett zu zwängen. „Für diese Art von Arbeit ist nicht jeder geeignet“, sagt von den Hoff, „doch wer sich auf das Abenteuer einlässt, profitiert Die Faszination, die von Heldengeschichten ausgeht, ist ungebrochen. Foto: Fotolia/BillionPhotos.com

10 Von Wonder Woman über Batman bis zu Gandalf: Wie sehen die politischen, historischen oder gesellschaftlichen Prozesse aus, in denen Helden konstruiert werden? Foto: Unsplash/zhenhu ungemein von den Methoden fremder Diszipli nen.“ Das gelte für die Forschung im Alleingang wie im Verbund gleichermaßen. Die gemeinsa men Ergebnisse seien die Synthese aus diesen beiden Linien. Digitales Nachschlagewerk Beispiele für solche Destillate – von Sammel bänden und EJournalen über Tagungen bis hin zu Schulprojekten und einem sinfonischen Konzert – hat der SFB schon in beachtlichem Umfang vorzuweisen. Die jüngste Synthese trägt den Titel „Compendium heroicum“ und ist ein frei zugängliches digitales Nachschlagewerk, das aktuelle Ergebnisse aus der Heldenforschung präsentiert. Die Beiträge behandeln Themen wie „Heldentypen“, „Kulturen und Praktiken“ oder „Objekte und Attribute“. Ihr gemeinsamer Nenner sei das sorgsam erarbeitete theoretische Gerüst, berichtet der Literaturwissenschaftler Dr. Georg Feitscher, der als wissenschaftlicher Koordinator für das Compendium zuständig ist. „Wir können nicht einfach festlegen: ‚Ein Held ist, wer dies oder jenes tut.‘ Wir können aber vergleichen, welche Heldenfiguren in verschiedenen gesell schaftlichen Kontexten erscheinen und welche Eigenschaften ihnen zugeschrieben werden.“ In einer Verbundarbeitsgruppe haben die Wissenschaftler fünf Merkmale destilliert: Außer ordentlichkeit, Überschreiten von Grenzen, Kampfbereitschaft, Vorbildlichkeit und Hand lungsmacht. Sie sollen den Forschenden aller Fächer als Richtschnur beim Entschlüsseln der vielen verschiedenen Heldenfiguren dienen. „Wir legen großen Wert auf ein gemeinsames Set theoretischer Grundlagen“, betont Feitscher und stellt die Vorzüge des digitalen Nachschla gewerks heraus: „Oft werden in Forschungs verbünden gleich zu Beginn Handbücher herausgegeben, die die wichtigsten Begriffe definieren sollen. Doch das lässt nicht viele Möglichkeiten, aktuelle Forschungsergebnisse zu integrieren.“ Das Compendium hingegen sei dynamisch und könne fortlaufend ergänzt werden – zum Beispiel von Teams, die gemein sam über ihre Ergebnisse berichten. „Man merkt ihnen den kreativen Zugang zu einem Thema an, nach dem Motto: ‚So ist noch gar nicht in meiner Disziplin über diese Epoche gedacht worden.‘ Die Zusammenarbeit über Fächergrenzen hin weg eröffnet ein größeres Spektrum an Fragen und Methoden“, findet Feitscher. Die Ernte einfahren Davon ist auch von den Hoff überzeugt. Schließlich hat er diese Erfahrung selbst gemacht. Die Ringvorlesung „Vom Weihegefäß zur Drohne“ etwa entstand, als die Forschen den über unterschiedliche Gegenstände des Heroischen diskutierten. „Da merkten wir: Sie haben alle eine ganz unterschiedliche Funktion.

uni wissen 02 2018 11 Da müssen wir genauer hinschauen.“ Und zwar über die Jahrhunderte hinweg. Die Anglistin Prof. Dr. Stefanie Lethbridge referierte über Harry Potters Zauberstab, der Soziologe Prof. Dr. Ulrich Bröckling über den Einsatz von Drohnen, mit denen sich heutzutage aus sicherer Ent fernung Gebäude in die Luft sprengen lassen, und von den Hoff befasste sich mit dem Wein kelch des Herakles, der nicht nur gewaltige Eber und unverwundbare Löwen besiegte, sondern offenbar auch ein heldenhaftes Trinkverhalten an den Tag legte. Der Perspektivenwechsel sei nachhaltig: „Ich glaube, nach dieser Ringvor lesung kann keiner der Beteiligten mehr so über diese Objekte denken, wie sie oder er davor über sie gedacht hat“, sagt von den Hoff. „Wir legen großen Wert auf ein gemeinsames Set von theoretischen Grundlagen“ In der dritten Förderphase des SFB, die im Erfolgsfall ab 2020 beginnt, soll die fächerüber greifende Zusammenarbeit eine neue Dimension erreichen, berichtet der Sprecher. „Wir wollen die Ernte einfahren.“ Will heißen: Die Synthese soll an die erste Stelle treten. „Zehn neue Teil projekte, die sich mit Fallstudien beschäftigen, sind da wenig hilfreich. Wir wollen gemeinsame Ergebnisse produzieren und so sichergehen, dass unsere Arbeit nicht ausfranst.“ In kleinen Verbundgruppen sollen die Wissenschaftler zu sammen Beiträge verfassen und Erkenntnisse zu unterschiedlichen Epochen zusammenführen – ohne Rückzug in die eigene Disziplin, so not wendig dieser auch sei. „Mut zum synthetischen Schreiben“, nennt das von den Hoff. Auch das sei ein Experiment. Wird es thematisch passen, werden die Forschenden gut zusammen schreiben können? „Wir wollen es ausprobieren. So oder so: Am Ende werden wir auf jeden Fall wissen, wie wir Verbundforschung besser angehen können.“ www.compendium-heroicum.de Zum Weiterlesen Prof. Dr. Ralf von den Hoff ist seit 2012 Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg. Der Klassische Archäologe wurde an der Universität Bonn über Philo- sophenporträts des Früh- und Hochhellenismus promoviert und legte in München seine Habilitation über die Wand- lungen des Theseusbildes im Athen des 6. und 5. Jahr- hunderts vor Christus vor. Seit 2006 ist er Professor für Klas- sische Archäologie an der Universität Freiburg und forscht im Wintersemester 2018/19 als Fellow am geis- teswissenschaftlichen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln forschen. Zu von den Hoffs Schwerpunkten zählen antiken Skulpturen und die an- tike Herrscherrepräsentation. Foto: Klaus Fritsche Dr. Georg Feitscher arbeitet seit 2016 als Post- doktorand im Sonderfor- schungsbereich (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg und ist wissen- schaftlicher Koordinator des digitalen Nachschlagewerks „Compendium heroicum“. Nach einem Studium der Kommunikationswissen- schaft und Germanistik in Greifswald, Paris/Frankreich und Freiburg wurde Feitscher im SFB „Muße. Konzepte, Räume, Figuren“ mit einer Arbeit zur Bedeutung der Kontemplation in autobio- grafischen Erzählungen der deutschen und französi- schen Literatur promoviert. Er die soziale und kulturelle Bedeutung von Heroisie- rungsprozessen. Foto: Thomas Kunz Auch Herakles, hier im Kampf mit Schlangen, ist im digitalen Nachschlagewerk „Compendium Herocium“ verzeichnet. Foto: Fotolia/Antony McAulay EJournal „helden. heroes. héros.“ – www.sfb948.unifreiburg.de/de/ publikationen/ejournal Aurnhammer, A./Bröckling, U. (Hrsg.) (2016): Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg.

uni wissen 02 2018 13 P hysikerinnen und Physiker bauen Teilchenbe schleuniger, sagen Sonnenfi nsternisse vor- her, erklären die Schwerkraft – und erforschen die Leber. Das menschliche Entgiftungsorgan ist das Forschungsobjekt von Prof. Dr. Jens Timmer vom Physikalischen Institut der Universität Freiburg. In der Schule, erzählt der heutige Wissenschaftler, habe er das Fach Biologie nach der zehnten Klasse abgewählt. Später, als Professor, habe ihn dann ein Gespräch mit einem Neuro logen zu den Lebenswissenschaften zurück gebracht, „denn dieser Kollege forschte mit echten Patientendaten“, erklärt Timmer sein neu erwachtes Interesse. „Leberzellen sind höllisch kompliziert“ Während andere Physiker mithilfe der Chaos theorie den nächsten Börsencrash prophezeien wollten, beschäftigte Timmer sich als einer der ersten Forschenden in Deutschland mit der Systembiologie – und hatte sein Lebensthema gefunden, denn er ist überzeugt davon, dass auch biologische Prozesse durch mathemati sche Formeln dargestellt werden können. Des halb waren er und sein Team auch treibende Kraft in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Forschungsprojekt, als dessen Sprecher der Freiburger Physiker in den ersten Jahren fungierte: Am Beispiel von Leberzellen wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachbereiche gemeinsam herausfi nden, wie deren Signalwege funktionieren, was sie krank macht und wie sich das frühzeitig erkennen und optimal behandeln lässt. Für Timmer ist es ein „Urprojekt der Systembiologie“, das grundsätzliche Erkenntnisse auch für andere Bereiche der Lebenswissenschaften liefern könnte. Gesellschaftlich relevantes Thema Die Leber gilt als das wichtigste Stoﬀ wechsel- organ des Menschen. Ist ihre Funktion einge schränkt, kann das schwerwiegende Folgen für den Organismus haben. Je früher Schäden er kannt werden, desto größer sind die Chancen, dass sich das Gewebe regeneriert. Lebererkran kungen sind in westlichen Industriegesellschaften weit verbreitet. Die Forscherinnen und Forscher hätten sich auch auf Kolibakterien spezialisieren können, deren Signalwege laut Timmer zu den bestuntersuchten gehören: „Aber diese wären gesellschaftlich längst nicht so relevant.“ Die seit 2004 bestehende Förderung hat dazu geführt, dass in Deutschland über die Jahre eine gut vernetzte „systembiologische Forschungscommunity“, wie Timmer sie nennt, aus Expertinnen und Experten der Physik, Medi zin, Biochemie, Toxikologie sowie Bildverarbei tung gewachsen ist. Im Jahr 2016 begann mit LiSyM (Liver Systems Medicine), dem For schungsnetz Systemmedizin der Leber, der vier te, bis 2020 dauernde Förderzeitraum. Durch die individualisierte Medizin gewinnt das Projekt zunehmend an klinischer und pharmakologischer Relevanz. Erste Pharmafirmen zeigen Interesse. Verschiedene Modelle zusammenbringen Bundesweit sind rund 100 einhundert Forscher in 38 Arbeitsgruppen an 16 Standorten beteiligt. Sie sind jeweils einem von vier Schwer punktthemen zugeordnet: nichtalkoholische Fettlebererkrankung, chronische Lebererkran kungen bis hin zur Leberzirrhose, Regeneration und Reparatur eines Leberversagens, Früher kennung und Evaluation einer veränderten Leberfunktion. Am Physikalischen Institut in Freiburg laufen bei Projektkoordinatorin Helen Desmond die Fäden zusammen. Eine der großen Herausforderungen für die Wissen schaftler ist, eine gemeinsame Sprache zu finden, denn sie arbeiten zwar alle an „Model len“, doch während ein theoretischer Physiker dabei an ein mathematisches Modell denkt, hat eine Biologin eher ein Mausmodell vor Augen. Die Kunst ist, beide Modelle zusammenzubringen. Das gelang Timmer bereits 1999 in Zusammen arbeit mit dem Freiburger MaxPlanck Institut für Immunbiologie. Die Zellbiologen waren den Signal wegen in den Zellen auf der Spur: Sie wussten, wie hormonell übermittelte Außenreize über Rezep toren an der Zellober ﬂ äche ins Zellinnere gelangen und über Proteinkaskaden in den Zellkern weiterge leitet werden, doch um die Dynamik dieses Prozes ses auch quantitativ verstehen zu können, brauchten sie den Physiker, der auf die belebte Materie übertrug, was Physiker gemeinhin auf un belebte Materie anwenden. Timmer übersetzte den Signalweg der Zelle in Diﬀ erentialgleichungen, deren Parameter nicht bekannt waren. Die Zell biologen maßen Proteinkonzentrationen in

14 Forschende in fächerübergreifenden Netzwerken müssen eine gemeinsame Sprache finden: Während ein theoretischer Physiker an mathematische Modelle denkt, hat eine Biologin eher Mausmodelle vor Augen. Foto: Fotolia/peshkov Ab hängigkeit von der Zeit, aus denen Timmer dann die Parameter bestimmte. Zur großen Überraschung passte die beste Ausgleichsrech nung des Modells überhaupt nicht zu den Daten, und Timmer kam zu dem Schluss: „Das bio logische Modell stimmte nicht, weil ein ent scheidender Prozessschritt fehlte.“ Nur vier Differentialgleichungen genügten ihm für den Nachweis, dass der Signalweg nicht nur in den Kern hinein, sondern auch wieder hinausführt, und erneut vom Rezeptor aktiviert werden kann. Ebenso konnte er zeigen, in welcher Geschwindig keit sich das alles abspielt. Mit seinem Modell ließ sich vorhersagen und experimentell be stätigen, „was passiert, wenn wir mit biochemi schen Tricks in den Signalweg eingreifen“, erklärt der Freiburger Forscher. Forschung nah an den Patienten Das herauszufi nden ist auch eines der Ziele von LiSyM. „Leberzellen“, weiß Timmer, „sind höl lisch kompliziert.“ Es soll möglichst an Original zellen statt an künstlich im Labor gezüchteten Zelllinien geforscht werden. Die Präparation von Zellen aus menschlichen Lebern mit chronischer Schädigung wird derzeit optimiert. Mausmodelle werden in miteinander kooperierenden Arbeits gruppen etabliert, an denen sich mole kular biologisch die Mechanismen von Krank heitsverläufen studieren lassen. Weil jedem Schwerpunkt bei LiSyM eine große Klinik zuge ordnet ist, bleibt die Forschung nah an den Patientinnen und Patienten. Das weitverzweigte Netzwerk und die Kliniknähe haben den Vorteil, dass die Forscher Zugang zu sehr vielen Daten bekommen: So wurden zum Beispiel an der Berliner Universitätsklinik Charité neue Techniken zur Elastizitätsmessung in der Leber bei 120 extrem adipösen Kindern mit einer Fettlebererkrankung angewandt. Durch die Analyse dieser Daten hof fen die Wissenschaftler am Ende zu verstehen, wie sich die Signalwege und der Stoffwechsel in der Zelle im Verlauf einer Lebererkrankung ver ändern. Die dabei gemessenen Biomarker könn ten für den jeweiligen Patienten passgenaue Medikation ermöglichen. frühere Diagnosen und eine Berechnung von Medikamentendosierung Erfahrungen damit gibt es schon bei Krebs patienten, die aufgrund einer Chemotherapie an Blutarmut leiden, da das Chemotherapeutikum

uni wissen 02 2018 15 das blutbildende System schädigt. Zur Förde rung der Blutbildung wird das Hormon EPO ge geben, das an der Produktion der roten Blutkörperchen maßgeblich beteiligt ist. Seit mehr als 20 Jahren kann es gentechnologisch hergestellt und als Medikament zugeführt wer den. Dabei kommt es auf die exakte Dosierung an: Ist sie zu hoch, werden zu viele dieser Erythrozyten gebildet. Dadurch verdickt sich das Blut, was zu Blutgerinnseln führen kann. Ist sie zu niedrig, bleibt es bei der Blutarmut, und es gelangt nicht genügend Sauerstoff in die Zellen. Jens Timmer und seine Mitarbeiter haben das System genau analysiert und unter sucht, was passiert, wenn EPO auf die Rezepto ren der Zellmembran trifft. Mithilfe seines mit physikalischen Methoden gefundenen Modells lässt sich, abgestimmt auf die gemessenen Hämo globinwerte, die für den jeweiligen Patienten optimale Dosierung berechnen. Aufnahmen aus dem Inneren einer Leber einer Maus: Die geschädigte Leberzelle (schwarzer Bereich) nimmt ein grün ﬂ uoreszierendes Gallensäureanalogum auf, was zum Zelltod führt. Auch bestimme Medikamente verursachen solche Leber- schäden. Die Entwicklung passgenauer Medikation soll das verhindern. Foto: Jan Hengstler, Ahmed Ghallab Prof. Dr. Jens Timmer ist seit 2005 Professor für Theoretische Physik an der Universität Freiburg. Er studierte Physik an den Uni- versitäten Oldenburg und Freiburg und promovierte und habilitierte sich an der Albert-Ludwigs-Universität. Parallel dazu forschte er an der Klinik für Psychiatrie des Freiburger Universitäts- klinikums. In den 1990er- Jahren folgten mehrere Forschungsaufenthalte an europäischen und amerikani- schen Universitäten. Von 2003 bis 2010 war Timmer Sprecher des Forschungs- netzwerks Systemmedizin der Leber und von 2009 bis 2013 einer der Direktoren der School of Life Science am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS). 2010 erhielt er den For- schungspreis der Hector Stiftung II. Foto: Klaus Polkowski Zum Weiterlesen Schwen, L. O./Schenk, A./Kreutz, C./Timmer, J./Bartolome Rodriguez, M. M./Küpfer, L./Preusser, T. (2015): Representative sinusoids for hepatic fourscale pharmacokinetics simulations. In: PLOS One 10. DOI: 10.1371/journal.pone.0133656 Becker, V./Schilling, M./Bachmann, J./Baumann, U./Raue, A./Maiwald, T./Timmer, J./Klingmüller, U. (2010): Covering a broad dynamic range: information processing at the erythropoietin receptor. In: Science 328/5984, S. 1404–1408. DOI: 10.1126/science.1184913 Swameye, I./Müller, T. G./Timmer, J./Sandra, O. /Klingmüller, U. (2003): Identifi cation of nucleocytoplasmic cycling as a remote sensor in cellular signaling by databased modeling. In: PNAS 100, S. 1028–1033. DOI: 10.1073/pnas.0237333100

1616 Umstrittene Helfer Welche Regularien braucht es in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine? von Sonja Seidel V or knapp einem Jahr hat Facebook eine neue Funktion vorgestellt: Ein Algorithmus soll er kennen, ob eine Nutzerin oder ein Nutzer suizid gefährdet ist. Das „Präventionstool“, wie es die Entwickler bezeichnen, durchforstet dafür Posts, Videos und Kommentare der Mitglieder nach Signalwörtern, die eine vermeintliche Selbst mordabsicht erkennen lassen. Hat das System einen auffälligen Beitrag entdeckt, informiert es Mitarbeitende der Plattform, die im Ernstfall An gehörige oder Ersthelferinnen und Ersthelfer kontaktieren. An der Tür des betreffenden Nut zers könnte es also kurze Zeit später klopfen, und Polizei oder Sanitätsdienst stehen davor. Und das, weil eine künstliche Intelligenz eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Selbstmordrisiko berechnet hat. Der Algorithmus wird bisher nur in den USA eingesetzt, doch Facebook hat an gekündigt, ihn künftig auch weltweit anzuwen den – außer in der Europäischen Union, wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen. „Was aus diesen Analysen folgt, ist ein weitreichender Eingriff in die persönliche Freiheit, und je spezifischer solche Voraussagen werden, desto mehr grenzen sie Rechte ein“, sagt Dr. Philipp Kellmeyer. Unklare Verantwortung Für den Neurowissenschaftler ist der Algorith mus von Facebook ein Beispiel für die Heraus forderungen, die mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz auf die Gesellschaft zukommen. Mit dem Informatiker und Robotiker Prof. Dr. Wolfram Burgard, der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Silja Vöneky und Prof. Dr. Oliver Müller vom Philosophischen Seminar der Uni versität Freiburg hat sich Kellmeyer in einem Forschungsschwerpunkt am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) zusammengetan. Ein Jahr lang wird sich das Team mit Fragen zu normativen und philosophischen Grundlagen so wie ethischen, rechtlichen und sozialen Heraus forderungen der Interaktion von Menschen und Künstlicher Intelligenz (KI) auseinandersetzen. Der Forschungsschwerpunkt „Verantwortliche

uni wissen 02 2018 17 Freiburger Forschende werden sich ein Jahr lang mit Fragen zu normativen und philosophischen Grundlagen sowie ethischen, rechtlichen und sozialen Herausforderungen der Interaktion von Menschen mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Foto: Shutterstock/Linda Bucklin Künstliche Intelligenz – Normative Aspekte der Interaktion von Mensch und intelligenten Systemen“ wird den Ausgangspunkt und Kern weiterer Projekte bilden, an denen unter ande rem Forschende des Exzellenzclusters Brain LinksBrainTools, Forschungsneubau Intelligent MachineBrain Interfacing Technology (IMBIT) ansässige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie internationale Fellows des FRIAS mitarbeiten werden. im „Wenn wir bestimmte Fähigkeiten an KI übertragen, stellt sich das Problem der Verantwortungszuschreibung“ Kellmeyers Fokus liegt dabei auf dem Einsatz von KI in der Medizin und der Neurotechnologie: Künftig könnten intelligente Assistenzsysteme Diagnosen oder Behandlungsstrategien vor schlagen und damit die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten unterstützen – erste Pilotprojekte laufen bereits. Auch in der Therapie könnten intelligen te Roboter zum Einsatz kommen, beispielsweise als Rehabilitationshelfer für Patientinnen und Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben. Und an der Universität Freiburg arbeiten Wissen schaftler aus der Robotik, der Neurowissen schaft und der Mikrosystemtechnik an so genannten MenschMaschineSchnittstellen: Sie werten Impulse des Gehirns aus, die über Elektroden gemessen werden, und übermitteln sie an eine Prothese. „Wenn wir bestimmte Fähigkeiten an KI übertragen, stellt sich das Pro blem der Verantwortungszuschreibung“, sagt Kellmeyer. Im Falle einer Fehlentscheidung des Systems fehle die Instanz, die sich dafür recht lich zur Verantwortung ziehen ließe. „Auf der moralischen und regulatorischen Ebene stellt sich deshalb die Frage, ob die aktuellen technischen Möglichkeiten oder auch juristische Instrumente zur Eingrenzung der KI und zur Schadensbegrenzung ausreichend sind.“ Mensch als letzte Instanz Bisher sind Roboter so programmiert, dass sich nachvollziehen lässt, warum sie auf eine be stimmte Weise handeln. Ähnlich wie die bei Flugzeugen eingesetzten Datenschreiber, so Kellmeyer, geben die Protokolle des Systems Aufschluss über seine Aktionen. „Wenn der zu grunde liegende Algorithmus, der das System

18 uni wissen 02 2018 Ein Roboter beglückwünscht einen Schlaganfall- Patienten, weil dieser farbige Becher nach Vorgabe korrekt sortiert hat. Foto: Shelly Levy-Tzedek steuert, eine Art von analytischer Intelligenz hat und das System sich über die Zeit verändert, ist es jedoch schwer vorauszusagen, wie es sich verhalten wird.“ Dem Kontrollverlust ließe sich technisch ein Riegel vorschieben: Zur Debatte steht die Möglichkeit, dass der Mensch als letzte Instanz auftritt, die das Handeln der Maschine unterbrechen kann. „Humanintheloop“ wird dieses Prinzip genannt, bei der eine Person an entscheidender Stelle die Möglichkeit hat, in eine von der KI vorgegebene Handlung einzu greifen. Dies wird insbesondere im Kontext auto nomer Waffensysteme erforscht. „Dabei zeigte sich zuletzt in Studien, dass eine Art Abnut zungseffekt bei Menschen eintrat, die die Emp fehlung eines Systems überprüfen mussten; sie hinterfragten die Entscheidung nicht mehr, sondern stimmten einfach per Knopfdruck zu.“ Ähnliches könnte auch bei medizinischen Emp fehlungssystemen passieren, fürchtet Kellmeyer: „Vielleicht würde auch die Fähigkeit des Arztes, eine Entscheidung kritisch zu hinterfragen, ab nehmen. Entweder weil es bequemer ist, der Maschine zu vertrauen, oder weil der Arzt, der nicht alle Blutbilder eines Patienten aus den letzten zehn Jahren überblicken kann, gegen über der Maschine an seine analytischen Grenzen stößt.“ Es werden deshalb Stimmen laut, die neben einer technischen Lösung auch einen neuen rechtlichen Rahmen und neue juristische Instru mente für den Einsatz von KI fordern. So wird im Hinblick auf GehirnComputerSchnittstellen die Etablierung so genannter Neurorechte diskutiert. Systeme, die Einstellungen und Vorlieben des Menschen oder andere persönliche Informatio nen aus Hirndaten auslesen können, wären auf diese Weise in ihren Anwendungsmöglichkeiten eingeschränkt. Auch die kommerzielle Nutzung solcher Daten durch Unternehmen würde einge grenzt. Facebook beispielsweise hat auch ein Auge auf Schnittstellen geworfen, mit denen sich die Hirnaktivität direkt in Nutzereingaben über setzen lässt. Unter dem Motto „So what if you could type directly from your brain?“ hat das Unternehmen 2017 seine Forschungsabsichten auf dem Gebiet vorgestellt. Rechtlicher Schutz von Daten Für Kellmeyer wird dabei vor allem die Intransparenz zum Problem: „Es ist völlig unklar, was mit den riesigen Datenmengen passiert, die dabei gesammelt werden. Was passiert bei spielsweise, wenn in diesen Hirndaten sensible persönliche Informationen versteckt sind, die auf eine Erkrankung wie Epilepsie hinweisen?“ Ein spezieller rechtlicher Schutz von Daten, die Informationen zum Gesundheitszustand eines Menschen enthalten, wäre denkbar: „Künftig könnte ein Algorithmus voraussagen, ob ein Mensch in nächster Zeit eine depressive Episode erleiden wird, weil der Algorithmus zuvor dessen

19 Dr. Philipp Kellmeyer ist Facharzt für Neurologie an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er studierte Human- medizin in Heidelberg und Zürich/Schweiz sowie Psy- chologie an der University of Cambridge/England. Derzeit arbeitet er als klinischer Neu- rowissenschaftler am Transla- tional Neurotechnology Lab der Universität Freiburg und beschäftigt sich dort mit dem Einsatz einer intrakraniellen EEG-basierten Gehirn- Computer-Schnittstelle, mit der schwer gelähmte neuro- logische Patienten wieder kommunizieren können. Außerdem ist er Mitglied des Exzellenzclusters BrainLinks- BrainTools, einem interdis- ziplinären Forschungs- konsortium zur neurotechno- logischen Forschung an der Universität Freiburg. In seiner Arbeit interessiert er sich besonders für die ethischen, rechtlichen, sozialen und politischen Herausforderun- gen von Neurotechnologien, Big Data und maschinellem Lernen in Medizin und Forschung. Er ist affiliierter Mitarbeiter am Institut für Biomedizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Zürich, wo er auch biomedizinische Ethik lehrt. Für seine Arbeiten zur Neuro- ethik erhielt er 2017 den „Förderpreis Bioethik“ der MTZ-Stiftung. Foto: Patrick Seeger Textbeiträge sowie sein Surfverhalten analysiert und darüber hinaus vielleicht noch verzeichnet hat, wie oft er das Haus verlässt. Solche Er hebungen müssten dann aber als biomedizini sche Daten betrachtet werden“, meint Kellmeyer. Traditionell fallen unter den Begriff Werte aus medizinischen Untersuchungen, wie sie sich bei spielsweise beim Blutabnehmen oder Blutdruck messen ergeben – doch mit der Entwicklung von KI könnte diese Definition überholt sein. Diese Fragen könne keine Disziplin allein beantworten, resümiert Kellmeyer mit Blick auf die Arbeit im Team am FRIAS. „Wenn man sich die Anwendungsmöglichkeiten von KISystemen ansieht, wird deutlich, welche Herausforderun gen in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden.“ Das Ziel des neuen Forschungsschwer punkts sei deshalb, sich diesen Herausforderun gen frühzeitig mit allen gesellschaftlichen Akteuren zu widmen und lösungsorientiert zu arbeiten. Dabei stehe die Verantwortung im Umgang mit KI als zentrales Konzept im Vorder grund. Verschiedene Disziplinen könnten ihre Expertise zu dem Thema beitragen, und auch für den Austausch mit der Öffentlichkeit sowie zu Fragen der politischen Steuerung böten sich An knüpfungspunkte. „Im öffentlichen Diskurs gibt es momentan Menschen, die angesichts von KI apokalyptische Szenarien entwickeln. Das ist meiner Meinung nach nicht sachdienlich“, sagt Kellmeyer. „Genauso wenig ist es aber der Glaube, dass KISysteme die Lösung für all unsere Probleme sind. Die Wahrheit liegt irgend wo dazwischen.“ Zum Weiterlesen Mensch-Maschine-Schnittstellen: Diese werten Impulse des Gehirns aus, die über Elektroden gemessen werden, und übermitteln sie an eine Prothese. Foto: AG Kellmeyer/Martin Völker Kellmeyer, P. (2018): Big brain data: on the responsible use of brain data from clinical and consumerdirected neurotechnological devices. In: Neuroethics.DOI: 10.1007/s121520189371x Yuste, R./Goering, S./Arcas, B. A./Bi, G./Carmena, J. M./Carter, A. et al. (2017): Four ethical priorities for neurotechnologies and AI. In: Nature 551, S. 159. DOI: 10.1038/551159a Ienca, M./Andorno, R. (2017): Towards new human rights in the age of neuroscience and neuro technology. In: Life Sciences, Society and Policy 13, S. 5. DOI: 10.1186/s4050401700501 Schughart, A. (2017): „Wir brauchen eine Debatte über den Umgang mit Hirndaten“. In: Wired 22.11.2017. Verfügbar unter: www.wired.de/article/wirbraucheneinedebatte ueberdenumgangmithirndaten

uni wissen 02 2018 21 W as meinen Geisteswissenschaftler, wenn sie von „Narration“ sprechen, was Medizi ner oder Psychologen? Diese Frage musste sich AnneMaria Müller stellen, als sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen einen fachlichen Aus tausch zum Thema Migration begann: „Wir ha ben am Anfang viel Zeit damit verbracht, unser Vokabular zu verstehen. Der Begriff der Narrati on hat für uns alle eine große Bedeutung, wir nutzen ihn nur unterschiedlich“, sagt die Diplom Psychologin des Universitätsklinikums Freiburg. Medizinerin Dr. Berit Lange, die ebenfalls am Universitätsklinikum tätig ist, ergänzt: „Er ist Kern der Forschung oder auch ein Werkzeug.“ Lange und Müller waren Mitglieder der Pro jektgruppe „Tracing Narratives of Flight and Mig ration“ des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der AlbertLudwigsUniversität. Dieses Projekt bestand von 2016 bis 2018 und war aus dem Freiburger Netzwerk für Migrations und Integrationsforschung (FREINEM) hervor gegangen. Schon FREINEM machte den Wissens und Erfahrungsaustausch zu einem Teil der Forschung; darüber hinaus wurden ver schiedene Veranstaltungen zum Themenbereich organisiert, Informationen zugänglich gemacht sowie Erfahrungen mit Initiativen aus Freiburg und der Umgebung geteilt. Sowohl das Netzwerk, das seit 2011 besteht, als auch die Projektgrup pe sind Zusammenschlüsse von Wissenschaftle rinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen. Ihnen gehören Forschende der Medizin, Psychologie und Sozialarbeit, der Euro päischen Ethnologie, Politikwissenschaft und Geografie an. Dringlich und gesellschaftlich relevant wurde der Forschungsgegenstand des FRIASProjekts, als im Zuge weltweit zuneh mender Migrationsbewegungen im Herbst 2015 viele Menschen nach Deutschland kamen. Dies erforderte die Schaffung verschiedener Infra strukturen, unter anderem einer medizinischen Versorgung in den Erstauf nahmeeinrichtungen. für Geflüchtete Unterschiedliche Erzählungen Prof. Dr. Anna Lipphardt vom Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg sowie Sprecherin von FREINEM und Mitorganisatorin der Projekt gruppe betrachtet bei Erzählungen immer auch die Kommunikationssituationen. Dass nicht im mer wertfrei kommuniziert wird, verdeutlicht sie an einem Beispiel: In der Stuttgarter Ausstellung „Überlebensgeschichten von A bis Z. Dinge von Geflüchteten“ im Haus der Geschichte Baden Württemberg, so erzählt sie, war ihr das Smart phone eines jungen Gambiers mitsamt Vertrag aufgefallen. „Im Herbst 2015 diskutierten viele Menschen darüber, dass alle Migrantinnen und Migranten Smartphones besäßen“, sagt sie. Es war eine Debatte, die nicht ohne Ressentiments geführt wurde, denn wie konnte es sein, dass jemand, der alles verloren hatte, sich ein so teures Gerät wie ein Smartphone leisten konnte? Das Exponat, so die Freiburger Forscherin, stehe jedoch für eine Technologie, mit der die Geflüchteten navigieren, Notrufe absetzen und mit der Verwandtschaft in der Heimat Kontakt halten konnten. Kurzum: es erzähle eine ganz andere Geschichte. „Der Begriff der Narration hat für uns alle eine große Bedeutung, wir nutzen ihn nur unterschiedlich“ Aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit Holocaustüberlebenden weiß die Anthropologin, dass Opfer von Gewalterfahrungen oft trauma tisiert sind und dass es Erlebnisse gibt, über die Menschen nicht sprechen können, von denen sie aber durch Körpersprache, Syntaxveränder ungen und Gedankensprüngen in der Erzählung unwillkürlich erzählen. All dies kann auch auf Geflüchtete zutreffen. Die Narrationen der Menschen auf der Flucht, so Lipphardt, unter scheiden sich, je nachdem, ob sie sich an Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, an frei willige Helferinnen und Helfer oder an Grenz polizistinnen und polizisten richten. Lange und Müller begannen Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, als sie sich in einer Frei burger Erstaufnahmestelle in die Gesundheits versorgung ein brachten. Koordiniert wurde ihr Einsatz von der Abteilung Infektiologie des Universitätsklinikums. Bereits Ende 2014, berichtet Lange, deren Schwerpunkt von Geﬂ üchteten

22 sie wissen, dass diese ihr Aufenthaltsverfahren positiv beeinflussen können. Darüber hinaus ist die besondere Verletzlichkeit der Geflüchteten, die auch Lipphardt als wesentlich für irreguläre Migration nennt, von Bedeutung für die praktische Arbeit von Lange und Müller. Übergangslösung verstetigte sich „Wir haben uns von Anfang an viel mit ethischen Fragen befasst. Belastet sind alle, die in Erstaufnahmestellen leben, denn sie befinden sich in einer prekären Situation. Die Menschen versuchen hier Fuß zu fassen und mit ihrer Ver gangenheit umzugehen. Zugleich sind manche von der Abschiebung nach Italien oder in die Maghrebstaaten bedroht“, sagt Müller. Schlaf störungen, Unwohlsein und Schmerzen seien typische Symptome, mit denen auf belastende Situationen reagiert werde. Manchmal diagnosti zierten die Ärzte auch Depressionen oder Angst störungen. Wenn es notwendig war, konnte Müller Patienten in die Psychiatrie überweisen. Was von der Politik als Übergangslösung für wenige Wochen gedacht war, verstetigte sich in der Praxis. „Lebt länger als zwölf Wochen in einer derartigen Erstaufnahmestelle, ist das gesundheitlich nicht gut“, glaubt Lange, die, wie auch ihre Kollegin, eine dezentrale Unterbringung nach dieser Zeitspanne für sinn voll hält. In einem Aufsatz, den die beiden mit weiteren Kolleginnen und Kollegen veröffentlicht haben, formulieren sie den Zwiespalt, in dem sich die behandelnden Ärzte befinden: Durch die Zielkonflikte zwischen medizinischer Be handlung und Forderungen des Asylverfahrens entstehe für die Mediziner manchmal der Eindruck, sie würden mit ihrer Tätigkeit ein System aufrecht erhalten, das sie in seinen Grundsätzen eigent lich nicht unterstützen. jemand Das Problem gründe in der Geschichte der Bundesrepublik, denn Migrationsforschung, so rekapituliert Lipphardt, sei lange Integrations forschung gewesen. Die Erforschung der Deportationen und Bevölkerungsverschiebungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg sei vor allem von Historikerinnen und Historikern betrieben worden, die sich nicht als Migrations forscher verstanden. Die empirische Sozial wissenschaft hingegen habe sich auf staatlich Wichtiger technischer Begleiter: Mit ihren Smartphones können Geﬂ üchteten navi- gieren, Notrufe absetzen und mit der Verwandtschaft in der Heimat Kontakt halten. Foto: Fotolia/chinnarach die Tuberkuloseforschung ist, habe sich ein Team des Uniklinikums Gedanken gemacht, wie eine solche Gesundheitsforschung gestaltet werden könnte. „Wir brauchten Output nicht nur aus medizinischen Fachbereichen“, erinnert sich die Ärztin. „Es spielten viele soziale Themen hinein“, ergänzt Müller. „Man muss die Gesetzes lage kennen.“ Nicht zuletzt deshalb, weil sich die medizinischen Leistungen nach dem Aufent haltsstatus richten. Da lag eine Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen nahe. „Wir haben uns von Anfang an viel mit ethischen Fragen befasst“ Die Gesundheitsversorgung der Erstaufnahme stelle umfasste zunächst eine allgemein ärztliche Ambulanz mit regelmäßigen psychologischen, pädiatrischen und gynäkologischen Sprech stunden. Der Unterschied zu vergleichbaren Ein richtungen war, dass sie von Medizinerinnen und Medizinern des Uniklinikums betrieben wurde und nicht ehrenamtlich von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Während Geflüchtete oft ähnliche allgemeinmedizinische Probleme wie einheimische Patientinnen und Patienten haben, verlaufen die ArztPatientenGespräche in der Regel ganz anders. Da ist vor allem das Verstän digungsproblem: Sind Übersetzer anwesend oder werden zugeschaltet, ist das VierAugen Prinzip aufgelöst. Auch wissen viele Patienten nicht, welche Rechte sie haben. Zudem kommt es vor, dass Geflüchtete um Atteste bitten, weil

uni wissen 02 2018 23 gewollte Arbeitsmigration und Integration konzentriert. Während heute viele Menschen, die nicht über die „richtigen“ Papiere verfügen, chaotische und gefährliche Reisen auf sich nehmen, konnten Arbeitsmigrantinnen und migranten, versehen mit dem entsprechenden Visum, via Flugzeug oder Zug einreisen und fanden einen Arbeitsplatz vor. Die Freiburger Ärztinnen haben aus diesem wissenschaftlichen Vakuum ihre Schlüsse ge zogen: Als sie 2014 anfingen, die Ambulanz auf zubauen, half ihnen der Besuch vergleichbarer Einrichtungen mehr als die internationale Forschungsliteratur. Deshalb haben sie nun an gefangen, ihre Ergebnisse zu publizieren. Bekannte Untersuchungen in unbekannter Situation: Die besondere Verletzlichkeit der Geﬂ üchteten war von Bedeutung für die praktische Arbeit der Freiburger Ärzte. Foto: Fotolia/eyetronic Zum Weiterlesen Dr. Berit Lange Prof. Dr. Anna Lipphardt Dipl. Psych. Anne- hat in Freiburg, Santiago hat in Litauen, Deutschland Maria Müller de Chile/Chile und Madrid/ und den USA Internationale hat am der Universität Spanien Medizin studiert. Beziehungen, Baltistik und Freiburg Psychologie Von 2009 bis 2012 hat sie Jüdische Studien studiert. studiert. Zudem hat sie in in Freiburg als Ärztin ge- Sie promovierte 2006 an der Freiburg und in Buenos arbeitet, dann zwei Jahre in Universität Potsdam in Kul- Aires/Argentinien ihren London/England Epidemio- turwissenschaft. Von 2008 Master of Social Sciences logie studiert und wechselte bis 2011 war sie Fellow am gemacht. Seit 2010 ist sie anschließend an die dortige Kulturwissenschaftlichen Wissenschaftliche Mitarbei- Hochschule für Hygiene- Kolleg und am Zukunfts- terin des Projekts Global und Tropenmedizin. Seit kolleg der Universität Mental Health Research an 2014 ist sie als Ärztin und Konstanz. Seit 2011 ist sie der Klinik für Psycho- Epidemiologin in der Infek- am Institut für Kulturanthro- somatische Medizin und tiologie, Klinik für Innere pologie und Europäische Psychotherapie des Univer- Medizin II des Universitäts- Ethnologie der Universität sitätsklinikums Freiburg. Ihr klinikums Freiburg, tätig. Freiburg tätig, inzwischen Forschungsschwerpunkt ist Dort leitet sie seit 2017 eine als Professorin. Von 2011 die psychische Gesundheit Arbeitsgruppe für Infektions- bis 2017 leitete sie dort die im globalen Kontext mit dem epidemiologie und globale Forschungsgruppe Cultures Schwerpunkt „post-conflict Gesundheit. Ihre Forschungs- of Mobility in Europe (COME). mental health“. schwerpunkte sind die ge- Sie ist Mitglied der FRIAS- Foto: Thomas Kunz sundheitliche Versorgung Projektgruppe „Tracing von Flüchtlingen sowie die Narratives of Flight and Epidemiologie von Tuberku- Migration“ sowie Sprecherin lose und weiteren Infektions- von FREINEM, dem hoch- krankheiten. Foto: privat schulübergreifenden Freiburger Netzwerk für Integrations- und Migrations- forschung. Foto: privat Lange, B./Bockey, A./Braun, C./Janda, A./Stete, K./Müller, A.M./Rieg, S. (2018): Medizinische Herausforderungen der Gesundheitsversorgung in der Erstaufnahme für Geflüchtete am Beispiel des Aufbaus eines integrierten Ver sorgungsmodells in der Erstaufnahme in Freiburg. In: Zeitschrift für medizinische Ethik 64, S. 51–63. Lipphardt, A./Schwarz, I.: Follow the People! Examining Migration Regimes through the Trajectories of Unauthorized Migrants. In: Pott, Andreas et al. (Hrsg.) (2018): Was ist ein Migrationsregime? Wiesbaden, S. 187–205. Khosravi, Sharam (2010): The ‚Illegal‘ Traveler. An AutoEthnography of Borders. Basingstoke.

uni wissen 02 2018 25 25 Gene in der Zelle aktiviert werden oder nicht. Damit ist auch zu erklären, warum die über 200 verschiedenen Zelltypen des mensch lichen Körpers bei nahezu identischer DNA Sequenz in Form und Funktion sehr unterschiedlich sind. Auch während der Ent wicklung von Stammzellen zu fertigen Nerven oder Leberzellen müssen die epigenetischen Mechanismen der Genregulation funktionieren: „Wird der komplexe Vorgang gestört, entsteht eine pathologische Situation“, erklärt Prof. Dr. Roland Schüle, Sprecher des SFB und Leiter des Zentrums für Klinische Forschung des Uni versitätsklinikums. Konzept der Nachwuchsförderung Die Suche nach Wegen, die Ergebnisse epigenetischer Grundlagenforschung in die klinische Umsetzung zu bringen, begann für die Freiburger Wissenschaftler damit, einen Antrag für die Förderung eines SFB durch die Deut sche Forschungsgemeinschaft zu entwerfen: „Das war vor mehr als sieben Jahren. Es war unheimlich viel Arbeit, die sich alle geteilt haben“, erinnert sich Schüle. Nicht nur das For schungsvorhaben selbst musste in diesem Antrag vorgestellt werden, sondern auch ein Konzept zur Förderung von Nachwuchs forscherinnen und forscher in einem eigenen Graduiertenkolleg in Zusammenarbeit mit der Spemann Graduiertenschule der AlbertLudwigs Universität. Nach der Bewilligung des SFB konnte das Team, bestehend aus 19 so ge nannten Principal Investigators, 2012 mit der Arbeit an 21 Forschungsprojekten beginnen. für HerzKreislaufErkrankungen Es war die große Hoffnung der Medizin: Anfang der 2000er Jahre gelang es, das menschliche Erbgut komplett zu entziﬀ ern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ver sprachen sich bessere Behandlungs methoden etwa oder Krebs. Doch bald darauf folgte die Ernüchterung. Es zeigte sich nämlich, dass die Gene, die in der Basenabfolge der DNA gespeichert sind, keines wegs alle Informationen beinhalten, die nötig wären, um die menschliche Biologie sowie viele schwerwiegende Erkrankungen zu verstehen. Den Forschenden wurde klar: Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt die Regulation der einzelnen Gene. „Es ist immer die Gruppe, die gewinnt“ Mit diesen Kontrollmechanismen der Gene beschäftigt sich das noch junge Forschungs feld der Epigenetik. An der Schnittstelle von Epigenetik und klinischer Forschung hat sich der Sonderforschungsbereich (SFB) „Medizini sche Epigenetik“ in Freiburg etabliert. Seit 2012 bringt er Forscherinnen und Forscher des Universitätsklinikums Freiburg, der Albert LudwigsUniversität und des MaxPlanck Instituts Immunbiologie und Epigenetik zusammen, um neue therapeu tische und diagnostische Konzepte auf dem Gebiet der Epigenetik zu identifi zieren. (MPI) für Chromatin spielt entscheidende Rolle Im Fokus der Forschung steht die Ver packung der DNA: In den Zellen ist die DNA, auf der sich die Gene befi nden, um Histon- Proteine gewickelt. DNA und Histone zu sammen bilden das Chromatin, das die Erbsubstanz 20.000fach komprimiert, sodass diese in den winzigen Zellkernen Platz fi ndet. Zudem spielt das Chromatin eine entscheiden de Rolle bei der Genregulation. Von der je weiligen Verpackungsdichte dem Zusammenspiel mit Enzymen, die zum Beispiel Acetyl oder Methylgruppen anfügen oder ent fernen können, hängt es ab, ob bestimmte und Dass ein solcher Erfolg nie das Werk eines Einzelnen ist, ist Schüle wichtig zu betonen: „Es ist immer die Gruppe, die gewinnt.“ Ins gesamt läuft die Förderung über zwölf Jahre. Die Projekte präsentieren sich in vier Gruppen: Schwerpunkt der ersten Gruppe ist die Grund lagenforschung, deren Ergebnisse die zweite Gruppe in Zellkulturen und Tiermodellen validiert. Anschließend transferiert die dritte Gruppe die Ergebnisse in die klinische Forschung. Die vierte Gruppe unterstützt die Projekte mit bioinformatischen Methoden und Kristallografi e. Diese Struktur des SFB erlaubt

26 es, aus neuen Forschungserkenntnissen schnell Möglichkeiten medizinischer An wendungen zu entwickeln – „from bench to bedside“, von der Laborbank zum Krankenbett, nennen das die Wissenschaftler. „Am Anfang steht immer die Grundlagenforschung, um zu verstehen, wie epigenetische modifi zierende Mechanismen im Detail funktionieren“, betont Schüle. „Erst dann ist es möglich zu folgern, ob ein Zusammenhang mit einem bestimmten Krankheitsbild besteht.“ Für die Forschung von Dr. Asifa Akhtar, Direktorin am MPI für Immunbiologie und Epigenetik und Mitglied des SFB, hat sich ge nau dieses Vorgehen bewährt. Sie erforscht mit ihrem Team den epigenetischen Enzym komplex MSL und ist dank ihrer Ergebnisse Ansprechpartnerin für andere Forschungs einrichtungen geworden: Medizinerinnen und Mediziner der Universität Dijon/Frankreich hat ten festgestellt, dass Mutationen des Gens MSL3 neurolo gische Entwicklungsstörungen bei jugendlichen Patientinnen und Patienten verursachen. Um die konkreten Auswirkungen der Mutationen auf die Betroﬀ enen besser zu verstehen, fragten sie bei der Freiburger Forscherin an. „Die Mutationen, die wir im MSL3Gen der Patienten beobachten konnten, führen zu einer Fehlregulation der enzymati schen Aktivität des gesamten MSLKomplexes“, erläutert Akhtar. Die beeinträchtigte Funktion dieses epigenetischen Regulators hat wieder um eine verminderte Anzahl epigenetischer Acetylierungen zur Folge. Das bedeutet, dass biologisch relevante Gene, einschließlich wichtiger Entwicklungsregulatoren, weniger aktiv sind und dadurch zum Krankheitszustand der Patienten mit MSL3Syndrom beitragen. Einige Erkrankte stellten Zellmaterial für weitere Analysen zur Verfügung, sodass die Forscher epigenetische Wirkstoffe testen haben erstaunlich. Wir konnten, die die Acetylierungsmarkierungen in den Zellen erhöhen. „Unsere Ergebnisse waren den MSL3 Syndromzellen so genannte Histon DeacetylaseInhibitoren, also Medikamente aus der Krebsforschung, verabreicht und eine klare Verbesserung bei den behandelten Zellen festgestellt – auf molekularer und auf zellulärer Ebene“, sagt die Freiburger Epigene tikerin. Obwohl der Therapieansatz zunächst nur in der Zellkultur getestet wurde, stellt er einen wichtigen Ausgangspunkt für die Er forschung neuer Behandlungsmöglichkeiten dar: „Hier zeigt sich, dass durch Grundlagen forschung, die die Zusammenhänge aufgeklärt hat, erstmals über einen vielversprechenden Ansatz zur Therapie nachgedacht werden kann. Dieser könnte per spektivisch einige der Symptome von MSL3Patienten lindern.“ Fehlregulationen vorbeugen Die enge Verzahnung von Grundlagen forschung und klinischer Anwendung ist auch für Schüle wichtig und bereichernd. Seine Forschungsgruppe konzentriert sich auf einen Hemmstoff der Demethylase, ein Methyl gruppen ablösendes Enzym, das für die korrekte Ausdifferenzierung von Stammzellen eine wichtige Rolle spielt. Entfernt das Enzym zu viele Methylgruppen vom Chromatin, folgt eine Fehlregulation. Im Tiermodell, so konn ten Wissenschaftler nachweisen, führt diese Fehlregulation zu Krebs. Der Arbeitsgruppe von Schüle gelang es zu beweisen, dass auch das DemethylaseEnzym durch ein Medika ment, das bei der Bekämpfung von Leukämie eine große Rolle spielt, gehemmt werden kann. „Wir haben bereits seit zwei Jahren Patienten in einer klinischen Studie, um die richtige Dosierung zu finden“, erklärt Schüle. „Es ist nicht alltäglich, dass eine Umsetzung aus einem SFB heraus so schnell gelingt.“

„Am Anfang steht immer die Grundlagenforschung“ Um über ihre Arbeit zu informieren, tauschen sich die Arbeitsgruppen des SFB regelmäßig aus – sowohl untereinander als auch mit anderen Forschenden aus Einrichtun gen weltweit. Für Schüle ist es wichtig, die Ergebnisse auch nach außen zu tragen, denn durch den SFB werde Freiburg als Zentrum der medizinischen Epigenetik wahrgenommen: „Für die Universität Freiburg ist er ein viel beachtetes Alleinstellungsmerkmal.“ uni wissen 02 2018 27 Prof. Dr. Roland Schüle Dr. Asifa Akhtar studierte Biochemie an der promovierte nach vorange- Universität Tübingen und gangenem Biologiestudium promovierte anschließend 1997 am Imperial Cancer am Max-Planck-Institut für Research Fund, einem Biochemie in Martinsried. Krebsforschungszentrum, in 1997 habilitierte er sich im London/England. Als Post- Bereich Genetik und Moleku- doktorandin arbeitete sie am larbiologie an der Universität Europäischen Laboratorium Freiburg. Seit 1999 ist er am für Molekularbiologie in Universitätsklinikum Freiburg Heidelberg und an der tätig, seit 2010 als Wissen- Ludwig-Maximilians- schaftlicher Direktor und Universität München. Ab Leiter der Zentralen Klini- 2001 führte sie ihre eigene schen Forschung sowie der Forschungsgruppe am Euro- Abteilung für Urologie. Zu- päischen Laboratorium für dem ist er Sprecher des Molekularbiologie in Heidel- Sonderforschungsbereichs berg. Seit 2009 forscht sie für Medizinische Epigenetik. am Max-Planck-Institut für 2013 erhielt er einen Advan- Immunbiologie und Epigene- ced Grant des Europäischen tik, zunächst als Gruppen- Forschungsrats. Fotos: Jürgen Gocke leiterin, seit 2013 als dessen Direktorin. Der MSL-Komplex reguliert die epigenetischen Aceytlierungen. Im menschlichen Genom können Mutationen des Komplexes zu neurologischen Entwicklungsstörungen im Kindesalter führen. Foto: MPI für Immunbiologie und Epigenetik Zum Weiterlesen Tosic, M./Allen, A./Willmann, D./Lepper, C./Kim, J./Duteil, D./Schüle, R. (2018): Lsd1 regulates skeletal muscle regeneration and fate of satellite cells. In: Nature Communications 9, S. 366. DOI: 10.1038/s41467017027405 Basilicata, M./Bruel, A./Semplicio, G./Valsecchi, C./Aktaş, T./Duffourd, Y./Rumpf, T./Morton, J./Bache, I./Szymanski, W. et al./Thevenon, J./Akhtar, A. (2018): De novo variations of MSL3 cause a Xlinked syndrome marked by impaired histone H4 lysine 16 acetylation. In: Nature Genetics 50, S. 1442–1451. DOI: 10.1038/s415880180220y

28 Wie reagieren Bäume auf unterschiedliche Durschmischungen? Diese Fragen wollen Forschende auf verschiedenen Versuchs- flächen in mehreren Ländern klären. Fotos: Michael Scherer-Lorenzen und G leich hinter der Technische Fakultät der Uni versität Freiburger wachsen auf einem 1,1 Hektar großen Feld zahlreiche Bäume: Spitz ahorne stehen neben europäischen Lärchen, Fichten, Stieleichen amerikanischen WeymouthKiefern – oder auch mal nur für sich, Spitzahorn an Spitzahorn. Die Anordnung hat allerdings System, denn das Feld ist eine Ver suchsfläche der Universität und zudem Teil des globalen Forschungsnetzwerks Tree Diversity Network, kurz TreeDivNet genannt. Deshalb enden die Experimente der Freiburger Wissen schaftlerinnen und Wissenschaftler auch nicht am Zaun des Areals, sondern setzen sich unter anderem in den USA, Kanada, China, Brasilien und Australien fort. „Wir forschen in dieselbe Richtung, aber alle ein klein wenig anders“ Am Aufbau dieses Netzwerks beteiligt war der Geobotaniker Prof. Dr. Michael SchererLorenzen vom Institut für Biologie. Bereits Ende der 1990er Jahre habe er mit dem Netzwerken begonnen, erzählt der Freiburger Geobotaniker. Damals habe er als Postdoktorand ein Projekt zur Arten vielfalt von Wäldern und ihrer Wirkungsweise auf Ökosystemfunktionen aufgesetzt und sich mit Forschenden in ähnlichen Projekten in Finnland und Panama zusammengeschlossen. Heute be steht TreeDivNet aus 43 Partnern und 27 Ver suchsstandorten rund um den Globus. Eine Forschungsrichtung, viele Partner Ein Subnetzwerk, das daraus hervorging, ist das International Diversity Experiment Network with Trees, auch IDENT genannt. SchererLoren zen beschreibt die Kooperation der sieben inter nationalen Arbeitsgruppen als sehr eng, auch weil sich die Versuche an den vier IDENTStand orten extrem ähneln: „Wir forschen in dieselbe Richtung, aber alle ein klein wenig anders.“ Initiiert wurde das Projekt 2009 von zwei kanadischen Wissenschaftlern, 2013 kam die AlbertLudwigsUniversität mit ihren Flächen hinter der Technischen Fakultät als Netzwerk partner dazu. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass beide Netzwerke aus Forschungs interessen heraus entstanden – also nicht von oben verordnet wurden, sondern von unten gewachsen sind.

uni wissen 02 2018 29 Netzwerken für die Artenvielfalt Auf Versuchsfeldern in verschiedenen Ländern untersuchen Forscherteams, wie Baumarten auf Durchmischung reagieren von Stephanie Streif Prof. Dr. Jürgen Bauhus, Professor für Wald bau am Institut für Forstwissenschaften, erklärt das gemeinsame Vorhaben: „Jedes Projekt hat einen anderen Fokus, aber im Grunde geht es bei allen um die Funktionen diverser Baumarten bestände: Man will wissen, wie Bäume auf unter schiedliche Durchmischungen reagieren.“ Die Forscherinnen und Forscher in Freiburg konzen trieren sich unter anderem auf die Fragen, ob eine bestimmte Mischung von Bäumen diese möglicherweise resistenter gegen ökologischen Stress wie Hitze oder Wassermangel macht und ob sie ihr Wachstum anregt, sodass mehr Kohlenstoff gespeichert wird. Verschiedene Mischungen von Bäumen Um Antworten darauf zu finden, haben die Wissenschaftler der AlbertLudwigsUniversität ihre Versuchsfläche in 415 kleine Parzellen unterteilt und mit sechs einheimischen und sechs nordamerikanischen Baumarten bepflanzt – mal in Monokulturen, mal in Zwei, Vier und SechsArtenMischungen. Die Bäume werden aber auch hinsichtlich ihrer Eigenschaften durch mischt: Eine Kiefer und eine Fichte etwa hätten ähnliche Eigenschaften, da beide Baumarten Gleicher Ausgangspunkt, unterschiedliche Ansätze: Auf der Versuchsfläche in Kanada stehen die gleichen Baumarten wie in Freiburg. Doch auf der einen wird zum Beispiel Trockenheit simuliert, auf der anderen Fläche wird Dünger eingesetzt. So können Veränderungen auf äußere Einflüsse analysiert werden.

30 Institut gepflanzt beteiligten müssen schließlich regelmäßig vermessen, be probt und analysiert werden, und das kostet sehr viel Zeit. Der Vorteil des internationalen Netz werks: Baummischungen, die in Freiburg auf grund mangelnder räumlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht auch noch durch getestet werden können, werden von einem an deren und untersucht. Viele der Experimente laufen an den unterschiedlichen Standorten zwar ähnlich ab, aber jede Arbeitsgruppe geht darüber hinaus auch eigenen Fragestellungen nach: „Hier in Freiburg haben wir zum Beispiel einen Teil der Fläche mit Dünger behandelt. Und auf einer Fläche in Kanada wird Trockenheit simuliert, um herauszufinden, ob und wie sich die Beziehung zwischen Baumartenvielfalt und Ökosystem funktion bei Wassermangel verändert“, sagt SchererLorenzen. Sowohl in TreeDivNet als auch in IDENT forsche man arbeitsteilig. Das erleichtere vieles. „Vor allem aber“, ergänzt Bauhus, „gewinnen unsere Aussagen an Robust heit, denn im Verbund lassen sie sich kontextun abhängig auf einen großen Raum extrapolieren.“ Eine, die das Netzwerk IDENT für ihre For schung nutzt, ist Sylvie Berthelot, Doktorandin in der Abteilung für Biometrie und Umweltsystem analyse der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen. „Auf der Versuchsfläche im kanadi schen Auclair stehen exakt die gleichen Baum arten wie bei uns“, erzählt sie, „nur dass dort die europäischen Bäume die Exoten und die nord amerikanischen die einheimischen Arten sind.“ Berthelot untersucht das Fressverhalten von Insekten und Spinnen, die auf diesen Bäumen umherkrabbeln. Die Doktorandin beobachtet zum Beispiel, ob diese lieber an Bäumen knab bern, die sie kennen, weil sie mit ihnen eine Koevolution durchlaufen haben, oder gerade nicht. Und ob eine Spinne plötzlich ihr Fressver halten ändert, wenn neben ihr keine Eichen mehr wachsen, in denen sie bislang immer leckere Käferlarven finden konnte. Berthelot will dies dokumentieren und dabei Fraßfeinde und Parasi ten einbeziehen, denn nur so lässt sich heraus finden – und das wiederum für die Forstwissenschaften interessant –, ob Pflanzen an nichtnativen Standorten einen Vorteil haben. Etwa weil sie nicht gefressen werden. Scherer Lorenzen hofft, dass zukünftig mehr Doktoran ist Die Freiburger Forscherin untersucht das Fressverhalten von Insekten und Spinnen, die auf diesen Bäumen umher- krabbeln. Sie will damit her- ausfinden, ob Pflanzen an nichtnativen Standorten einen Vorteil haben. immergrüne Koniferen seien, präzisiert Bauhus. Mische man aber Fichten mit einer laubab werfenden Baumart wie dem Ahorn, sei der Mix bei gleicher Grundartenzahl diverser. Eben diese funktionelle Diversität, so Bauhus weiter, beeinflusse die Ökosystemfunktionen: „So je denfalls vermuten wir es.“ Foto: Universität Freiburg Arbeitsteilige Forschung Das Team um SchererLorenzen und Bauhus stößt auf den vielen kleinen Parzellen allerdings in doppelter Hinsicht an Grenzen – nicht nur, weil die Flächen eingezäunt sind, sondern auch, weil die Forscher immer wieder mit den Grenzen des Machbaren konfrontiert werden: Die Bäume

uni wissen 02 2018 31 den die Chance haben werden, an den verschiedenen Standorten des Netzwerks zu ar beiten, um Antworten auf ihre Fragen zu finden. Noch fehle dafür jedoch die Finanzierung. Vorteil bei Publikationen So viel Mehrwert die Netzwerkarbeit gene riert, sie erzeugt auch manchmal Reibung. Nein, es sei nicht immer ein Honigschlecken, gibt Bauhus zu: „Bei internationalen Projekten treffen die unterschiedlichsten Forschungskulturen auf einander, was einerseits sehr bereichernd ist, andererseits erst mal Abstimmungsprozesse er fordert.“ Nicht immer, aber oft. Immerhin kann die gemeinsame Arbeit auch dabei helfen, einen Fachartikel prominent zu platzieren. Hier sind die vielen Diskussionen innerhalb des internatio nalen Teams sehr wertvoll, denn die Aussagen, die am Ende stehen, haben in der Regel schon einen kritischen ReviewProzess durchlaufen und können höherwertig publiziert werden. Mit den Jahren hat sich auch die Ausrichtung von TreeDivNet und IDENT verändert. Lange Zeit sei es, so SchererLorenzen, darum gegangen, in neuen Regionen neue Partnerinnen und Partner zu finden. Jetzt gehe es darum zu ernten – oder, wie Bauhus es formuliert: „um die gemeinsame Synthese.“ w w w.pr.uni- freiburg.de/pm/online - magazin/ forschen- und - entdecken /gleich- und - gleich- gesellt-sich-gern Prof. Dr. Michael Sylvie Berthelot Prof. Dr. Jürgen Bauhus Scherer-Lorenzen hat an den Universitäten hat Forstwissenschaften an hat in Bayreuth studiert und Konstanz und Prag/ den Universitäten Freiburg, wurde dort mit einer Arbeit Tschechien Biologie studiert Wien/Österreich und Göttin- über Biodiversität und deren und bei einem Forschungs- gen studiert. In Göttingen Einfluss auf die Ökosystem- aufenthalt am Centre promovierte er 1994 über funktionen von Wiesen National de la Recherche den Nährstoffkreislauf von promoviert. Anschließend Scientifique, einer Organi- Buchenwäldern. Anschlie- arbeitete er unter anderem sation des französischen ßend forschte und lehrte er am Max-Planck- Institut für Forschungsministeriums, in Montreal/Kanada und Biogeochemie in Jena und in Marseille/Frankreich Canberra/Australien. 2003 am Institut für Pflanzen- Forschungserfahrung wurde er an die Albert- wissenschaften der ETH gesammelt. 2017 schloss Ludwigs-Universität berufen. Zürich/Schweiz. Seit 2009 ist sie ihr Studium in Konstanz Dort leitet er seitdem die er an der Fakultät für Biologie mit dem Master ab. Seit 2018 Professur für Waldbau, die der Universität Freiburg tätig, promoviert Berthelot an der der Fakultät für Umwelt und zunächst als Professor für Albert-Ludwigs-Universität. Natürliche Ressourcen zu- Experimental Vegetation S cience und seit 2013 für Geobotanik. Fotos: Jürgen Gocke geordnet ist. Zum Weiterlesen Grossman, J. J./Vanhellemont, M./Barsoum N./Bauhus, J./Bruelheidef, H./Castagneyrol, B./CavenderBares, J./Eisenhauer, N./Ferlian, O./et al./SchererLorenzen M./Verheyen, K. (2018): Synthesis and future research directions linking tree diversity to growth, survival, and damage in a global network of tree diversity experiments. In: Environmental and Experimental Botany 152, S. 68–89. DOI: 10.1016/jenvexpbot.2017.12.015 Benneter, A./Forrester, D. I./Bouriaud, O./Dormann, C. F./Bauhus, J. (2018): Tree species diversity does not compromise stem quality in major European forest types. In: Forest Ecology and Management 422, S. 323–337. DOI: 10.1016/j.foreco.2018.04.030 Gutbier, S./May, P./Berthelot, S. et al. (2018): Major changes of cell function and toxicant sensitivity in cultured cells undergoing mild, quasinatural genetic drift. In: Archives of Toxicology. DOI: 10.1007/s0020401823265

uni wissen 02 2018 33 B luthochdruck und seine körperlichen Folgen verursachen weltweit die meisten Todesfälle. „Deshalb wollen wir Bluthochdruck senken, aber ohne Medikamente“, sagt Dr. Dennis Plachta, Geschäftsführer der Medizintechnikfirma neuro loop. Die Ausgründung der Universität Freiburg und des Freiburger Universitätsklinikums ent wickelt den Baroloop – einen implantierbaren Neurostimulator. Dieser betrügt unser Gehirn: Er füttert es mit übertriebenen, falschen Informatio nen zur Höhe des Blutdrucks, der daraufhin sinkt. „Wie stark, lässt sich ebenfalls steuern“, betont der zweite Geschäftsführer, Dr. Michael Lauk. Für 2019 ist die FirstinhumanPilotstudie geplant – der erste Test an Patientinnen und Patienten. Schon in den 1960er Jahren wollten amerikani sche Forscher den Blutdruck senken, indem sie den Vagusnerv stimulierten. Doch das mehrere Millimeter dicke Nervenbündel zählt zu den wichtigsten Datenautobahnen unseres Körpers: Einige Fasern sind an der Steuerung innerer Organe beteiligt, andere steuern Muskeln in Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre. Wieder ande re übermitteln dem Gehirn Informationen über Geschmackseindrücke oder eben den Blutdruck. Wer den kompletten Vagusnerv stimuliert, tritt folg lich eine ganze Reaktionslawine los. Zu den unan genehmen Auswirkungen gehören Übelkeit, Erbrechen und Hustenreiz; es kann zu Stimm veränderungen und Sprachverlust kommen. An die sen Nebenwirkungen scheiterten frühere Anläufe. „Wir sind zwar noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg“ „Aus technologischer Sicht könnten wir Menschen bereits behandeln“, sagt Lauk. Sämtliche Stimula torbestandteile sind fertig: Elektrode, Kabel und Steuereinheit. Einzeln erledigen sie ihren Job. Jetzt geht es darum, dass sie Teamfähigkeit beweisen und Sicherheitstests bestehen. „Die Komponenten müssen fehlerfrei arbeiten und perfekt zusammen spielen“, betont Lauk. Der Prototyp, der Baroloop alpha, wurde bislang nur an Tieren getestet. Bis zum FirstinhumanTest gibt es am Baroloop noch manches zu minimieren und zu optimieren – etwa die Implantationstechnik und die Art der Stimulation. Stimulation des Vagusnervs Auf nur einem Blatt Papier entstand 2009 der erste Entwurf für den Baroloop: Prof. Dr. Thomas Stieglitz, der Leiter des Lehrstuhls für Biomedizini sche Mikrotechnik am Institut für Mikrosystem technik (IMTEK) der AlbertLudwigsUniversität, skizzierte knapp die technischen Anforderungen einer Projektes, welches zuvor von dem Neuro chirurgen Prof. Dr. Josef Zentner angestoßen wurde: Wie wäre es, so der Professor für Bio medizinische Mikrotechnik, durch hochselektive, elektrische Stimulation des Vagusnerven den Blut druck per Baroreﬂ ex zu senken? Barorezeptoren messen in einigen Arterien den Blutdruck. Über den Vagusnerv erreichen die Werte das Gehirn. Bei Überdruck wirft es den Baroreﬂ ex an: Blut- gefäße weiten sich, die Herzfrequenz nimmt ab, der Blutdruck sinkt. Die Skizze von Stieglitz hat Plachta gerahmt; damit begann seine Forschungsarbeit. Elektro den, die Nerven durchdringen, hatte das Team um Stieglitz zwar schon gebaut, doch der Vagus nerv sollte heil bleiben: „Ich musste Form und Aufbau völlig neuartig gestalten“, sagt Plachta. In frage kam nur eine Elektrode, die sich so um den Nerv legt wie die klassische Blutdruckmanschette um den Oberarm. Diese Entscheidung erwies sich als richtig. Sobald die Manschette den Va gusnerv umschließt, erhält dieser Kontakt zu zwölf voneinander unabhängigen Stimulations kanälen. „Wir können rings herum einen Nerv nach dem anderen aktivieren“, erklärt der Mikro systemtechniker. Wenn der Blutdruck sinkt, zeigt der aktive Kanal auch die Lage der für die Regu lation des Blutdrucks zuständigen Nervenfasern an, deren Position sich bei allen Patienten unter scheidet. Baroloop stimuliert nur das richtige Segment des Vagusnervs, sodass es kaum zu Nebenwirkungen kommt. Einzigartig dünne Elektrode Wäre Plachtas Manschette aus Silikongummi gefertigt worden, dem üblichen Material für ﬂ exible Elektroden, wäre sie um ein Hundertfaches zu dick geworden. Zum Glück hatten Stieglitz und sein Team Erfahrung mit Polyimid (PI). Dieser Kunststoﬀ wird erst seit Kurzem für die Herstel- lung von Implantaten verwendet, besitzt aber günstige Qualitäten wie Beständigkeit und Flexibi lität: Die BaroloopElektrode besteht aus einer winzigen, elf Mikrometer dünnen PIFolie. Darin befi nden sich Elektroden und Stimulationskanäle – 16 nur 200 bis 300 Nanometer dicke Platin

34 uni wissen 02 2018 drähte, die auf winzigen eingeprägten Bahnen verlaufen. Plachta ist stolz auf seine einzigartige PIDünnschichtmanschettenelektrode: „So etwas können weltweit nur ganz wenige herstellen.“ Baroloop wurde bereits vom Forum Angewandte Informatik und Mikrosystemtechnik und anderen Fachgremien ausgezeichnet. „Wir hatten das Glück“, freut sich Stieglitz, „dass diese grund legende Idee, nicht nur sein Machbarkeitskonzept in Tiermodellen bewiesen hat, sondern voraus sichtlich auch in ein Medizinprodukt überführen werden kann. Wir sind zwar noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg.“ liche Behandlungsmethoden sind bei einem Fünftel der Bluthochdruckpatienten nicht wirksam genug; zudem vernachlässigen Betroﬀ ene oftmals die ver- ordneten Therapiemaßnahmen. Generell erreicht fast nur die Hälfte aller Patienten befriedigende Werte. Der Baroloop könnte ihre Situation deutlich verbessern. Allein in Deutschland leben mehr als 20 Millionen Menschen mit Hypertonie. Sie ver ursacht zahllose ernste Erkrankungen wie Herz infarkt, Schlaganfall und Niereninsuﬃ zienz. Aktive, implantierbare Neurostimulatoren sind gefragt Letztlich stiftet der Stimulator zur Verbreitung von Fake News an. „Wir überschreiben die Signale, die von den Barorezeptoren kommen“, erklärt Plachta. Nun übermitteln die die zuständigen Nervenfasern falsche, überhöhte Werte. Der unge wöhnlich große Unterschied zum Sollwert zwingt das Gehirn, den Baroreﬂ ex zu starten. Herkömm- Den Patienten werden Ärzte die Elektrode über einen kleinen Schnitt am Hals einsetzen – da, wo der Vagusnerv verläuft. Ein Kabel führt dann hin unter zur Achselhöhle. Hier soll eine „Streichholz schachtel“ aus Titan Platz fi nden. Diese Schachtel enthält die Steuereinheit, deren „Herz“ ein Mikro controller ist. Er überwacht die Aktivität der Die Elektrode legt sich um den Nerv wie die klassische Blutdruckmanschette um den Oberarm. In der Achselhöhle liegt die Steuereinheit, die eventuelle Störungen meldet. Foto: neuroloop

35 Dr. Michael Lauk Dr. Dennis Plachta Prof. Dr. Thomas Stieglitz hat in Freiburg und Boston hat in Bonn Neurobiologie hat Elektrotechnik in Braun- Physik mit Schwerpunkt mit Schwerpunkt Physik schweig und Karlsruhe Datenanalyse studiert. studiert. Nach seiner Promo- studiert und an der Uni- Schon während der Promo- tion im Jahr 2000 forschte er versität des Saarlandes in tion gründete er sein erstes mehrere Jahre in den USA Saarbrücken promoviert. Unternehmen. Ab 2007 folg- an der University of Mary- Nach seiner Habilitation im ten sieben weitere Firmen- land. Danach war er als Bereich Biomedizinische gründungen in Deutschland Postdoc an der Rheinisch- Mikrosystemtechnik forschte und den USA – alle auf dem Westfälischen Technischen er als Gruppenleiter am Gebiet der Medizintechnik. Hochschule Aachen tätig. Fraunhofer-Institut für Bio- Er engagiert sich in mehre- 2009 nahm er eine Assisten- medizinische Technik in ren Kuratorien und gemein- tenstelle bei Prof. Thomas St. Ingbert. Seit 2004 ist er nützigen Organisationen, Stieglitz an der Universität Professor am Institut für unter anderem als Vorsitzen- Freiburg an. Aus seiner Mikrosystemtechnik der Uni- der des Verbands der Freun- Forschung ging 2012 versität Freiburg. Er erforscht de der Universität Freiburg. neuroloop hervor, dessen Möglichkeiten zur Kopplung Geschäftsführer bei neuro- Geschäftsführer er ist. technischer Systeme mit loop ist er seit 2015. Foto: Jürgen Gocke dem zentralen oder peri- Foto: Patrick Seeger pheren Nerven system, damit ausgefallene Körperfunk- tionen wiederhergestellt und neue Diagnosen neurolo- gischer Erkrankungen und Verletzungen entwickelt werden können. Foto: Klaus Polkowski Patienten, kontrolliert den Erfolg der Stimulation anhand der Herzschlagrate und meldet gegebe nenfalls Störungen. Die Tuttlinger Medizintechnikfi rma B. Braun/ Aesculap ist 2015 bei neuroloop als Investor ein gestiegen. Sie fi nanziert das Start-up und wird bei der Zulassung und beim Aufbau von Vertrieb und Marketing helfen. Zunächst erhoﬀ t sich B. Braun einen Zugang zum wachsenden Markt für aktive, implantierbare Neurostimulatoren, die unter anderem schon bei Epilepsie, Parkinson und Inkontinenz eingesetzt werden. „Die enge Zu sammenarbeit ist eine WinwinSituation und ein wegweisendes Beteiligungsmodell“, fi ndet Lauk. Er hat das Gründerquintett von neuroloop vervoll ständigt, neben Plachta und Stieglitz vom IMTEK bestand es noch aus zwei Medizinern vom Uni klinikum Freiburg, dem Neurochirurgen Zentner und Privatdozent Dr. Mortimer Gierthmuehlen. Letzterer leitet die präklinischen Studien zu Baro loop. „Ich baue die Stimulatoren, und er pﬂ anzt sie ein“, sagt Plachta und lobt die vorbildliche Zusammenarbeit. 2022 soll die Zulassung nach europäischen Richtlinien für Baroloop über die Bühne gehen. Sie ist Vorraussetzung für den Markteintritt. Die Weiterentwicklung ist geplant: Ein Baro loop II mit mehr Kanälen könnte den Blutdruck direkt, also nicht übers Herzschlagrate, messen und automatisch auf kritische Drücke reagieren. „Forschung und Entwicklung kommen nie zum Ab schluss“, meint Plachta. Jeder Fortschritt wirft neue Fragen auf. Doch Baroloop habe einen fi xen Schlusspunkt: die Erzielung der Marktreife. www.neuroloop.de Zum Weiterlesen Campbell, N. R./Lackland, D. T./Lisheng, L./Niebylski, M. L./Nilsson, P. M./Zhang, X. H. (2015): Using the Global Burden of Disease study to assist development of nation-specifi c fact sheets to promote prevention and control of hypertension and reduction in dietary salt: a resource from the World Hypertension League. In: Journal of Clinical Hypertension, 17 (3), S. 165–167. Plachta, D. T./Gierthmuehlen, M./Cota, O./Espinosa, N./Boeser, F./Herrera, T. C./Stieglitz, T./Zentner, J. (2014): Blood pressure control with selective vagal nerve stimulation and minimal side eﬀ ects. In: Journal of Neural Engineering, 11 (3): 036011. Plachta, D. T./Zentner, J./Aguirre, D./Cota, O./Stieglitz, T./Gierthmuehlen, M. (2016): Eﬀ ect of Cardiac-Cycle-Synchronized Selective Vagal Stimulation on Heart Rate and Blood Pressure in Rats. In: Advances in Therapy, 33 (7), S. 1246–1261.

36 36 Fitter, glücklicher, selbstständiger Eine Forschungsgruppe erörtert unterschiedliche Aspekte der Selbstoptimierung von Annette Kollefrath-Persch D ie Kontrolle der FitnessApp, die beim Joggen die Anzahl der Schritte und die Pulsfrequenz aufzeichnet. Der Blick in den Spie gel, um Frisur und Makeup zu überprüfen. Die doppelte Menge an Aufgaben, die schneller als sonst erledigt wird. Der Stolz beim Aufräumen, das endlich ohne Hilfe gelingt. Egal ob jung oder alt, weiblich oder männlich, gesund oder körper lich eingeschränkt: Die meisten Personen, er klärt Prof. Dr. Andrea Kiesel, wollen sich auf verschiedene Weise nachhaltig verändern und verbessern – sei es bei der Fitness, der Optik, innerhalb der Familie oder um im Leben glück lich zu sein. Die Psychologin hat sich in einer Arbeitsgruppe mit Forschenden aus unterschied lichen Arbeitsbereichen der Universität Freiburg – Psychologie, Sportwissenschaft, Erziehungs wissenschaft, Philosophie und Kulturanthropolo gie – getroffen, um die verschiedenen Facetten der Selbstoptimierung herauszuarbeiten und um zukünftige Forschungsfelder herauszustellen. „Wir alle sind individuell aus sehr unterschiedli chen Richtungen an dieses Thema herange gangen“, sagt Kiesel. Aber alle Forschenden hatten sich bereits zuvor mit Fragen zur Selbst optimierung beschäftigt. Grundsätzlich sei dieser Terminus ein ganzheitlicher Selbstbegriﬀ . Selbst- optimierung werde positiv betrachtet, da die je weilige Person etwas besser oder schneller als zuvor mache. Kiesel konzentrierte sich innerhalb der Arbeitsgruppe auf eine psychologische Aus richtung. Für sie ist es besonders interessant zu analysieren, wie Frauen und Männer sowohl in beruﬂ ichen Bereichen als auch im Alltag ver- suchen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu er

uni wissen 02 2018 37 füllen, um besonders eﬃ zient zu sein: „Als Psychologin frage ich mich, wie wir das weitver breitete Multitasking unterstützten können.“ Denn Eﬃ zienz soll ja schließlich nicht zwingend mit Stress einhergehen. Dank des Austausches in nerhalb der Arbeitsgruppe im Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) konnte Kiesel ihren kognitiven Ansatz zu ihrer Fragestellung mit den Ansätzen aus anderen Forschungsgebieten disku tieren und gemeinsame Aspekte herausarbeiten. reichend bewegt hat.“ „Doch je gesundheits relevanter ein Thema ist“, ergänzt Gollhofer die fachliche Diskussion, „umso wichtiger ist die Genauigkeit.“ Für Menschen, die nach einem Herzinfarkt wieder Sport treiben, ist eine korrekte Messung der Herzfrequenz unerlässlich. Deshalb möchte der Sportwissenschaftler an diesem Thema weiterarbeiten und mit seinem Team an der AlbertLudwigsUniversität ein genaueres Programm entwickeln. Wandel im Kopf der Forschenden „Genau dieser interdisziplinäre Ansatz hat mich am meisten interessiert“, erklärt Prof. Dr. Albert Gollhofer seine Motivation, an der Arbeitsgruppe teilzunehmen. Das FRIAS bot den Forschenden einen optimalen Rahmen für ungezwungenen fachlichen Austausch. „Vor allem die Kooperation mit der Psychologin und den Psychologen sorgte für einen Wandel in meinem Kopf“, resümiert der Freiburger Sportwissenschaftler. Er analysiert und validiert so genannte FitnessApps, die Sportlerinnen und Sportler für ihr Training nutzen. „Gerade im Sport ist Selbstoptimierung immanent. Es ist das zentrale Element“, sagt Gollhofer. „Und dabei blende ich bewusst die Leistungsoptimie rung im Profi sport aus.“ Er will wissenschaftlich hinterfragen, was die Menschen antreibt, solche Programme im Breitensport zu nutzen. Diese Apps zeichnen unter anderem zurückgelegte Strecken, Tempo als auch Vitalfunktionen wie die Herzfrequenz auf. Jedoch muss der Freiburger Forscher nach ausgiebigen Tests feststellen: „Die meisten sind erstaunlich ungenau.“ Für ein sinn volles Training stelle das ein Problem dar, doch erkannte er in Gesprächen mit Kiesel, dass sich die psychologische Bewertung der erhobenen Daten von seiner physiologischen deutlich unter scheidet: „Aus psychologischer Sicht“, erklärt die Forscherin, „ist es einer Person egal, ob die Apps ungenau messen. Es kommt nicht darauf an, ob man 8.000 oder 9.000 Schritte gegangen ist, es geht um das Feedback, dass man sich aus Selbstoptimierung fi ndet körperlich und mental statt: „Es ist nicht nur Leistungsverbesserung, sondern auch eine Verbesserung des Befi ndens“, sagt Gollhofer. Denn schließlich könne ein Mensch sich und sein Leben im eigenen Rahmen und nach eigenen Vorstellungen stetig optimieren, ergänzt die Psychologin. „Jeder kann sich Ziele setzen, um durch Optimierung zufriedener zu sein“, erklärt Kiesel. „Für Kranke oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen kann das zum Beispiel bedeuten, nach langer Rehabilitation endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Technische Helfer, wie sie auch am Institut für Biomedizinische Mikrotechnik der Universität Freiburg entwickelt werden, sind dabei eine tolle Errungenschaft, so Gollhofer: „Die neuen Mög lichkeiten und deren Nutzung sind spannend, genauso aber die Frage, wie viel man davon in seinen Alltag einbinden muss und will.“ „Wir alle sind individuell aus sehr unterschiedlichen Richtungen an dieses Thema herangegangen“ Die Arbeitsgruppe am FRIAS hat sich auf die innerhalb der zeitgenössischen Gesellschaft in Deutschland stattfi ndende Selbstoptimierung konzentriert, es fanden keine Vergleiche mit an deren Ländern oder vergangenen Epochen statt. „Wir wollten uns mit der Selbstoptimierung des Nicht nur Leistungsverbesserung, sondern auch Verbesserung des Beﬁ ndens: Für Menschen mit körperlicher Einschränkung bedeutet Selbstoptimierung, zu trainieren, um ein selbst- bestimmtes Leben zu führen. Foto: Fotolia/lassedesignen

38 uni wissen 02 2018 Individuums beschäftigen“, so Gollhofer. Die kritische philosophische Betrachtung, dass politi sche und wirtschaftliche Systeme die Art der Selbst optimierung vorgeben, ﬂ oss mit ein: „Wir konnten jedoch nicht alle Diskussionsrichtungen befriedigen.“ Nachdem die beteiligten Forschenden alle Facetten des Themas kennengelernt und in einem Workshop auch mit anderen Wissenschaft lerinnen und Wissenschaftlern diskutiert haben, wollen sie sich nun stärker fokussieren. „Das war ein sehr kreativer Prozess, in dem es darum ging, Anknüpfungspunkte aller Disziplinen zu fi nden“, erläutert Kiesel, „und die Diskussionen haben auch die eigene Forschung weitergebracht.“ Aber nun, betont die Psychologin, wolle sie wie auch ihre Kollegen einen Schritt weiter gehen: „Jetzt werden wir konkrete Maßnahmen umsetzen.“ Gesund und nachhaltig Zusammen mit Gollhofer wird Kiesel Instru mente wie psychologische Methoden und Trainings und Technikprogramme entwickeln, um Selbstoptimierung wissenschaftlich fundiert zu begleiten. Sie erarbeiten zum Beispiel ein Konzept für gesundes Trainieren im Alter. Denn mit zunehmenden Lebensjahren verändern sich die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die selbst gesetzten Ziele müssen daran ange passt werden. Sturz und Motorikübungen sollen dafür mit kognitivem Training kombiniert werden. „Jetzt werden wir konkrete Maßnahmen umsetzen“ In den folgenden Monaten werden weitere Forschungsansätze, die in der Arbeitsgruppe an gesprochen wurden, vertieft werden, denn das Thema ist von dauerhafter Bedeutung: „In unse rer Zeit sind Individuen durch Werbung und Medien immer dem Drang zur Selbstoptimierung ausgesetzt, da gibt es kein Ziel und kein Ende“, sagt der Freiburger Sportwissenschaftler. Nur bei Kranken und körperlich eingeschränkten Menschen ist klar zu benennen, wohin es führen soll: zu einem selbstbestimmen Leben. „Doch wir“, erklärt Kiesel, „fragen uns für alle Personen gruppen, wie gesunde, nachhaltige Selbst optimierung gelingt.“ Oft genutzt im Breitensport: Freiburger Forschende fanden heraus, dass die meisten Fitness- Apps ungenau sind. Foto: Fotolia/kebox

Psychologische Methoden, Trainings- und Technikprogramme sollen Selbstoptimierung wissenschaftlich fundiert begleiten. Foto: Fotolia/Kzenon 39 Prof. Dr. Andrea Kiesel Prof. Dr. Albert Gollhofer hat Psychologie an der Uni- hat Sport, Leistungsphysio- versität Würzburg studiert logie und Physik an der Uni- und wurde dort 2003 promo- versität Freiburg studiert. viert. 2006 forschte sie an 1986 wurde er promoviert der Universität Otago/Neu- und hat sich 1993 habilitiert. seeland. Sie wurde 2008 Anschließend wechselte habilitiert. 2015 nahm sie er als Professor für Sport- den Ruf auf die Professur wissenschaft mit dem für Allgemeine Psychologie Schwerpunkt angewandte an der Universität Freiburg Biomechanik an die Univer- an. Sie leitet das von der sität Stuttgart. 2000 kehrte Deutschen Forschungs - er als Professor für Sport gemeinschaft geförderte und Sportwissenschaft an Schwerpunkt programm die Albert-Ludwigs-Universi- „Human per formance under tät zurück. Von 2005 multiple cognitive task bis 2009 war er zudem requirements: From basic Präsident der sportwissen- mechanisms to optomized schaftlichen Organisation task scheduling“. Sie forscht European College of Sport über Zeitwahrnehmung, zu Science. Seine Forschungs- psychologischer Akzeptanz schwerpunkte sind neuro- (im Exzellenzcluster „Living, muskuläre Anpassungs- Adaptive and Energy- mechanismen, motorische autonomous Materials S Kontrolle und Biomechanik. ystems, livMatS“) und zu Foto: Patrick Seeger verkehrspsychologischen Fragestellungen. Foto: Jürgen Gocke Zum Weiterlesen Mittelstädt, V./Miller, J./Kiesel, A. (2018): Trading oﬀ switch costs and stimulus availability benefi ts: An investigation of voluntary task switching behavior in a predictable dynamic multitasking environment. In: Memory & Cognition, 46, S, 699715.DOI: 10.3758/s134210180802z Dignath, D./Kiesel, A./Eder, A.B. (2015): Flexible Conﬂ ict Management: Conﬂ ict Avoidance and Conﬂ ict Adjustment in Reactive Cognitive Control. In: Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 41, 975988. DOI: 10.1037/xlm0000089 Muehlbauer, T./Gollhofer, A./Granacher, U. (2015): Associations Between Measures ofBalance and LowerExtremity Muscle Strength/Power in Healthy Individuals Across the Lifespan: A Systematic Review and MetaAnalysis. In: Sports Medicine. DOI: 10.1007/s402790150390z Direito, A./Pfaeﬄ i Dale, L./Shields, E./Dobson, R./Whittaker, R./Maddison, R. (2014): Do physical activity and dietary smartphone applications incorporate evidencebased behaviour change techniques? In: BMC Public Health, 14(1), S. 1–7. DOI: 10.1186/1471245814646

40 40 Zwischen Zwängen und Moral aus D er Skandal bei Oxfam, Veruntreuung von Spendengeldern bei Unicef – derartige Nachrichten dem NonProfitSektor erschrecken, denn gerade in gemeinnützigen Organisationen sind ethische Grundsätze von größter Bedeutung. „Es ist extrem wichtig, Studierenden Theorien und philosophische Denkansätze an die Hand zu geben, bevor sie in die Praxis kommen – sie zu schulen, damit sie später mit ethischen Problemsituationen um gehen können“, fi ndet Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Jörg Lindenmeier vom Lehrstuhl für Public und NonProfit Management an der Uni versität Freiburg. Zusammen mit dem Theologen Prof. Dr. Klaus Baumann, Direktor des Arbeits bereichs Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit der AlbertLudwigsUniversität, und der Caritaswissenschaftlerin Karin Jors gibt er ein Seminar, das theoretisches Wissen durch Praxiserfahrung fundieren soll. Studentinnen und Studenten der Wirtschaftswissenschaft, Theologie und der Caritaswissenschaft lernen, wie sie als Führungskraft mit einer Situation zwischen Sachzwängen und moralischen Prob lemen umgehen können. Für das aufwendige Lehrkonzept bekamen die drei Dozenten den mit 70.000 Euro dotierten Instructional Develop ment Award, mit dessen Hilfe sie zusätzlich zu den Präsenzveranstaltungen ein ELearning Angebot entwickeln konnten. Weiterer Bestand teil des Seminars ist das so genannte Shadowing, bei dem die Studierenden Führungs kräfte in ihrem Alltag begleiten. Erhellende Perspektivwechsel „Für uns ist es interessant, ein Lehrformat zu entwickeln, das im Verbund Eucor versucht, ver schiedene Universitäten und zwei Disziplinen miteinander zu verknüpfen“, sagt Baumann. Zum Seminar tragen die Theologie in Freiburg und Strasbourg sowie die Wirtschaftswissenschaft in Freiburg und Basel bei. Die Seminarsprache ist primär Englisch, aber die Dozenten setzen passive Sprachkenntnisse in Französisch und Deutsch voraus. In Freiburg arbeiten Caritas und Wirtschaftswissenschaft schon länger zu sammen. „Die Perspektivwechsel sind gut, um einen anderen Blick auf ein Thema zu bekom men“, findet Lindenmeier. „Es ist sehr erhellend, was Menschen mit anderen kulturellen und persönlichen Hintergründen oder aus einem anderen Fach über ein ethisches Dilemma denken.“ Führungstheorien sind für beide Bereiche wichtig. Die Caritaswissenschaft beschäftigt sich mit der freien Wohlfahrtspflege, zum Bei spiel in der Behindertenhilfe. Dazu gehören auch Fragen der Leitungsverantwortung, erklärt Bau mann: „Wie kann man zum Beispiel die Gesund heitsökonomie so gestalten, dass der Mensch im Mittelpunkt steht – und nicht das ökonomische Interesse?“ Die Wirtschaftswissenschaft hinge gen ermögliche es, über ManagementAnsätze, aufbauend auf betriebswirtschaftlichen Model len, Entscheidungen zu treffen. Das Seminar bringe beide Perspektiven zusammen. „Solche Begegnungen sind bereichernd: individuell, kulturell sowie disziplinärwissenschaftlich“, so Baumann. Studierende als Schatten Zwischen den Präsenzterminen vertiefen die Seminareilnehmerinnen und teilnehmer Themen wie ethische Philosophie oder Konflikt bewältigung mithilfe von ELearningModulen. Dabei können sie sich auf die Bereiche konzent rieren, in denen sie individuell Bedarf haben. „Wer Themen aus dem eigenen Fach schon kennt, kann diese Inhalte schneller bearbeiten“, erklärt Jors, die die ELearningModule ent wickelt: „Wir möchten unter den Studierenden eine gemein same Basis schaﬀ en. Das E-Learning bietet ihnen eine hohe Flexibilität, und sie können Eigen verantwortung ihren Lernprozess über nehmen.“ für

uni wissen 02 2018 41 In einem Seminar von Eucor – The European Campus erforschen Studierende den Umgang mit ethischen Konﬂ ikten von Sarah Schwarzkopf Prämiertes Lehrkonzept: An den Uni- versitäten Basel, Freiburg und Stras- bourg lernen Studierende der Wirtschaftswissenschaft, Theologie und der Caritaswissenschaft, wie sie als Führungskraft mit einer Situation zwischen Sachzwängen und morali- schen Problemen umgehen können. Foto: Fotolia/Thomas Reimer Vor allem soll das Seminar Führungsaufgaben tatsächlich erfahrbar machen. Zum Seminar konzept gehört daher der Kontakt mit Führungs kräften, die bereit sind, sich von einzelnen Studierenden im sogenannten Shadowing be gleiten zu lassen, das Jors tutoriell betreut. Nach dem ersten Präsenztermin in Freiburg geht es darum, einen echten Fall aus der Praxis aufzu arbeiten. Die Studierenden entwickeln die Idee dazu gemeinsam mit der Führungskraft und suchen dafür in deren Umfeld nach ethischen Herausforderungen. „Wahrscheinlich betrifft das häufig die Personalpolitik oder die Dienst „Solche Begegnungen sind bereichernd: individuell, kulturell sowie disziplinär- wissenschaftlich“ leistungsplanung“, vermutet Jors, etwa wenn die Führungskraft aus Effizienzgesichtspunkten Personalstellen abbauen soll. Vorgesehen ist, dass die jeweiligen Führungskräfte eine oder einen der Studierenden an drei Tagen zu ihrer täglichen Arbeit mitnehmen, zum Beispiel zu Sitzungen oder zu einer Mitgliederversammlung,

42 uni wissen 02 2018 und in Gesprächen von Erfahrungen berichten, die sie mit ethischmoralischen Situationen gemacht haben. „In der Praxis selber sind die Studierenden ‚stille Schatten‘. Aber es gibt Nach gänge zu dem, was sie erlebt haben“, sagt Baumann. „Dabei können sie fragen, reflektieren und Dinge für den eigenen Lernprozess fest halten, um die Ergebnisse wieder in unsere ge meinsamen Tage einzuspeisen.“ ihrem zweiten Präsenztermin Die im Shadowing identifizierten ethischen Problemsituationen arbeiten die Studierenden dann bei in Strasbourg auf. In einem Rollenspiel simulieren sie eine Gremiensitzung, in der sie ihre Fälle als Tagesordnungspunkte rotierenden Rollen diskutieren – mal als Sitzungsleiterin, mal als Personalvertreter oder Geldgeberin. Anschlie ßend treffen sie per Abstimmung eine Entschei dung, die sie in einem Protokoll dokumentieren – „ganz so, wie normale Gremienarbeit abläuft. Auch das ist ein Bestandteil der Führung einer Organisation“, stellt Lindenmeier heraus. in Als Prüfungsleistung erarbeiten die Teil nehmenden einen BusinessCase zu ihrem Fall: Sie skizzieren ein ethisches Problem zwischen ökonomischen Sachzwängen und moralischen Normen. Anhand der ethischen Theorien, die sie kennengelernt haben, sollen sie diese Situation einschätzen und darauf aufbauend eine Ent scheidung treffen und rechtfertigen. Bei der Ab schlussveranstaltung, die in Basel geplant ist, stellen sie die Ergebnisse vor. Die Shadowing Partner sind dazu eingeladen. „Die Führungs kräfte finden das Projekt spannend und sind sehr motiviert“, so Jors. „Sie freuen sich, durch den Kontakt zu Studierenden über ihren eigenen Alltag zu reflektieren.“ Auch die Dozenten sind gespannt, wie sich das Seminar entwickelt. „Wir freuen uns, damit ein Stück Neuland zu be treten“, sagt Baumann. „Wenn unsere Studenten schon in ihrem Studium eine Sensibilität für gute Führung entwickeln – durch Reflexion, durch die Diskussion, durch das Kennenlernen anderer Betriebskulturen –, dann haben wir eine Menge erreicht.“ Nachrichten über Veruntreuung von Spendengeldern erschrecken, denn gerade in gemeinnützigen Organisationen sind ethische Grundsätze von größter Bedeutung. Foto: Fotolia/M. Schuppich

43 Karin Jors Prof. Dr. Klaus Baumann Prof. Dr. Jörg Lindenmeier absolvierte ein Bachelor- studierte Theologie und studierte Volkswirtschafts- studium in Psychologie und Psychologie in Freiburg und lehre an der Universität Frei- Germanistik an der Universi- Rom/Italien. 1996 promo- burg und promovierte dort tät Michigan/USA und machte vierte er an der Päpstlichen 2004. Nach drei Jahren als 2012 an der Universität Frei- Universität Gregoriana. Seit Juniorprofessor für Health- burg ihren Master in Caritas- 2004 ist er Direktor des care Management an der wissenschaft und christlicher Arbeitsbereichs Caritas- Hochschule Lahr und seiner Gesellschaftslehre. Von 2014 wissenschaft und Christliche Habilitation 2011 in Freiburg bis 2016 absolvierte sie eine Sozialarbeit am Institut für wurde er in Lahr zum Profes- Weiterbildung zur person- Praktische Theologie der sor für Healthcare Manage- zentrierten Beratung bei der Universität Freiburg und ment and Behavioral Gesellschaft für wissen- arbeitet gleichzeitig psycho- Economics Management be- schaftliche Gesprächs- therapeutisch im Auftrag der rufen. Seit 2013 forscht er psychotherapie in Freiburg. Erzdiözese Freiburg. Sein als Professor für Public und Seit 2016 ist sie wissen- wissenschaftlicher Schwer- Non-Profit Management, ins- schaftliche Mitarbeiterin im punkt ist der Dialog zwi- besondere Corporate Gover- Arbeitsbereich Caritaswissen- schen Theologie und nance und Ethik, an der schaft der Albert-Ludwigs- Human- und Sozialwissen- Albert-Ludwigs-Universität Universität. Ihre Forschungs- schaften, insbesondere der zur Relevanz prosozialer schwerpunkte sind interdiszi- Psychologie. Außerdem Verhaltensweisen für öffentli- plinäre Ansätze in Theologie, forscht er zu Caritastheolo- che und gemeinnützige Medizin, Psychologie und gie, -geschichte und -spiritu- Organisationen sowie zu Wirtschaft sowie Führung alität sowie zu aktuellen Effekten unethischer oder und Wirtschaftsethik im Fragen öffentlicher und freier unpopulärer Geschäfts- Non-Profit-Sektor. Wohlfahrt aus deutscher, praktiken. Fotos: Thomas Kunz europäischer und weltkirch- licher Perspektive. Zum Weiterlesen Wilson, S./McCalman, J. (2017): Reimagining ethical leadership as leadership for the greater good. In: European Management Journal 35/2, S. 151–154. DOI: 10.1016/j.emj.2016.06.001 HaberCurran, P./Tillapaugh, D. W. (2015): Studentcentered transformative learning in leadership education. In: Journal of Transformative Education 13/1, S. 65–84. DOI: 10.1177/1541344614559947 Caldwell, C./Dixon, R. D./Floyd, L. A./Chaudoin, J./Post, J./Cheokas, G. (2012): Transformative leadership: achieving unparalleled excellence. In: Journal of Business Ethics 109/2, S. 175–187. DOI: 10.1007/s1055101111162 Heres, L./Lasthuizen, K. (2012): What’s the diﬀ erence? Ethical leadership in public, hybrid and pri- vate sector organizations. In: Journal of Change Management 12/4, S. 441–466. DOI: 10.1080/14697017.2012.728768

uni wissen 02 2018 45 R egelmäßig werden Stimmen laut, dass ange hende Ärztinnen und Ärzte praxisnäher aus gebildet werden sollten. Auch der „Masterplan Medizinstudium 2020“ des früheren Bundes gesundheitsministers Hermann Gröhe verlangt mehr Praxisbezug. Dr. med. Domagoj Damjanovic, Facharzt für Anästhesiologie an der Klinik für Herz und Gefäßchirurgie des Universitäts Herzzentrums FreiburgBad Krozingen setzt diese Forderung bereits um: Zusammen mit Medizinstudentinnen und Medizinstudenten ver sucht er, angehenden Ärzten den sinnvollen Einsatz von Ultraschall näherzubringen. Bereits 2016 wurde Damjanovics Lehrprojekt „Fokus sierte Sonographie im Wahlfach Notfallmedizin, QB Notfallmedizin und ELN Anästhesie“ von der Medizinischen Fakultät der AlbertLudwigs Universität mit dem Lehrpreis für herausragende Didaktik ausgezeichnet. Vom stationären zum mobilen Gerät Seit einiger Zeit gibt es tragbare, so genannte HandheldUltraschallgeräte, die nicht größer sind als ein Smartphone. Entscheidend ist aber nicht die Größe des Geräts, sondern die Tatsache, dass es mobil ist. „Diese kleinen, tragbaren Einheiten sind keine Wunderwaﬀ en des Ultraschalls“, erläu- tert Damjanovic, „sie machen nur sichtbar, was ein Mediziner bereits in den 1980er Jahren erkannt hat: Nicht die Miniaturisierung, sondern die Rollen unter dem Ultraschallgerät sind die eigentliche Re volution. Wenn die Geräte mobiler werden, muss der Patient nicht mehr zur Diagnose kommen, son dern die Diagnose kommt zu ihm.“ Nicht nur in der Sonografi e gibt es einen Trend zur patientennahen Diagnostik. Manche nennen die neuen Ultraschall geräte begeistert „Stethoskope des 21. Jahrhun derts“. Ärzte könnten sie künftig mit der gleichen Selbstverständlichkeit mit sich führen wie das obligatorische Stethoskop. Neue Fragestellungen für die Ausbildung Doch das hat praktische Folgen für die Aus bildung: Wenn Ärzte das Ultraschallgerät ständig dabeihätten, wo würden sie es dann sinnvollerwei se einsetzen? Um diese Frage zu klären, haben sich Freiburger Medizinstudierende der bundes weiten Initiative „sono4students“ angeschlossen und sich, begleitet von Damjanovic, Gedanken darüber gemacht, was sie von dem neuen Gerät erwarten, wie sie sich und anderen den Umgang damit am besten beibringen und was das Gerät leisten kann. Inzwischen bieten sie unter dem Titel „Point of Care Ultrasound“ (POCUS) Kurse zur Handhabung an und haben im letzten Semester bereits knapp 80 interessierte Studierende ent sprechend ausgebildet. Schnelle Diagnose bei Unfällen „POCUS ist meist in Akutsituationen gefragt“, er klärt Christopher Starz, Medizinstudent, Rettungs sanitäter und Sonografi etutor den Grundgedanken der Kurse. „Wir möchten also die gängigen Untersuchungsmethoden in Notfällen um die Ultra schallanwendung ergänzen und damit das Instrumentarium der Behandelnden erweitern.“ In der Praxis werden Untersuchungen mit dem Hand held detaillierte Sonografi en nicht ersetzten: „Aber das Gerät kann eine ganze Reihe von JaNein Fragen zuverlässig beantworten“, sagt Starz. „Bei Verunfallten ist es beispielsweise oft wichtig, zu wissen, ob Blut in Körperräume oder Luft in den Brustkorb, zwischen Lungen und Rippenfell, ein gedrungen ist. Diese Fragen lassen sich mithilfe der neuen Geräte vor Ort schnell, sicher und ohne zu sätzliche Belastung für den Patienten beantworten.“ Auch wenn es darum geht, unter schwierigen Bedingungen einen sicheren Zugang zu Gefäßen zu fi nden, zum Beispiel beim Blutabnehmen, kommt das kleine Ultraschallgerät zum Einsatz. Mit seiner Hilfe lassen sich selbst nicht gut sicht bare Venen leicht fi nden, und das Setzen und Ein- führen der Nadel kann auf dem Display verfolgt werden. Wie gut das klappt, wurde Damjanovic von einer Studentin, die seit der Gründung von sono4students dabei ist, berichtet: „Ein Notfall er forderte die sofortige Blutabnahme. Die Venen der Patientin waren kaum auﬃ ndbar. Assistenzarzt und Oberarzt hatten keinen Erfolg. Die Studentin versuchte es auch – und dank POCUS fand sie die Vene sofort.“ Lernhierarchien brechen auf Bedenkt man, wie viel Frust die ultraschall gestützte Hilfe Medizinern und Patienten beim Blutabnehmen ersparen kann, wird allein diese An wendungsmöglichkeit den neuen Geräte vielleicht

46 Bereits während des Studiums an der Universität Bereits während des Studiums an der Universität Freiburg lernen angehende Ärzte den Einsatz von Freiburg lernen angehende Ärzte den Einsatz von mobilen Ultraschallgeräten. Foto: Universität Freiburg mobilen Ultraschallgeräten. Foto: Universität Freiburg schon zum Durchbruch verhelfen. An Damjanovics Anekdote aus der Praxis ist noch ein weiterer Aspekt aufschlussreich: Wie selbstverständlich werden gewohnte Lernhierarchien aufgebrochen. Die Studierenden haben sich ihre Fähigkeiten zwar unter fachärztlicher Begleitung, aber vor allem durch eigenen Einsatz selbst beigebracht und sich untereinander weitergeschult. Von diesem Können profi tieren nun nicht nur weitere Generationen von Kommilitonen, sondern in manchen Situationen auch approbierte Ärzte, die bislang wenig mit dieser Technik in Berührung kamen. „Wenn die Geräte mobiler werden, muss der Patient nicht mehr zur Diagnose kommen, sondern die Diagnose kommt zu ihm“ Die Universität hat bereits vor zehn Jahren er kannt, wie wichtig es ist, die Eigeninitiative von Studierenden zu fördern, und das Studierenden Trainingszentrum (StudiTZ) gegründet, in dem Stu dierende der Medizin das Einüben praktischer Fertigkeiten selbstständig organisieren. Diese Infrastruktur einschließlich der vorhandenen Ultra schallgeräte nutzen auch Damjanovic und sono 4students, allerdings eigenständig und mit eigenen Mitteln. Zusammen mit ihrem Dozenten entwickeln die Studierenden ein eigenes Lehrkonzept und die zugehörigen Lehrmittel. Von großer Bedeutung ist hierbei, dass Tutoren wie Starz und Damjanovic selbst von der Notfallmedizin kommen und ein ent sprechendes „Mindset“, wie Damjanovic es nennt, mitbringen. Praktisch bedeutet das, wie Starz er läutert, „nicht fi ligran, sondern notfallorientiert zu denken“, also keine detaillierten Ultraschall analysen durchzuführen, wie es die Lehrpläne zur konventionellen Sonografi e vorsehen, sondern sich auf einfache, aber hilfreiche JaNein Entscheidungen zu konzentrieren. Das „Schallschatten-Projekt“ Das hat weitreichende Konsequenzen. Zum einen zwingen Notfälle dazu, interdisziplinär zu denken: Hat der Patient eine Stauungspapille – ja oder nein? Eine volle Blase oder eine Stauungs niere? Die Studierenden werden angehalten, die tragbaren Sonogeräte auszuleihen und in ihre jeweiligen Praktika und Famulaturen mitzu nehmen, nach sinnvollen Anwendungsmöglich keiten Ausschau zu halten und in Absprache mit ihren Ausbilderinnen und Ausbildern ihre Kenntnis se in Sachen Ultraschalluntersuchung einzu bringen und zu erweitern. Das Durchlaufen solcher Stationen hat den Vorteil, dass die Studierenden bereits früher als im Lehrplan vorgesehen grund legende Kompetenzen in der Sonografi e erwerben und ganz nebenbei lernen, bei der Blutabnahme sehr präzise vorzugehen. Das viele Üben mit Kolleginnen und Kollegen erleichtert es ihnen darüber hinaus, innere Organe im Ultraschallbild besser zu erkennen. Dieses „Shadowing“, das Mitlaufen der mit Schallgeräten ausgerüsteten Studierenden auf der Station, und die interdisziplinären Einsatzmöglich keiten der Ultraschallgeräte im Klinikalltag inspirierten Damjanovic dazu, die studienbe gleitende „Point of Care Ultraschall“Ausbildung unter dem Namen „SchallschattenProjekt“ für die kompetenzbasierte Lehre und das so genannte

uni wissen 02 2018 47 Peer Teaching, also die Wissensvermittlung der Studierenden untereinander, auszubauen: Es steht zum Beispiel bereits eine kostengünstige, frei zugängliche Simulationstechnik zum Üben zur Ver fügung, und die Verzahnung der verschiedenen medizinischen Fachbereiche läuft an. Hilfe für Hausärzte Das „Stethoskop des 21. Jahrhunderts“ fängt an, sich durchzusetzen: Starz berichtet von Notarzt einsatzfahrzeugen, die schon mit mobilen Ultra schallgeräten ausgestattet sind, und Damjanovic ergänzt, dass ein amerikanischer Hersteller die Geräte für 2.000 Dollar das Stück auf den Markt bringt. In nicht allzu ferner Zukunft, ist der Frei burger Mediziner überzeugt, werden in unterver sorgten ländlichen Gebieten Hausärzte dank POCUS in der eigenen Praxis beispielsweise Lungenentzündungen diagnostizieren können, ohne die Patientinnen und Patienten zu Spezialisten in die Stadt schicken und mit Therapieent scheidungen bis zum Rücklauf des Befundes warten zu müssen. Deshalb sollte, so Damjanovic, POCUS möglichst bald ein Teil des regulären Studienplans werden. www.pr.uni-freiburg.de/pm/online-magazin/lehren- und-lernen/ultraschall-an-ort-und-stelle Christopher Starz Dr. Domagoj Damjanovic studiert Medizin an der Uni- hat Medizin an der Uni- versität Freiburg. Er arbeitet versität Freiburg studiert. als Rettungssanitäter und ist Weitere Stationen seiner Leiter der von ihm mitge- Ausbildung waren Kranken- gründeten studentischen häuser in Split/Kroatien und Initiative sono4Students Zürich/Schweiz, anschlie- Freiburg. Diese hat das Ziel, ßend war er unter anderem das Lehrangebot für Unter- am Ortenau Klinikum Lahr- suchungen mit Ultraschall zu Ettenheim und am Uni- erweitern. Als Tutor leitet er versitätsklinikum Freiburg Übungen in Point-of-Care- tätig. Seit 2015 ist er Fach- Sonografie an und bildet arzt für Anästhesiologie und weitere Tutorinnen und Reanimationsforscher an der Tutoren aus. Fotos: Klaus Polkowski Klinik für Herz- und Gefäß- chirurgie des Universitäts- Herzzentrums Freiburg- Bad Krozingen. Für die strukturierte Einführung der Point-of-Care-Sonografie in das Notfallpraktikum an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin erhielt er 2016 den Lehrpreis der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität. Die tragbaren, so genannten Handheld- Ultraschallgeräte sind nicht größer als ein Smartphone. Foto: Universität Freiburg Zum Weiterlesen Lernplattform zu Ultraschallbefunden „The POCUS Atlas“: www.thepocusatlas.com Grafi sche Illustrationen zum Thema Notfallsonografi e: http://pie.med.utoronto.ca

48 Der umgedrehte Unterricht Von der „PDFSchleuder“ zum digital vernetzten Lehren und Lernen von Matthias Heybrock Mit E-Learning das Format der klassischen Vorlesungen aufbrechen: Die Studierenden werden stärker eingebunden und stellen ihre Arbeiten online. Foto: Sandra Meyndt von Mathias Heybrock ELearning, elektronisch gestütztes Lernen, das klingt aufregend. „Lange Zeit verbarg sich dahinter oft aber kaum mehr, als dass Mate rialien auf einem Server liegen, und alle können sie sich dort herunterladen“, sagt Ingo Henne berg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Wissenschaftliche Politik. Als „PDF Schleuder“ habe man dieses Modell im Rechen zentrum der Universität Freiburger karikiert, fährt der Friedens und Konfliktforscher fort. Er weiß das, weil er an genau diesem Rechen zentrum ein Jahr lang Kurse im so genannten E-Learning-Qualifi zierungsprogramm belegte. Sie ermöglichten ihm die Entwicklung eines deutlich erweiterten Ansatzes zum digital vernetzten Lehren und Lernen, der Studierende und Lehren de deutschlandweit, international verknüpft. Dafür erhielt er 2018 den ELearning Preis der AlbertLudwigsUniversität. ja sogar „Eigentlich war es Zufall“, erinnert er sich an die Initialzündung. Ende 2015 sei er auf einer Tagung von Friedens und Konfliktforscherinnen und forschern gewesen. In den Medien war da mals der Terror des so genannten Islamischen Staates (IS) allgegenwärtig. „Die Dozentinnen und Dozenten fanden es alle wichtig, unseren Studierenden dazu etwas anzubieten.“ Eine Teil nehmerin habe daher eine gemeinsame Lehrver anstaltung zum Thema angeregt, um Expertise zu bündeln. Zu dieser Veranstaltung könnten Studierende aller Universitäten mit gecharterten Bussen anreisen, habe ein anderer Forscher vorgeschlagen. Videokonferenz statt Busreise Henneberg war sich sicher: „Das konnte so kaum funktionieren. Erstens, weil Kosten ent stehen – für Studierende ist das immer ein Prob lem.“ Zweitens, weil er bezweifelte, ob sich die wenigen, weit verstreuten ISExpertinnen und Experten so schnell auf einen gemeinsamen Ter min und Ort würden einigen können. „Und schnell wollten wir ja sein, um auf die Entwicklung zügig zu reagieren.“ Dem analogen Vorschlag stellte der Freiburger Politikwissenschaftler daher spontan einen digitalen Ansatz gegenüber: „Eine Art Videokonferenzschaltung. Die Studierenden sitzen in ihren jeweiligen Universitäten, und wöchentlich werden wechselnde Fachleute live hinzugeschaltet.“ Diese Idee stieß auf Zustimmung, und bereits ein halbes Jahr später, im Sommerse mester 2016, fand die standortübergreifende Ring vorlesung statt. Studierende von neun deutschen Universitäten zur Terrormiliz IS/Daesh

uni wissen 02 2018 49 nahmen teil. „Es war das erste Mal, dass zu diesem Thema viele Einzelaspekte zu einer Gesamtschau zusammengetragen wurden“, sagt Henneberg. Von der digitalen Vorlesung zum Ringseminar Hinterher war das Lob groß. Trotzdem waren sich Henneberg und seine Kolleginnen, die die Vorlesungsreihe gemeinsam organisiert hatten, sicher, dass da noch Luft nach oben war, vor allem, was die Form der Lehrveranstaltung betraf: „Vorlesungen sind ja grundsätzlich nicht das modernste didaktische Format.“ Sie wollten die Studierenden aus der Zuhörerposition holen, sie stärker aktivieren und einbinden. Das nächste ELearningProjekt konzipierte das Team um Henneberg daher als Ringseminar. „Gefährdung des Friedens in Europa?“ lautete diesmal das Thema. Die Fragestellung bündelte Phänomene wie den Brexit, die rechtspopulistischen Strömun gen in vielen Ländern, aber auch aktuelle wirt schaftliche Krisen – etwa in Griechenland –, und überlegte, ob und wie sie die europäische Friedensordnung ins Wanken bringen könnten. Fünf weitere Universitäten in Deutschland nahmen daran teil, Wissenschaftlerinnen und Wissen schaftler von unterschiedlichen Forschungs instituten lieferten die Inhalte. Das Seminar orientierte sich am didaktischen Modell des „ﬂ ipped classrooms“ – des „um- gedrehten Unterrichts“, wie man diesen Begriﬀ ungefähr übersetzen kann. In diesem Modell gibt es kaum Frontalunterricht, der die Studierenden mehr oder weniger schnell erschöpft. Stattdessen beteiligen sie sich selbst an der Gestaltung, wo bei sie schnell merken, wie gut oder wie schlecht sie den Stoﬀ bereits durchdrungen haben. in Europa und Kanada „Wir baten die Experten zunächst um Video vorträge, eher kurze Impulse von um die 20 Mi nuten“, erläutert Henneberg den ersten Schritt. „Und diese Vorträge stellten wir bereits vor dem Seminar zur Verfügung.“ Sie dienten der Vorbe reitung – genau wie die elektronischen Dossiers, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Universitäten dann in Gruppenarbeiten für die Seminarstunden erstellten. Wertvolle Seminar zeit wurde so für die vertiefende Auseinander setzung frei. Auch hier waren die Studierenden gefragt: als Moderatorinnen und Moderatoren, die den jeweiligen Experten die ersten Fragen stellten und damit die Diskussion in Schwung brachten. Den Organisationsgrad des Seminars be schreibt Henneberg als herausfordernd: „Eine Diskussion via Video zwischen einem Experten an einer Universität und Studierenden an sechs weiteren – die muss im Vorfeld schon ein bisschen abgestimmt werden.“ Viele digitale Werkzeuge kamen dabei zum Einsatz: Die Studierenden koordinierten sich mittels Online foren, Messenger, auch Skype. Um ihnen Hilfe stellung bei der Erarbeitung ihrer elektronischen Dossiers zu geben, verfasste das Organisations team – sieben Personen von sechs Universitä ten und ihre Hilfskräfte – Handbücher. In den Videoseminaren sorgte später das digitale didaktische Tool Tweedback dafür, dass in der standortübergreifenden Diskussion niemand zu kurz kam. „Vorlesungen sind ja grund- sätzlich nicht das modernste didaktische Format“ Technische Schwierigkeiten waren demge genüber zu vernachlässigen. „Bei der Ringvorle sung hatten wir noch Tonprobleme. Oder auch mal eine zusammengebrochene Leitung. Doch beim zweiten Mal hatten wir das eigentlich ganz gut im Griff.“ Henneberg hebt an dieser Stelle auch die große Unterstützung vonseiten des Freiburger Rechenzentrums, insbesondere durch die Abteilung ELearning, hervor: „Ohne diese Hilfe wäre ein solch komplexes Projekt schlicht nicht durchführbar.“ Wie begeistert die Studierenden von seinem Konzept waren, konnte der Politologe schon an den Arbeiten ablesen, die sie einreichten. „Manches hat uns regelrecht umgehauen, zum Teil wurde eine Qualität abgeliefert, mit der wir wirklich nicht gerechnet haben.“ Dabei wurden nicht nur wissenschaftliche, sondern auch journalistische Ansätze gewählt: Straßenum fragen, Interviews, auch Radiofeatures. Eine Gruppe wurde für ihren Seminarbeitrag zum Rechtspopulismus sogar mit dem Medienpreis des Landes NordrheinWestfalen ausgezeichnet. Das sei eben schon etwas ganz anderes als eine normale Hausarbeit, die nur die Dozentin oder der Dozent lesen, findet Henneberg: „Die Studierenden präsentieren ihre Arbeit der digita len Community, die tendenziell grenzenlos ist.“

50 uni wissen 02 2018 Wichtig im Studium und in der Arbeitswelt: In den E-Learning- Seminaren arbeiten die Studierenden stets in Teams zusammen. Fotolia/Vasyl – imposant genug, um auch die angefragten Experten zu beeindrucken: „Bittet eine Uni um einen Vortrag, kann das klappen. Fragt ein ganzes Konsortium, steigen die Chancen erheblich.“ Dass sein ELearningKonzept der neue Standard sein sollte, findet der Freiburger Politikwissenschaftler allerdings nicht: Das klassische Seminar behalte seine Berechti gung, aber das ELearningModell könne eine sehr interessante Ergänzung und Be reicherung sein. „Ich bin zuversichtlich, dass sich solche Ansätze in Zukunft häufiger in der Lehre wiederfinden werden.“ Ingo Henneberg studierte Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Frie- dens- und Konfliktforschung sowie Völkerrecht an den Universitäten Bamberg, Passau, Málaga/Spanien und Augsburg. Während- dessen war er unter ande- rem im Bundesministerium der Verteidigung, im Aus- wärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags, in der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktfor- schung sowie im German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg tätig. Seit 2014 ist Ingo Hen- neberg wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freiburger Lehrstuhl für Governance in Mehrebenensystemen am Seminar für Wissenschaft- www.ringseminar-europa.politik.uni-freiburg.de liche Politik. Neben der www.security-migration.politik.uni-freiburg.de Ringseminare arbeitet er an Organisation der digitalen seiner Dissertation zu regio- naler Friedens- und Sicher- heitskooperation mit dem Schwerpunkt Afrika. Foto: Patrick Seeger Zum Weiterlesen Plank, F./Henneberg, I./Kobusch, A. et al. (2019, im Erscheinen): Standort übergreifende Lehre in der Politikwissen schaft: Nutzen und Beitrag eines innovativen Ringseminars. In: Politische Vierteljahresschrift (PVS) 60/1. DOI: 10.1007/s116150180110z Brühl, T./Henneberg, I. (2016): Standort übergreifende Ringvorlesung – Erfahrun gen eines Lehrprojekts zum ‚Islamischen Staat‘. In: Zeitschrift für Friedens und Konﬂ iktforschung 5/2, S. 274–282. DOI: 10.5771/2192174120162274 Denn das Seminar steht inzwischen im Netz: Jede und jeder, der interessiert ist, kann auf Vorträge und Materialien zugreifen. „So begreife ich die Aufgabe der Universität“, kommentiert der Politikwissenschaftler: „Dass sie ihr Wissen nicht nur im Verborgenen generiert, dass sie es in den Dienst der Gesellschaft stellt.“ Zudem ist er überzeugt, dass die Studierenden diese Form der Zusammenarbeit in Teams später auch in der Arbeitswelt wiederfinden: „In vielen Unter nehmen ist das längst Usus, nicht nur, wenn sie international tätig sind. In der akademischen Welt sowieso, wie am Beispiel des euro päischen Campus Eucor zu sehen ist.“ Beeindruckte Experten Doch auch Henneberg selbst hat bereichernde Erfahrungen gemacht. „Bei der Organisation mit den Kolleginnen an den Partneruniversitäten haben wir sehr viel diskutiert. Unterschiedliche Aspekte wurden eingebracht, und die Besonder heiten und Schwerpunkte unserer einzelnen Studiengänge, lokalen Anforderungen und zum Teil unterschiedlichen Lernkulturen mussten zu sammengebracht werden – das ist nicht immer einfach, aber man lernt eine Menge dabei.“ Nach so vielen guten Erfahrung startete im Sommersemester 2018 gleich das nächste digi tale Ringseminar, diesmal über den Zusammen hang von Sicherheit, Entwicklung und Migration am Beispiel Afrikas: „Meine Studierenden be reiten es gerade für das Netz auf.“ Daran waren sogar acht Universitäten beteiligt – eher zu viele, wie Henneberg findet: Es werde dann zu kompliziert, und die Technik gelange an ihre Grenzen. Sechs Partner seien eine gute Größe

Impressum uni‘wissen, das Forschungsmagazin der Universität Freiburg, erscheint zweimal jährlich. Herausgeber AlbertLudwigsUniversität Freiburg, der Rektor, Prof. Dr. HansJochen Schiewer Verantwortlich für den Inhalt RudolfWerner Dreier, Leiter Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungsmanagement Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Jürgen Bauhus, Forstwissenschaften Prof. Dr. Ralf von den Hoff, Archäologie Prof. Dr. Gunther Neuhaus, Prorektor für Forschung, Biologie Prof. Dr. Sabine Rospert, Medizin Prof. Dr. Margit Zacharias, Mikrosystemtechnik Redaktion Annette KollefrathPersch (verantwortliche Redakteurin), Sonja Seidel Anschrift der Redaktion Presse und Öffentlichkeitsarbeit AlbertLudwigsUniversität Fahnenbergplatz, 79085 Freiburg Telefon 0761/2038909 Fax 0761/2034278 EMail uniwissen@pr.unifreiburg.de Auflage 9.000 Exemplare Gestaltung, Layout Jürgen Oschwald Fotos Titelseite: Fotolia/apfelweile Stadtarchiv Rastatt Montage: Jürgen Oschwald Druck und Herstellung Hofmann Druck, Emmendingen uni'wissen ist klimaneutral auf 100 Prozent Altpapier gedruckt. Das Papier ist mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“ zertifiziert. Vertrieb Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungsmanagement ISSN 21948054 © AlbertLudwigsUniversität Freiburg. Alle Rechte vorbehal ten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des Verlags oder der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, eingesandte Artikel zu redigieren und zu kürzen. uni’wissen erscheint online unter www.wissen.unifreiburg.de