BLICK ZURÜCK: 400 JAHRE BOTANISCHER GARTEN 25 brachten immer wieder einen Perspek- tivwechsel mit sich. „Das alles ging aber mit einer unvermeidlichen Partei- lichkeit einher.“ Seit dem 1. Oktober 2020 steht sie der Albert-Ludwigs-Uni- versität als Rektorin vor. „Und ich freue mich riesig darüber, diese Parteilichkeit nun aufgeben und für alle einstehen zu können.“ Ende Mai haben Senat und Universi- tätsrat Krieglstein mit großer Mehrheit ge- wählt. In den darauff olgenden Monaten pendelte sie zwischen ihrer neuen Ar- beitsstelle in Freiburg und der alten in Konstanz: Dort war sie bis zu ihrem Wech- sel zwei Jahre lang Rektorin und holte im Exzellenzwettbewerb den zweiten Titel für die Universität am Bodensee. Zweimal Rektorin – das schaff t eigentlich niemand. Stand das etwa auf ihrer To-do-Karriere- liste? „Überhaupt nicht. Als ich jung war, hatte ich ohnehin noch wenig Vorstellun- gen von der berufl ichen Zukunft“, erinnert sich Krieglstein. „Ich wusste nur, ich will nicht in einem Umfeld arbeiten, das sich wie ein ehrwürdiges Museum anfühlt.“ Sie schätzte die Freiheit, wollte viel Gestal- tungsspielraum, und es machte ihr nichts aus, auch an den Wochenenden zu arbei- ten. Also ging sie in die Forschung. Der Prunk in Laboren hält sich bekannterma- ßen in Grenzen, die Arbeitszeit hingegen kann schon mal ausufern, lässt sich aber auch fl exibel gestalten – ein großes Plus, als Krieglstein zweimal Mutter wurde. Ein klarer Cut Studium der Chemie und Pharmazie, Approbation als Apothekerin, eine Dissertation über Toxine und eine Habili- tationsschrift über die neuronalen Funkti- onen bestimmter Wachstumsfaktoren: Kerstin Krieglstein profi tierte von ihrer vielfältigen Ausbildung. Sie erforschte insbesondere, wie der Embryo im Mutter- leib die Ausbildung seines Gehirns und seiner Nervenzellen steuert. Sie trug we- sentlich zum Verständnis der Frage bei, welche Rolle bestimmte Signalmoleküle für die Entwicklung und Funktion neuro- naler Netzwerke spielen, kurz gesagt: unter welchen Bedingungen Hirnzellen leben und unter welchen sie sterben. Der Wechsel aus der Forschung ins Wissenschaftsmanagement zeichnete sich bereits früh am Horizont ab. Er ver- Im Rektoratsgebäude am Fahnenbergplatz hat Kerstin Krieglstein am 1. Oktober 2020 ihr Büro bezogen. lief viele Jahre lang parallel zur Arbeit im Labor und begann mit der Liebe zur Wissenschaft, dem Drang nach mehr Spielraum: „Ich glaube, dass alle For- scherinnen und Forscher im Laufe ihrer Karriere der Wunsch nach einfacheren Abläufen und einer besseren Infrastruk- tur im akademischen Betrieb begleitet“, sagt Krieglstein. „Daraus ergeben sich zwei Optionen: Entweder ich engagiere mich und verändere etwas, oder ich ak- zeptiere die Bedingungen und höre auf, mich zu ärgern.“ Nicht klagen, sondern handeln: Diese Devise passt zu ihr. Ebenso der Entschluss, nicht lange der Forschung nachzutrauern, wenn sich im Hauptberuf andere Aufgaben auf ihrem Schreibtisch stapeln. Ihr Vater, ein in- zwischen emeritierter Professor für Pharmazie, gab ihr einen Rat: „Wenn du dir sicher bist, für deine Forschung nicht den Nobelpreis zu bekommen, dann kannst du ins Wissenschaftsmanage- ment wechseln.“ Kerstin Krieglstein zog damals die Konsequenzen: „Bevor ich bei dieser Doppelbelastung zweit- oder sogar drittklassige Forschung mache, mache ich lieber einen klaren Cut.“ Erneuern für die nächste Runde Diesmal bringt sie der klare Cut vom Bodensee zurück in den Schwarzwald. „Ich spüre eine sehr große Verbunden- heit der Universität Freiburg gegenüber. Ich bin überzeugt von den Menschen, die hier arbeiten, von der erstklassigen Forschung und von dem großartigen Po- tenzial, das hier steckt.“ In den nächsten Jahren wird es ihr wichtigstes Ziel sein, auch andere davon zu überzeugen. 2025 werden Bund und Länder den deutschen Hochschulen die vorerst letzte Möglichkeit geben, sich im Ex- zellenzwettbewerb zu bewähren. Die Albert-Ludwigs-Universität hat den Sprung in die Riege in den vergan genen beiden Runden nicht mehr geschafft. „Dabei gehört Freiburg eindeutig zu den Exzellenzuniversitäten“, betont Krieglstein. Wie soll der Weg dorthin aussehen? Die Rektorin will die Erneuerungs- fähigkeit der Universität stärken. Das ist die zentrale Vorgabe des Exzellenzwett- bewerbs. „Wir brauchen Mechanismen, die regelmäßig hinterfragen, ob das, was wir machen, ideal ist für die Ziele, die wir erreichen möchten.“ Wenn man Plan A probiere und feststelle, dass er nicht ans Ziel führe, dann müsse Plan B her. Oder Plan C, ohne Rücksicht auf Verluste. „Wir haben ja nicht unendlich viele fi nanzielle Ressourcen wie noch vor 40 oder 50 Jahren“, sagt Krieglstein. Die Blaupause für die Zukunft der Uni- versität vergleicht sie mit dem Pro- gramm, nach dem sich Nervenzellen entwickeln: Wenn sie wachsen, müssen sie fühlen, ob sie sich in die richtige Richtung bewegen. Mit kleinen, fi ligra- nen Fingerchen tasten sie ab, ob aus ei- ner Ecke positive oder negative Signale kommen. Wenn die Entscheidung gefal- len ist, richtet sich die ganze Mann- schaft der Nervenzellen danach aus und zieht mit. „Im Prinzip erwarten die Gut- achterinnen und Gutachter im Exzellenz- wettbewerb diese Art der Selbstanalyse auch von den Universitäten.“ Alle in eine Richtung: Kerstin Krieglstein setzt auf die Kraft der Community, auf die Power der Gemeinschaft. Sie will Strukturen fördern, von denen alle Mit- glieder der Universität profitieren. „Ich mache meine Entscheidungen nicht von einzelnen Personen abhängig, sondern davon, was für die gesamte Community am besten ist“, sagt sie. Mit diesem Wahlversprechen hat sie ihr Amt an- getreten, und daran will sie sich auch messen lassen. Rimma Gerenstein