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uni'leben 05-2011

Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de von Claudia Füßler „Ich will verstehen, dazu bin ich auf der Welt“, sagt Prof. Dr. Mi- chael Boppré und schwärmt gleich im nächsten Satz von einem der bekanntesten Verstehen-Woller in der Naturwissenschaft: „Charles Darwin war von Neugier getrieben, er hat Organismen gesammelt, Strukturen verglichen, Beziehun- gen in ihrer Gesamtheit betrach- tet. In der heutigen Wissenschaft dagegen wird Naturbeobachtung vernachlässigt.“ Dass den Chemo- ökologen vom Forstzoologischen Institut der Universität Freiburg diese Erkenntnis schmerzt, liegt vielleicht daran, dass Boppré aus ähnlichem Holz geschnitzt ist wie der britische Naturforscher. Er richtet seine wissenschaftliche Ar- beit nicht danach aus, wo es das meiste Geld für ein Forschungs- projekt zu holen gibt, sondern lässt sich oft von seiner Neugier leiten. Und hat so zum Beispiel herausgefunden, dass verschie- denste Insekten unabhängig vom Nahrungserwerb von bestimmten Pflanzen Giftstoffe aufnehmen. Diese so genannten Pyrrolizidin- Alkaloide speichern die Falter zum Schutz vor Feinden. Männchen verschiedener Schmetterlinge ent- wickeln daraus Sexualduftstoffe, mit denen sie die Weibchen be- tören. Klappt das, bekommen die Schmetterlingsfrauen quasi als Hochzeitsgeschenk die Alkaloide übertragen, so dass auch sie und später die Eier vor Räubern ge- schützt sind. Schmetterlinge mit Zucker in den Schuppen Boppré übernahm 1990 den Lehrstuhl für Forstzoologie an der Fakultät für Forst- und Umweltwis- senschaften. Seither untersucht er mit seinem Team Interaktionen zwischen Insekten und Pflanzen im evolutionsbiologischen Zusam- menhang. Ende September 2011 ist Boppré von seiner jüngsten Reise nach Costa Rica zurück- gekehrt, wo er mit Studierenden auf einer Schmetterlingsfarm unter anderem Nachtfalter untersuch- te. Im Gepäck hatte er Hunderte Falter und Pflanzenproben für La- boranalysen. Eines seiner Haupt- themen sind nach wie vor die Se- xualduftstoffe. Aber es kommen dank neugiergeleiteter Forschung immer wieder neue Aspekte hin- zu. Schmetterlinge zum Beispiel, die mit Zucker gefüllte Schuppen haben – warum? Oder eine Motte, die eine Art Rauch abgibt – was erreicht sie damit? Nichts in der Natur, sagt Michael Boppré, sei ohne Funktion. Man müsse nur of- fen sein und sich darauf einlassen, Neues zu finden. So haben die Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler quasi zufällig bisher unbekannte Parasitoide entdeckt, Fliegen, die sich in erwachsenen Faltern entwickeln. „Dieser Typ von Gegenspieler ist vermutlich wichtig für das Verständnis der Dynamik in Populationen. Gäbe es nicht Forscher wie ihn, wären die Parasitoide noch immer unent- deckt. Denn wie soll jemand nach etwas suchen, von dem er nicht weiß, dass es existiert? Wer so ergebnisoffen forscht, hat aber oft ein chronisches Geldproblem. Denn das Wissen- schaftssystem fördere vor allem Forschung, die schon vor Pro- jektbeginn Ziel und praktischen Nutzen der Untersuchungen ge- nau benennen könne und einen konkreten Zeitplan habe, sagt Boppré. „Woher aber soll ich wis- sen, welche Entdeckungen durch wissenschaftlich motivierte Neu- gier möglich sind? Das ist nicht planbar, genauso wenig wie ich vorhersagen kann, ob ich die pa- rasitierten Schmetterlinge, auf die wir zufällig gestoßen sind, nach einer Antragsbewilligung erneut finde, um sie gezielt erforschen zu können.“ Für große Drittmit- telprojekte reiche die Art seines Forschens nicht. „Neugier ist in diesen Zeiten irgendwie nicht in.“ Aber eine eigens gegründe- te gemeinnützige GmbH, die mit der Albert-Ludwigs-Universität kooperiert, und weitere Unter- stützung von der Freiburger Felix Morgenroth-Stiftung ermöglicht, mit neuen Ansätzen zu forschen und Studierende zu fördern. Der Nutzen der Forschung kommt unerwartet Dabei ist diese Art der For- schung alles andere als aus- schließlich lustbetont. Sie bringt durchaus gesellschaftlichen Nutzen, der nur nicht angekün- digt, sondern überraschend da- herkommt. Zum Beispiel halfen die von Boppré und seinem Team gewonnenen Erkenntnisse über das Liebesleben der Schmetter- linge dabei, in Afrika die Schäden einzudämmen, die Harlekinschre- cken in der Landwirtschaft anrich- ten. „Wir locken die Schädlinge zum Gift und bringen nicht das Gift in die Umwelt“, erklärt Bopp- ré. Er warnt davor, die klassische Biologie zu vernachlässigen, das könnte sich als nachteilig erwei- sen. „Was nützt es uns, wenn sich die Wissenschaftler mit Modellor- ganismen auskennen, Studierende heute aber nicht einmal mehr eine Eiche von einer Buche unterschei- den können?“, fragt der Biologe. Organismen müssten ganzheitlich und in ihren jeweiligen Beziehun- gen zur belebten und unbelebten Umwelt betrachtet werden. Mit Modellorganismen allein könne es kein Verständnis von Interak- tionen in Ökosystemen geben, und Grundlagen für nachhaltiges Ökosystem-Management können nicht gewonnen werden. Studierende von Michael Bopp- ré haben sich in Costa Rica von seiner wissenschaftlichen Neu- gieranstecken lassen. In Costa Rica ließen sie sich treiben von ihrer wissenschaftlichen Neugier. Wie kommunizieren Schmetterlin- ge eigentlich, hat sich einer von ihnen gefragt. Und ist mit einem Mikrofon losgezogen, um die Töne der Falter einzufangen. Verblüf- fend: Viele Motten zwitschern im Ultraschallbereich. 05 2011 Ausgebildet: Studentin jobbt als Rangerin auf dem Feldberg >S.10 Ausgesucht: 100 Jahre KG I in elf Bildern > S. 3 Ausgegraben: Archäologen legen Friedhof frei > S.5 Mit Neugier in die Feldforschung Falter nehmen von einer vertrockneten Pflanze Giftstoffe auf, die sie vor Feinden schützen und aus denen sie Sexualduftstoffe produzieren. Foto: Zaquini Der Freiburger Biologe Michael Boppré untersucht mit seinem Team Beziehungen zwischen Insekten und Pflanzen