12 menschen 02 2019 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de Gegen die Sprachlosigkeit Charlotte Großmann gehört zum Council der Maniacts und zum Regieteam der „Vagina Monologues“ hinter der Bühne agiert, sich um die Kostüme kümmert, Pressearbeit macht und Kontinuität garantiert, während das Ensemble selbst jedes Semester neu gecastet wird. Die 27Jährige ist für das Bühnenbild zuständig. Doch sie war auch bereits mehrfach Darstelle- rin, unter anderem in George Orwells „1984“ im Sommersemester 2017. Im vergangenen Wintersemester insze- nierte sie zusammen mit Sarah Busch, Maria-Xenia Hardt und Kai Wörner Enslers Sammlung von Monologen über das weibliche Geschlechtsorgan, die 1996 uraufgeführt wurde. Lust, Scham und Schmerz Warum kein anderes, jüngeres femi- nistisches Drama? „Das Stück ist nicht stehen geblieben“, erläutert Großmann, die sich selbst als Feministin bezeichnet. Denn Eve Ensler schreibt jedes Jahr ei- nen neuen Monolog, sodass die Ma- niacts aus einem ganzen Pool auswäh- len konnten, der sich mit den Aspekten von Lust, Scham und Schmerz, Themen wie Schwangerschaftsabbruch und Selbstbestimmung, aber auch mit Erfah- rungen von Gewalt und Erniedrigung befasst. Das Maniacts-Team, dem sich im letzten Semester zehn Schauspiele- rinnen und zwei Schauspieler anschlos- sen, setzte sich intensiv mit weiblicher Sexualität und mit Sexualität an sich auseinander. Die daraus entstandenen 23 Gründe, das Stück zu spielen, bilde- ten dann eine Art Vorwort. Einer dieser Gründe lautete: „weil meine Eltern den- ken, Schwulsein wäre eine Krankheit“. Was Großmann auch wunderte, war die große Sprachlosigkeit, wenn es darum ging, einen Namen für die Vagina zu finden, der weder klinisch noch vulgär klingt. Nicht ohne Grund erlebten die „Vagina Monologues“ zu Beginn der Amtszeit von Donald Trump eine Art Renaissance. Gerade das breite Spektrum von Enslers Stück sei identitätsstiftend. Es gebe, so Großmann, einerseits einen Rollback in der Gesellschaft und andererseits einen starken Partikularismus innerhalb des Feminismus. Sie erzählt, dass sie von Kommilitoninnen gefragt worden sei, ob man den Feminismus denn heute noch brauche. Als Antwort habe sie Missstän- de an der Universität aufgezählt, etwa die Schwierigkeit, Karriere mit Mutter- sein zu verbinden, oder die wenigen Be- rufungen von Frauen, die Studentinnen als Vorbild für den eigenen Lebenslauf dienen könnten. Die Frage nach dem „richtigen“ Leben Charlotte Großmann ist es gewohnt, ihre Argumente zu setzen. Die Politik ist ihr mindestens so wichtig wie das Theater. In ihrer Masterarbeit hat sie sich mit dem Konsum von Beruhi- gungsmitteln in der BRD der 1960er Jahre befasst, in ihrer Doktorarbeit in Geschichte wird es um Alkoholmiss- brauch gehen. Mentalitätsgeschichte, die Frage nach dem vermeintlich guten, dem „richtigen“ Leben interessiert sie. Großmann ist SPD-Mitglied und hat zweieinhalb Jahre in Gernot Erlers Freiburger Büro gearbeitet, sich an der Universität in der Juso-Hochschulgrup- pe engagiert. „Man lernt in der Hoch- schulpolitik, seine Anliegen zu präsen- tieren“, sagt sie. Etwa, als es bei der Gründung des Literaturhauses Frei- burg darum ging, den Anspruch der studentischen Theatergruppen auf eine Bühne anzumelden. Großmann gehörte zum Leitungsteam von FIST, der Freiburger Interessengemeinschaft für Studentisches Theater. Längst ist ein Modus Vivendi gefunden: Den studentischen Theatergruppen steht der alte Kinosaal im Rektoratskeller zur Verfügung, manchmal auch der Saal in der Alten Universität. Theater, Politik, ein Auslandssemester im russischen Twer: Charlotte Groß- mann hat sich die Freiheit genommen, die das Studium bietet. Eine Freiheit, die sie jedoch nicht als Selbstzweck ver- standen wissen will, sondern als Ver- pflichtung, denen eine Stimme zu geben, die selbst nicht zu Wort kommen. In seinem Selbstverständnis als Theologe fühlt sich Magnus Striet dazu verpflichtet, sich auch öffentlich zu äußern. FOTO: HAR ALD NEUMANN habe: „Man wollte das Amt schützen und war nicht bereit, Priester als Täter zu identifizieren.“ Striet ist Mitglied der Freiburger diözesanen Kommission „Macht und Missbrauch“, das Thema treibt ihn um. Mit solchen Äußerungen sorgt Striet für Aufsehen und Kritik; auch inner- halb seiner Fakultät teilen nicht alle Kolleginnen und Kollegen seine Über- zeugungen. Das gehöre dazu, sagt er. In seinem Selbstverständnis als Theo- loge sei er dazu verpflichtet, sich auch öffentlich zu äußern: „Den Gegendruck halte ich schon aus.“ Zumal Striet auch öffentlich gehört wird: Er ist regelmäßig Gast im Deutschlandfunk und schreibt für die ZEIT. Dabei geht es ihm um mehr als um provokante Einzelforderungen. Er sieht die katholische Kirche in einer grundlegenden Krise. Diese offenbare sich am krassesten im Missbrauchs- skandal, der systemische Gründe Die Kritik des Theologen ist grund- sätzlicher Art: Striet fordert einen Um- bau der hierarchisch strukturierten Kirche, deren „Gestalt und Identitäts- konstruktion“ zum Teil noch aus einem antimodernen Impuls des 19. Jahr- hunderts stammten. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren sei die Kirche nur teilweise in der Moderne angekommen. Jetzt brauche es dringend „klar organisierte Mitspracherechte für Nichtkleriker“. Das Lehramt der Bischöfe und des Papstes würde dadurch an Autorität verlieren, der Diskurs und auch die „Selbstakademisierung“ der Kirche durch eine „intellektuell satisfaktions- fähige Theologie“ hingegen an Gewicht gewinnen. „Und die drin- gendste Aufgabe auf der Ebene der Kirche besteht darin, sich endlich der Frauenfrage zu stellen“, sagt Striet. „Die Frage der Zulassung zum Amt darf dabei nicht ausgeklammert werden.“ Pyrotechnik als Weihrauch Religion bleibt gesellschaftlich ein großes Thema, da ist sich Striet sicher. Wissenschaftlich spannend seien deshalb „die Schnittstellen der Fakultäten“, die gemeinsame Arbeit etwa mit Kollegen aus Philosophie, Rechtswissenschaft, Medizin und Soziologie, die er auch zu den von ihm organisierten Freiburger Religi- onsgesprächen einlädt. Ihn interes- siert „die Gottesfrage zwischen Skep- sis und Sehnsucht“ und wie in einer pluralistischen Gesellschaft mit ihr umgegangen werden kann, welchen Platz Zweifel und Diskurse haben, wie friedliche Koexistenz gelingt und wel- che Rolle Fundamentalismen spielen – vor allem in den beiden christlichen Konfessionen. Striet macht es außerdem Spaß, zum Beispiel Elemente katholischer Inszenierungskunst in Fußballstadien wiederzufinden: „Pyrotechnik als Weih- rauch, Wechselgesänge, Pokale, Mär- tyrer – das ist alles da.“ Magnus Striet ist ein neugieriger Theologe. Schon während seines Studiums im wissen- schaftlich liberalen Münster hätten ihn vor allem Philosophen interessiert, „die die Fragen gestellt haben“, erzählt er, Friedrich Schelling zum Beispiel, Nietzsche, Hans Blumenberg. Für ihn sei eine offene Kirche näher am Evan- gelium als eine vorschreibende; Jesus habe darauf gedrungen, Menschen in ihrer Biografie ernst zu nehmen. „Sich radikal auf die Freiheitswürde einzulas- sen ist kein Gegensatz zur biblischen Tradition.“ Seit 2012 gehört Charlotte Großmann zum festen Kern der Maniacts, einer studen- tischen Theatergruppe des Englischen Seminars an der Universität Freiburg. FOTO: THOMAS KUNZ von Annette Hoffmann Eigentlich könnten die Mitglieder der Maniacts jetzt auch mal nichts machen. Alle sechs Vorstellungen ihrer Inszenierung von Eve Enslers „The Vagina Monologues“ im Februar 2019 waren ausverkauft. Mitsamt den Veranstaltungen, die die studen- tische Theatergruppe rund um das Stück organisiert hatte, erreichte sie gut 2.000 Leute. „Wir waren über- rascht und haben uns sehr über den Zuspruch gefreut – er zeigt, dass es ein Bedürfnis nach feministischen Stücken gibt“, zieht Großmann Bilanz. Sie gehört seit 2012 zum festen Kern der Maniacts, die vor mehr als 20 Jah- ren von Studierenden des Englischen Seminars gegründet wurden. Jedes Semester kommen sie mit einem englischsprachigen Stück heraus. Charlotte Großmann, die Slavistik und Geschichte studiert hat, ist Teil des Councils – so heißt die Gruppe, die Druck und Gegendruck Der Theologe Magnus Striet sieht die katholische Kirche in einer Krise, die sich vor allem im Missbrauchsskandal zeigt In der Tradition Kants und damit, wie er betont, auch in der Michel Foucaults stellt Striet Fragen – auch und gerade, wenn es um scheinbare Gewissheiten der katholischen Kirche geht. Kürzlich forderte er etwa, das Pflichtzölibat für Priester abzuschaf- fen. Immer weniger Männer seien be- reit, das Amt unter diesen Bedingun- gen zu übernehmen, für die es „keine überzeugende inhaltliche Begründung“ gebe. Deshalb fände er es „bedauer- lich, wenn sich die katholische Kirche aufgrund des Pflichtzölibats weiter selbst schwächte“. von Thomas Goebel Striets Schreibtisch A uf einem Regal neben Magnus liegt ein „KantHolz“: ein viereckiger Stab, der auf seinen Seiten die vier Grund- fragen Immanuel Kants trägt: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“ Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter haben es ihm geschenkt. Striet zeigt es gerne, ihm gefällt das Wortspiel – und natürlich die aufklä- rerische Haltung, der Appell Kants, selbst zu denken. Seit 2004 ist Magnus Striet Profes- sor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg. 2011 wurde er zusätzlich kooptiertes Mitglied der Phi- losophischen Fakultät, seit zwei Jah- ren trägt sein Arbeitsbereich die Be- zeichnung „Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie“. Striet beschäftigt sich ebenso mit der Lehre von der Allmacht Gottes wie mit religi- öser Sehnsucht in der Moderne, er hat Texte von Herbert Grönemeyer wis- senschaftlich analysiert und kann über Friedrich Nietzsche ebenso engagiert diskutieren wie über den SC Freiburg.