01 2020 01 2020 campus unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de Auf dem Boden bleiben oder in die Luft gehen? Zwei Forscherinnen der Universität Freiburg diskutieren über die Frage, wie sich Klimaschutz und Dienstreisen verbinden lassen 7 F O T O : S I M P L I N E / S T O C K . A D O B E . C O M Tourismus kann einen enormen ökologischen Fußabdruck hinter- lassen – das hat bei umwelt- bewussten Menschen zu einem Umdenken geführt. Doch was ist, wenn sich eine Flugreise nicht durch eine Bahnfahrt ersetzen lässt? Ob Konferenz, Feldfor- schung oder Sabbatical: Wenn Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler nicht mobil sind, können sie unter Umständen ein Vorhaben nicht umsetzen und den Anschluss an die internatio- nale Community verlieren. Die Scientists4Future Freiburg, eine Gruppe von Forschenden der A l b e r t- L u d w i g s - U n i ve r s i t ä t , haben 2019 eine Petition gestar- tet. Darin bitten sie die Hoch- schulleitung um klimabewusste Richtlinien. Sollten Wissen- schaftler ihre Forschungsinter- essen von geografischen Zielen abhängig machen? Und welche alternativen Formate für akade- mischen Austausch gibt es? Da- rüber hat Rimma Gerenstein mit zwei Forscherinnen diskutiert: Mareike Blum hat die Petition mitgestartet und promoviert über transnationale Klimapolitik. Für ihre Dissertation reiste sie nach Uganda. Judith Schlehe ist Professorin für Ethnologie. Seit mehr als 35 Jahren forscht sie regelmäßig in Indonesien. uni’leben: Frau Blum, Frau Schle- he, das Jahr 2020 ist noch jung, aber welche Dienstreisen haben Sie 2019 unternommen? Mareike Blum: 2019 war bei mir ein untypisches Jahr, denn ich war kaum auf Reisen. Ich habe mich aufs Schreiben meiner Dissertation kon- zentriert. 2018 allerdings war ich viel für die Feldforschung unterwegs. Ich habe ein Waldprojekt in Uganda besucht. Im letzten Jahr hatte ich die Möglichkeit, nochmal hin zu reisen, für eine Summer School. Zwei Wochen, alles bezahlt. Da habe ich abgewogen und gemerkt, dass es eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Ich habe auf die Reise verzichtet. Judith Schlehe: Für mich war es ein relativ typisches Jahr: In den Semesterferien im Winter bin ich für etwa vier Wochen nach Indonesien geflogen und habe dort Feldfor- schung betrieben. Im Sommer ge- schah allerdings etwas Untypisches: Zum ersten Mal habe ich Besuch von Freunden aus Indonesien bekommen. Normalerweise sind Studierende, Promovierende oder Kolleginnen und Kollegen hier zu Gast. Aber diesmal waren es Freunde, die ich seit 35 Jahren kenne. Sie leben in einem Dorf und konnten sich das Fliegen bisher nicht leisten. Frau Blum, ums Fliegen geht es vor allem in der Petition, die Sie mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern gestartet haben. Mareike Blum: Ja, wir wollten das Thema Dienstreisen und Umwelt- schutz auf die Agenda bringen, das sehen wir als Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Wir wünschen uns mehr Unterstütz ung von der Universität, wenn es um Dienstreisen geht, denn bisher be- wegt sich Vieles in einem Grau- bereich: Wenn zum Beispiel der Flug günstiger als die Bahnreise ist, muss ich dann das Flugzeug nehmen? Sie hätten also gerne so etwas wie Handlungsempfehlungen? Mareike Blum: Genau. Eine andere Möglichkeit wäre auch, mit einem Rei- seunternehmen zusammenzuarbeiten, das auf internationale Bahnreisen spezialisiert ist. Es gibt auch alterna- tive Formate, die das Reisen an sich ersetzen. Videokonferenzen müssten viel mehr zu Common Practice wer- den. Wir brauchen mehr Konferenz- räume mit entsprechender Technik und geschultem Servicepersonal. Mareike Blum plädiert dafür, lieber auf eine dreitägige Konferenz zu verzich- ten, anstatt einen langen Flug in Kauf zu nehmen. FOTOS: JÜRGEN GOCKE Judith Schlehe: Ich stimme Ihnen zu: In die nähere Umgebung oder inner- halb Europas können wir mit dem Zug reisen. Doch bei den digitalen Formaten muss ich widersprechen. Ich war letztes Jahr bei einer großen Asien-Konferenz im niederländischen Leiden. Eine Kolle- gin war per Video zugeschaltet. Die Ver- bindung war so schlecht, dass ich mir den Vortrag gar nicht anhören konnte, und auch eine Diskussion kam anschlie- ßend nicht zustande. Es geht bei Ta- gungen ja darum, dass ich eine Person wirklich erlebe und mit ihr in den Kaff ee- pausen sprechen kann. Das ist für un- sere Arbeit unheimlich wichtig, das ist Networking. Mareike Blum: Aus solchen Begeg- nungen können sich tolle Projekte ent- wickeln, und gerade als junge For- scherin ist es mir wichtig, mich mit Kollegen zu vernetzen. Aber man weiß im Vorfeld einer Konferenz nie, was sich tatsächlich ergibt. Da wird man auch oft enttäuscht. Wir wollten mit unserer Petition vor allem einen Refl e- xionsprozess anstoßen. Ein Refl exionsprozess wird un- terschiedliche Ergebnisse zutage fördern: Die einen verzichten auf eine Konferenz, die anderen beste- hen darauf, für zwei Tage nach Berlin zu fl iegen. Mareike Blum: Die Entscheidung soll selbstverständlich bei jeder und jedem Einzelnen liegen. Aber ich glaube, dass es ein Wechselspiel zwischen der per- sönlichen Ebene und dem institutionellen Rahmen ist. Wenn mehr Ansagen von der Universität kommen, machen sich die Leute auch mehr Gedanken. Judith Schlehe: Solche Ansagen sollten aber nicht nur von der Univer- sität kommen, sondern vor allem von Land und Bund. Wir Forscherinnen und Forscher können zum Beispiel keine Kompensationszahlungen für Flugreisen abrechnen – weder bei der Universität noch bei Drittmittelgebern. Frau Schlehe, Sie haben Ihre Dissertation in den 1980er Jahren geschrieben. Damals dominierte die Angst vor dem „Waldsterben“ die Umweltdebatte. Spielte der Klimaschutz eine Rolle bei der Wahl Ihrer Forschungsinteressen? Judith Schlehe: Überhaupt nicht. Darf es auch nicht, und das gilt nicht nur für mein Fach, sondern für alle Diszipli- nen. Mein Lieblingsprojekt ist ein Aus- tauschprojekt, bei dem deutsche Studie- rende nach Indonesien reisen und Studierende aus Indonesien nach Deutschland kommen, um auch über uns zu forschen. Diese Beteiligung, die- se Begegnungen und Erfahrungen sind unverzichtbar. Und leider gibt es bisher keine bessere Lösung dafür als diese blöden Flugzeuge. Mareike Blum: Das Problem ist auch, dass unser System es nicht zu- lässt, dass wir uns für das Reisen Zeit nehmen. Wir sind permanentem Zeit- druck ausgesetzt. Es gab vor einigen Jahren einen Trend hin zum „Slow Food“. Ich frage mich, ob wir auch beim Reisen einen kulturellen Wandel hinbe- kommen: „Slow Travel“. Dass Feldfor- schung nicht ersetzbar ist, kann ich unterschreiben. Aber ich plädiere da- für, dass man einen Aufenthalt so ge- staltet, dass er sich auch lohnt. Wie könnte das aussehen? Mareike Blum: Nicht nur für drei Tage zu einer prestigereichen Konfe- renz in die USA fl iegen, sondern ver- suchen, verschiedene Sachen mitein- ander zu verbinden. Ich habe zum Beispiel zwei Monate Feldforschung in Uganda betrieben und dann noch drei Wochen Urlaub dort gemacht. Und wenn Sie heute nochmal das Thema Ihrer Dissertation wählen könnten? Mareike Blum: Vielleicht würde ich dann nicht in Uganda forschen, sondern stattdessen ein Waldprojekt in Rumänien besuchen. Aber es än- dert nichts daran: Wenn man sich mit internationaler Klimapolitik befasst, braucht man beide Perspektiven: die globale und die lokale. Sonst fehlt einem die Hälfte der Geschichte. Es gibt auch radikalere Stimmen, die eine neue Art von Wissenschaft for- dern: Renommee soll nicht die glo- bale, sondern die lokale Forschung bekommen. Judith Schlehe: Das wäre der Hor- ror. In einer globalen Welt können wir nicht sagen: Die Wissenschaft hält sich aus allem raus, was man nicht mit dem Fahrrad erreichen kann. Ich finde es schade, wenn so viel Energie darauf aufgewendet wird, die Reisen zur Feldforschung zu kritisieren. Bringt es etwas, wenn ein paar Kolle- gen weniger nach Asien und Latein- amerika fliegen? Mareike Blum: Wir können ja nicht perfekt sein, wir müssen auch weiter- hin reisen. Aber wir können das Problem nicht länger ignorieren. Wir müssen uns bewusst machen, wie pri- vilegiert wir Forschende aus den rei- chen Industrieländern sind. Unsere Kollegen aus dem Globalen Süden haben nicht die Möglichkeit, ständig herumzureisen. Das ist eine generelle Asymmetrie. Judith Schlehe: Das könnte man aber auch umgekehrt sehen. Ich denke da an die Konferenz in Leiden. Dort wa- ren mehr als die Hälfte der Teilnehmen- den aus Asien. Endlich sind nun die Ressourcen da, um zu reisen und sich einzuklinken. Jetzt sagen wir aber: „Klimapolitisch ist das ganz schlecht, bleibt bitte zu Hause.“ Mareike Blum: Ich finde es gut, dass mehr Austausch auf Augen höhe stattfi ndet. Trotzdem bildet sich dann eine globale Elite von reichen Men- schen, die mehr Ressourcen ver- braucht als die anderen. Wenn wir drei Planeten hätten, könnten wir so einen Lebensstil führen. Judith Schlehe: Ich kenne Kollegen, die für drei Tage nach Asien oder in die USA reisen. Wir dürfen sie dafür nicht an den Pranger stellen. Im Gegenteil: Ich bewundere es, dass sie diese Strapazen auf sich nehmen. Wir brauchen vor allem neue Technologien für die Mobilität. Mareike Blum: Digitale Konferen- zen sind ein Beispiel. Judith Schlehe: Aber doch nicht, wenn es um Feldforschung geht. Wir untersuchen ja nicht einen Ausschnitt auf dem Bildschirm, sondern den All- tag, die gesamte Lebenswirklichkeit. Dazu gibt es keine Alternative. Judith Schlehe bewundert es, wenn Kollegen die Strapazen einer langen Reise auf sich nehmen, um sich an einer Tagung zu beteiligen. Mareike Blum: Welche Techno- logie soll das sein? Judith Schlehe: Andere Flugzeuge. Wenn wir imstande sind, jemanden auf den Mond zu schicken, müssen wir es doch auch hinbekommen, umwelt- freundlichere Flugzeuge zu bauen. Mareike Blum: Ich bin da skep- tisch. Das bedeutet, wir verlassen uns auf die Technologie, behalten aber den Status quo bei und hinter- fragen nicht unsere Praktiken. Was halten Sie im Hinblick auf klimafreundliche Forschung für die Zukunft für wesentlich? Judith Schlehe: Diese Problema- tik zieht sich durch alle Ebenen un- serer Existenz. Da könnten wir ein schlechtes Gewissen haben, allein weil wir leben. Aber wir wollen ja das Gegenteil: das Leben feiern und die notwendigen Dinge für unsere For- schung tun. Das bringt die globale Community voran. Mareike Blum: Ein schlechtes Gewissen kann auch ein guter An- trieb sein. Wir wollen doch, dass auch zukünftige Generationen die Chance haben, das Leben zu feiern – das geht nicht, wenn der Planet drei Grad wärmer ist. Diese Generationen müssen immer ein Teil unserer Über- legungen sein.