03 2020 03 2020 kompass 9 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de Booksmart In der Serie „Booksmart“ ziehen Freiburger Forscherinnen und Forscher Argumente aus ihrer jeweiligen Disziplin heran, um Fragen des Alltags zu beantworten. Argumente gegen Aluhüte F O T O : P O I I N T M A G E S / S T O C K . A D O B E C O M . Die Corona-Pandemie befeuert Verschwörungstheorien – wieso verfallen manche Menschen abstrusen Geschichten? Seit Jahresbeginn strapaziert nicht nur Sars-CoV-2 die menschliche Psy- che. Mit dem Virus bahnten sich auch viele Verschwörungstheorien den Weg in die Welt. Woher kommt der plötzli- che Hang zu solchen Narrativen? Und was soll man tun, wenn die Nachbarin oder der Nachbar plötzlich Bill Gates für Corona verantwortlich macht? Auf solche Fragen versucht Deborah Wolf, Doktorandin am Graduiertenkolleg „Faktuales und fi ktionales Erzählen“ der Universität Freiburg, zu antworten. Sie erforscht aktuell Verschwörungs- theorien zu den Anschlägen des 11. September 2001. Stephanie Streif hat mit Wolf darüber gesprochen, was Verschwörungstheorien so attraktiv macht und was sie über diejenigen aussagen, die sie verbreiten. Deborah Wolf: Die Verschwörungsthe- orien erzählen in der Regel von einer Gruppe, die im Geheimen einen bösen Plan verfolgt, meistens zum Schaden der Mehrheit. Allerdings fi nde ich, dass diese Defi nition zu kurz greift. Demnach wären zum Beispiel auch die Enthüllungen von Edward Snowden eine Verschwörungs- theorie. Aber das sind sie nicht. Der Be- griff sollte darum um eine diskursive Kom- ponente erweitert werden. Denn das, was wir als Verschwörungstheorie bezeichnen, wird von der Gruppe, die sie verbreitet, als etwas Großes wahrgenommen, das man dem Mainstream entgegensetzt. Den sehr negativ behafteten Begriff „Ver- schwörungstheorie“ benutzt diese Grup- pe natürlich nicht, sondern beansprucht für sich, die Wahrheit zu verkünden. Sind Verschwörungstheorien ein neues Phänomen? uni’leben: Frau Wolf, was genau versteht man unter einer Verschwörungstheorie? Nein, es gibt sie schon mindestens seit der Aufklärung. Ob es sie auch schon im Mittelalter gab, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Interessant ist, dass neue Verschwörungstheorien oft mit einem Medienwechsel einhergehen. Ändern sich die Medien, die wir nutzen, ändern sich auch die Verschwörungsthe- orien. Mit dem vergleichsweise jungen Medium Internet sind also neue Ver- schwörungstheorien in die Welt gekom- men, die es so vorher noch nicht gab. Sind sie durch die starke und schnelle Verbreitung im Netz heute einfl ussreicher als früher? Nicht unbedingt. Im Nationalsozialis- mus zum Beispiel wurden Verschwö- rungstheorien wie die von der „jüdischen Weltverschwörung“ von der Obrigkeit verbreitet, natürlich analog. Und wir wis- sen, wozu das geführt hat. Anders als damals haben wir heute vor allem Ver- schwörungstheorien, die sich gegen eine Elite oder gegen eine Regierung richten. Warum haben Verschwörungs- theorien gerade Konjunktur? Es war schon immer so, dass es in Krisenzeiten mehr Verschwörungstheo- rien gab, denn diese sind immer auch eine Reaktion auf Ängste und darauf, dass Menschen die Welt plötzlich als undurchschaubar erleben. Auch ich ha- be es bei der Flut von Informationen über Corona oft nicht geschafft, den Überblick zu behalten. Und natürlich ist das ein unangenehmes Gefühl. Manche Menschen halten dieses Gefühl besser aus als andere. Um diesem Zustand et- was entgegenzusetzen, suchen sie nach einfachen Erklärungen, die in ihr eben- falls einfaches Weltbild von Gut und Böse hineinpassen. Was mache ich, wenn mir mein Cousin oder Nachbar plötzlich er- zählt, dass hinter der Pandemie Bill Gates stecke, der alle Menschen zwangsimpfen wolle? Die inhaltlichen Diskussionen bringen oft nichts. Natürlich hängt es immer davon ab, wie weit Ihr Cousin oder Nachbar schon abgedriftet ist. Kein Mensch wacht morgens mit den absurdesten Verschwö- rungstheorien im Sinn auf. Anfangs kann eine Diskussion also schon noch etwas bringen. Grundsätzlich kann man immer fragen: Warum glaubst du das? Oder man verweist auf Fakten. Wenn das aber alles nichts mehr bringt und die Konfrontation zur Belastung wird, sollte man Grenzen setzen. Das gilt auch dann, wenn men- schenverachtende Weltbilder sichtbar werden, wie es bei Verschwörungstheori- en häufi g der Fall ist. Das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Warum ist die inhaltliche Debatte so schwierig? Verschwörungstheorien haben ihre eigene Rhetorik, ihre eigenen Argu- mentationsstrukturen, die sie gegen Kritik immunisieren. Gegenargumente gelten als gefälscht, und viele Angriff e werden auch dadurch abgewehrt, dass etwas nicht ordentlich diskutiert wird; es wird eher von Punkt zu Punkt gesprun- gen. Hinzu kommt, dass Verschwö- rungstheorien sehr stark an das Selbst- bild ihrer Anhängerinnen und Anhänger gebunden sind. Sie sind überzeugt da- von, anders als der große Rest die Wahrheit erkannt zu haben und zu den Guten zu gehören. Bestärkt wird dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit durch die Community im Netz, die genauso denkt. Welcher Verschwörungstheorie folgen Sie eigentlich? Das werde ich von Bekannten häufi g gefragt. Stand heute würde ich sagen: noch keiner. Ich weiß aber, dass Ver- schwörungstheorien oft sehr überzeu- gend präsentiert werden. Und kohärent, also in sich stimmig, sind sie auch. Nur – die Welt ist oft ganz anders. Sie ist wi- derborstig und widersprüchlich. Und nur weil aus einer Perspektive etwas logisch erscheint, muss es noch lange nicht wahr sein. Das muss man sich im- mer wieder vor Augen führen. Wie kann ich mir sicher sein, dass das, was Sie mir jetzt erzählt haben, auch stimmt? „Nur weil aus einer Perspektive etwas logisch erscheint, muss es noch lange nicht wahr sein“, sagt Deborah Wolf. FOTO: KLAUS POLKOWSKI Wissenschaft hat bestimmte Quali- tätsstandards. Und dazu gehört auch, dass es verschiedene Meinungen zu ei- nem Thema geben kann. Und dass sich bestimmte Hypothesen oder Theorien auch als falsch herausstellen können. Das unterscheidet Wissenschaft von Verschwörungstheorien, denn diese las- sen keine Gegenbeweise zu. Um mehr über mich zu erfahren, könnten Sie zum Beispiel auf der Website der Uni nachle- sen, wozu ich forsche und ob ich meine Forschungsergebnisse schon in seriö- sen wissenschaftlichen Magazinen pub- liziert habe. Das könnte Ihnen die nötige Sicherheit geben. Eine hundertprozentige Absicherung gibt es aber nie. Bloggen gegen das Klischee der Brotlosigkeit Ein Onlineratgeber zeigt Studierenden der Geistes wissenschaften beruf liche Perspektiven auf von Dietrich Roeschmann Meistens stellt sich dieses Gefühl irgendwann während des Studi- ums ein. Wie ein leiser Luftzug umweht es einen dann plötzlich, als stünde irgendwo ein Fenster off en, durch das die Fragen hereinströmen: Wofür stu- diere ich eigentlich, was ich studiere? Welche Möglichkeiten werde ich damit einmal haben? Gibt es überhaupt Jobs für mich? Ina Kuhn und Julia Dornhöfer, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg, kennen dieses Gefühl. Und sie wissen, dass es gerade Studierende der Geisteswissenschaften irgendwann packt, die nicht für einen bestimmten Beruf ausgebildet werden. Zusammen betreuen die beiden das Onlineprojekt „Blog The Job“. „Wir wol- len damit Berufsperspektiven für Absol- ventinnen und Absolventen der Kultur- wissenschaft und Kulturanthropologie sichtbar machen“, sagt Kuhn, „und zwar in einem Format, das die Studierenden erreicht und den Austausch fördert“. Im Sommersemester 2018 hat sie den Blog als Projekt des Praxisseminars „Digitale Kommunikation und Berufsper- spektiven“ mit Studierenden des Insti- tuts auf den Weg gebracht. Tipps und Essays Schon der erste Beitrag brach mit dem Klischee von der brotlosen Wis- senschaft, die nur zum Taxifahren be- fähige. Ein Wirtschaftsprüfer erzählte in einem Interview, warum Unterneh- men, die erfolgreich sein wollen, die Expertise und die fachübergreifenden Sozialkompetenzen von Geisteswis- senschaftlerinnen und Geisteswissen- schaftlern brauchen: „Sie sind darin ausgebildet, Problemsituationen in ihrer Komplexität zu erkennen und da- raus Lösungsoptionen zu entwickeln.“ Es geht um Soft Skills, Teamfähigkeit, emotionale Intelligenz, starke Kommu- nikationskompetenz und Kreativität. Gut 80 Posts finden sich heute in dem Blog. In ihnen geht es um grund- sätzliche Fragen der berufl ichen Ori- entierung, um Erfahrungen während Erasmus-Semestern, um Praktika, Vo- Bunte Presseschau: Die Arbeit in Redaktionen von Zeitungen und Magazinen ist bei Geistes- wissenschaftlern ein beliebtes Berufsbild. T H O M AS K U N Z lontariate und Nebenjobs, aber auch Berufsfelderkundungen in Redaktio- nen, Museen, Pressestellen, Kultur- zentren oder bei Filmfestivals. Der Blog gibt nicht nur Tipps für die Jobsu- che oder für Bewerbungen, sondern bietet Autorinnen und Autoren auch Raum für Essays, zum Beispiel über Genderpolitik und soziale Ungleichheit. Diese kurzweilige Mischung gibt Nut- zerinnen und Nutzern der Plattform eher das Gefühl, in einem gut gepfl eg- ten Onlinemagazin zu stöbern, anstatt ihnen den Eindruck zu vermitteln, sie klickten sich durch einen Karriereratge- ber. Das ist kein Zufall, denn das Pro- jekt setzt auf die Erweiterung des Hori- zonts – nicht nur der User, sondern auch der Studierenden, die den Blog im Seminar produzieren. „Ganz im Sinne der praxisorientierten Lehre können sie hier die Grundlagen des Bloggens er- lernen, den Umgang mit Wordpress oder die Arbeit im Redaktionsteam“, sagt Julia Dornhöfer. „Auf der Suche nach einem Job kann das dann wiede- rum eine gute Referenz sein.“ Mit diesem Konzept ist „Blog the Job“ in der deutschen Hochschulland- schaft eines der wenigen nachhalti- gen Projekte seiner Art. Nach dem erfolgreichen Aufbau des Portals, das mit Mitteln aus dem Studieren- denvorschlagsbudget gefördert wird, wollen Kuhn und Dornhöfer nun an der Erhöhung der Reichweite arbei- ten und werben für aktive Mitarbeit. „Wir sind offen für Gastbeiträge“, sagt Dornhöfer, je mehr, desto besser. „Wenn wir den Studierenden der Kul- turanthropologie und der Europäi- schen Ethnologie zeigen, wie vielfäl- tig ihre Berufsperspektiven sind, stärken wir damit auch unser Fach.“ www.blog-the-job.de