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uni'wissen 01(3)-2011

Interessiert es, welche Hautfarbe ein Fußball- spieler hat, wenn er seinen Verein mit drei großartigen Toren in die höhere Liga schießt? Müssen Frauen, die Fußball spielen, immer noch so stark um Anerkennung kämpfen wie vor zehn oder zwanzig Jahren? Und wird einem Topspie- ler in der Nationalmannschaft eher nachgesehen, dass er schwul ist, als einem Mittelklassespieler in der Regionalliga? Das sind nur einige der Fragen, die Nina Degele interessieren. Die Professorin für Soziologie und Geschlechterforschung an der Uni­ versität Freiburg hat sich mit ihrem jüngsten, von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Projekt aufs Spielfeld begeben – im übertragenen Sinne. Sie will herausfinden, ob und wie Rassismus, Sexismus und Homophobie im Fußball mit­­ einander zusammenhängen. Wenn sich verschie- dene Aspekte der Ungleichheit und Diskrimi­ nierung überschneiden, sprechen Soziologinnen und ­Soziologen von Intersektionalität. Dieses For­ schungsparadigma ermöglicht es, die einzelnen Dimensionen von Ungleichheit und ihre Bedeu- tung genauer unter die Lupe zu nehmen. Schwul, aber Topspieler Die soziologische Perspektive sucht nach den gesellschaftlichen Bedingungen: Wie ist das Geld verteilt? Welche Rolle spielt die Position, die jemand hat? Und welche sein Geschlecht? Wie wirken sich Alter, körperliche Fitness und die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder einer Generation aus? Der natürliche Feind von Nina Degele ist daher die Verallgemeinerung. „Bei Sätzen wie ‚Männer sind aggressiver‘ sehe ich rot“, sagt die Wissenschaftlerin, „das ist so ver- kürzt, dass es nur falsch sein kann.“ Auch die Behauptung „Frauen werden benachteiligt“ sei viel zu kurz gegriffen. „Schaut man sich näher an, wie zum Beispiel eine dunkelhäutige Managerin und eine hellhäutige Angestellte benachteiligt werden, kommen zur Dimension des Geschlechts die der Ethnizität und die der Klasse hinzu“, ­erklärt Degele. Diese „großen Drei“ – Klasse, Ethnizität, Geschlecht – bilden den Kern der ­Intersektionalität. Allein diese drei Variablen einzubeziehen ist komplex genug. Degele und ihre Kollegin Prof. Dr. Gabriele Winker von der TU Hamburg-­ Harburg haben in ihren Arbeiten eine vierte ­Dimension hinzugefügt: die des Körpers. Damit wird die ­Intersektionalität zu einer vielschich­ tigen und, wie Degele sagt, „durchaus sehr kom- plizierten“ Angelegenheit. Denn die Soziologie interessiert nicht nur, wie stark die einzelnen Faktoren Einfluss nehmen, sondern auch, wie sie sich womöglich gegenseitig verschieben oder gar ersetzen. Kann zum Beispiel ein junger Mann, der aufgrund seiner Klassenzugehörig- keit ausgegrenzt wird, das durch körperliche ­Fitness wieder wettmachen? Nirgendwo ist das so gut nachvollziehbar wie im Mikrokosmos ­Fußball. Er ist öffentlich, populär und in vielerlei Hinsicht ein Abbild der Welt: „Bei Frauen ­besteht der Tabubruch ja schon allein darin, dass sie diese sehr stark mit Männlichkeit assoziierte Sportart überhaupt betreiben, während homo­ sexuelle Männer im Fußball das Tabu schlecht- hin sind.“ Reizvoll wäre es zu fragen, ob das ­gesellschaftliche Stigma der Homosexualität zum Beispiel durch den Status kompensiert ­werden kann. Um das herauszufinden, haben Degele und ihre Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter zu Gruppendiskussionen eingeladen: das lesbi- sche Frauenteam und den antirassistischen Fanclub, den katholischen Kirchenchor, der nur hin und wieder kickt, und die regelmäßig aktiven Freizeitkicker, Kinder, Migrantinnen und alte Herren. So unterschiedliche Positionen diese Menschen in der Gesellschaft haben – sie alle eint der Fußball. 21uni'wissen 03