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uni'wissen 02(4)-2011

die weißen Flecken auf der Landkarte aber im- mer kleiner: Christoph Kolumbus entdeckt zufällig Amerika, Vasco da Gama landet mit seiner Flotte in Indien, James Cook nimmt Kurs auf Neusee- land und fährt bis nach Australien, David Living­ stone durchquert Afrika und erforscht die Kala- hariwüste. „Die Wunder am Rande der Welt zu vermuten war im 19. Jahrhundert nicht mehr plausibel, weil es den Rand der Welt nicht mehr gab.“ Stattdessen bemerkt Adamowsky einen Wan- del: Im 19. Jahrhundert verorten die Zeitgenossen Wunder nicht mehr auf der horizontalen, son- dern eher auf der vertikalen Achse. Besonders das Flugzeug wird in Wissenschaft und Literatur als das ultimative Wunder dargestellt. Mit dem Fliegen werde es der Menschheit eines Tages gelingen, Raum und Zeit zu überwinden, heißt es in den Texten. Über dieses „klassische Mirakel“, die Eroberung und Erkundung des Himmels, schrieb Natascha Adamowsky 2009 ihre Habili- tation an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2012 soll ihr Buch über das Meer, das andere Ende der Wunderachse, erscheinen. Darin ­beschreibt sie, wie die Unterwasserwelt die Menschen inspirierte und irritierte. Urzelle, Urschleim, Ursprung Ein Beispiel: Im 19. Jahrhundert entdecken Archäologen Skelette gigantischer Dinosaurier, die einst die Erde beherrschten, aber aus einem scheinbar unerfindlichen Grund ausgestorben Prof. Dr. Natascha ­Adamowsky hat an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. 1998 wurde sie mit einer Arbeit über „Spielfiguren in virtuellen Welten“ an der Universität Siegen promo- viert. 1999 wechselte sie ans Kulturwissenschaftli- che Seminar der Humboldt- Universität zu Berlin. Dort wurde sie 2009 mit einer Arbeit über „Das Wunder in der Moderne“ habilitiert. Seit 2011 hat Adamowsky die Professur für Medien- kulturwissenschaft an der Universität Freiburg inne. Zu ihren Schwerpunkten gehören Medienästhetik und Wissenskultur, practice as research/theory as practice (Epistemologie der Partizipation), Dispositive des Findens und Zeigens in künstlerischen wie wissen- schaftlichen Forschungs- prozessen, Mobilität des Digitalen und Ubiquitous- computing-Anwendungen im Modus des Spiels. Zum Weiterlesen Adamowsky, N. (2010): Das Wunder in der Moderne. Eine andere Kulturgeschichte des Fliegens. Paderborn. Adamowsky, N. (2006): Annäherungen an eine Ästhetik des Geheimnisvollen. Beispiele aus der Meeresforschung des 19. Jahrhun- derts. In: Ästhetik in der Wissenschaft. Sonder- heft 7 der Zeitschrift für Ästhetik und Allge- meine Kulturwissenschaft, S. 219 – 232. Adamowsky, N. (2003): Das Wunderbare als gesellschaftliche Aufführungspraxis – Experi- ment und Entertainment im medialen Wandel des 18. Jahrhunderts. In: Steigerwald, J./ Watzke, D. (Hrsg.): Reiz, Imagination, ­Aufmerksamkeit. Erregung und Steuerung von Einbildungskraft im klassischen Zeitalter (1680 – 1830). Würzburg, S. 165 – 186. waren. „Das hat die Menschen zutiefst erschüt- tert“, sagt Adamowsky. „Seither kursiert der ­Topos der verlorenen Welt, die man mit dem ver- lorenen Paradies gleichsetzte. Man vermutete den Ursprung des Lebens am Grunde des Mee- res. Da kreuzte sich die Ideengeschichte mit der geografischen Eroberung.“ Nun waren es nicht mehr nur Monster und Ungeheuer, die man auf dem Grund der Weltmeere vermutete, sondern die „Antwort auf die größte aller Fragen“: die ­Urzelle, den Ursprung des Lebens. Schließlich haben alle Pflanzen, Tiere und Menschen im Wasser ihren Anfang genommen. Der britische Biologe Thomas Henry Huxley sorgte 1868 für einen Höhepunkt der Wundereuphorie: Er meinte, den Urschleim, eine Art Protoplasma, entdeckt zu haben – in Proben vom Meeresgrund, die in Alkohol konserviert waren. So einfach ließ sich das Rätsel um den Ursprung des Lebens aber nicht lösen: Der Chemiker John Buchanan wies im selben Jahr nach, dass es sich lediglich um einen Niederschlag von Calciumsulfat handelte, der bei einer Mischung von Seewasser und Alko- hol entsteht. Wenn Natascha Adamowsky im Meer schwimmt, kreisen ihre Gedanken übrigens nicht um Riesenkraken und den Urschleim. Aber sie erinnert sich an eine Tiefseeausstellung, die sie einmal in Hamburg gesehen hat: Dort stand ein Stückchen weißer Würfelzucker neben einem riesigen blauen Kubus – als Hinweis darauf, wie viel Menschen heute über die Tiefsee wissen und wie viel noch unbekannt ist. Abenteuer Tiefsee: Jules Vernes Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ hat Leser schon im 19. Jahrhundert fasziniert. Foto: Wikimedia Commons 31