uni wissen 01 2018 5 Vielseitig einsetzbar: Faserverbundmaterialien sind leichte und zugleich feste Werkstoffe, die sich für eine breite Produktpalette eignen. Fotos: tiero/Fotolia, Michael Rosskothen/Fotolia, pattilabelle/Fotolia, Montage: Jürgen Oschwald eine große Kraft auf ein Material, kann sie darin mikroskopisch kleine Risse hervorrufen. Diese Risse können sich bei weiterer Belastung immer weiter entwickeln, sodass das Material schließ- lich zerbricht. Um dies zu vermeiden, lassen sich Kunststoffe mit hochfesten Fasern verstärken. Trifft nun ein Riss auf eine derartige stabile, in den Kunststoff eingebettete Faser, wird die Kraft quer zur ursprünglichen Richtung abgelenkt und auf ein größeres Volumen verteilt. „Die Energie, die in den Werkstoff hineinkommt, verteilt sich, die Kraft an der Spitze des Risses wird schwächer, ein Bruch wird verhindert“, erklärt Rühe. Die Fasern, die dies bewirken, haben nur einen Durchmesser von etwa zehn Mikrometern, was einem Zehntel eines menschlichen Haares entspricht. Bei Kurzfasermaterialien liegen viele einzelne Fasern von etwa 200 Mikrometer Länge kreuz und quer im Kunststoff. „Eine solche Anordnung ist sinnvoll, wenn die Kraft, die auf das Material einwirkt, aus verschiedenen Richtungen kommen kann“, sagt Rühe. Ist die Kraftrichtung dagegen mehr oder weniger konstant, eignen sich Langfasermaterialien: In ihnen können die Fasern mehrere Zenti meter lang sein, zu einer Matte ge- fl ochten und senkrecht zur Belastungsrichtung angeordnet werden. Dennoch bleibt eine Schwachstelle: Bei her- kömmlichen Faserverbundwerkstoffen umschließt der Kunststoff die Fasern, und die beiden Materia- lien haften nur durch physikalische Wechsel- wirkung aneinander. Daher bietet die Grenzfl äche zwischen ihnen, also ausgerechnet die Stelle, an der bei Materialbelastung die eingehende Kraft umgelenkt wird, einen Angriffspunkt für Brüche. Das Ziel bestehe also darin, die Haftfestigkeit zu erhöhen, betont Rühe: „Wir haben dafür einen molekularen Klebstoff entwickelt, der eine chemische Bindung von der Faser zur Matrix be- wirkt.“ Um diese Art von Bindung aufzubrechen, ist wesentlich mehr Kraft nötig – der Verbundwerk- stoff kann Belastungen besser standhalten. Vollkommene Vernetzung Rühes Klebstoffbeschichtung ist nur etwa zehn Nanometer dick, was etwa einem Zehntausendstel eines menschlichen Haares entspricht. Sie besteht aus Kunststoffmolekülen mit reaktions- freudigen Gruppen, die an das erste andere Molekül, auf das sie treffen, chemisch binden – allerdings erst, nachdem sie mittels Wärme oder Licht aktiviert wurden. Also braucht es drei Schritte: „Wir überziehen die Fasern mit der Be- schichtung, umhüllen sie dann mit Kunststoff und aktivieren schließlich die reaktionsfreudigen Gruppen“, erklärt Rühe. Das Resultat ist die vollkommene Vernetzung: Die aktivierten Gruppen gehen chemische Bindungen mit Molekülen innerhalb der Beschichtung, an der Faserober fl äche und an der Matrixoberfl äche ein. „Die Faser bekommt eine Art Tarnkappe – die Be- schichtung sieht für den Kunststoff genauso aus wie der Kunststoff selbst, und die Bindungen zwischen beiden sind genauso stabil wie die- jenigen innerhalb der Matrix.“ Das neuartige Verfahren hat einen weiteren Vorteil: Wird ein schmelzbarer oder löslicher Kunststoff verwendet, ist es möglich, ihn wieder sauber von den Fasern zu trennen und diese zu recyceln. Die nächste Beschichtung wird dann einfach über die alte aufgetragen und vernetzt sich mit dieser wiederum über chemische Bindungen. „Das ist ein bisschen wie bei Bohnerwachs, das man aufträgt, wenn Parkett stumpf geworden ist: Die Schicht wächst zwar im Laufe der Zeit an, aber da sie bei unseren Fasern molekular dünn ist, spielt das im Verhältnis zur Gesamtabmessung der Faser keine Rolle.“ Die Faser kann anschließend in eine neue Matrix eingebettet werden, wohingegen sich der ab- gelöste Kunststoff wieder neu verarbeiten lässt. Um herauszufi nden, welche Kombinationen von Fasern, Kunststoffen und Beschichtungen die leistungsfähigsten Werkstoffe hervorbringen, kooperiert Rühe mit dem Freiburger Fraunhofer- Institut für Werkstoffmechanik. Dort untersucht ein Team zunächst die Eigenschaften von einzelnen beschichteten Fasern – etwa, wie gleichmäßig die Beschichtung aufgetragen ist und wie gut sie haftet. Dann folgen Experimente an einzelnen Fasern, bei denen die Matrix durch einen einzigen Kunststofftropfen dargestellt wird. Die Forscherinnen und Forscher wollen dadurch beispielsweise klären: Wann kommt es zum