„ E s g i b t k e i n e H e l d e n f i g u r o h n e H e l d e n g e s c h i c h t e “ uni wissen 01 2020 5 Klassische Krieger, vorbildhafte Arbeiter, starke Politiker, mutige Frauen: Seit der Antike gibt es Heldenge- schichten. Doch braucht die heutige Gesellschaft noch HeldinnenundHelden?Undwennja,welche?Prof.Dr. UlrichBröcklingvomInstitutfürSoziologiederUniversi- tätFreiburgistdiesenFragenindenvergangenenJah- renimSonderforschungsbereich948„Helden.Heroisie- rung.Herosimen“nachgegangen.SeitZielwares,über Literaturvergleiche, theoretische Erklärungen und nicht nurBeschreibungenüberdasHeroischezufinden.Für ihnistklar:„JedegesellschaftlicheOrdnungbringtihre eigenenHeldenfigurenhervor.“WaseinenHeldenaus- macht,istausBröcklingsSichteindeutig:Siesindaußer- gewöhnlichePersonen,diesichimKampfoderKonflikt bewährenunddafürbewundertwerden.„Vorallemaber mussübersieundihreTatenberichtetwerden“,sagtder Freiburger Forscher. „Es gibt keine Heldenfigur ohne Heldengeschichte.“ Personalisierte Erzählungen DieklassischeHeldengeschichtehandeltmeistvon einemMann,weitseltenerauchvoneinerFrau,deraus- zieht,umeineAufgabezubewältigen,umeinedrohende KatastropheabzuwendenunddieDingezumGutenzu wenden.„DasHeldennarrativisteinaufdasMännliche zugeschnittenesKulturmuster“,erklärtBröckling.Helden- erzählungenpersonalisieren,führteraus,sierückendie einegroßeGestaltinsZentrum,diealleindierettende Tatvollbringt.AberumeineGeschichtesozuerzählen, müssendieHandlungsanteiledervielenanderenPerso- nen,dieinihrauftauchen,ausgeblendetwerden.Helden- geschichten haben eine sehr lange Tradition, bekräftigt der Soziologe: „Es gibt sie bereits seit der Antike, und dasnichtnurinderwestlichenKultur.Schondamalsver- suchtendieMenschen,sichmitdiesenErzählungendie eigenePositioninderWeltverständlichzumachen.“ JedochhatsichimLaufederZeitdieDefinitioneines Heldenverändert,ergabdieQuellenanalyse:„JedeZeit bringtihreeigenenHeldenfigurenhervor.“Sowarendie Geschichten in der Antike noch eng gebunden an kulti- schePraktikenundanmythischeGestaltenwiejeneHe- roen,vondenenHomerinder„Ilias“erzählt.ImMittelal- ter wurde dann in der westlichen Kultur das Modell ChristialsHeld,dersichselbstopfert.ErstmitderFran- zösischen Revolution konnten schließlich auch nicht ad- ligeMenschenzuHeldenaufsteigen,vorallemimmilitä- rischen Bereich. „Bis dahin waren ein Bauer oder ein Handwerkerüberhauptnichtheldenfähig“,erklärtBröck- ling.DaserstarkendeBürgertumbrachteeigeneHelden- figurenhervor,wodurchsichauchdieLiteraturänderte undneueGattungsformenentstanden.Im19.undfrühen 20.JahrhunderttauchtendannschließlichdieArbeiterin- nenundArbeiteralsHeldenauf–voralleminderfrühe- ren Sowjetunion oder China wurden in der Propaganda- literatur heroischen Modellarbeitern geehrt. Nachahmen und aufschauen AndensichwandelndenHeldenfigurenund–erzählun- genzeigesichauch,wofürGesellschaftenihreHelden bräuchten, sagt Bröckling: „Aus soziologischer Sicht sind HeldenProblemanzeigerfürdas,wasdiesozialenOrd- nungenihrenMitgliedernabverlangen.Daran,wieüber HeldenerzähltwirdundwereinHeldwird,könnenwir erkennen,welcheAnsprücheeineGesellschaftandie Einzelnenstellt,welcheOpfersieihnenabverlangt.Die HeldenfigurendienenalsVorbild,dasalleanderennach- ahmensollen.EsgibtfreilichauchHelden,diegeradezu übermenschlicheTatenvollbringen.Zuihnenwirdaufge- schaut,ohnedasssiezumMaßstabfüranderewerden. Sie werden bewundert und entlasten zugleich ihre An- hängerschaft: ‚Wenn der Held es tut, brauche ich es nichtzutun.‘“ Das aktuelle Buch von Bröckling, das seine langjährige RechercheundAnalysezudiesemThemazusammen- fasst,trägtdenTitel„PostheroischeHelden:EinZeitbild“. Daraus könnte sich schlussfolgern lassen, dass es heut- zutagekeineHeldenmehrgibt.DochdassiehtderSo- ziologiemehrschichtiger,daesfürihnsoetwaswieeine gegenstrebige Gleichzeitigkeit gibt: Einerseits häufen sich die Diagnosen, dass wir in einer postheroischen Zeit leben,sagtBröckling.DaswerdezumBeispielfürdie westlicheWeltmitBezugaufihreKriegsführungbehaup- tet. Die These ist, dass sich die Menschen den Krieg allenfallsnochimFernsehenoderKinoanschauen,ihm sichselbstabernichtmehraussetzenwollen.DerBegriff „postheroischeKriegsführung“bedeutetallerdingsnicht, dass friedlichere Zeiten herrschen, erklärt der Soziologe. WestlicheundzunehmendauchdieübrigenStaatenfüh- renihreKriegemitHigh-Tech-Waffen,zumBeispielmit Drohnen,undversuchensoihreTruppenzuschützen. UndandererseitsboomenHeldengeschichten:„Holly- woodproduzierteinenHeldenblockbusternachdeman- deren. Und in der Politik haben die so genannten starken MännerKonjunktur,FigurenwieDonaldTrump,Wladimir Putin,Recep TayyipErdoğan oderJairBolsonaro,die sich als machohafte Volkshelden inszenieren. Umge- kehrt finden wir zeitgenössische heroische Figuren in sozialen Bewegungen, Frauen wie Greta Thunberg oder Carola Rackete. Diese Gleichzeitigkeit postheroi-