Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 02 2014 Trends und Themen: Wahlen zum Europäischen Parlament > 3 Drehen und dehnen: Fitness für Vielsitzer > 5 Schleifen und schweißen: Ausbildung in der Werkstatt > 10 Freiburger Hydrologen wollen Informationssysteme verbessern, um die Wasserversorgung in kritischen Zeiten zu sichern von Claudia Füßler Das Wort Dürre führe leicht in die Irre, sagt die Hydrologin Dr. Kerstin Stahl: „Es ist zu sehr mit den Sommermonaten und der Landwirtschaft verknüpft und be- schreibt nur unzureichend, womit wir uns beschäftigen.“ Deshalb sprechen Stahl und ihre Kollegin- nen und Kollegen am Institut für Geo- und Umweltnaturwissen- schaften der Universität Freiburg lieber von „Trockenheit“, wenn es um ihre Arbeit geht: Wie wirkt sich Trockenheit auf die Schifffahrt, auf Bewässerungssysteme, den Tou- rismus, Ökosysteme oder die Trink- wasserversorgung aus? Und zwar nicht nur dann, wenn es heiß ist. Eine lange Zeit ohne Regen kön- ne auch im Winter fatale Folgen haben, die weit über die Landwirt- schaft hinausgingen. In dem Projekt DrIVER beschäf- tigt sich die Freiburger Hydrologie mit der Wasserversorgungssicher- heit. Gemeinsam mit Kollegen aus England, Amerika und Australien wollen die Forscherinnen und For- scher ermitteln, wie Informations- systeme, die frühzeitig vor trocke- nen Perioden warnen, verbessert werden können und wie die Ver- sorgung mit Wasser in kritischen Zeiten gesichert werden kann. Um die erforderliche Basis für dieses Projekt zu schaffen, analy- sieren die Forscher zunächst me- teorologische und hydrologische Daten: Wann fällt wie viel Regen und wie viel davon gelangt in wel- chem Tempo über den Boden in Flüsse und ins Grundwasser? „Je mehr solcher Daten verfügbar sind, desto besser lassen sich Aussa- gen über mögliche Trends erstel- len und Vorhersagen treffen, wie sich eine Trockenheit entwickeln wird“, erklärt Stahl. Weltweit gibt es einige Informationssysteme wie den North American Drought Moni- tor, das European Drought Obser- vatory oder den unter Mitwirkung der Freiburger Hydrologie entstan- denen Prototyp drought.ch für die Schweiz. An einem globalen Früh- warnsystem wird noch getüftelt. Katastrophen öffnen Geldtöpfe Generell sei es schwierig, Geld für Wasserforschung mit Partnern aus Übersee einzuwerben. Dass Projekte wie DrIVER möglich sind, hat einen Grund: den so genannten Jahrhundertsommer 2003. Erst die Katastrophe öffnete den Blick für die Notwendigkeit dieser Arbeit – und damit auch die Geldtöpfe. „Dabei steckt gerade in der Früh- erkennung solcher Naturereignisse ein ungeheures Potenzial, weil da- durch negative Konsequenzen und Konflikte eingedämmt oder viel- leicht sogar schon im Vorfeld ver- hindert werden können“, betont die Forscherin. So haben sich manche Gemeinden, die 2003 ein Problem mit der lokalen Wasserversorgung hatten, nun prophylaktisch an die Fernwasserversorgung vom Bo- densee angeschlossen. „Hätten wir eine solche Trockenheits- situation hier schon einmal durch- gespielt, hätten die Schäden von 2003 eventuell vermieden werden können“, stellt Stahl klar. Konflikte vorhersehen, alle Be- teiligten an einen Tisch holen, Lösungen finden, bevor eine Ka- tastrophe eintritt – das ist eine zentrale Idee von DrIVER. „Wäh- rend einer Trockenheit treffen ver- schiedene Nutzungsansprüche an den Fluss, zum Beispiel für Kraft- werkskühlung, industrielle Nutzung und Bewässerung, mit der Notwen- digkeit zusammen, zum Erhalt des Ökosystems eine gewisse Menge Wasser im Fluss zu belassen.“ Das Prinzip, alle an einen Tisch zu holen, beherzigen Stahl und ihre Kollegen schon jetzt: Drought Tournament heißt das Konzept für dieses Strategiespiel, das in Kana- da entwickelt und erst wenige Male weltweit umgesetzt worden ist. „Anders als bei Hochwasser, das in vergleichsweise kurzer Zeit nach Entscheidungen verlangt, haben zum Beispiel die Wasserversor- ger bei drohender Trockenheit län- ger Zeit zum Handeln und können mehr tun. Da macht es durchaus Sinn, sich im Vorfeld zu überlegen, was das sein könnte.“ Bei einem Drought Tournament kommen alle zusammen, die im Ernstfall betrof- fen sein könnten: Wasserversorger, Behörden, Umweltschützer, Bürger, Unternehmen. Die Idee: Während im Normalfall jeder seine eige- nen Interessen durchsetzen will, entsteht durch das spielerische Element mehr Raum für Kreativi- tät und Objektivität. „Die Teilneh- merinnen und Teilnehmer können aus ihrer Rolle heraustreten“, er- klärt die Hydrologin. Ohne Hand- lungsdruck ließen sich neue Ideen entwickeln und das Verständnis für die Position der anderen fördern. Aus den Ergebnissen formulieren die Forscher Empfehlungen an die einzelnen Akteurinnen und Akteu- re, wie die Versorgung mit Wasser so organisiert werden kann, dass sie bei langen Trockenperioden weniger anfällig ist. Modelle an Ereignissen eichen Grundlage für die Diskussi- onen am runden Tisch werden Modelle sein, die die Hydrologen entwickeln. „Wir entwerfen neue Szenarien, die nicht nur Nieder- schlagswerte und Bodenfeuchte mit einbeziehen, sondern auch gesellschaftlich und ökologisch relevante Faktoren“, sagt Stahl. So können auch Grenzwerte zur so genannten Verwundbarkeit ermittelt werden, die angibt, wie stark eine Trockenheit zum Bei- spiel die Trinkwasserversorgung, die Schifffahrt, die Landwirtschaft sowie das Ökosystem allgemein gefährdet. Dafür verknüpft das Team vorhandene Frühwarnsys- teme und Wirkungsberichte, die bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden sind. „Wir ei- chen unsere Modelle an vergan- genen Ereignissen. So erhalten wir viele mögliche Konstellationen. Dadurch, dass alle Beteiligten alle Varianten kennen, werden die Ent- scheidungsspielräume klarer, und das Management vor, während und nach einer Trockenheitsphase wird robuster.“ Steiniger Fluss: Anfang des Frühlings hatte die Dreisam einen niedrigen Wasserstand. FOTO: KARL-HEINZ RAAcH Rollenspiele gegen Trockenheit Internationale Forschung Der von Kerstin Stahl gestellte Antrag für das Wasserversor- gungssicherheitsprojekt „Drought Impacts: Vulnerability Tresholds in Monitoring and Early-Warning Research“ (DrIVER) wird als ei- nes von sechs Projekten welt- weit mit 1,6 Millionen Euro vom Belmont Forum und dem Interna- tional Opportunities Fund der G8-Staaten unterstützt. Das Pro- jekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Mit eucor’leben – eine Sonderbeilage von Journalistik-Studierenden des Frankreich-Zentrums Foto:LudmiLaSmite / FotoLia