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uni'leben 05-2014

05 2014 Spitze aus Sandstein: Facetten des Freiburger Münsters Boden aus Biskuit: Schwarzwälder Kirschtorte selber backen Licht aus LED: Gerd Bergmann beleuchtet die Universität FOTO:PATRICKSEEGER Rainer Bayreuther erforscht, wie Musik und Politik miteinander verknüpft sind – und warum Unentschlossenheit zum Singen einlädt von Rimma Gerenstein Sozialistische Revolutionäre mar- schierten zur „Internationalen“, die 68-er brüllten ihren Protest gegen das Spießbürgertum mit Liedzeilen von Janis Joplin he- raus, junge Afroamerikaner gossen ihre Wut auf die Zwei-Klassen- Gesellschaft der USA in Rap. Es scheint, als hätte jede politische Bewegung einen eigenen Sound- track – eine Musik, die die Massen bewegt, begleitet und dazu antreibt, ihren Protest gegen ein Regime zu formulieren. Dass Musik den amtierenden Mächten gefährlich werden kann, gab schon Platon zu bedenken. In einer Schrift warnte der Philo- soph die Hüter der athenischen Polis: „Nirgends wird an den Ge- setzen der Musik gerüttelt, ohne dass auch die höchsten Gesetze des Staates ins Wanken geraten.“ Genau dort müssten „die Wächter ihr Wachhaus bauen“. Seinen Rat- schlag haben sich Herrscherinnen und Herrscher im Laufe der Jahr- hunderte zu Herzen genommen: Die Geschichte der Musik ist un- trennbar mit der politischen Ge- schichte der Menschheit verwoben. Diesen Zusammenhang möchte der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Rainer Bayreuther ergründen. Für sein Buch erforscht er die Krisen und kritischen Momente des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutsch- land sowie anderen Ländern Eu- ropas – und auf welche Weise die Musik ins Spiel kommt. Singen in der Schwebe Doch welche Art von Musik gilt eigentlich als „politisch“: Protest- lieder, Operetten, Arbeiterkanta- ten? „Das Genre oder die Texte sind nicht entscheidend“, sagt Bayreuther. Im Prinzip könne je- des Klangstück politisch sein, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt würde: „Was wir brauchen, ist eine offene und einigermaßen gewaltfreie Situation, bei der die politischen Verhältnisse noch nicht festgelegt sind.“ Ein Beispiel ist die Chorbewegung im Vormärz, jener kurzen Epoche zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der sich junge Deutsche gegen den Ständestaat nerchöre gegründet und große Festivals veranstaltet.“ Die Sänger schmetterten Zei- len für Freiheit, Bürgerglück und „Menschenrechte in der freien Re- publik“, wie es in einem Lied aus dieser Zeit heißt. „Es war klar, was diese Bewegung ablehnte, aber es war nicht eindeutig, in welche Richtung sie gehen wollte“, betont Bayreuther. „Und was macht man in solchen Situationen? Man singt. Musik statt.“ Im Gegensatz zu ei- nem straffen Regime, das keine Abweichung vom Weltbild erlaube: Wenn eine Diktatur die Künste ein- spanne, um zum Beispiel einen Ar- beiter- und Bauernstaat zu gestal- ten, bleibe das Staatsmodell von der Musik unberührt. „Wenn die Verfassung feststeht, ist es egal, welche Musik der Staat wählt, um sich zu repräsentieren.“ Und doch ist Bayreuther davon überzeugt, dass Musik eine zer- störerische Kraft hat, die alles auf- brechen könne, auch den Versuch eines Staats, sie für seine Zwecke einzuspannen. „Sie hat von allen Künsten die subversivste Kraft, weil sie unkonkret ist.“ Musik stel- le Gegebenheiten in Frage. Jimi Hendrix habe das brillant bewie- sen. Beim Woodstock-Festival 1969 stimmte er die Nationalhym- ne der USA als Protest gegen den Vietnamkrieg an. In seinem Solo heulte Hendrix’ E-Gitarre einen verzerrten Klang, der an Rake- tendonner erinnerte. „Diese In- terpretation brach das etablierte amerikanische Staatsverständnis auf“, erklärt Bayreuther. „Die Leute dachten sich: ‚Unsere Gesellschaft könnte auch anders sein – viel friedlicher und offener.‘“ Vormärz als Vorbild Einen Wunsch nach Offenheit sieht Bayreuther auch bei der deut- schen Jugendbewegung, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts formierte. Bevor die Wander- und Gesangsverbände – manche wohl- wollend, andere ablehnend – in der Hitlerjugend gleichgeschaltet wur- den, gab es eine Zeit, in der die Mu- sik die Suche nach einer Gemein- schaft widerspiegelte. Wie diese konkret auszusehen hatte, war un- klar. „Vielleicht diente den Menschen der Vormärz als Vorbild“, vermutet der Forscher. „Auch sie wollten die politischen Uhren auf null stellen und gemeinsam Musik machen.“ Neutrale Zwölftontechnik Ein großer Flügel interessierte sich für Chorstücke des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie bestehen aus vielen Einzelstimmen, die selbstständig geführt sind – kei- ne süßlichen Melodien, sondern harte Klänge. „Der Gedanke der Bewegung war: ‚Auch wir sind vie- le einzelne Menschen mit starken Stimmen, und in einem politisch offenen Prozess fügen wir uns zu einer Gemeinschaft zusammen.‘“ Diesen offenen Prozess haben Tei- le der Jugendbewegung im Lau- fe der 1920er Jahre für braunes Gedankengut eingetauscht. Das Gesangsrepertoire war gleich, nur mit einer anderen Interpretation: Die harten, selbstständig geführ- ten Stimmen seien das „deutsche Erbe“ der alten Meister, sie setz- ten sich von den süßlichen und anschmiegsamen Kompositionen anderer Nationalitäten ab. „In die- ser Argumentation tauchen all die Vokabeln auf, die den arischen Menschen charakterisieren.“ Eine Abkehr von politischer Mu- sik beobachtet Bayreuther nach 1945. „Viele Komponisten bemüh- ten sich krampfhaft, nichts Politi- sches zu machen. Niemand wollte sich die Finger an Musik verbren- nen, die die Nazis gehört hatten.“ Auffällig ist das Aufkommen der Zwölftontechnik: Im Dritten Reich als „entartete Musik“ verabscheut, galt diese Methode nun als poli- tisch neutral. „Sogar in der evan- gelischen Kirchenmusik wurde zwölftönig komponiert. Man kam sich modern vor, obwohl die Tech- nik kompositionsgeschichtlich be- trachtet kalter Kaffee war.“ Anfang 2015 will Bayreuther sein Buch „Der musische Staat“ been- den. Dabei versteht er unter dem Wort „musisch“ nicht nur die Musik, sondern ein ästhetisches Erlebnis, das den Menschen bewegt – etwas, das ihm bei der heutigen Politik feh- le. „Ich betrachte das natürlich mit dem nüchternen Abstand des Wis- senschaftlers, aber die deutsche Realpolitik ist festgefahren, weil sie dem Ästhetischen keinen Spielraum gibt.“ Dabei könnte Musik die Gesell- schaft vorantreiben, gerade dort, wo sich die Politik schwer tue – Stich- wort Zusammenleben der Religionen: „Gemeinsame Kulturfeste könnten einen politischen Raum schaffen, in dem Elemente der künftigen Koexis- tenz ausgehandelt werden.“ Pinker Protest: Bei einer Demonstration am 1. Mai 2014 trommelt eine Gruppe im Freiburger Sedanviertel. FOTO: THOMAS KUNZ Klang der Krise Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 052014

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