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uni'leben 04-2015

von Thomas Goebel Vor einem Jahr kam er keine Trep- pe mehr hoch, erinnert sich Jo- hannes Hepting. Sein Nierenkrebs und die anschließende Therapie hatten ihn so geschwächt, dass er am liebsten im Bett geblieben wäre. Aber der 57-Jährige ist ein leiden- schaftlicher Wanderer; irgendwann begann er wieder zu laufen. „Ich habe gekämpft und mich den Feld- berg hochgeschleppt, das war mein Mount Everest.“ Endlich oben an- gekommen, war er „völlig kaputt – aber glücklich ohne Ende“. Diese Erfahrung wollte er auch anderen Menschen mit einer Krebserkran- kung ermöglichen: Die Idee einer Alpenüberquerung zu Fuß entstand. Im September 2015 ist aus der Idee Wirklichkeit geworden. Eine Gruppe von acht ehemaligen Krebspatientinnen und -patienten im Alter von 37 bis 70 Jahren wan- derte mit Hepting vom Füssener Jöchle in Tirol in knapp zwei Wo- chen bis nach St. Leonhard in Süd- tirol – begleitet von zwei Wander- führern und drei Sportstudentinnen der Universität Freiburg, die das Projekt „20.000 Höhenmeter“ nun wissenschaftlich auswerten. Eine Teilnehmerin musste wegen einer Blasenentzündung abbrechen, der Rest der Gruppe erreichte das Ziel gemeinsam. Wissenschaftliche Er- gebnisse liegen noch nicht vor, Heptings Bilanz jedoch ist eindeutig: „Es war noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte.“ Startklar gemacht Der Alpencross war zunächst nicht als Forschungsprojekt ge- dacht – was ihn so besonders macht, ist, dass er sich durch die Initiative der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiterentwickelte, er- zählt die Freiburger Sportpädago- gin Prof. Dr. Petra Gieß-Stüber. Hepting, von Beruf Kachelofenbau- er, ist geprüfter Wanderleiter und bei dem Verband „Naturfreunde Deutschlands“ aktiv. Er hatte mit seiner Idee zunächst die Sport- onkologie an der Universitätsklinik angesprochen. Die Ärztinnen und Ärzte holten dann das Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität mit ins Boot. Als Ziel- gruppe machte das Team ehema- lige Krebspatienten aus, deren Therapie mindestens ein halbes Jahr und höchstens fünf Jahre zu- rücklag. Für die Interessierten gab es eine intensive Leistungsdia- gnostik an der Universitätsklinik und anschließend ein dreimonati- ges Trainingsprogramm im Fitness- und Gesundheitszentrum (FGZ) des Instituts für Sport und Sport- wissenschaft, inklusive individueller Bewegungspläne und drei Übungs- terminen pro Woche. Gieß-Stüber interessieren neben der möglichen Steigerung der kör- perlichen Leistung die persönli- chen Erfahrungen der Teilnehmer während der Tour – vor allem Na- tur- und Gruppenerlebnisse: „Nach einer Krebserkrankung sind Men- schen oft in vielerlei Hinsicht ver- unsichert“, sagt die Sportpädagogin. „Sie haben kein Vertrauen mehr in ihre körperliche Leistungsfähigkeit, vielleicht haben sie auch den An- schluss an Bezugsgruppen verlo- ren, etwa im Sportverein, und sich zurückgezogen.“ In solchen Situa- tionen könne ein Projekt wie die gemeinsame Alpenüberquerung das Selbstvertrauen und die Lebens- qualität steigern. Vertrauen in die eigene Kraft Das bestätigt Andrea Frömming. Die 52-Jährige arbeitet als Biologisch- technische Assistentin an der Uni- versitätsklinik; vor zwei Jahren hat- te sie Krebs. Nach einer solchen Krankheit traue man sich weniger zu, sagt sie. „Und man will nicht der Hemmschuh für eine Gruppe sein.“ Als sie von dem Projekt erfuhr, war sie begeistert – das Vertrauen, die Tour wirklich schaffen zu können, sei mit dem Training gewachsen, auch wenn neben Arbeit und Fami- lie oft nur ein Termin in der Woche möglich war. „Ich habe versucht, wenigstens noch an den Wochen- enden auf einen Berg zu laufen“, sagt sie. Das große Ziel war ihr Motivation genug. Während der Tour lief sie mit der Gruppe täglich fünf bis sechs Stun- den und überwand jeweils knapp 800 Höhenmeter oder mehr – diese Erfahrung habe etwas in ihr verän- dert, erzählt Frömming: „Ich habe ein tolles Körpergefühl – und bin in einer Hochstimmung, die schon ziemlich lange anhält.“ Die Teilneh- mer mussten jedoch auch schwieri- ge Situationen meistern, etwa wenn einzelne Wanderinnen oder Wan- derer vor einer besonders steilen Etappe der Mut verließ, wenn Touren wegen eines Wetterum- schwungs spontan neu geplant wur- den oder die Gruppe ein gemeinsa- mes Wandertempo finden musste. „Nach einer Woche hatten wir uns aber eingependelt“, berichtet Fröm- ming. „Es zählte nur noch, dass man gemeinsam ankommt.“ Die Krebserkrankungen der Teil- nehmer hätten auf der Reise nicht ständig im Mittelpunkt gestanden, erzählt sie. „Aber ich habe gemerkt, dass wir uns schnell nahegekom- men sind, man konnte sich trauen, auch Erschöpfung zu zeigen oder sich über Dinge auszutauschen, die einen bewegen.“ Auch Johannes Hepting ist immer noch beein- druckt: „Wenn abends vor der Hütte die etwas später ankommenden Teilnehmer von den anderen emp- fangen und einzeln abgeklatscht wurden – das war schon sehr emo- tional, das spüre ich heute noch.“ Ergebnisse in Examensarbeiten Die Freiburger Sportstudentin- nen wollen die Erfahrungen der Wanderer nun in drei Examensar- beiten auswerten. Als Grundlage dienen ihnen neben den medizini- schen Daten schriftliche und münd- liche Befragungen, die sie während und nach der Alpentour machten. „Wir wollen einen Eindruck von dem bekommen, was für die jeweiligen Personen besonders wirksam war“, sagt Gieß-Stüber. Deutlich sei be- reits jetzt, dass die intensiven Er- lebnisse der Alpenwanderung zu einem „subjektiv erlebten Zuwachs an Kompetenz und Selbstwirksam- keit“ geführt hätten – zu der Erfah- rung also, etwas bewegen und be- wirken zu können. Gieß-Stüber würde das Projekt gerne fortsetzen und bemüht sich zurzeit um eine finanzielle Förderung für eine Neu- auflage. Johannes Hepting und die Naturfreunde wären auf jeden Fall wieder mit dabei. Und auch Andrea Frömming macht weiter: „Ich plane schon meinen nächsten Urlaub. Eine Wandertour.“ 04 2015 Pionierarbeit: Technische Fakultät beschreitet neue Wege > S. 3 Spieltrieb: „Monopoly“ verrät Mechanismen der Wirtschaft > S.8 Sicherheit: Syrischer Forscher kehrt nach Freiburg zurück > S. 11 Eine Gruppe früherer Krebspatienten hat zu Fuß die Alpen überquert – begleitet von Sportwissenschaftlerinnen der Universität Freiburg Foto:PatrickSeeger Foto:petermesenholl www.20000hoehenmeter.de Übern Berg Rauf und runter: Die Teilnehmer wanderten in knapp zwei Wochen vom Füssener Jöchle in Tirol bis nach St. Leonhard in Südtirol. Foto: Manfred Schäfer Alles auf einen Blick: Der Semesterkalender für das akademische Jahr 2015 /16 liegt bei. Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 042015

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