von Claudia Füßler Als Prof. Dr. Helga Kotthoff ihre Idee im Sommer 2015 publik machte, fand sie schnell Unterstüt- zerinnen und Unterstützer: Etwa 40 Studierende meldeten sich, um ge- flüchteten Menschen Deutsch bei- zubringen. „Das Interesse besteht nach wie vor“, sagt die Germanistin. „Ich bekomme immer noch Anfragen von Leuten, die gerne unterrichten wollen.“ In Kleingruppen von vier Perso- nen lernen Flüchtlinge, die gerade nach Freiburg gekommen sind, die deutsche Sprache. Die Lehrerin- nen und Lehrer sind hauptsächlich Studierende der Germanistik. Für sie gibt es ein begleitendes Haupt- seminar, das aber nicht verpflich- tend ist. „Dort klären wir vor allem inhaltliche Fragen, die sich für die Studierenden aus den Kursen er- geben, aber auch Organisatori- sches“, berichtet Kotthoff. Schon die Startphase war eine Herausfor- derung: Räume finden, Lernmaterial möglichst kostengünstig kopieren, die Flüchtlinge nach Sprachlern- kompetenz und Sprachstand ein- teilen. Wer schon eine Fremdspra- che spricht, lernt eine weitere deutlich leichter als jemand, der nur seine Muttersprache beherrscht und vielleicht nicht einmal lesen und schreiben kann. „Wir haben das dann einfach Pi mal Daumen gemacht“, erzählt Kotthoff. Die Methode hat funktioniert: Inzwischen laufen die Kurse er- folgreich, und die Flüchtlinge meis- tern ihre ersten Alltagssituationen auf Deutsch. „Wir versuchen sehr handlungsorientiert zu arbeiten“, sagt Jessica Ackermann, die eine Gruppe unterrichtet. „Wir üben Dinge wie Wegbeschreibungen, einkaufen gehen oder sich vorstel- len, also alles, was die Menschen hier tagtäglich tun müssen.“ Auch das Bestellen und Bezahlen in einem Café gehört dazu, weshalb sich der Kurs ab und zu zum Kaffeetrinken trifft. Pragmatismus steht auch bei Agnes Schneider im Vordergrund. Die Studentin unterrichtet drei Frauen, die der Religionsgemein- schaft der Jesiden angehören und nicht alphabetisiert sind. Daher können sie viele gängige Lehrwerke nicht benutzen, weil diese voraus- setzen, dass die Lernenden lesen können. Hinzu kommt, dass die Frauen kein Englisch sprechen. Somit fällt auch diese Möglichkeit der Verständigung weg, wenn es mal mit dem Deutschen schwierig wird. „Aber mit Händen und Füßen geht alles“, sagt Schneider und lacht. „Inzwischen kriegen wir es sogar hin, uns WhatsApp-Nachrichten zu schicken, um zum Beispiel Termine abzusprechen.“ Der Einsatz für die Flüchtlinge ist ehrenamtlich, die Studierenden bekommen dafür we- der Geld noch Credit Points, berich- tet Kotthoff: „Wir arbeiten gerade daran, dass die Studierenden für ihre arbeit ein zertifikat erhalten.“ Treffen und Tee trinken Auch in der Anglistik gibt es Sprachkurse, allerdings wird hier nicht Deutsch, sondern Englisch unterrichtet, und es sind nicht nur Flüchtlinge angesprochen. „Wir möchten Menschen mit Migrations- hintergrund helfen, die sozial schwächer gestellt sind und sich einen Englischkurs nicht leisten können“, erklärt Prof. Dr. Brigitte Halford. Die Anglistin hat das Pro- jekt, das im Wintersemester 2015/16 zum dritten Mal läuft, aus zwei Gründen gestartet: Zum einen sei es eine schöne Möglichkeit für Stu- dierende, sich sozial zu engagieren und auf diesem Weg der Gesell- schaft, die sie fördere, etwas zu- rückzugeben. zum anderen profi- tierten die Studierenden selbst von den Kursen, da sie praktische Lehrerfahrungen sammeln und das im Studium Gelernte anwenden könnten. „Es ist spannend, mal in eine sol- che Lehrsituation zu kommen und sich ausprobieren zu können“, be- stätigt die Studentin Christiane Kuhn, die im Sommersemester 2015 einer Gruppe Migrantinnen und Migran- ten Englisch beigebracht hat. Die meisten hatten schon ein paar grundlegende Kenntnisse, ganz bei null anfangen musste sie bei keinem. Stattdessen gab es Sonder- wünsche, für die Kuhn selbst Voka- beln nachschlagen musste. „Eine Friseurin wollte zum Beispiel die Fachbegriffe für ihren Job wissen, da habe ich erst mal gepasst.“ Die Studierenden sorgen mit gemütli- chen Zusammenkünften und ge- meinsamem Teetrinken dafür, dass die Teilnehmenden sich in den Kur- sen aufgehoben fühlen und zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. „Das funktioniert, die Rückmeldun- gen, die wir bekommen, sind durch- weg positiv“, sagt Halford. Die Englischkurse finden über einen Zeitraum von acht Wochen einmal wöchentlich statt. Es sind vor allem Türken, Russen, Italiener, albaner, Griechen und Marokkaner, die sich für die Sprache interessie- ren. Diejenigen, die Deutsch ler- nen, stammen hauptsächlich aus Syrien, Gambia und Afghanistan. Sie treffen sich zweimal in der Wo- che, und ein Ende der Kurse ist bis jetzt nicht abzusehen. Um diese betreuen zu können, müssen die Studierenden eine Einführung in die Linguistik besucht haben; in der Anglistik zusätzlich eine Veran- staltung zum Zweitspracherwerb. Doch sprachliche Feinheiten und Grammatik sind nicht das Wich- tigste im Unterricht. Häufig geht es um scheinbar völlig banale Dinge. „Ich musste den Frauen in meinem Kurs beibringen, dass die Straßen in Deutschland Namen haben. Die- ses Konzept war ihnen neu“, er- zählt Schneider. Bei den Kursteilnehmenden kom- men die jungen Dozentinnen und Dozenten gut an. „Es ist toll, mit wie viel Begeisterung und Engage- ment die Studierenden uns etwas beibringen“, sagt Cristina Radaelli. Die Italienerin lebt seit acht Jahren in Deutschland und wollte ihre Englischkenntnisse ein wenig auf- frischen. Aus dem Kurs hat sie viel mehr als nur Grammatik und Voka- beln mitgenommen: Sie hat freund- schaftliche Kontakte geknüpft und Anregungen für ihren eigenen Unterricht als Italienischlehrerin erhalten. Das Schönste am Unterrichten der Flüchtlinge und Migranten sei der Moment, in dem man merke, dass sie Fortschritte machen, sagt Ackermann. „Wenn im Unterricht Dialoge zustande kommen oder jemand im Café die Bestellung ganz alleine managt, dann ist das für uns ein Riesenerfolg.“ 05 2015 Engagiert: Universität setzt sich für Flüchtlinge ein > S. 2/3 Einfallsreich: 3-D-Druck eröffnet der Wissenschaft neue Welten > S. 5 Eingeübt: Medizinstudierende lernen mit „Dr. House“ > S. 9 In der Germanistik und in der Anglistik laufen Sprachkurse für Flüchtlinge und andere Menschen mit Migrationshintergrund FOTO:RTL/UNIVERSAL FOTO: KLAUS POLKOWSKI Mit Händen und Füßen Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 052015