03 2016 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 4 von Rimma Gerenstein Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte“, sagte Max Weinreich einmal. Der Linguist widme- te seine Karriere der Erforschung und Wiederbelebung des Jiddischen, und seine Arbeit lehrte ihn schnell, wie viel politisches Kalkül hinter einer Sprache steckt. Wer an der Macht ist, bestimmt, ob eine Sprache gelernt, genutzt und verbreitet werden darf, ob sie Ansehen genießt oder als Mundart belächelt wird. An diesen Ausspruch denkt Achim Ra- bus oft, wenn er von seinem aktuellen Projekt erzählt. Der Freiburger Profes- sor für Slavische Sprachwissenschaft und seine Doktorandin Andrianna Schi- mon untersuchen das Russinische – die Sprache einer Minderheit, die unter an- derem in der Ukraine, Polen, Rumänien, Ungarn und der Slowakei lebt. Rabus und Schimon interessieren zum Beispiel die Fragen, wie sich die jeweiligen Nationalsprachen auf die Grammatik oder den Wortschatz aus- wirken, in welchen Situationen die Sprecherinnen und Sprecher Russi- nisch anwenden und welche Rolle da- bei Beruf, Alter und Geschlecht spielen. Das Team befragt Russinen zu ihrem Sprachverhalten, nimmt ihre Antworten auf, wertet auch die feinsten Unter- schiede in Aussprache und Grammatik aus und sammelt sie in einer Daten- bank. Die erste Studie hat Schimon nach einer Reise in die Karpatenukrai- ne bereits abgeschlossen. Die Slavistin ist dort geboren, das Russinisch dieser Gegend ist ihre Muttersprache. Kolle- ginnen und Kollegen aus Polen und der Slowakei unterstützen das Team und erweitern die Datenbank nach und nach um Sprachaufnahmen, die sie in ihren Ländern sammeln – so ist sicher- gestellt, dass die Probandinnen und Probanden sich nicht jemandem mit fremdem Zungenschlag anpassen. Vielvölkerreich im Grenzgebiet Aus den vielen Einzelteilen soll also ein Gesamtbild der Minderheitenspra- che entstehen – doch das Mosaik ist nicht leicht zusammenzusetzen: „Die meisten Russinen leben in der Karpa- tenregion, einem Gebiet, das von zahl- reichen politischen, kulturellen, natio- nalen und geografischen Grenzen durchschnitten ist“, sagt Schimon. Es befindet sich im äußersten Zipfel der Südwestukraine und beginnt westlich der Karpaten, einer Gebirgskette, die sich 1.300 Kilometer lang durch Polen, Rumänien, Ungarn und die Slowakei zieht. „Diese Landesgrenzen waren nicht immer da, sie sind im Laufe der Zeit gezogen und immer wieder ver- schoben worden“, erklärt Rabus. Der multikulturelle Alltag schlägt sich nicht unbedingt in der Politik nieder: „In der Ukraine gilt Russinisch bei vielen nicht als Sprache, sondern als Dialekt“, berichtet Rabus. Die politische Lage im Land ist nicht stabil, daher sei es schwierig, sich zur russinischen Spra- che und Kultur zu bekennen. In der Slo- wakei hingegen können sich Russinen ihre Nationalität im Pass eintragen las- sen, es gibt russinische Schulen, Lehr- bücher und sogar ein Universitätsins- titut für russinische Sprache und Kultur. „In der Slowakei ist es für die Russinen leichter, als eine eigene Gruppe wahr- genommen zu werden. Hier spielt die Konfession eine Rolle: Sie sind nicht römisch-katholisch wie der Großteil der Bevölkerung, sondern griechisch- katholisch beziehungsweise orthodox“, erklärt Rabus. In der Ukraine jedoch teilen die Russinen den Glauben und die Riten der Ukrainer. Mit anderen Worten: „Sie sind zwar irgendwie anders, aber nicht anders genug.“ Russinisch sei eben bäuerlich und grob, gaben die Probanden an, und klinge nicht so fein wie das Ukraini- sche: So lautet eines der Ergebnisse, das Schimon in ihrer Studie herausge- arbeitet hat. Die Probanden erzählten ihr, dass sie niemals Russinisch sprä- chen, wenn sie in die größeren Städte im Osten der Ukraine reisten. „Je offi- zieller der Anlass – wie zum Beispiel ein Behördengang –, desto weniger kommt die Sprache zum Einsatz.“ Außerdem sei Russinisch zu unein- heitlich, allein für das Wort „Kartoffel“ gebe es fünf Ausdrücke. Außenste- hende hätten Schwierigkeiten, einem Gespräch zu folgen. „Das stimmt na- türlich nicht“, betont Schimon. „Russi- nisch folgt sehr wohl Regeln, in der Ukraine sind sie einfach nur noch nicht allgemein verbindlich festgehal- ten.“ Umso spannender sind für die Forscher die Mosaikteile, die aus Län- dern hinzukommen, in denen Russi- nen selbstbewusst ihre Muttersprache sprechen – demnächst wird die Da- tenbank um weitere Ergebnisse aus der Slowakei und Polen ergänzt. forschen Russinen leben in unterschiedlichen Ländern – ihre Sprache trennt und vereint sie zugleich „Anders, aber nicht anders genug“ von Eva Opitz Was haben der Fadenwurm, die Taufliege und die Maus gemein- sam? Sie gehören zu den bevorzugten Modellorganismen der genetischen und molekularbiologischen Grundlagenfor- schung. Der Fadenwurm, mit wissen- schaftlichem Namen Caenorhabditis elegans – kurz C. elegans –, sticht durch seine geringe Größe von einem Millimeter, seine kurze Lebenszeit und seine rasche und sichtbare Reaktion auf genetische Veränderungen hervor. Zudem lässt er sich extrem leicht gene- tisch manipulieren. Für Privatdozentin Dr. Elke Neumann-Haefelin von der Universitätsklinik für Innere Medizin ist er ein ideales Untersuchungsobjekt – viele seiner Gene stimmen mit denen des Menschen überein. Was hat Einfluss auf das Altern? So lautet Neumann-Haefelins Ausgangsfrage. Für ihre Habilitation über Alterungspro- zesse und genetisch bedingte Nierener- krankungen hat sie den mit 10.000 Euro dotierten Mathilde-Wagner-Preis des Gleichstellungsbüros der Medizinischen Fakultät erhalten. „Gerade Patientinnen und Patienten mit chronischen Nierener- krankungen altern schnell“, sagt die Wis- senschaftlerin. „Der Pathomechanismus bei Alterungsprozessen und gewissen Nierenerkrankungen ist also ähnlich.“ Im Mittelpunkt von Neumann-Haefelins Forschung steht ein für den Stoffwechsel der Zelle wichtiger großer Proteinkom- plex mit dem Kürzel „mTOR“ (mechanis- tic Target of Rapamycin), der auf äußere Signale wie Nahrungsentzug sowie auf Signale aus der Zelle selbst reagiert. „Er ist für die Balance in der Zelle zustän- dig“, erklärt die Medizinerin. Er kann das Wachstum mit einer verstärkten Synthe- se von Proteinen vorantreiben oder bei Nahrungsmangel deren Herstellung stoppen und den Energieverbrauch re- duzieren. Gleichzeitig aktiviert er Gene, um Schaden von der Zelle abzuwenden, und beeinflusst den Alterungsprozess. Am Fadenwurm verfolgt die Medizi- nerin mit ihrem Team, wie diese Pro- zesse moduliert werden. Veränderun- gen in mTOR sind, wie Untersuchungen bestätigen, ein Risikofaktor für die Ent- stehung von Tumoren und Erkrankun- gen wie Diabetes und die polyzystische Nierenerkrankung. Durch Mutationen in der Zelle, die die Aktivität von mTOR hemmen und Langlebigkeit sowie Stress- resistenz fördern, verspricht sich die Forschung neue Erkenntnisse. „Wir wollen wissen, welchen Einfluss die Partner haben, an die mTOR bindet, und was seine wichtigsten Zielobjekte sind“, erklärt Neumann-Haefelin. Das könne für die Entwicklung von Medika- menten von Bedeutung sein. Zwei Drittel der Gene, die beim Men- schen Krankheiten verursachen, gibt es in gewisser Form auch beim Faden- wurm. „Wenn wir die Komponenten der Signalwege, die in einer durch die Evo- lution konservierten Form auch beim Menschen vorkommen, erfassen und beeinflussen können, rücken wir dem Ziel näher, dass mehr Menschen gesund altern.“ In diesem Zusammen- spiel von Faktoren hat die Ärztin neue Signalwege entdeckt, die mTOR regu- lieren und sich auch für den Menschen als bedeutsam erweisen könnten. Neumann-Haefelin hat in C. elegans konservierte Proteine gefunden, die im menschlichen Organismus bei der Filtration in der Niere eine Rolle spie- len. Sie haben sich während der Evo- lution, auf dem Weg vom Fadenwurm zum Menschen, nicht grundlegend verändert. C. elegans hat zwar kein Organ, das der menschlichen Niere gleicht, baut aber mit ähnlich funktio- nierenden Proteinen den Kontakt zwi- schen zwei Zellen auf. Anders als der Wurm, der nur ein einziges, für die Ausbildung der Zellstruktur wichtiges Protein besitzt, hat der Mensch drei entsprechende Nierenproteine. Die nahe Verwandtschaft zeigt sich im gelungenen Versuch, einen Zelldefekt beim Wurm mit dem Austausch eines entsprechenden menschlichen Proteins rückgängig zu machen. Wenn in der Zelle des Wurms menschliche Nieren- proteine wirksam werden, veranlassen sie die synapsenartige Bildung eines voll funktionsfähigen Zellkontakts. Dem Wurm kann mit dieser Art Gentherapie geholfen werden, und der Mensch lernt viel über Signalwege der Nierenzelle und deren Auswirkungen. Lang lebe der Wurm Die Medizinerin Elke Neumann-Haefelin erforscht, was das Altern beeinflusst Grün, kurvig, und ein idealer Modellorganismus: Viele Gene des winzigen Fadenwurms C. elegans stimmen mit dem Erbgut des Menschen überein. Quelle: Elke Neumann-Haefelin Neue Materialien nach pflanzlichen Vorbildern 2,3 Millionen Euro für junge For- schende: Die Universität Freiburg hat gemeinsam mit den Partneruniversitä- ten Fribourg/Schweiz und Cambridge/ England einen Marie-Curie-Grant der Europäischen Kommission eingewor- ben. Damit finanzieren die Universitä- ten ein Innovative Training Network zum Thema „Plant-inspired Materials and Surfaces“ (PlaMatSu), also zur Erforschung pflanzlicher Vorbilder für neue Materialien. Das Programm soll insgesamt neun Doktorandinnen und Doktoranden von allen drei Universitä- ten in den kommenden vier Jahren ermöglichen, ihre wissenschaftliche Karriere weiterzuentwickeln und an- wendungsrelevantes Know-how zu erwerben. In Freiburg sind Prof. Dr. Thomas Speck, Institut für Biologie II und Botanischer Garten, Prof. Dr. Gün- ter Reiter, Physikalisches Institut, und Prof. Dr. Jürgen Rühe, Institut für Mik- rosystemtechnik, an dem Vorhaben beteiligt. Der Anteil der Albert-Lud- wigs-Universität an der Fördersumme beträgt knapp 750.000 Euro. Griechisch-Katholische Kathedrale in der Stadt Užhorod: Die Russinen in der Ukraine teilen sich den Glauben und die Riten mit dem Rest der Bevölkerung – das verwischt die Grenzen zwischen den Ethnien. Foto: Mikhail Markovskiy/Fotolia 032016