03 2012 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 5 Duftstoffe als Fortpflanzungsbremse Evolutionsbiologen untersuchen bei Insekten den Zusammenhang zwischen Pheromonen und Verhalten forschen von Eva Opitz Auf einer Waldlichtung liegt der Kadaver eines toten Kaninchens. Um ihn herum krabbeln Aas fressen- de schwarze Käfer, ungefähr so groß wie ein Fingernagel. Einige Käfer be- schäftigen sich nur mit der vor ihnen liegenden Mahlzeit. Zahlreiche Männ- chen sind jedoch offensichtlich auf Partnersuche und krabbeln auf ein Weibchen zu, in der Hoffnung, es als Partnerin zu gewinnen. Doch kurz vor der Begegnung bremsen sie ab und gehen erneut auf Suche. Was ist pas- siert? Für den Evolutionsbiologen Prof. Dr. Klaus Peschke ist aufgrund seiner jahrelangen Forschungen klar, dass Pheromone im Spiel sind – Duftstoffe, die chemische Informationen transpor- tieren und den Individuen einer Art zur Verständigung dienen. „Wir können heute mit der verfeinerten Technik der Gaschromatografie und Massenspek- trometrie die Bausteine dieser Kommu- nikation bis in den Nanobereich hinein analysieren, auch an lebenden Käfern“, sagt Peschke. Ein Bouquet aus Kohlenwasser- stoffen als Aphrodisiakum So stelle ein einzelnes Pheromon- molekül gewissermaßen ein Wort dar, und ein ganzes Bouquet von Düf- ten nähere sich der Wortgewalt von ganzen Sätzen bis hin zum Drama. „Das ist es, was wir erforschen wol- len, und zwar möglichst unter natürli- chen Bedingungen, um die Details der chemischen Duftkommunikation im ökologischen Rahmen verstehen zu können.“ Das Team um Peschke hat den Kurzflügelkäfer Aleochara curtula zum wichtigsten Akteur seiner Phero- monforschung gemacht. Das Männchen konkurriert mit an- deren Männchen um die empfangs- bereiten Weibchen. Das Weibchen kann von mehreren Partnern umwor- ben werden. Der zuletzt Erfolgreiche bekommt die meisten Nachkommen. Die Weibchen sind zunächst attraktiv durch ein Aphrodisiakum, ein Bou- quet aus Kohlenwasserstoffen auf der Oberfläche. Um ein begattetes Weibchen für andere Bewerber mög- lichst unattraktiv zu machen, benutzt der Käfer eine besondere Pheromon- strategie: Mit seinen am Hinterteil an- gebrachten Greiforganen umfängt er das Weibchen und kann damit auch dessen chemische Eigenheit ermit- teln. Bei der Kopulation sondert er aus Drüsen seiner Genitalorgane ein Phe- romon ab, das sich über den ganzen Körper des Weibchens verteilt. Dieses Anti-Aphrodisiakum signali- siert dem Konkurrenten, dass es sich um ein bereits begattetes Weibchen handelt und er sich die Mühe des Er- oberns schenken kann. Das Weibchen kann sich wieder unbehelligt dem Ka- daver zuwenden und sich für eine opti- male Eiablage mit Nahrung versorgen. „Diese Duftkommunikation hat sich evolutionär nur halten können, weil alle drei Beteiligten davon profitieren“, sagt Peschke. „Das erste Männchen ‚bewacht‘ sein Weibchen, die folgen- den Männchen verschwenden keine Energie für sinnlose Eroberungen, und die begatteten Weibchen dulden die chemische Manipulation, da sie danach in Ruhe gelassen werden.“ Jerry Schlechter-Helas, Doktorand im Team von Peschke, hat in seinen Versuchen herausgefunden, dass die männlichen Käfer das individuelle Bouquet des Weibchens abspeichern. „Trifft ein Männchen wiederholt auf ein mit Anti-Aphrodisiakum markiertes Weibchen, vergeudet es keine Zeit und Energie, sein Interesse nimmt sofort ab.“ Der Käfer habe gelernt, die Duftkombination richtig zu deuten. „Bei einem neuen Weibchen schaltet er sofort wieder auf Angriff.“ Duftkombination als Passwort Duftstoffe in einer anderen Zusam- mensetzung können wiederum als Passwort dienen. Käfer der Art Pa- rastizopus armaticeps zum Beispiel bewachen ihre Brutbauten rund um die Uhr. Geht das Weibchen nachts auf Futtersuche, kommt es nur wie- der in das Nest, wenn es die richtige Duftkombination auf seinem Körper trägt. Der Kleptoparasit Eremosti- bes opacus nutzt das schamlos aus und imitiert das Bouquet des Arma- ticeps-Weibchens so exakt, dass er eingelassen wird, seine Eier als „Ku- ckuckseier“ im Brutbau ablegt und die Larven dann von fremden Käfer- eltern aufziehen lässt. „Eremostibes opacus hat ebenfalls gelernt“, sagen Stefanie und Sven Geiselhardt aus der Peschke-Gruppe. „Er hat dieses Pheromonmuster, das die Evolution hervorgebracht hat, als chemische Mimikry erfolgreich imitiert.“ Evolutionsbiologen analysieren Pheromone von Käfern aus nahezu al- len Erdteilen, um die Zusammenhänge kennenzulernen. „Wir wollen wissen, nach welchen Mustern sich die che- mische Kommunikation entwickelt hat und welche Wege die Evolution dabei genommen hat“, sagt Peschke. So entsteht ein weltweiter Stammbaum der Duftstoffe. Zwischen Copyright und Copy- left: Wie ein Freiburger Jurist die Frage nach dem Urheberrecht im Internet bewertet Höherer Bildkontrast, höhere Auflösung: Wie Physiker bei Mikroskopen Licht bis in den hintersten Winkel schicken Von Neuronen zu Netzwerken: Wie ein Mathematiker die Vorgänge im Gehirn in abstrakten Gleichungen nachzeichnet Lesen Sie auf Surprising Science: www.surprising-science.de Die Deutsche Forschungsgemein- schaft hat das neue Schwerpunktpro- gramm „Ecosystem Nutrition: Forest Strategies for Limited Phosphorus Re- sources“ eingerichtet. Freiburger Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fakultät für Forst- und Umweltwis- senschaften koordinieren das For- schungsprogramm zur Ernährung von Waldökosystemen. Sie wollen heraus- finden, welche Rolle Phosphorressour- cen für Bäume und Wälder spielen und welche Prozesse die Verteilung dieses Nährelements innerhalb des Ökosys- tems steuern. Phosphor wird von Pflan- zen aus dem Boden aufgenommen. Es ist zwar nur begrenzt vorhanden, wird aber im Ökosystem fortlaufend recycelt: Sterben Pflanzen ab, gelangt das Element erneut in den Boden und von dort aus wieder in andere Pflanzen. Die Wissenschaftler wollen untersuchen, wie effizient Waldökosysteme beim Phosphorrecycling sind und welche Strategien zur effizienten Phosphornut- zung auf landwirtschaftliche Systeme übertragen werden können, um die Er- nährung der Weltbevölkerung zu sichern. Wie Phosphor im Wald recycelt wird Mit seinen Greiforganen umfasst ein Aleochara-Männchen das Weibchen, um chemische Duft- und Kontaktreize wahrzunehmen. Der Linguistikprofessor und Co-Di- rektor der School of Language & Lite- rature am Freiburg Institute for Ad- vanced Studies (FRIAS), Peter Auer, ist für seine Arbeiten zur Sprache im Raum mit dem Landesforschungspreis Baden-Württemberg 2011 ausgezeich- net worden, der mit 100.000 Euro do- tiert ist. Auer untersucht vor allem, wie sich die regionalen Unterschiede im Deutschen im Zuge der gesellschaftli- chen Entwicklung verändern. Seine Ergebnisse sind sowohl für die Grund- lagenforschung als auch für die Ausbil- dung von Lehrenden bedeutend. Auer hat auf dem Gebiet der Strukturlingu- istik, Sprachtypologie und Varietäten- linguistik moderne soziologische und kognitionswissenschaftliche Theorie- ansätze eingebracht. Mit seinen Arbei- ten zur Gesprächsforschung ist er nicht nur bei der Diskursanalyse in Deutschland führend. Auers aktuelles Forschungsinteresse gilt Dialekten und sozialen Varietäten. Er verbindet die traditionelle Dialektologie, insbesonde- re des südwestdeutsch-alemannischen Sprachraums, mit einer modernen Theorie der Varietätendynamik. Er ver- knüpft den Komplex mit Fragen der Migration und des Sprachkontaktes sowie mit neuesten Theorien zur Ste- reotypenforschung, Globalisierung und Urbanisierung. Sprache in Raum und Zeit Peter Auer ist mit dem Landesfor- schungspreis ausgezeichnet worden. Foto: FRIAS