03 2016 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 12 von Nicolas Scherger Ein schneller Blick auf den Bild- schirm: 18 neue Twitter-Nachrich- ten in den letzten fünf Minuten, die Zahl der Follower ist auf mehr als 1.100 ge- stiegen. „Sorry, ich bin im Augenblick etwas abgelenkt“, sagt Prof. Dr. Henrike Lähnemann und lacht. In den sozialen Medien bekommt sie viel positives Feedback – für einen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, den sie am 25. Juni 2016 während ihrer Zugfahrt von Oxford/Großbritannien nach Freiburg geschrieben hat. Darü- ber, wie fatal sich der Brexit, für den sich im Referendum am Tag zuvor eine Mehrheit der Briten ausgesprochen hatte, auf die Wissenschaft in Europa auswirken würde. „An den Universitäten waren die Stimmen für den Verbleib in der Europäischen Union deutlich in der Überzahl. Jetzt sind wir alle am Rotie- ren, weil wir denken: Das kann noch nicht das letzte Wort gewesen sein.“ Lähnemann hat eine Professur für Germanistische Mediävistik an der Universität Oxford inne, die vom Deut- schen Akademischen Austauschdienst und der Volkswagenstiftung gefördert wird. Jedes Jahr verbringt sie zwei Monate als Fellow am Freiburg Insti- tute for Advanced Studies (FRIAS) der Albert-Ludwigs-Universität. Die Basis in Großbritannien, dazu ein festes Standbein in Deutschland, ohne sich dort in die hierarchischen Strukturen einpassen zu müssen: „Für mich ist das eine Traumkonstellation“, sagt die Forscherin. Auch wenn sie eigentlich gar nicht so gerne reist, sondern sich lieber an Orten einlebt. Deshalb ver- bringt sie ihre jährliche Zeit am FRIAS stets am Stück – mit dem Ziel, die Inhalte ihrer Forschung vor allem Studierenden sowie jungen Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern näherzubringen. Schreiben, drucken, singen Buchgeschichte und Handschriften- kunde sind Lähnemanns Schwer- punkte. Derzeit befasst sie sich vor allem mit mittelalterlichen Hand- schriften aus norddeutschen Frauen- klöstern. „Texte nicht nur als abstrak- te Gebilde sehen, sondern auch das historische Material und die kulturelle Situation, in der es entstanden ist, angemessen verstehen“, lautet ihr Ansatz. In der Lehre erschließt sie theoretisches Wissen gerne über praktische Übungen. Vor ihrer Abreise aus Oxford hat sie an der Themse Gänsefedern für einen Workshop in Freiburg gesammelt. Die Teilnehmen- den lernen mithilfe von Musterheften aus einem Kloster, Gotisch zu schrei- ben und zu lesen – nachdem sie sich ihre eigene Feder zurechtgeschnitten haben. In Oxford nutzt Lähnemann Setzkästen und Druckerpresse in der Bodleian Library, um die nur im Flug- schriftformat erhaltenen 95 Thesen Martin Luthers gemeinsam mit Stu- dierenden wieder in die ursprüngliche Plakatform zu bringen. Und in den Klöstern, zu denen sie forscht, singt sie mit den Nonnen liturgische Texte nach historischem Vorbild. Doch hinter Klostermauern will die Forscherin nicht bleiben: Sie möchte ihre Arbeit auch einem breiten Publi- kum zugänglich machen. Sie digitali- siert selbst Handschriften und bereitet sie für die Publikation im Internet auf, lässt alle ihre Vorlesungen filmen und als Podcast veröffentlichen, betreibt vier Twitter-Kanäle, ermutigt ihre Stu- dierenden, in Blogs über die eigene Arbeit zu berichten, und ist in Oxford Ansprechpartnerin in Sachen Wissen- schaftskommunikation für Neuphilolo- ginnen und Neuphilologen. „Es liegt in der Verantwortung der Wissenschaft, ihre Ergebnisse verständlich zu prä- sentieren und in die Gesellschaft wirken zu lassen“, sagt Lähnemann. „Außerdem hilft es mir, meine eigene Arbeit besser zu verstehen, wenn ich sie in einem anschaulichen Bild oder einem kurzen Tweet darstelle.“ Die Vermittlung von Wissenschaft gelingt in der Regel besonders gut, wenn sie an die Lebenswelt des Publi- kums anknüpft. Dafür bietet Lähne- manns Forschung mitunter Steilvorla- gen. So hatte etwa jede Nonne im Kloster einen persönlichen Schutzheili- gen, den sie mit „expecto patronum“ anrief. Genauso lautet ein Zauber- spruch aus den Harry-Potter-Romanen. „Monster, Magie, das sind Konzepte, die eine menschliche Grundfaszination ansprechen“, sagt Lähnemann. Damit lassen sich Studierende für das Mittel- alter begeistern – in Oxford ebenso wie in Freiburg. menschen Podcasts, Gänsefedern, Luthers Thesen Die Mediävistin Henrike Lähnemann engagiert sich für die anschauliche Vermittlung von Wissenschaft – und gegen den Brexit Henrike Lähnemann hat gemeinsam mit Studierenden die 95 Thesen Martin Luthers in Plakatform gebracht – und dabei verdeutlicht, wie die Druckerpres- se im ausgehenden Mittelalter die Produktion von Texten veränderte. Foto: Patrick Seeger von Stephanie Streif Wenn Dr. Max Orlich Zeit hat, packt er seinen alten VW-Bus voll bis unters Dach und fährt los. Auch beruf- lich ist der 37-Jährige gerne unterwegs. Bloß keinen Stillstand. Der promovierte Soziologe und ausgebildete Crossmedia- Redakteur ist seit März 2016 der neue Social-Media-Koordinator der Albert- Ludwigs-Universität – und zugleich der erste. Er soll die Präsenz der Univer- sität auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram erhöhen. Zudem ist Orlich Ansprechpartner für alle Ab- teilungen und Fachbereiche, die bereits in sozialen Medien aktiv sind. Dass er als Stratege für das Web 2.0 an die Universität zurückkommen würde, hätte Orlich noch vor ein paar Jahren nicht gedacht: „Als Soziologe muss man irgendwann auch mal raus in die wirkliche Welt.“ Zum Studium bleibt der gebürtige Freiburger in seiner Heimatstadt – zu- mindest bis zur Zwischenprüfung. Im Sommer 2002 packt Orlich alle Bücher, für die er während seines Studiums keine Zeit hatte, in seinen Bus, steigt ein und fährt durch Frankreich, Spanien und Portugal. Ein halbes Jahr ist er unterwegs, danach kann es mit der Semesterroutine weitergehen. Orlich bleibt aber auch abseits der Hörsäle aktiv: Er schreibt für das Webportal fudder.de, spielt Gitarre und fotogra- fiert, am liebsten analog. „Ich wollte nicht in Theorien abtauchen, sondern lieber das echte Leben in die Wissen- schaft holen.“ Den Punkrock zum Bei- spiel, der zu einem Thema in seiner Magisterarbeit wird. Crossmediale Ausbildung Nach dem Abschluss bleibt er an der Universität: Als Doktorand kommt er an dem damals neu gegründeten Gra- duiertenkolleg „Freunde, Gönner, Ge- treue“ unter und schreibt seine Disser- tation über die Situationistische Inter- nationale, eine diskussionsfreudige, in den 1950er und 1960er Jahren aktive Gruppe linker Intellektueller und Künst- lerinnen und Künstler. Das fächerüber- greifende Kolleg sei enorm spannend für ihn gewesen. Trotzdem verlässt er 2010 die Universität, mit einem Doktor- titel in der Tasche, aber ohne konkrete Zukunftspläne. Erst ein Jahr später, nach einer Buchveröffentlichung und diversen Bewerbungen, weiß Orlich, wie es für ihn weitergehen soll: 2011 beginnt er beim Offenburger Tageblatt ein Volontariat und lässt sich dort zum Crossmedia-Redakteur ausbilden. Statt wie in seinem alten Leben Bü- cher zu wälzen, schreibt er Meldungen über Unfälle, Brände, lokalpolitische Themen, Konzerte – kurz: über das Leben in der Ortenau. Seine Aufgabe besteht aber vor allem darin, zusam- men mit einer Kollegin die Lokalblätter der Mittelbadischen Presse crossme- dial, also über alle bestehenden Medien- kanäle hinweg, aufzusetzen und mit- einander zu vernetzen, inklusive Print- und Onlinemedien, Fernsehen und Radio. Weil Social Media im Medien- portfolio des Verlagshauses damals kaum vorkommt, konzipiert und orga- nisiert Orlich die Auftritte des Lokal- blattes bei Facebook, WhatsApp und Twitter gleich mit. Nach seinem Volon- tariat bietet der Verlag ihm eine Stelle als Redakteur an. Schneller und besser kommunizieren Nach fünf Jahren wird es aber wieder Zeit für einen Wechsel: „Der Crossmedia- Desk war etabliert. Das war für mich der richtige Moment, mich wieder aufzuma- chen“, sagt Orlich. Als er vergangenen November liest, dass die Universität ei- nen Social-Media-Koordinator sucht, bewirbt er sich. An seiner ehemaligen Alma Mater wäre in Sachen Social Media so viel mehr möglich. Das reizt ihn. Derzeit ist der Redakteur dabei, sich einen Überblick über alle universitären Social-Media-Aktivitäten zu verschaf- fen. Einige Fachbereiche sind bereits auf Facebook unterwegs, Forschungs- institute twittern, Studierende posten Fotos auf Instagram. Orlich will dafür sorgen, dass die Universität in sozia- len Netzwerken sichtbarer wird und den Nutzerinnen und Nutzern die In- formationen liefert, die sie interessie- ren. In Zukunft könnte die Universität zum Beispiel eine eigene App oder ei- nen WhatsApp-Service anbieten. Stu- dierende könnten sich so besser und schneller als bisher über Kursangebo- te oder Anmeldeverfahren informieren. Das ist nur eine von Orlichs Ideen. Die Universität passt jetzt wieder zu ihm. Max Orlich ist gerne viel unterwegs. Dabei behält er die sozialen Medien immer im Blick. Foto: Sandra Meyndt Web 2.0 nimmt Fahrt auf Max Orlich ist der neue Social-Media-Koordinator der Universität Freiburg www.pr.uni-freiburg.de/publikationen/ soziale-medien 032016