04 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 7campus von Isabell Wiedle Wer war noch gleich Schrödinger, und was passierte mit seiner Katze? Wann ist die nächste Sonnen- finsternis? Das Internet hilft dabei, et- waige Informationslücken schnell zu schließen – Wissen scheint heutzutage allgegenwärtig und für jeden verfügbar. Michael Schonhardt ist für seine 2012 vorgelegte Masterarbeit in die Welt von Mönchen im frühen 13. Jahrhundert eingetaucht – eine Zeit, in der Wissen nicht so leicht verbreitet werden konn- te. Der Historiker beschäftigte sich mit einer Bibel aus dem Kloster Arnstein an der Lahn in Rheinland-Pfalz. Für seine Erkenntnisse und die fächerübergrei- fende Vorgehensweise ist er mit dem „Erasmus Prize for the Liberal Arts and Sciences“ ausgezeichnet worden. Wissenschaftliche Zeichnungen im Anhang der Bibel Die Arnstein-Bibel wurde in den Jahren 1170 bis 1172 geschrieben. Sie besteht aus zwei Bänden und zeich- net sich durch eine besondere bildli- che Gestaltung der Initialen aus. Es waren aber nicht diese kunstvoll ge- schwungenen Lettern, die das Interes- se des Historikers weckten, sondern die Zeichnung einer Hand am Anfang des zweiten Bibelbandes sowie vier Seiten mit Skizzen, die im Anhang der Arnstein-Bibel zu finden sind. „Die Skizzen befassen sich mit aktuellen naturwissenschaftlichen Fragen auf hohem Niveau. Unter anderem behan- deln sie Planetenkonstellationen und die Aufteilung der Erde in Kontinente“, sagt Schonhardt. Das Kloster Arnstein gehörte dem Prämonstratenserorden an, bei dem sich Mönche vor allem um die Seelsorge kümmern sollten. Da es ihnen untersagt war zu studie- ren, konnte solch ein Wissen unmög- lich im Kloster entstanden sein. Doch wie gelangten die Zeichnungen in die Arnstein-Bibel? Der Historiker fand heraus, dass ein gewisser Magister Eberhard in das Kloster eingetreten war, um dort sei- nen Lebensabend zu verbringen. Wie damals üblich, spendete er dem Klos- ter seinen Besitz. Schonhardt konnte die Zeichnungen in der Bibel Büchern aus diesem Besitz zuordnen. Daher liegt der Schluss nahe, dass Eber- hard auch die Skizzen übertrug und zusammenführte. Er nahm damit eine Vermittlerrolle ein, durch die aktuelles Wissen in das Kloster gelangen konnte. „Diese Art von Wissenstransfer – dass Menschen ‚ihr‘ Wissen von einem Ort zum anderen tragen – spielte im Mittel- alter eine entscheidende Rolle“, sagt Schonhardt. Die Hand Gottes im Zentrum des Werks Was mit diesem Wissen pas- siert, wenn es an einen anderen Ort kommt, war eine weitere Frage, die sich Schonhardt in seiner Masterar- beit stellte. Während auf einer höheren Schule Menschen debattierten, argu- mentierten und stritten, um ihr Wis- sen zu erweitern, war der Umgang mit den wissenschaftlichen Zeichnungen im Kloster Arnstein ein ganz anderer. Statt zu versuchen, die Skizzen ra- tional zu verstehen, nahmen die Mön- che das Wissenschaftliche als gottge- geben hin. Durch die Anordnung der Arnstein-Bibel wird diese Einstellung deutlich. Am Anfang des zweiten Bi- belbandes, und damit im Zentrum des Werks, ist die Hand Gottes dargestellt. Von ihr geht alles Weitere aus: das Wort Gottes in Form des Bibeltextes und das Schaffen Gottes, repräsen- tiert durch die wissenschaftlichen Zeichnungen. Damit erinnern sich die Mönche an die Stellung des Menschen in der göttlichen Schöpfungsordnung. Durch den Vergleich mit einem Gott, der Planeten und Sterne erschuf, werde der Menschen demütig. „Die Beziehung zu Wissen variiert je nach Kontext“, lautet Schonhardts Ergebnis. Momentan arbeitet der Historiker an seiner Dissertation. Er befasst sich weiterhin mit hochmittelalterlicher Wissenskultur: Im Mittelpunkt stehen diesmal die Fragen, wie Menschen auf dem heutigen Gebiet Süddeutsch- lands, Österreichs und der Schweiz mit naturwissenschaftlichem Wissen um- gingen und ob es einen Austausch die- ses Wissens in der Region gab. Neue Auszeichnung für wissen- schaftlichen Nachwuchs Der „Erasmus Prize for the Liberal Arts and Sciences“ wurde vom Uni- versity College Freiburg 2013 zum ersten Mal verliehen. Er prämiert Freiburger Nachwuchsforscherinnen und -forscher, die sich unter wissen- schaftshistorischen und erkenntnis- theoretischen Aspekten mit einem Thema auseinandersetzen und fä- cherübergreifend arbeiten. Der Preis wird von der Sparkasse Freiburg- Nördlicher Breisgau gestiftet und ist mit 5.000 Euro dotiert. Magister Eberhard und die Mönche Der Historiker Michael Schonhardt fand in seiner Masterarbeit heraus, wie Wissen über Planeten in das hochmittelalterliche Kloster Arnstein drang Die Arnstein-Bibel enthält prachtvolle Initialen und Skizzen von Planeten. FOTOS: BRITISH LIBRARY von Katrin Albaum Als die Medizinstudierenden Lukas Lauterbach und Hannah Seeba gegen 21.30 Uhr zusammen mit sechs ihrer Kommilitoninnen am Unfallort eintreffen, sehen sie eine verletzte Mo- torradfahrerin auf dem Asphalt liegen. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte reagieren schnell und konzentriert. Zu- vor haben sie abgemacht, dass Lauter- bach die Führungsrolle übernimmt. Er teilt seine Kolleginnen ein: Eine von ihnen ist für das Elektrokardiogramm (EKG) zuständig, andere für den Kreis- laufkoffer, die Halskrause und weitere Ausrüstungsgegenstände. „Wie geht es Ihnen?“, fragt Lauterbach die Pati- entin. In Gedanken geht er das ABCDE- Schema der Notfallmedizin durch, wie er es in der Theorie gelernt hat: Air- way, Breathing, Circulation, Disability und Exposure. Ein A- oder B-Problem schließt Lauterbach schnell aus, da die Patientin ansprechbar ist und mit ihm redet: Ihre Atemwege sind frei, und sie atmet. Lauterbach und seine Kommili- toninnen legen ein EKG an, damit sie den Kreislauf im Blick haben. Um ein D-Problem auszuschließen, tastet der Medizinstudent den Körper der Pati- entin ab. Sie wimmert vor Schmerzen. Plötzlich fällt ihre Sauerstoffsättigung. Seeba redet auf die Frau ein: „Schön tief durchatmen!“ Das Leben der Motorradfahrerin ist glücklicherweise nicht in Gefahr. Denn sie ist keine wirkliche Patientin, son- dern eine Medizinstudentin. Sie stellt in der SkillsNight, bei der Studieren- de einen Nachtdienst simulieren, eine Unfallverletzte mit offener Unterschen- kelfraktur und Gehirnerschütterung dar. Die SkillsNight ist eine Veranstal- tung des STUDITZ, des Studierenden- Trainingszentrums der Medizinischen Fakultät, und findet einmal jährlich statt – 2013 bereits zum vierten Mal. Organisiert wird sie von den Tutorinnen und Tutoren des Trainingszentrums, der ärztlichen Leiterin der Einrichtung, Dr. Sabine Diwo, und der Koordinatorin Edith Zellmer. Die nächtliche Veran- staltung ist in Deutschland einzigartig. „Im Nachtdienst stehen junge Ärzte auf einmal an vorderster Front und müssen vieles selbstständig machen. Bei uns erleben die Studierenden, wie sich das anfühlt“, beschreibt Diwo das Konzept. „Die Fallbeispiele sind sehr rea- listisch“, sagt Lauterbach nach der Übung. „Wenn ich einen solchen Fall später im Berufsleben erlebe, werde ich mich wieder an das erinnern, was ich hier gelernt habe.“ Eine wichtige Lektion bei dieser Übung: Ärzte soll- ten piepsenden Geräten nicht blind vertrauen. Tutor Adrian Heidenreich erklärt, warum das EKG-Gerät am Unfallort plötzlich eine fallende Sauer- stoffsättigung anzeigte: Pulssignal und Sättigung werden am Finger gemes- sen. Gleichzeitig haben die Studieren- den am Oberarm derselben Seite den Blutdruck gemessen und dadurch das Blut sowie das Signal kurz abgedrückt. „Damit haben sie nicht gerechnet, aber das ist ein klassischer praktischer Feh- ler. Die Studierenden sollen die Patien- tin im Auge behalten und die Situation anhand der eigenen Beobachtungen einschätzen“, erläutert Heidenreich. Unangenehme Untersuchungen üben Während draußen die Nacht herein- bricht, behandeln weitere angehen- de Ärzte in fünf Themenräumen ihre Patientinnen und Patienten. Tutorin Josefine Schwind hat sich besonders zurechtgemacht: Mit angeklebtem Bart, gegelten Haaren und Jogginghose spielt sie einen Mann namens Ignaz Immervoll. Dieser schildert den Ärz- ten sein Leid: „Mein ganzer Bauch tut saumäßig weh, ich hatt‘ noch nie so Schmerzen!“ Die Studierenden befra- gen Immervoll und stellen fest, dass er einen Harnverhalt hat. Sie legen einen Blasenkatheter – an einem Modell. Da- nach untersuchen sie den Patienten – ebenfalls nur am Modell – rektal, tasten den After ab und diagnostizieren Pros- tatakrebs als Ursache der Beschwer- den. „Das sind Untersuchungen, die Patienten und angehenden Ärzten oft unangenehm sind. Deshalb machen Medizinstudierende sie während der Ausbildung selten“, sagt Schwind. Es ist etwa zwei Uhr morgens, als der letzte der vier Durchgänge vor- bei ist. Bei jeder Runde haben die 38 Teilnehmenden den Raum gewechselt und in einer Kleingruppe einen neu- en Fall untersucht. Trotz der späten Stunde ist Hannah Seeba noch im- mer hoch konzentriert: Sie beugt sich mit Nadel und Faden in den Händen über ein Hautmodell. Zum ersten Mal näht sie eine Drainage an, ein aus der Haut ragendes Röhrchen. Die Stu- dentin probiert verschiedene Fäden aus und bemüht sich, die Schere beim Abschneiden im richtigen Winkel zu halten. Im STUDITZ kann sie all das in Ruhe üben – so ist sie für spätere Notfälle gewappnet. Die Nacht durchmachen, Leben retten Freiburger Medizinstudierende erleben bei der SkillsNight, wie sich ein Nachtdienst anfühlt Im Notfall einen klaren Kopf bewahren: Die Teilnehmer müssen bei den verschiedenen Übungen Probleme erkennen, Diagnosen stellen und Patienten behandeln. FOTOS: SANDRA MEYNDT www.studitz-freiburg.de Lässt das Herz höher schlagen: Zwischen den vier Durchgängen kön- nen die Medizinstudierenden an der Torso-Puppe „SAM“ das Abhören von Herzgeräuschen üben.