05 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 12 menschen von Anita Rüffer Radfahren ohne Helm? Niemals. Ko- chen am heimischen Gasherd? Nur mit Löschdecke in Griffweite. Schutz- brille, Staubmaske und Gehörschutz gehören für die leidenschaftliche Heim- werkerin zur Standardausrüstung. Und wenn sie in einem Hotel übernachtet, informiert sie sich als Erstes, wie sie rauskommt, falls ein Feuer ausbricht. Klänge es nicht so negativ, könnte man Dr. Petra Markmeyer-Pieles eine Art „Déformation professionnelle“ be- scheinigen. Ihre Arbeit als Leiterin der Stabsstelle Sicherheit, die dem Kanz- ler der Universität zugeordnet ist, hat bei der aus Osnabrück stammenden Chemikerin Spuren hinterlassen. Nicht dass sie jeden Feuerlöscher auf seine Funktionstüchtigkeit überprüfen wür- de. Aber dem „inneren Schweinehund“ vorbeugend Paroli zu bieten, erscheint ihr – beruflich wie privat – sinnvoll. „Es passieren so viele Unfälle, die nicht sein müssten“, sagt sie. An der Universität tut sie gemein- sam mit ihrem Team alles, damit es nicht so weit kommt. Behörden und Unfallversicherungen sorgen mit ihren Vorschriften und Empfehlungen dafür, dass etwa in puncto Arbeitssicherheit keine Schwachstellen übersehen wer- den. Als die „Sicherheitspolizei“ der Universität missverstanden zu werden wäre für die 51-Jährige allerdings „ein Albtraum“. Es will auch nicht gelingen, sie sich als strenge Paragrafenreite- rin vorzustellen. „Wir sehen uns als Dienstleister. Es ist unser Ziel, dass alle gut lehren und forschen können.“ Dabei macht der Ton die Musik, und den scheint Markmeyer-Pieles zu beherrschen – ob Forschenden, Hausmeistern oder dem Reinigungs- personal gegenüber. „Wir sind auf alle angewiesen.“ Wird in der Nanotech- nologie ein neuer Stoff entwickelt, su- chen die Laborleiterinnen und -leiter gerne den Rat der Fachleute für Ar- beitssicherheit. Müssen Schutzmas- ken getragen werden? Wie muss das Labor ausgestattet sein? Hat der Si- cherheitssauger einen Hochleistungs- filter? Als Strahlenschutzbevollmäch- tigte hat Markmeyer-Pieles es auch mit offenen radioaktiven Stoffen oder Röntgengeräten für Materialuntersu- chungen zu tun und ist für die biologi- sche Sicherheit der etwa 130 gentech- nischen Anlagen zuständig, die hohen Sicherheitsauflagen unterliegen. Für die Forscherinnen und Forscher dürf- te Markmeyer-Pieles eine große Hilfe sein, denn sie und ihr Team stellen die entsprechenden Genehmigungsan- träge. In Sachen Sicherheit mag es an der Rechtswissenschaftlichen oder Theologischen Fakultät unspektakulär zugehen – schließlich wird dort nicht mit chemischen Gefahrstoffen gearbei- tet. Aber womöglich stehen Kopierer auf dem Flur, was aus Brandschutz- gründen nicht immer geht. Oder die Bürostühle erfüllen nicht die ergono- mischen Anforderungen. „Bei unseren Begehungen haben wir schon man- ches museumsreife Stück ausgegra- ben.“ Interessenskonflikte bleiben nicht aus. Vorsichtshalber rief kürzlich ein Hausmeister an: Eine Mitarbeiterin wollte mit einem Holzkeil eine häufig genutzte Zwischentür offen halten. „Aber das hätte bei einem Brand Leben gefährden können.“ Eine vermeintliche Kleinigkeit kann sicherheitsrelevant werden. Mit allen Beteiligten wurde eine technische Lösung gefunden. Es spreche für die Sensibilisierung des Personals, dass solche Anfragen über- haupt kommen. Fortbildungen für Mitglieder der Universität Das mag auch den Fortbildungen geschuldet sein, die die Stabsstelle anbietet, angefangen von den regel- mäßigen Löschübungen über Erst- helferkurse bis zu Gabelstapler- oder Kranführerausbildungen. Für Studie- rende der Chemie oder Pharmazie etwa sind die Sicherheitsspezialistin- nen und -spezialisten mit ihren Vorle- sungen oder Praktikumsvorbereitun- gen fester Bestandteil der Lehre. Dass Petra Markmeyer-Pieles seit zwei Jahren auch Beauftragte für die Teilhabe schwer behinderter Menschen am Arbeitsleben ist, scheint eine gute Ergänzung und macht ihr viel Spaß. „Wir haben schon manches bewirkt, zum Beispiel für Rampen oder Fahr- stühle gesorgt.“ Markmeyer-Pieles kümmert sich übrigens nicht nur um die Sicherheit der Menschen. Auch Zwergfledermäuse, die sich kürzlich in ein Dachstübchen der Universität verirrten, können von Glück sagen, dass es die Sicherheitschefin gibt. Ei- genhändig hat sie 38 der hinter einem Regal versteckten Tiere die Freiheit geschenkt. Mit Hirn, Herz und Helm Petra Markmeyer-Pieles leitet die Stabsstelle Sicherheit und will nicht als „Sicherheitspolizei“ der Universität missverstanden werden von Stephanie Streif Als Student führte Daniel Leese für den Reiseveranstalter Studiosus Reisegruppen durch China. Heute hat er eine Professur für Geschichte und Politik des modernen China am Institut für Sinologie der Universität Freiburg inne und durchstreift das Land zusam- men mit seinen Studierenden in Vor- lesungen und Seminaren zumeist nur theoretisch. Doch künftig wird er wieder häufiger die Koffer packen: Der 36-Jäh- rige hat einen mit 1,44 Millionen Euro dotierten ERC Starting Grant erhalten. Mit dieser Förderung unterstützt der Europäische Forschungsrat junge Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jenseits der Grenzen des bislang Bekannten forschen, kurz: die echte Pi- onierarbeit leisten. Und Daniel Leese geht über Grenzen. Immerhin forscht er nicht nur über eine, sondern auch in einer Diktatur. Sein Ziel ist es, eine Datenbank über den Umgang der Kommunisti- schen Partei Chinas mit den maoisti- schen Verbrechen zu erstellen. Zwar inszenierte die Partei die Abkehr von der Kulturrevolution als Neubeginn im Rahmen sozialistischer Rechtsstaat- lichkeit, einen echten Bruch gab es in vielen Bereichen jedoch nicht – und damit auch keine Aufarbeitung der vielen Traumata, die China unter Mao hatte erleiden müssen. Oder doch? „Es gibt sehr wohl eine innerchine- sische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Maoismus“, sagt der Forscher. Die Leute wollen reden. Al- lerdings nicht zu laut: Eine öffentliche Diskussion und eine wissenschaftli- che Aufarbeitung dieser Ära sei nur innerhalb sehr enger, von der Partei vorgegebener Grenzen möglich. Die Archive sind weitgehend geschlossen, und ausführliche Erklärungsansätze gibt es bislang kaum. Erst die Sprache, dann die Geschichte Daniel Leese reicht das nicht. Wie damals zu Schulzeiten, als er zum ersten Mal mit der chinesischen Kul- tur in Berührung kam. „Ein Freund von mir, ein Chinese, brachte mir die ersten Schriftzeichen bei“, erinnert er sich. Mit der Neugierde kam die Fas- zination, und Leese entschloss sich, in Marburg nicht nur Geschichte und Volkswirtschaft zu studieren, sondern auch Sinologie im Nebenfach – der Ästhetik der Schriftzeichen wegen, wie er heute sagt. 1999, zwei Jahre nach Studienbeginn, ging er an die Universität Peking, um dort zunächst die chinesische Sprache und dann neuere chinesische Geschichte zu studieren. Während des Auslandsstu- diums lernte er China als wesentlich offener kennen, als es ihm in Deutsch- land vermittelt worden war. „An der Uni gab es Dozenten, die meine chi- nesischen Kommilitonen immer wieder dazu aufforderten, zu Hause nachzu- fragen, wie ihre Eltern und Großeltern den Großen Sprung oder die Kulturre- volution erlebt hatten.“ Und Leese ging mit, hörte zu und fragte irgendwann selbst nach. Seine Dissertation, die er im Fach „Internationale Geschichte“ an der Jacobs University Bremen schrieb und 2006 abgab, behandelt den Kult um Mao Zedong in den 1950er und 1960er Jahren. Anschließend ging er nach München, wurde am Institut für Sinologie Akademischer Rat und Mitglied im Jungen Kolleg der Bayeri- schen Akademie der Wissenschaften. Seit 2012 ist er in Freiburg. Der ERC Starting Grant wird ihm eine noch intensivere Beschäftigung mit China ermöglichen. Zusammen mit seinem Team wird sich Leese künftig durch Gerichtsakten, Parteierlasse und Lo- kalchroniken arbeiten und Zeitzeugen interviewen. Möglichst viele Quellen aus einem breiten Spektrum sollen gesammelt, ausgewertet, digitalisiert und in eine Datenbank eingespeist werden. Eigens dafür will der Forscher einen Sinologen mit hoher Technik- kompetenz in sein Team holen, der die Datenbank kontinuierlich aufbaut. Auf fünf Jahre ist das Projekt ange- legt; im März 2014 soll es losgehen. Leese ist auf Gegenwind eingestellt: „Ich rechne damit, dass uns die chi- nesischen Behörden angesichts der gegenwärtigen Aufwertung des Mao- ismus durch die neue Führung gele- gentlich Steine in den Weg legen wer- den.“ Das Projekt birgt Risiken. Der Europäische Forschungsrat weiß das. Dennoch fördert er Vorhaben wie die- ses, das neben der Aussicht auf subs- tanziellen Erkenntniszuwachs auch die Gefahr des Scheiterns in einzelnen Bereichen in sich birgt. Um die Risiken zu minimieren, musste Leese bereits im Forschungsantrag alternative Sze- narien skizzieren – nur für den Fall, dass nicht alles klappt wie vorgese- hen. Der Plan hat überzeugt. Daniel Leese ist der erste Geisteswissen- schaftler der Universität Freiburg, dem ein ERC Starting Grant zugesprochen wurde. Mit dem Sinologiestudium fing Daniel Leese an, weil ihn die Schriftzeichen faszinierten. Heute ist er der erste Geisteswissenschaftler der Universität Freiburg, der einen ERC Starting Grant erhielt. Foto: Patrick Seeger Forschen in der Diktatur Der Freiburger Sinologe und Historiker Daniel Leese untersucht den innerchinesischen Umgang mit den Verbrechen unter der Herrschaft Mao Zedongs Petra Markmeyer- Pieles ist eigentlich für die Sicherheit von Menschen zuständig. Aber Fledermäuse, die sich hinter ein Regal verirrt haben, befreit sie auch. Foto: Patrick Seeger