Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 03 2014 Stadt: Wie gefährlich lebt es sich in Freiburg? > 2 Sport: Wie hilft Fußball benachteiligten Mädchen? > 5 Sprache: Wie dient Linguistik der Selbstverteidigung? > 10 In seiner 50-jährigen Geschichte hat sich das Akademische Orchester zu einem hochgelobten Klangkörper entwickelt von Anita Rüffer Dienstags, kurz vor 20 Uhr, be- ginnt das große Tische- und Stühlerücken im Informatikhörsaal der Technischen Fakultät. Ein Höl- lenlärm, den aber schnell fetzige Rhythmen und Klänge ablösen. Statt Fakten und Formeln be- stimmen für zweieinhalb Stunden musikalische Darbietungen diese nüchterne Umgebung: Das Akade- mische Orchester der Universität Freiburg probt für seinen nächsten Auftritt – das Jubiläumskonzert zum 50. Geburtstag im Konzerthaus An- fang Juli. Hannes Reich, der 31-jäh- rige Dirigent, ist wie jeden Dienstag aus Stuttgart angereist. Er thront auf einem kleinen schwarzen Po- dest inmitten seines Klangkörpers, der ihm an Lippen und Taktstock hängt und konzentriert auf seine „Kommandos“ hört. Sind alle ver- sammelt, befinden sich an die 90 Musikerinnen und Musiker im Saal. Mit der Aufführung von Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“ betritt das Orchester unge- wohntes Terrain. Die Schlagzeu- ger übernehmen mit den tempe- ramentvollen Rhythmen der New Yorker Latinos eine Führungsrolle. Hannes Reich nimmt es genau: Wieder und wieder spielen die Flöten die gleichen Takte, bis er zufrieden ist. Das Saxofon hätte er gerne „einen Tick jazziger“. Und dann legen alle los: „Somewhere (There’s a place for us)“, die be- rühmte Hymne der beiden Lieben- den aus den verfeindeten Gangs, erobert den Raum. Wer bei diesen Streicherklängen keine Gänsehaut bekommt, dem ist nicht zu helfen. „Nicht schlecht“, sagt der Dirigent. Für einen in Calw geborenen Schwaben bedeutet das „großes Lob“. Es macht ihm Spaß, „mit be- geisterten Laien zu arbeiten und sie an ihr Limit zu führen“. In der Musik spielt Alter keine Rolle Dass trotz aller Konzentration hier und da mal verstohlen ge- gähnt wird, ist niemandem zu ver- denken: Johannes Kroll ist direkt aus dem Operationssaal zur Probe gekommen. Nachmittags hat der 56-jährige Leiter der Kinderherz- chirurgie ein Kind operiert und sich extrem konzentrieren müssen. Ob- wohl seine Freizeit knapp und nicht geregelt ist, versucht er regelmä- ßig zu den Proben zu kommen und zu Hause gewissenhaft zu üben: „Ein Stück wie die ‚West Side Sto- ry‘ lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln“, sagt der Mann mit der Bratsche, der schon als Student in einem Orchester der Universität Bonn spielte. Er gehört zu einer Handvoll Berufstätigen, die in die hochklassige Formation aufge- nommen wurden. Überwiegend be- steht sie aus Studierenden, auch anderer Hochschulen. „Aber in der Musik spielt Alter keine Rolle“, sagt der Vater von fünf Töchtern. Für Henriette Gööck ist es oh- nehin ein Wunder, wie viele unter- schiedliche Menschen an diesen Dienstagen zusammenkommen und den Tag gemeinsam mit Mu- sik beschließen. „Ich gehe hier als Medizinstudentin rein und komme als Musikerin wieder raus“, sagt die 24-jährige Cellistin, die tags- über Vorlesungen gehört und im Labor experimentiert hat. Vor der Probe hat sich der zehnköpfige Or- chestervorstand getroffen, dessen zweite stellvertretende Vorsitzende sie ist. Beim Vorstand laufen die organisatorischen Fäden zusam- men, ob es um Probenwochenen- den oder um Werbung geht. „Das Orchester ist unser Baby“, sagt Gööck und strahlt. „Es hat Freiburg für mich zum Zuhause gemacht.“ Nach einem Jahr „Work and Travel“ in Neuseeland, in dem sie kein einziges Mal Cello gespielt hatte, wagte Gööck es, sich zu bewerben. „Die sind so gut, die nehmen dich nie“, habe eine Freundin sie ge- warnt. Jetzt ist sie dabei und kann ihr Glück kaum fassen. Auch Danlin Felix Sheng musste vorspielen, obwohl der 25-Jährige gerade seinen Master Klavier an der Musikhochschule gemacht hat. Im Orchester spielt er Schlagzeug: „Das ist auch für mich ein Aus- gleich. Da kann ich mich befreien von meinem Pianistendenken und die geschlossene Gesellschaft der Musikhochschule verlassen.“ Als erster Vorstand des Orchesters muss er „den Überblick behalten und, wenn’s sein muss, auch mal auf den Putz hauen“. „Es ist der Vorstand, der das Sa- gen hat. Ich bin nur der musikali- sche Leiter“, betont Hannes Reich. Gemeinsam mit einer Kommissi- on werden die neuen Programme beschlossen. Der Dirigent legt sein Veto ein, wenn Stücke zu schwierig sind oder die Auswahl zu beliebig wird. Gerade ist sein Vertrag um weitere zwei Jahre ver- längert worden. Restlos überzeugt habe Hannes Reich mit Mahlers 3. Sinfonie, die im Wintersemester 2013/14 mit großem Erfolg im aus- verkauften Konzerthaus aufgeführt wurde. „Ein Riesenprojekt, mit dem er uns zu Höchstleistungen getrieben hat“, erinnert sich Gööck. Proben zwischen Tierköpfen Eine beachtliche Karriere für ein Orchester, das sich vor 50 Jahren als „wilder Haufen“ – so der erste Vorstand Dr. Harald Issel in seiner Chronik – zusammengefunden hat- te. Ziel war, das zuvor aufgelöste Medizinerorchester der Universi- tät Freiburg neu auf die Beine zu stellen – in der Wohnung des Grün- dungsdirigenten Volkmar Fritsche an der Schwarzwaldstraße. Die ersten Proben fanden im Zoologi- schen Institut statt, umgeben von jeder Menge ausgestopfter Tiere. Fritsche muss es innerhalb kurzer Zeit geschafft haben, den wilden Haufen zu einem beeindruckenden Klangkörper zu formen, lief doch bald die gesamte Bläsergruppe des Studium-generale-Orchesters, des anerkannten Universitätsorchesters, zu den Medizinerinnen und Medizi- nern über. Das Studium-generale- Orchester löste sich auf, das Aka- demische Orchester war geboren. In vielen großen Konzertsälen der Welt ist es seither aufgetreten, hat Preise gewonnen, und zahlreiche seiner Musiker haben als Ärzte, Anwälte oder Professoren Karrie- re gemacht. Hannes Reich ist der 17. Dirigent. Gegen 60 Mitbewer- berinnen und Mitbewerber hat er sich durchsetzen müssen. Der Job scheint begehrt zu sein. Alle auf einen Streich: Für das Jubiläumskonzert üben die Musiker Titel aus dem Musical „West Side Story“. FOTOS: SANDRA MEYNDT FOTO:FWTM / SCHOENEN Wilder Haufen mit Rhythmus Der Dirigent Hannes Reich hat sich gegen 60 Mitbewerber durchgesetzt.