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uni'leben 03-2014

03 2014 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 6 forschen Der Modellstudent hat heraus- gefunden: Ein Schwarzes Brett allein macht nicht glücklich. FOTO: MARTIN JOST von Rimma Gerenstein Darf sich ein Mann mit ein paar Bier intus ans Steuer setzen? Die Frage nach einem Alkohollimit wurde in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland heiß diskutiert. Es würde die Straßen sicherer machen, lautete eine Überlegung. Wenn es aber solch ein Verbot gäbe, könnten betrunkene Männer ihre nüchternen Frauen ans Steuer lassen – und das würde den Verkehr erst recht gefährden, hielten andere Stimmen dagegen. Und über- haupt: Was macht einen zuverlässigen Fahrer aus? Wie muss ein Mensch be- schaffen sein, damit er von A nach B kommt, ohne jemanden umzufahren? Ein Fall für die Medizin: In den 1920er Jahren warnte der Psychologe Narziß Ach davor, die eingeführten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf- zuheben. Der Deutsche sei eine stür- mische Natur, die zur Hast neige. Sein Kollege Walther Poppelreuter meinte, dass nicht jeder Mensch die geforderte Aufmerksamkeit im Straßenverkehr erbringen könne. Sie sei ein Talent wie Malen oder Dichten, deswegen müs- se das Strafrecht bei gelegentlichen Patzern Milde walten lassen. Der Un- fallchirurg Martin Kirschner vermutete sogar, dass ein Mensch unmöglich ein sicherer Fahrer sein könne – zu kom- plex seien die Anforderungen. Grundlagen der Straßenverkehrsordnung Was sich heute wie ein Geplänkel zwischen Dr. Seltsam und seinen Kollegen anhört, ist eine historische, wissenschaftlich geführte Debatte. Ju- risten waren auf Erkenntnisse aus der Medizin angewiesen, um rechtliche Schuld zu ermitteln. Die Verkehrsun- fälle und die Opfer, die sie forderten, häuften sich, sagt Dr. Peter Itzen: „In Berlin starben Anfang und Mitte der 1930er Jahre jeden Tag drei Menschen bei Verkehrsunfällen. 2012 kamen bei wesentlich dichterem Verkehr im gan- zen Jahr ‚nur‘ 42 ums Leben.“ Der Historiker am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) unter- sucht die Geschichte des Verkehrsun- falls – von Zusammenstößen zwischen Pferdekutschen und Fahrrädern Mitte des 19. Jahrhunderts über die ersten Automobile im Deutschen Kaiserreich bis zu den 1970er Jahren, in denen etwa 20.000 Menschen jährlich bei Un- fällen starben und mehrere 100.000 auf der Intensivstation landeten. Seinen Schwerpunkt setzt Itzen auf die Jahr- zehnte vor dem Zweiten Weltkrieg, „weil dort Regelungsmechanismen entwickelt wurden, die heute noch üblich sind“: Wie überquert man eine Straße, wann schaut man nach links, wann nach rechts? „Es sind die Grundlagen der modernen Straßenverkehrsordnung.“ Die Geschichte des Verkehrsunfalls ist für den Historiker eine Geschichte davon, wie eine Gesellschaft Risiken erkennt und mit ihnen umzugehen versucht – denn Risiken bergen Ge- fahren, aber auch Chancen. „Auto- mobile können zwar leider lebensge- fährlichen Schaden anrichten, aber gleichzeitig betrachteten Menschen sie als ein Zeichen von Fortschritt und Freiheit, die der Wirtschaft Auftrieb gaben.“ Deswegen sei die Debatte um Verkehrsunfälle stets ein ambivalen- ter Tanz gewesen. „Einerseits wollte man gefährliche Elemente eingrenzen, etwa durch Haftungsregeln oder tech- nische Vorschriften.“ Eine Autohupe zum Beispiel müsse ein unverkennba- res Geräusch haben, sodass niemand auf die Idee käme, eine Straßenbahn oder ein Fahrrad biege um die Ecke. „Andererseits fürchtete man sich davor, den Verkehr zu stark zu regeln, es sich etwa mit der Automobilindustrie zu ver- scherzen und durch selbstauferlegte Vorkehrungen hinter Frankreich und Großbritannien zurückzubleiben.“ Trutzburgen zum Abprallen Der Forscher untersucht unter an- derem Quellen aus der Medizin, den Rechts- und Ingenieurswissenschaf- ten, Gerichtsurteile, Informationsma- terial von Berufsgenossenschaften oder Akten von Krankenkassen. Die Dokumente belegen, was die Ge- schichte des Verkehrsunfalls, sozu- sagen als Nebenprodukt, zu Tage förderte – etwa Rettungsdienst und Unfallchirurgie. Auffallend sei, dass es einen Umschwung in der Schuldfrage gebe, erklärt Itzen: „Im Kaiserreich lag die Verantwortung beim Autofahrer. Er war aufgefordert, rücksichtsvoll zu sein und zu bedenken, dass die Stra- ße auch für Fußgänger, Kutschen und Fahrräder gedacht war.“ Bereits Ende der 1920er Jahre än- dern sich die Erwartungen. Die ver- kehrsschwachen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind gefragt, sich vorsichtig zu verhalten. „Bis in die 1980er gal- ten Autos als Trutzburgen, an denen alles andere abprallen müsse“, sagt der Historiker. „Erst dann kommt die Debatte auf, dass Automobile anders gebaut sein müssten, um Fußgänger und Fahrradfahrer besser zu schützen.“ In etwa zwei Jahren will Peter Itzen sein Forschungsprojekt beenden und ein Buch „über diese versteck- te Geschichte“ schreiben. Versteckt nicht etwa, weil die Quellen spärlich gestreut, sondern weil die Opfer von Verkehrsunfällen in der Öffentlichkeit nicht als eine kollektive Gruppe sicht- bar seien – im Gegensatz zu Opfern von Naturkatastrophen oder Reaktor- unglücken zum Beispiel. Unfälle finden zwar für alle sichtbar statt, aber zu- gleich sind sie versteckt, weil sie sich an einzelnen Straßen und Ecken ereig- nen – ein Überblick sei nicht möglich. „Bei großen Debatten darum, welche Gruppen gefördert oder unterstützt werden müssen, spielen diese Opfer oft keine Rolle und verschwinden aus dem Blick der Öffentlichkeit.“ Risiko auf Rädern Die Geschichte des Verkehrsunfalls in Deutschland zeigt, mit welchen Gefahren und Chancen der Fortschritt eine Gesellschaft konfrontiert Informieren Sie sich jetzt über die zahlreichen Einstiegsmöglichkeiten für Studierende bei der Testo AG. www.testo.de/jobs Zwischen Theorie und Praxis liegen 568 Höhenmeter. klimaneutral gedruckt Die CO2-Emissionen dieses Produkts wurden durch CO2-Emissions- zertifikate ausgeglichen. Zertifikatsnummer: 311-53210-0310-1003 www.climatepartner.com klimaneutral gedruckt Die CO2-Emissionen dieses Produkts wurden durch CO2-Emissions- zertifikate ausgeglichen. Zertifikatsnummer: 311-53210-0310-1003 www.climatepartner.com klimaneutral gedruckt Die CO2-Emissionen dieses Produkts wurden durch CO2-Emissions- zertifikate ausgeglichen. Zertifikatsnummer: 311-53210-0310-1003 www.climatepartner.com Impressum uni'leben, die Zeitung der Universität Freiburg, erscheint fünfmal jährlich. Herausgeber Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer Verantwortlich für den Inhalt: Rudolf-Werner Dreier, Leiter Öffentlichkeits- arbeit und Beziehungsmanagement Redaktion Rimma Gerenstein (Redaktionsleitung), Nicolas Scherger, Katrin Albaum Anschrift der Redaktion Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Albert-Ludwigs-Universität Fahnenbergplatz 79085 Freiburg Telefon 0761/203-8812 Fax 0761/203-4278 E-Mail: unileben@pr.uni-freiburg.de Auflage 14.000 Exemplare Fotos Soweit nicht anders gekennzeichnet, von der Universität Gestaltung, Layout Kathrin Jachmann Anzeigen Gregor Kroschel Telefon 0761/203-4986 gregor.kroschel@mw.uni-freiburg.de Druck und Verarbeitung Freiburger Druck GmbH & Co. KG Vertrieb Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungsmanagement Jahresabonnement Euro 9,– ISSN 0947-1251 © Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Texte geben nicht unbedingt die Meinung des Verlags oder der Redaktion wieder. uni’leben erscheint online unter www.leben.uni-freiburg.de Wir freuen uns über Ihre Meinung, Kritik und Ideen. Die Redaktion behält sich vor, Ihre Zuschrift gegebenenfalls in gekürzter Form als Leserbrief zu veröffentlichen. Schreiben Sieʼs uns. Ihre Meinung ist gefragt! unileben@pr.uni-freiburg.de Sichtbar und doch versteckt: Obwohl Verkehrsunfälle auf offener Straße stattfinden, geraten die Opfer bei gesellschaft- lichen Debatten schnell aus dem Blick der Öffentlichkeit. VORLAGE: STADTARCHIV FREIBURG/M+75-1_K+43

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