01 201501 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 6 forschen von Claudia Füßler Wenn ich sage, dass ich Kristallo- graph bin, glauben die Leute im ersten Moment, ich hätte mit Bergkristal- len zu tun“, sagt Prof. Dr. Arne Cröll und lacht. Dass Kristalle nicht nur in Form von Schmuck und Talismanen existieren, bedenken die wenigsten. Dabei basiert heute die komplette Kommunikations- und Medientechnik auf diesen Gebilden. Cröll, Leiter der Kristallographie am In- stitut für Geo- und Umweltnaturwissen- schaften der Universität Freiburg, züch- tet mit seinen Kolleginnen und Kollegen Kristalle. Silicium, Germanium, Zinnsul- fid und Wismutsulfid sind die Elemente, die sein Team wachsen lässt. Die aus den Schmelzen entstehenden Kristalle sollen je nach Anwendung bestimmte Eigenschaften mitbringen. Das theoretische Ziel: ein perfekter Kristall. „Absolut perfekt gibt es aber nicht, da sind die drei Hauptsätze der Thermo- dynamik dagegen“, berichtet Cröll, der nach seiner Habilitation zwei Jahre lang für die US-amerikanische Raumfahrt- behörde NASA gearbeitet hat, „aber wir wollen möglichst nah dran sein.“ Ein fast perfekter Kristall ist einer, der gleichmäßig gewachsen ist und in dem sich die che- mischen Strukturen einheitlich verteilen. Cröll vergleicht das Erscheinungsbild mit einer Mauer aus Ziegelsteinen – die ein- zelnen Steine sind nahezu identisch und regelmäßig angeordnet, aber: „Hier ist ein Stein herausgebrochen, dort einer an- geschlagen, ein dritter ist kleiner als alle anderen und bringt Unruhe in die Struktur.“ Für die Unruhe beim Kristallwachs- tum sorgen vor allem Strömungen – sol- che, wie sie auch im Kochtopf entste- hen, wenn das Wasser unten heiß wird, während es oben noch kalt ist. Doch Strömungen verursachen Streifen, die kein Kristallograph in seinen Werken sehen will. Also müssen die Strömun- gen ausgeschaltet werden. Da sie durch die Schwerkraft bedingt sind, liegt die Lösung auf der Hand: Die Kristallzüchter müssen ins Weltall. Die Idee stammt von dem einstigen Institutsleiter Prof. Dr. Rudolf Nitsche, Crölls Doktorvater. Eine Minute gleich fünf Millimeter Wachstum Seit 1983 haben die Freiburger Kris- tallographinnen und Kristallographen an 24 Missionen teilgenommen, der- zeit bereiten sie sich auf zwei weitere vor. Jede Mission hat Experimente aus dem Breisgau mit an Bord – in der Re- gel gleich mehrere. Eine Mission dauert unterschiedlich lang, je nachdem, auf welcher Plattform geflogen wird. Davon gibt es vier Varianten: Bei einem Para- belflug dauert die Schwerelosigkeit 21 Sekunden. Das reicht gerade mal für ein paar Messungen, ist aber zu kurz, um einen Kristall zu züchten. Dafür braucht es mindestens sechs Minuten – so lange dauert die Schwerelosigkeit in den ballis- tischen Raketen, die in Kiruna/Schweden in die Atmosphäre geschossen werden. Ein Siliciumkristall wächst zwei bis fünf Millimeter in der Minute, zwei bis drei Mi- nuten gehen für das Aufschmelzen des Materials bei 1.420 Grad Celsius drauf. So kommt je Flug etwa ein Zentimeter Siliciumkristall heraus. Deutlich länger Zeit zum Wachsen haben die Kristalle in unbemannten Raumkapseln wie dem russischen Forschungssatelliten Foton- M4, der vier Wochen bis neun Monate unterwegs ist. Ähnlich verhält es sich bei der vierten Variante: bemannten Raumflügen wie in den früheren Space- lab-Missionen der NASA. Nach den ersten Ausflügen in die Schwerelosigkeit war den Forscherin- nen und Forschern schnell klar: Durch das Ausschalten der irdischen Strö- mung kommen sie dem perfekten Kris- tall zwar näher, aber noch nicht nah genug. Denn eine andere Strömung mit dem Namen Marangoni-Konvektion existiert unabhängig von der Schwer- kraft. Die Bewegung findet dabei vom Ort niedriger Oberflächenspannung zum Ort hoher Oberflächenspannung statt – „als würde man Spülmittel ins Abwaschwasser kippen“, sagt Cröll – und tritt bei Halbleitern, wie die Frei- burger Forscher sie züchten, besonders stark auf. Ein neues Problem also, an dem die Kristallographen tüfteln, um Unternehmen, etwa aus der Solar- und Halbleiterindustrie, Anleitungen für den fast perfekten Kristall liefern zu können. Der kommt überall im Alltag zum Ein- satz: im Internet, bei elektrischen Fahr- antrieben, in Smartphones, Turbinen und Lasern, bei der Chipherstellung oder der Wasseraufbereitung. Hochgehen, um für unten zu lernen Vor einigen Wochen hat Cröll die Pro- ben von Experimenten zurückbekom- men, die im November 2014 mit einer unbemannten Kapsel in Russland ge- landet sind. Dabei ist unter anderem un- tersucht worden, wie eine Germanium- schmelze in einem schmalen Tiegel zum Kristall wachsen kann, ohne da- bei Kontakt zur Tiegelwand zu haben. „Wandablösendes Wachstum“ nennen das die Forscher. Noch haben Cröll und seine Kollegen nicht alle Ergebnis- se ausgewertet, aber es sieht so aus, als funktioniere das wandablösende Wachstum in der Schwerelosigkeit, auch dank des Tiegelmaterials Bor- nitrid. Bei den Vergleichsexperimen- ten, die auf der Erde gemacht wurden, hat die Wandablösung aufgrund der Schwerkraft nicht geklappt. „Indem wir die Dinge vereinfachen und störende Komponenten wie Strömungen aus- schließen, kommen wir mitunter schnel- ler zu Lösungsansätzen für besseres Wachstum“, sagt Cröll. „Wir gehen da hoch, um für hier unten zu lernen.“ Schmelzen in der Schwerelosigkeit Arne Cröll will einen fast perfekten Kristall züchten – dafür veranstaltet er Experimente im Weltall Banken gibt es viele. 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Gemeinsam mit seiner Ar- beitsgruppe will der Physiker tiefere Einblicke in die komplexe Quantendy- namik bei Mehrkörpersystemen sowie chemischen Reaktionen gewinnen, die bei weniger als einem Millionstel Grad über dem absoluten Temperatur- nullpunkt stattfinden, der bei –273,15 Grad Celsius liegt. Die Auszeichnung gehört zu den renommiertesten Prei- sen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Europa. Für die nächsten fünf Jahre erhält Schätz für sein Projekt TIAMO (Trapping Ions in Atoms and Molecules Optically) eine Förderung von 1,8 Millionen Euro. Videoessay „Cerebromatik“ ist online Hirnbilder, Adapterproblematiken und die Frage nach dem Taktgeber: Eine neue Website dokumentiert die Zusammenarbeit der Mobilen Akade- mie Berlin mit dem neurotechnologi- schen Exzellenzcluster BrainLinks- BrainTools der Universität Freiburg. Im Herbst 2013 war die Mobile Akademie eingeladen, die Arbeit von BrainLinks- BrainTools in einem Projekt zu reflek- tieren. „Cerebromatik“ ist eine wissen- schaftliche Zukunftssprache, 1964 von dem polnischen Autor, Futurologen und Wissenschaftstheoretiker Stanis- law Lem erfunden, der eine technische Manipulation der neuronalen Hirn- struktur prognostizierte. Das Projekt untersuchte in einer Interviewserie und einem inszenierten öffentlichen Film- shooting mit Forscherinnen und For- schern unterschiedlicher Disziplinen zwei zentrale Adapterproblematiken: zwischen Hirn und technischen Gerä- ten sowie zwischen Geistes- und Na- turwissenschaften. Arne Cröll züchtet Kristalle, die gleichmäßig gewachsen sind und in denen sich die chemischen Strukturen einheitlich verteilen. FOTO: THOMAS KUNZ Forensik für den Artenschutz: Der Wildtierökologe Prof. Dr. Gernot Segelbacher erklärt, wie molekulare Methoden zum Erhalt der biologi- schen Vielfalt beitragen. Verzögerter Infektionsweg der Ebolaviren: Der Pharmakologe Prof. Dr. Norbert Klugbauer erläutert neue Untersuchungen zur Ausbrei- tung des Virus. Wissenschaft entdecken auf Surprising Science www.surprising-science.dewww.cerebromatik.info 012015012015 Ihres neuen Kontos unter Tel. 0800/406040160 (kostenfrei)