01 2016 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 12 von Stephanie Streif Es gibt Menschen, für die es voll- kommen normal ist, anders zu sein. Beate Massell, die neue Beauftragte der Universität Freiburg für Studieren- de mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, ist so ein Mensch. Für sie gibt es die Unterscheidung in „normal“ und „nicht normal“ schlichtweg nicht. Das war schon immer so, denn Massell wuchs mit einem gehandicapten Vater auf, der sich abends nach der Arbeit seine unbequemen Armprothesen ab- nehmen ließ. Seine Behinderung sei für sie so selbstverständlich gewesen, dass sie als Kleinkind nur armlose Männer gemalt habe. Zweites Studium mit fast 50 Jahren Der neue Job scheint wie für sie ge- macht. Dabei verlief die berufliche Vita der 54-jährigen Freiburgerin alles an- dere als linear: Nach der Mittleren Reife ließ sie sich in den 1980er Jahren erst zur Erzieherin, dann zur Heilpraktikerin ausbilden und bekam vier Kinder, die sie alleine großzog. Ihre Tage waren voll – mit Wickeln, Lernen, Kochen und mit jeder Menge Nebenjobs, um finan- ziell über die Runden zu kommen: „Ich war Küchenhilfe, bin putzen gegangen und habe frühmorgens mit umge- schnalltem Kind Zeitungen ausgetra- gen.“ Manchmal sei sie so müde gewe- sen, dass sie im Stehen geschlafen habe – ganz kurz zumindest. Mit Mitte 40 musste Massell beruflich noch ein- mal von vorne anfangen, denn ihr Rü- cken machte das viele Bücken in der Kita, in der sie inzwischen als Erzieherin arbeitete, nicht mit. Also begann sie in Heidelberg mit ei- nen Studium der Sozialpädagogik und erwarb nebenbei nachträglich die Hoch- schulzugangsberechtigung. Den Master setzte sie nach ihrer Rückkehr nach Freiburg noch oben drauf. ielleicht, weil der Zufall es so wollte: Eines Tages sei sie an der Evangelischen Hochschule vorbeigekommen und einfach hineinge- gangen, erinnert sie sich. „Dort habe ich den Professor getroffen, der für den Masterstudiengang im Bereich Sozial- management zuständig war. Er lud mich spontan zur Auftaktveranstaltung der Zweitsemester ein.“ Keine zwei Stunden später saß Massell bei ihm in der Vorle- sung und studierte zum zweiten Mal – mit fast 50 Jahren. Dass sie auch diesmal um Einiges älter als ihre Kommilitonin- nen und Kommilitonen war, habe sie nie gestört, im Gegenteil: Das sei erfrischend gewesen. „Ich könnte auch gut weiter- studieren. Soziologie zum Beispiel.“ Aber jetzt ist sie erst einmal Beauftrag- te an der Universität. Wenn sie von den Menschen erzählt, die sie in ihrem klei- nen Büro im Service Center Studium berät, gerät sie ins Schwärmen. Sie empfinde den jungen Leuten gegenüber eine große Hochachtung. „Viele haben kaum Freizeit, weil sie aufgrund ihrer Behinderung jede Menge Zeit in die Or- ganisation ihres Studiums stecken müs- sen.“ Ein Student im Rollstuhl zum Bei- spiel: Während seine Kommilitonen sich zwischen zwei Vorlesungen noch kurz auf einen Kaffee treffen, muss er um- ständlich von einem Hörsaal in den nächsten rollen. Massell berät körperbe- hinderte Studierende genauso wie sol- che, die am Asperger-Syndrom, an Mor- bus Crohn, Allergien, Legasthenie oder an einer Depression leiden. Sie gibt Tipps, organisiert Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter, schreibt Gutachten, füllt zusammen mit den Studierenden For- mulare und Anträge aus und sucht nach Wegen, um zum Beispiel Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwer- hörigkeit mithilfe modernster Technik ein Studium zu ermöglichen. Darüber hin- aus versucht sie die Studierenden darin zu bestärken, ihre Behinderung – egal, ob diese physisch oder psychisch ist – anzunehmen. Das gelte vor allem für Menschen, die unsichtbar krank sind. Viele schämten sich dafür, nicht mehr richtig zu funktionieren, und behielten deswegen ihr Kranksein erst einmal für sich. „Das stresst und führt bei vielen zu einer großen Erschöpfung“, sagt Massell. Ihr Tipp: Besser offenlegen, was ist. Und weitermachen. Krankheit hin oder her. Dank Inklusion in der Schule schaf- fen es immer mehr behinderte oder chronisch kranke Menschen an die Uni- versität. Massell bezeichnet das als großes Glück, schließlich sei nicht ein- zusehen, warum ein Mensch mit Hör- schädigung nicht auch Ärztin oder Arzt werden könne. Anders, also krank oder gehandicapt, seien ohnehin viel mehr Menschen, als man annehme. „Die meisten schleppen irgendein Päckchen mit sich herum.“ Ist doch ganz normal. Telefon: 0761/203-67380 E-Mail: studium-mit-handicap@ service.uni-freiburg.de von Petra Völzing Ortswechsel. Erst vor Kurzem ist das EU-Büro der Universität Freiburg von der Bismarckallee in das neue Ge- werkschaftshaus neben dem Rektorat umgezogen. Leere Flure, viele Türen. Auch Christian Jägers Büro wirkt noch etwas nüchtern, aber das passt zu dem Juristen. In seiner Erscheinung ist er zu- rückhaltend: schwarze Hose, schwar- zes Hemd. Die blauen Augen blicken al- lerdings ziemlich wach. Als neuer Leiter des EU-Büros berät und unterstützt er mit seinem Team Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität in Bezug auf Fördermöglichkeiten der Eu- ropäischen Union für Forschungs- und Bildungsvorhaben. Keine einfache Auf- gabe, aber genau die richtige für Jäger, denn wenn sich jemand in den Untiefen des internationalen Rechts und der EU- Strukturen auskennt, dann er. Bevor er 2009 beim EU-Büro anheuerte, arbeite- te er in Berlin für einen Verlag, der auf EU-Themen spezialisiert ist. Der 48-Jährige stammt aus Achern im Ortenaukreis, hat in Berlin Jura stu- diert und sich auf internationales Recht und Rechtsvergleichung spezialisiert. Sein Referendariat absolvierte er zum Teil in einer Anwaltskanzlei in Kapstadt/ Südafrika. Er schaut eben gerne über den Tellerrand und hat Sinn für kompli- zierte Fragestellungen. „Ich finde es interessant, auf rechtlicher Ebene mit Fragen umzugehen, die auftauchen, wenn Menschen oder Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern etwas miteinander zu tun haben.“ Da ist auch Kreativität gefragt: „Stellen Sie sich vor, ein Spanier heiratet eine Engländerin in Deutschland, dann kaufen die beiden ein Haus in Frankreich und sterben in Slowenien.“ Der Fall sei ein wenig zu- gespitzt, aber bei Scheidung, Immobili- enkauf oder Erbschaft müsse immer wieder ausklamüsert werden, welche Rechtsordnung eigentlich gelte. Heute beschäftigt Jäger sich vorwie- gend mit internationalen Forschungsvor- haben, aber das sei im Prinzip ähnlich. Die EU schreibt vor, dass an von ihr ge- förderten Forschungsprojekten immer mindestens drei Projektpartner aus unter- schiedlichen Ländern beteiligt sein müs- sen. Eine von Jägers wichtigsten Aufga- ben ist die Prüfung der Verträge, in denen die Partner den Projektablauf regeln. Bei solchen Vertragsprüfungen müssen auch unterschiedliche Rechtskulturen unter einen Hut gebracht werden. „Natürlich fußen die Verträge auf dem belgischen Recht“, betont Jäger, „aber jeder Ver- tragspartner muss darauf achten, dass die Formulierungen mit dem eigenen Recht vereinbar sind.“ Es werden aber auch Inhalte verhandelt. Da geht es zum Beispiel um mögliche Streitfälle oder um Kommunikations- und Entscheidungs- wege. „Strittig ist am häufigsten der Um- gang mit dem geistigen Eigentum“, sagt der Rechtsexperte. Vor allem wenn Un- ternehmen mit an Bord sind, werde hart darum verhandelt, wie mögliche Ergeb- nisse, zum Beispiel in Form von Paten- ten, genutzt werden dürften. Verträge sind aber nicht das Einzige, worum sich das EU-Büro kümmert. Es berät die Wissenschaftler in allen Stadi- en des Prozesses: vom Antrag über den Projektablauf bis hin zum Abschlussbe- richt. „Wir haben auch im Blick, welche Fördermöglichkeiten die EU aktuell bie- tet, und gehen dann auf Institute zu, von denen wir meinen, dass sie gute Aus- sichten auf eine Förderung haben“, sagt Jäger. Auch das ERASMUS-Programm für Studierende, Lehrende und das Ver- waltungspersonal fällt in seine Zustän- digkeit. Ein ziemliches Pensum für Jä- ger und seine vier Mitarbeitenden. Einen hohen Stellenwert hat für ihn au- ßerdem die Lobbyarbeit. Er ist in meh- reren nationalen und internationalen Universitätsnetzwerken aktiv. „Dabei geht es um den Erfahrungsaustausch“, erklärt er. Man bemühe sich aber auch, von dieser Ebene aus in die EU hinein- zuwirken, um die dortige Förderpraxis entsprechend den Bedürfnissen der Universitäten mitzugestalten. Entspannen im Sternwald Nach einem anstrengenden Tag ist Jäger froh, dass bei ihm zu Hause der Sternwald gleich um die Ecke ist. Wenn er mit seiner Familie draußen im Grü- nen ist, treten die Paragrafen in den Hintergrund. In seinem Wohnzimmer steht noch ein richtiger Plattenspieler, auf dem er gerne die Rock- und Inde- pendentplatten aus seiner Jugendzeit hört. Das gefällt auch seinen beiden Kindern, drei und sieben Jahre alt. Sie mögen vor allem die Picture Discs, kul- tige Sammlerplatten, bei denen das Vi- nyl mit farbigen Bildern und Mustern gestaltet ist. „Ich finde es schön, den Kindern nahezubringen, dass nicht alles, was interessant ist, aus Computern und Handys kommen muss“, sagt er und lacht. Sein Sinn für Kreativität bezieht sich eben nicht nur auf Gesetzestexte. menschen Weitermachen, Krankheit hin oder her: So lautet Beate Massells Ratschlag an Studierende, die sich wegen einer Krankheit oder Behinderung unter Druck setzen. Foto: Thomas Kunz Beraten und bestärken Beate Massell hilft Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung dabei, den Alltag an der Universität zu meistern www.frs.uni-freiburg.de/abteilungen/eu Mit seinem Team geht Christian Jäger auf Institute zu, die gute Aussichten auf eine Förderung der Euro- päischen Union haben. Foto: Thomas Kunz Kreativer Blick aufs Detail Als neuer Leiter des EU-Büros unterstützt Christian Jäger Forscher bei internationalen Projekten 012016