01 2016 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 5 forschen von Verena Adt Ein wirres Knäuel, aus dem ein Strang verknoteter Fäden heraus- hängt: So sehen Susis tägliche Wege auf ein Luftbild ihres Wohngebiets projiziert aus. Zwei Wochen lang lief die Hauskatze aus der Kaiserstuhl- Gemeinde Bötzingen mit einem GPS- bestückten Halsband durch ihr Revier. Anhand der Senderdaten haben die Freiburger Wildbiologinnen Sabrina Streif und Carolin Greiner von der Forstlichen Versuchs- und Forschungs- anstalt Baden-Württemberg (FVA) eine Karte von Susis Streifzügen angefertigt. Greiner und Streif, die an der Univer- sität Freiburg promoviert, haben 25 Hauskatzen aus dem Raum Breisach/ Kaiserstuhl mit GPS-Sendern und zum Teil auch mit Infrarotkameras in Minia- turformat ausgestattet, um eine Frage zu klären, die Katzenhalterinnen und Katzenhalter umtreibt: „Was macht meine Katze eigentlich, wenn sie drau- ßen herumstromert?“ Ein Filmvorhaben hatte das Projekt in Gang gebracht. Eine Berliner Fernsehproduktionsfirma, die eine Dokumentation für den SWR drehen wollte, war auf Streif aufmerk- sam geworden, die schon mit Erfolg GPS-Daten von Wildkatzen erhoben hatte. Nun auch die Wege von Haus- katzen verfolgen zu können kam der Doktorandin gelegen: „Es war span- nend, dieses Thema, an dem breites Interesse besteht, unter wissenschaft- lichem Aspekt zu bearbeiten.“ Die Senderüberwachung zeigte, dass Hauskatzen bei ihren Streifzügen meist weniger als einen Kilometer zu- rücklegen. Susi aus Bötzingen, die bei ihren Ausflügen auf zehn Kilometer lange Strecken kam, stellt damit eine Ausnahme dar. Unerwartet mager fiel die Jagdausbeute der Katzen aus. „Es gab nur wenige Tote, hauptsächlich Mäuse und ein paar Vögel“, berichtet Streif und lacht. „Das kann auch an der Jahreszeit gelegen haben.“ Immerhin kann man beim Anschauen des von den Katzen mitgebrachten Filmmateri- als das Erlegen einer Maus miterleben. Begegnung der anderen Art Streif interessierte aber noch etwas anderes: „Ich wollte wissen, wie und wann die Hauskatze den Lebensraum Wald nutzt.“ Denn dort ist die Europäi- sche Wildkatze beheimatet, die hierzu- lande als ausgestorben galt, aber seit etwa zehn Jahren im Raum Breisach und im Kaiserstuhl immer wieder ge- sichtet wird. Die Wildtierbiologin wollte erfahren, ob Haus- und Wildkatze ein- ander begegnen, ob sie einander den Lebensraum streitig machen oder sich sogar verpaaren. 21 Wildkatzen hat Streif in den Jahren 2010 bis 2013 im Breisacher Raum eingefangen, mit GPS-Sendern ausgestattet und wieder freigelassen. Die Tiere trugen die Sen- der ein Jahr und länger. Die wissen- schaftliche Auswertung dieses Feld- versuchs ist das Thema von Streifs Doktorarbeit, die sie in Kürze bei der Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen vorlegen wird. Sie fand heraus, dass Wildkatzen ein ungleich größeres Revier als ihre domestizierten Verwandten haben. „Bei den Männchen sind das bis zu 1.500 Hektar. Die mit der Aufzucht be- schäftigten Weibchen haben einen kleineren Radius von 60 bis 300 Hektar.“ Die Hauskatze dagegen begnüge sich mit einem halben bis maximal 70 Hektar. Der kurze Einblick in die Laufrouten der Kaiserstühler Hauskatzen habe gezeigt, dass die Tiere nicht in den Wald gingen. Wildkatzen wiederum gingen nie- mals in die Siedlungen, selbst wenn sie dicht bei einem Wohngebiet lebten, stellte Streif fest. Vereinzelt komme es zwar zu Verpaarungen von Haus- und Wildkatzen, aus denen reproduktions- fähige Hybriden hervorgingen. Gleich- wohl drohe der Europäischen Wildkatze, deren Bestand in Deutschland gegen- wärtig auf 5.000 bis 7.000 Tiere ge- schätzt wird, laut aktuellen Studien „keine genetische Überwältigung“ durch die 80 Millionen zahmen Artver- wandten. Jeder Katzenhalter, so Streif und Greiner, könne viel für den Schutz der wilden Artverwandten seiner Mieze tun, indem er diese kastrieren lasse. Die weit realere Gefahr sei die Ein- schränkung des Lebensraums durch den Menschen, in erster Linie durch den Straßenverkehr. Nicht umsonst wer- de das Vorkommen von Wildtierarten in der Regel anhand von „Totfunden“, also überfahrenen Tieren, festgestellt. Auch die erste Europäische Wildkatze, die nach Jahrzehnten im Breisgau wie- derentdeckt wurde, klaubte man 2006 von der B 31 bei Oberrimsingen. GPS-Sender und Infrarotkameras verraten, auf welche Streifzüge sich Katzen begeben Auf etwa 5.000 bis 7.000 Tiere schät- zen Forscher derzeit den Bestand der Europäischen Wildkatze in Deutsch- land. FOTO: KLAUS ECHLE Mit einer öffentlichen Vorlesung zu Handschriften aus norddeutschen Frauenklöstern hat Henrike Lähne- mann im Januar 2016 ihre Professur für Germanistische Mediävistik an der Universität Oxford/England angetre- ten. Damit fällt der Startschuss für eine vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, der VolkswagenStif- tung und der Neuen Universitätsstif- tung Freiburg geförderte Kooperation zwischen den Universitäten Oxford und Freiburg. In jedem Jahr wird die Mediävistin zwei Monate als Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Albert-Ludwigs- Universität verbringen. Die bereits jetzt enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten auf dem Gebiet der Germanistischen Mediä- vistik wird dadurch intensiviert. Abge- sehen von ihrer wissenschaftlichen Arbeit, wird Lähnemann in Freiburg beispielsweise Workshops zum Ver- fassen von Abstracts auf Englisch sowie zu Präsentationstechniken ver- anstalten oder Vorträge halten, etwa zum Thema „Sichtbarmachung von Forschung“. Im Juli und August 2016 wird die Mediävistin für ihren nächs- ten Aufenthalt nach Freiburg kommen. Eine Professur für Freiburg – Oxford Wissenschaft entdecken auf Surprising Science „Bonjour, hi!“: Ein Freiburger Linguist ermittelt, wie Gesetze in Québec den Gebrauch der Alltagssprachen vorgeben. Das Galaxy-Projekt: Ein Team aus der Bioinformatik entwickelt eine Plattform, die einen Standard für die Daten- erfassung und -analyse in der Genforschung bieten soll. www.pr.uni-freiburg.de/pm/ surprisingscience Sendetermine Der Kurzbeitrag über das geheim- nisvolle Leben der Katzen wird in der ARD-Reihe „W wie Wissen“ am 19. März 2016 um 16 Uhr und im SWR-Wissenschaftsmagazin „Odysso“ am 21. März um 22 Uhr ausgestrahlt. Ende des Jahres soll ein zweiteiliger Dokumentarfilm im SWR gezeigt werden. Irrungen und Wirrungen: Die Hauskatze Susi aus Bötzingen legte bei ihren Aus- flügen mehr als zehn Kilometer zurück – eine Ausnahmesportlerin im Vergleich zu den anderen Probanden. QUELLE: SABRINA STREIF/FORSTLICHE VERSUCHS- UND FORSCHUNGSANSTALT BADEN-WÜRTTEMBERG Mit Fremden in den Federn In der neuen Ausgabe des Muße- Magazins, das der Sonderforschungs- bereich „Muße. Konzepte, Räume, Figuren“ der Universität Freiburg he- rausgibt, hat Dr. Miriam Nandi ein Plädoyer über die Vorzüge des Lie- genbleibens geschrieben. Rimma Gerenstein hat die Anglistin gefragt, warum sie sich mit dem Bett beschäf- tigt hat und wieso es in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich war, ne- ben fremden Menschen zu schlafen. uni’leben: Frau Nandi, wie sind Sie auf das Bett als „Ort der Muße“ gestoßen? Miriam Nandi: Ich untersuche briti- sche Tagebücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert und habe mich mit Vor- stellungen von Privatheit beschäftigt. Das Tagebuch zum Beispiel war da- mals etwas, das man anderen zum Lesen gab. Ich stieß immer wieder auf Passagen, in denen Leute als Zeichen von Gastfreundschaft ihren Besuch dazu einluden, die Nacht in ihrem Bett zu verbringen. Und wo haben die Gastgeberinnen und Gastgeber geschlafen? In demselben Bett. In den Tagebü- chern haben sie die Unterhaltungen aufgezeichnet und geschildert, wie nett man sich doch im Bett die Zeit vertreiben könne. Das frühneuzeitliche Bett war nämlich ein anderes als Ihres oder meines. Es diente dazu, soziale Beziehungen zu knüpfen. Der Politiker Samuel Pepys zum Beispiel erzählt in seinem Londoner Tagebuch aus den 1660er Jahren, wie er einen jungen Mann in sein Bett einlud, zu dessen Gönner wurde und lange Zeit mit ihm zusammenarbeitete. Warum eignet sich das Bett so gut, um Muße zu erleben? Wir definieren Muße als einen Zu- stand, in dem Menschen aus den zeit- lichen und dienstlichen Zwängen he- raustreten, um sich alleine oder mit Gleichgesinnten schöpferischem Tun oder einer entspannten Untätigkeit hin- zugeben. Das Bett schafft die Rah- menbedingungen dafür: Es ist ein Ort, an den man sich zurückzieht und an dem man ja meistens entspannt ist. Wird Arbeit zur Muße, wenn man sie aufs Bett verlagert? Wir können Muße überall empfinden, aber wir können sie nicht erzwingen. Sie ähnelt Erlebnissen aus der Medita- tion – ein Zustand, in dem wir eigent- lich gar keine Zeit mehr wahrnehmen. Manchmal erleben wir das auch beim Arbeiten, egal ob wir mit dem Laptop am Schreibtisch sitzen oder im Bett liegen. Aber sobald man Druck ver- spürt, ist es mit der Muße vorbei. Wildfang und Hausmieze http://mussemagazin.de Auch die Arbeit kann Muße bringen – doch sobald der Mensch Druck ver- spürt, ist es damit vorbei, sagt Miriam Nandi. FOTO: KLAUS POLKOWSKI 012016