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uni'leben 01-2016

01 2016 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 9 campus von Nicolas Scherger In der Serie „Abgezockt!“ treffen sich Redaktionsmitglieder von uni’leben mit Forscherinnen und Forschern der Universität Freiburg zu einer Spiel- partie. Ziel ist, beliebte Gesellschafts- spiele aus wissenschaftlicher Per- spektive zu beleuchten – freilich mit einem Augenzwinkern. Das Spiel Die Sanduhr läuft. Karte ziehen, lesen, den gesuchten Begriff umschreiben. So, dass die Teammitglieder ihn mög- lichst schnell erraten und damit einen Punkt gewinnen. Der direkte Weg ist versperrt, denn fünf naheliegende Begriffe sind in der Erklärung tabu. Fällt trotzdem einer davon, quietscht das lila Kissen, und der Punkt geht an das gegnerische Team. Ob beim Erklä- ren oder beim Raten: Wer langsam denkt, hat ein Problem. Die Spielerinnen und Spieler Juniorprofessorin Dr. Adriana Hanuli- kova und Dr. Daniel Müller-Feldmeth, Germanistische Linguistik Rimma Gerenstein und Yvonne Troll, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Der Ablauf Runde Eins: Hanulikova/Troll gegen Müller-Feldmeth/Gerenstein. Die Team- mitglieder kennen sich also nicht. Eine Herausforderung, sagt Hanulikova. „Wenn wir nicht auf eine gemeinsame Lebenswelt und geteiltes Wissen zu- rückgreifen können, wird es schwieriger.“ Was sich prompt bestätigt. Hanulikova: „Das tut man in die Nase, wenn man krank ist.“ Troll: „Spray, inhalieren.“ Hanulikova: „Für kleine Kinder.“ Geren- stein drückt das Quietschkissen, „klein“ ist tabu. Punkt für die Gegenseite. „Es hätte gereicht, wenn ich nur ‚Kinder‘ gesagt hätte“, hadert Hanulikova. Aber auch dann hätte dieser Weg wohl nicht zum Ziel geführt. Gesucht war nämlich der Begriff „Tropfen“. „Damit hätte ich ganz andere Dinge verbunden, Regen oder einen Wasserhahn“, sagt Troll. Sie hat eben, anders als Hanulikova, keine erkältete Tochter, der sie Nasen- tropfen verabreichen muss. Die Konkurrenz hat mehr Glück in Sachen Lebenswelt. Zwar arbeiten alle vier Spielenden an der Universität, doch nur Team Müller-Feldmeth/Gerenstein kann davon profitieren. Müller-Feld- meth: „Der baut die UB.“ Gerenstein: „Architekt.“ Punkt gewonnen. Und sie legen nach. „Wie Madonna, trägt aber Fleisch.“ – „Lady Gaga.“ Punkt. Sogar Assoziationsketten, die beileibe nicht zwingend zum Erfolg führen müssten, funktionieren. „Hauptstadt eines Nach- barlands.“ – „Wien.“ – „Nein, das ande- re.“ – „Paris. Eiffelturm!“ Punkt. Aber auch Hanulikova/Troll spielen sich warm. Manchmal reichen zwei Wörter, bis der Begriff gefunden ist. „Zeichen- trick, kalt.“ – „Ice Age.“ Punkt. Den- noch: Nach vier Runden liegen Müller- Feldmeth/Gerenstein mit 9:8 Punkten vorne. Zeit für neue Teams. Hanulikova/Müller-Feldmeth liefern nun beachtliche Beispiele für Strategie- wechsel, wenn der erste Erklärungsan- satz nicht zur Lösung führt. Hanulikova: „Da gehen Leute tanzen.“ Müller-Feld- meth: „Ball, Fest.“ – „Die Lady von vor- hin.“ – „Gaga.“ – Klingt ähnlich, erste Silbe. –„Gala!“ Punkt. Dauert aber lange. Troll/Gerenstein setzen mehr auf das Prinzip, Sätze vervollständigen zu las- sen. „Auf der Alm steht die …“ – „Hütte.“ Punkt. Vor allem jedoch spielen sie die Karte „gemeinsame Lebenswelt“ aus. Troll: „Wir kämpfen beide dagegen an, es vermehrt sich aber ständig.“ Geren- stein: „Geschirr. Wäsche. Staub!“ Punkt. Dagegen lässt sich wenig ausrichten. Nach vier Runden gewinnt das Team Pressestelle mit 10:7 Punkten. Die Analyse Was macht dieses Spiel so schwierig? „Wenn Menschen Begriffe lesen, sind diese im Gehirn hoch aktiviert und andere dadurch gleichzeitig gehemmt“, sagt Hanulikova. Heißt also: Gerade jene Begriffe, die tabu sind, führen auf eine Fährte, die aber nicht verfolgt werden darf. Zudem verbinden viele Menschen die verbotenen Begriffe besonders eng mit dem Wort, das sie erklären sollen: Es sind Oberbegriffe, beschreibende Begriffe oder solche, die auf andere Art und Weise sprach- lich oder inhaltlich mit ihm zusammen- hängen. „Sich davon zu lösen und ei- nen anderen Weg zu finden, verlangt viel mentale Flexibilität“, bilanziert Müller-Feldmeth. Hinzu kommt das in der Kommunikationswissenschaft alt- bekannte Sender-Empfänger-Problem: Selbst die eloquenteste Erklärung ver- pufft, wenn sie am Vorwissen und der Lebenswelt der Ratenden vorbeizielt. Je größer die Unterschiede innerhalb eines Teams, desto höher die Hürden, sagt Hanulikova: „Für einen Großvater ist es ein riesiger Unterschied, ob er den Begriff ‚Kassettenrekorder‘ seiner Enkelin oder seiner Frau erklären muss.“ Aus alledem ergeben sich Ansatzpunkte für die Wissenschaft. Hanulikova und Müller-Feldmeth haben selbst eine Studie mit Schülerinnen und Schülern gestartet, in der sie das Tabu-Prinzip nutzen. Sie wollen darin unter ande- rem untersuchen, über welche sprach- lichen Fertigkeiten die Probandinnen und Probanden verfügen, wie gut sie in der Lage sind, störende Informatio- nen zu unterdrücken, welche Faktoren dafür jeweils wichtig sind – etwa das soziale Netzwerk oder die Größe des Wortschatzes – und ob es Unterschiede gibt, je nachdem, welche Art Schule die Teilnehmenden besuchen. Außer- dem kann das Spiel auch für die Lehre fruchtbar sein: Hanulikova hat die Junior-Version eingesetzt, als sie als Lehrerin in Berlin Jugendlichen Deutsch als Fremdsprache beige- bracht hat: „Sie haben es geliebt – es ist gut für den Wortschatz und ermög- licht ihnen Erfolgserlebnisse, die sie dazu ermutigen, frei zu sprechen.“ „Wie Madonna, trägt aber Fleisch“ Warum das Spiel „Tabu“ Ansatzpunkte für die sprachwissenschaftliche Forschung bietet Daniel Müller-Feldmeth und Adriana Hanulikova haben nicht nur Spaß am Spiel, sondern setzen das Prinzip von „Tabu“ auch in einer wissenschaftlichen Studie ein. Fotos: Sandra Meyndt Unter Zeitdruck einen Begriff erklären, ohne fünf Tabuwörter zu benutzen: Das verlangt viel mentale Flexibilität. „Tabu“, Hasbro www.hasbro.com 012016

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