02 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 3aktuell „Hier vermengen sich verschiedene Phänomene“ Historiker Ulrich Herbert über die aktuelle Entwicklung des Antisemitismus in Europa Terror in Frankreich, massive Israelkritik in Großbritannien, frem- denfeindliche Organisationen in Deutschland: Müssen sich euro- päische Juden vor einer neuen Welle von Anfeindungen fürchten? Verena Adt hat den Historiker Prof. Dr. Ulrich Herbert nach seiner Ein- schätzung gefragt. uni’leben: Herr Herbert, nimmt der Antisemitismus in Deutschland zu? Ulrich Herbert: Hier vermengen sich verschiedene Phänomene: Rechts- radikalismus, Islamismus, Israelkritik. Es gibt eine kontinuierliche Juden- feindlichkeit im rechtsradikalen Spek- trum, das in Deutschland klein, aber nicht ungefährlich ist, wie der „Natio- nalsozialistische Untergrund“ gezeigt hat. In jüngerer Zeit ist allerdings die Trennlinie zwischen Konservativis- mus und Rechtsradikalismus durch Organisationen wie die „Alternative für Deutschland“ und die Pegida-Bewe- gung aufgeweicht worden. Die Folge ist eine gewisse Enttabuisierung des Antisemitismus auf der Rechten. Und der islamische Antisemitismus? Der heutige Antisemitismus radika- ler Muslime ist ein Import des Nah- ostkonflikts um Palästina. Er nimmt auch in Deutschland zu und ist zur- zeit die ausgeprägteste Variante der Judenfeindschaft, in Deutschland wie in anderen Ländern. Und da antisemi- tische Handlungen und Äußerungen in Deutschland aus historischen Gründen in besonderer Weise als Tabubruch empfunden werden, finden die Isla- misten hier ein größeres Echo als in anderen Ländern. Ist Israelkritik antisemitisch? Es gibt Bestrebungen, vor allem vonseiten der israelischen Rech- ten, die das propagieren, zumal in Deutschland. Hier soll die Kritik etwa an der israelischen Besatzungs- oder Siedlungspolitik stillgestellt werden. Warum besonders in Deutschland? Die Kritik an der israelischen Politik ist ja zum Beispiel in Großbritannien oder in den skandinavischen Ländern viel ausgeprägter als bei uns. Aber Deutschland ist der wichtigste Verbün- dete Israels in Europa. Das Abdriften der Bundesrepublik ins Lager der Kriti- ker Israels soll auf diese Weise verhin- dert oder tabuisiert werden. Wie verbreitet ist der Antisemitis- mus in der deutschen Bevölkerung außerhalb der muslimischen Ge- meinschaft? Es gibt natürlich auch israelkritische Stimmen, die antisemitische Züge tragen. Das macht die Diskussion oft schwierig. Aber alle Analysen zeigen, dass der klassische Antisemitismus außerhalb der radikalen Rechten und der Islamisten in Deutschland heute nicht signifikant ist. Und Bundeskanz- lerin Angela Merkels Satz, die Sicher- heit Israels gehöre zur Staatsräson Deutschlands, wird von einer breiten Mehrheit getragen. Wie stellt sich die Lage im Ver- gleich zu anderen Ländern in Europa dar? In Frankreich gibt es, wie wir in den vergangenen Monaten realisieren mussten, einen massiven Antisemi- tismus im muslimischen Teil der Be- völkerung, vor allem bei den jungen Leuten, auch hier als Folge des Nah- ostkonflikts, aber doch mit eigener Dynamik. Allerdings war die Antwort der Mehrheit der französischen Be- völkerung auf die Anschläge gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und das jüdische Lebensmittelgeschäft beeindruckend klar. Andererseits tritt der nationalistische Front National stark antisemitisch auf, mal verhüllt, mal offen, und er liegt bei etwa 20 Pro- zent Zustimmung, vielleicht mehr. Das ist eine beunruhigende Entwicklung. Was andere Länder betrifft: In Groß- britannien hat es ebenso wie in den USA immer einen antisemitischen Bo- densatz gegeben, der aber die Politik dieser Länder insgesamt nicht berührt. In Osteuropa hingegen gibt es noch den klassischen Antisemitismus, der im christlichen Antijudaismus wurzelt, derzeit etwa in Ungarn ziemlich mas- siv. In anderen Ländern, etwa Polen, geht er zurück. Haben Sie Verständnis für eu- ropäische Juden, die nach Israel auswandern, weil sie sich in ihrem Heimatland in Europa nicht mehr sicher fühlen – wie im vergange- nen Jahr circa 6.700 französische Juden? Das individuelle Empfinden der Be- drohung kann man von außen weder bemessen noch gar kritisieren. Aber wenn der Front National weiter an Zu- lauf gewinnt, stehen die französischen Juden zwischen antisemitischer Rech- ter und antisemitischen Islamisten: Das ist in der Tat eine sehr beunru- higende Entwicklung. In Deutschland und den meisten anderen westeu- ropäischen Ländern sehe ich eine solche Bedrohung eher nicht. Hier sind die neuen fremdenfeindlichen Bewegungen gegen die muslimische Bevölkerung die größere Gefahr. Das hat sich in Deutschland in den frühen 1990er Jahren bereits einmal zuge- spitzt, mit Überfällen, Brandstiftung und Mordanschlägen. Solche Ent- wicklungen sind auch in Zukunft nicht auszuschließen, in Deutschland oder anderswo. Demgegenüber scheint mir der Antisemitismus hier nicht das vorrangige Problem. Der klassische Antisemitismus ist außerhalb der radikalen Rechten und der Islamisten in Deutschland heute nicht von Bedeutung, sagt Ulrich Herbert. Foto: Thomas Kunz www.offenehochschule.uni-freiburg.de Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat den Antrag der Universität Freiburg für die zweite Phase des Wettbewerbs „Offene Hochschulen“ bewilligt. Die Universität erhält 1,75 Millionen Euro für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 30. Septem- ber 2017. Die Fraunhofer-Gesellschaft, vertreten durch die Fraunhofer-Insti- tute für Solare Energiesysteme (ISE) und Kurzzeitdynamik (EMI), erhält als Verbundpartner der Universität im glei- chen Zeitraum knapp 830.000 Euro. Mit der Förderung will die Universi- tät die Weiterbildungsangebote, die sie in der ersten Förderphase mithilfe von Pilotprojekten getestet hat, weiter voranbringen. Zum einen hat sie damit begonnen, ein flexibles System von Weiterbildungsmodulen für Berufstä- tige aufzubauen. Zum anderen haben Universität, ISE und EMI die Freiburg Academy of Science and Technology (FAST) gegründet. Ihre Kernaufgabe ist das „Training on the Project“, das eine engere Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft zum Ziel hat. 2,6 Millionen Euro für Weiterbildung Der Senat hat Dr. Ina Sieckmann- Bock für vier weitere Jahre zur Gleichstellungsbeauftragten der Uni- versität gewählt. Für ihre zweite Amts- zeit hat sich die Chemikerin drei Hauptziele gesteckt: Zunächst will sie die Zahl der Professorinnen an der Universität Freiburg weiter erhöhen. Zweitens möchte sie die Diskussion um das Gender Pay Gap – das ge- schlechtsspezifische Lohngefälle – aufgreifen und in öffentlichen Veran- staltungen die Ausstattung von Professuren diskutieren. Drittens steht die Erweiterung von Forschung und Studium um Geschlechterpers- pektiven auf ihrer Agenda. Dazu möchte Sieckmann-Bock unter ande- rem mit der Pädagogischen Hoch- schule Freiburg kooperieren. Zu den Aufgaben der Gleichstellungsbeauf- tragten gehören außerdem die Förde- rung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Beratung zu ge- schlechtsbezogenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz wie etwa sexuelle Diskriminierung. Ina Sieckmann-Bocks zweite Amtszeit als Gleichstellungsbeauftragte hat am 20. April 2015 begonnen und dauert vier Jahre. Foto: Patrick Seeger Zweite Amtszeit für Ina Sieckmann-Bock Die Universitäten Freiburg und Mannheim haben zum Jahresbe- ginn im Rechnungswesen sowie in den Bereichen Beschaffung, Materi- alwirtschaft und Controlling auf die ERP- und SRM-Systeme der Firma SAP umgestellt. Um die Anwende- rinnen und Anwender bei Fragen und Problemen zu unterstützen und die Systeme zu verbessern, haben die Universitäten ein gemeinsames Kom- petenzzentrum für das Hochschul- rechnungswesen (bwHSRWcc) ge- gründet. Für Nutzerinnen und Nutzer der ebenfalls neuen Software SuperX, die im Berichtswesen zum Einsatz kommt, gibt es das Kompetenzzen- trum Business Intelligence und Be- richtswesen (bwBICC). Freiburg und Mannheim gründen Kompetenzzentren 17 Tage, mehr als 20.000 Höhen- meter, knapp 200 Kilometer Fußweg: Das Institut für Sport und Sportwis- senschaft der Universität Freiburg und die Bundesfachgruppe Wandern der „Naturfreunde Deutschlands/Sektion Feldberg“ veranstalten im September 2015 eine Alpenüberquerung für Men- schen, die eine Krebserkrankung über- standen haben. „Kraft schöpfen aus der Natur“ ist das Motto der Tour, bei der acht bis zehn ehemalige Patientin- nen und Patienten von Bad Hindelang im bayerischen Allgäu bis Meran in Südtirol/Italien wandern können. Ein Team aus Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftlern mit Er- fahrungen im onkologischen Bereich, Wanderführerinnen und Wanderfüh- rern sowie Studierenden wird die ehe- maligen Patienten über drei Monate hinweg auf die Alpenüberquerung vor- bereiten und sie im Spätsommer auf dem Weg begleiten. Das Programm beginnt mit einem sportmedizinischen Check-up in der zentralen Einrichtung für Bewegungsmedizin und Sport des Universitätsklinikums Freiburg. Von Juni bis September trainiert die Gruppe regelmäßig im Fitness- und Gesundheitszentrum des Instituts für Sport und Sportwissenschaft. Krebspatienten überqueren Alpen 022015