03 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 10 von Verena Adt Lisa Hummel ist meistens in Eile. Im Laufschritt betritt sie den Senats- saal des Rektorats, wo sich der Unichor jede Woche zur Probe trifft. Die 23-jäh- rige Kirchen- und Schulmusikstudentin leitet ihn seit dem Sommersemester 2014. Der Chor wurde 2007 zum 550. Jubiläum der Albert-Ludwigs-Universität gegründet. Jedes Halbjahr übt er ein neues Werk ein und führt es bei einem öffentlichen Konzert zu Semesterende auf. Für das Sommersemester 2015 hat Lisa Hummel „Der Rose Pilgerfahrt“ ausgesucht, ein romantisches Märchen von Robert Schumann. Die Chorleiterin rollt das Klavier in die Mitte, verteilt Notenblätter an die nach und nach eintreffenden Chormit- glieder und korrigiert an einigen Stellen die Sitzordnung. Auf eine leichte Hand- bewegung hin erhebt sich der Chor geschlossen: Probenbeginn. Eine Vier- telstunde lang gibt es Lockerungsgym- nastik und Einsingübungen, dann steigt über den Köpfen die Melodie eines Hochzeitslieds auf: „Da klingen die Glä- ser, da tönen die Geigen.“ Lisa Hummel unterbricht nach wenigen Takten: „Klingt gut, aber der dritte Ton ist zu tief!“ Das Ganze noch einmal. Die etwa 65 Sängerinnen und Sänger folgen kon- zentriert den Anweisungen der Chorlei- terin, die vor dem Klavier steht, die Auf- takttöne anschlägt und mit fließenden Bewegungen dirigiert. Die zur Chorleitung nötigen Schlag- figuren hat Hummel schon vor dem Studium kennengelernt, inzwischen gehört das Dirigieren eines Gesangs- ensembles zu ihrer Ausbildung als Kir- chen- und Schulmusikerin. An Praxis fehlt es ihr nicht: Außer dem Unichor leitet sie noch zwei Kinderchöre und den Kirchenchor der Kirchengemeinde Sankt Ulrich, deren Organistin sie ist. Am Anfang steht das Chaos Am Unichor reizt sie besonders die Möglichkeit, auch weltliche Werke auf- zuführen. Nach Schumann in diesem Sommer visiert sie jetzt schon das Pro- gramm für 2016 an. Sie habe „etwas Großes“ mit dem Unichor vor, gemein- sam mit einem Studierendenorchester. Ein Werk von Felix Mendelssohn Bartholdy soll es werden. Mehr will sie noch nicht verraten. Spezifische Schwierigkeiten des Uni- chors wie die zwangsläufig hohe Fluk- tuation („Zu Anfang des Semesters haben wir immer Chaos“) nimmt Lisa Hummel eher gelassen. Der Unichor habe zum Glück ausreichend gute Sän- ger, die unerfahrene Neulinge mitzie- hen könnten. Vorsingen müssen Inter- essentinnen und Interessenten bei ihr nicht: „Mir ist wichtig, dass Menschen, die Lust zum Singen haben, auch die Gelegenheit dazu bekommen.“ Mehr Sorgen machen Hummel die allzeit knappen Finanzen. Zwar stellt die Universität den Proberaum unent- geltlich zur Verfügung und leistet auch einen kleinen Beitrag zum Budget, doch damit sind die Kosten nicht ge- deckt. Wichtigste Finanzquelle des Unichors sind die Einnahmen aus den Semesterabschlusskonzerten. Sie sind allerdings schwer zu kalkulieren, da in der Regel kein Eintritt verlangt wird und Besucherinnen und Besucher auf freiwilliger Basis zahlen. Der Chor steht übrigens Studierenden wie Be- schäftigten der Universität offen – Letztere machen knapp ein Drittel der Mitglieder aus. Die Musik hat Hummel, die aus dem schwäbischen Laupheim stammt, schon früh gepackt. Mit sieben Jahren begann sie Klavier und Orgel zu spielen, etwas später nahm sie auch Geigenunterricht. „Tasten waren für mich dann doch bes- ser“, sagt sie und lacht. Der Erfolg gibt ihr recht, denn seither hat sie nicht nur vielfach im Wettbewerb „Jugend musi- ziert“ gesiegt, sondern auch Preise bei internationalen Orgelwettbewerben ge- wonnen. Zuletzt holte sie 2014 bei der Dublin International Organ Competition in Irland den ersten Preis. Neben der Musik gibt es noch eine andere Leidenschaft in Lisa Hummels Leben. Zweimal in der Woche sat- telt sie ihr Pferd und reitet aus – ein unverzichtbarer Ausgleich in ihrem durchgetakteten Zeitplan. „Das brau- che ich unbedingt, da lasse ich auch nichts dazwischenkommen.“ von Yvonne Troll Als Georg Hettich nach 15 Kilome- tern Skilanglauf die Ziellinie er- reicht, steht fest: Er hat die Goldmedail- le gewonnen. Damit geht der nordische Kombinierer 2006 als deutscher Über- raschungssieger in die Geschichte der Olympischen Winterspiele von Turin/ Italien ein. Ein Wettkampf, der wie im Traum lief, wie er heute sagt. Und ein Moment, den er nie vergessen wird. Schritt für Schritt nach Turin Neun Jahre später ist der Athlet pro- movierter Sportwissenschaftler. Für seine Dissertation am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Freiburg untersuchte er, wie Menschen ihr Gleichgewicht kontrollieren. Dafür entwickelte er ein Computermodell, das Variablen abbildet, die bei Men- schen mit Gleichgewichtsstörungen – etwa bei älteren oder an Parkinson erkrankten Personen – verändert sind. Die Kontrollmechanismen der Gelenke untersuchte er zunächst an Probandin- nen und Probanden und überprüfte sie später an einem Roboter. Ganz leicht fiel Hettich die Umstellung vom Sportler zum Doktoranden nicht. „Eine Doktorar- beit dauert lang, und man hängt teilwei- se in der Luft, weil man nicht weiß, ob man in die richtige Richtung geht.“ Ein Sportlerleben dagegen sei durch Trai- ning und Wettkämpfe strukturiert. „Ich wusste immer, ob ich gut bin oder nicht.“ In den Leistungssport ist Hettich hineingewachsen. Wie viele Kinder in seiner Heimatgemeinde Schonach im Schwarzwald hat er früh mit dem Wintersport begonnen. Doch er war eben immer ein wenig besser als die anderen. Mit 15 Jahren kam er auf das Skiinternat Furtwangen, eine Ka- derschmiede für zukünftige Spitzen- sportlerinnen und -sportler. Die Zög- linge haben Schulunterricht, trainieren täglich und absolvieren regelmäßig Wettkämpfe. Hettich steigerte seine Leistungen kontinuierlich. Viele sei- ner Mitschüler hätten sich irgendwann zwischen Skisprung und Langlauf entschieden. „Ich habe halt beides weitergemacht.“ So wurde er nordi- scher Kombinierer. Nach dem Schul- abschluss wechselte er als Sportsoldat zur Bundeswehr, „weil das so üblich ist“. Doch dort fühlte er sich nicht wohl. Vor allem fehlte ihm die berufliche Per- spektive. Er war sich bewusst, dass seine Karriere eines Tages zu Ende sein würde. „Ich wollte mit Anfang 30 nicht dastehen wie nach dem Abitur.“ Deshalb entschied er sich, die Bundes- wehr zu verlassen und Medizintech- nik an der Hochschule Furtwangen zu studieren. „2001 war das noch eine Besonderheit, dass jemand Leistungs- sport macht und studiert.“ Doch es war nicht nur der Gedanke an das Karri- ereende, der ihn motivierte. Hettich wollte sich geistig fordern und suchte nach einem Ausgleich zum Leistungs- sport. „Im Sport läuft nicht immer alles so, wie man es sich wünscht. Da war es gut, dass ich mich noch mit etwas anderem beschäftigen konnte.“ Dass nicht immer alles nach Plan läuft, musste er unmittelbar nach dem Höhepunkt seiner Karriere erfahren. Mit der Goldmedaille kamen die Erwar- tungen: von Sponsoren, der Öffentlich- keit, von ihm selbst. Doch der Erfolg blieb aus. „In Turin hat einfach alles gepasst. Von außen sieht das dann aus, als könne man es jederzeit wie- derholen, aber so einfach ist das nicht.“ Unter dem Rummel um seine Person, den Ehrungen, Autogrammstunden und Sponsorenterminen, den vielen Reisen und dem Mangel an Erholung habe das Sportliche gelitten. Auch wenn Hettich diese Zeit als anstren- gend bezeichnet, möchte er sie nicht missen. „Mir war immer klar, dass so eine Chance nicht wieder kommt. Das wollte ich ganz bewusst erleben.“ 2010 beendete er seine Karriere – ohne Reue und Bedauern. „Ich hätte nicht anders handeln können“, sagt er. „Man muss sich treu bleiben, und ich bin nun mal ein überlegter Mensch.“ Das Rampenlicht vermisse er nicht. Wohl aber das Sportlerleben. In immerhin 16 seiner 36 Lebensjahre hat der Sport seinen Alltag dominiert. Dorthin zurück, etwa als Trainer, soll es für ihn dennoch nicht gehen. Er möchte als Medizintech- niker in die Industrie: Mithilfe des von ihm entwickelten Computermodells kön- nen therapeutische Hilfsmittel entwor- fen werden, beispielsweise Prothesen oder Stützstrukturen für Gelenke, so genannte Exoskelette. Was er jungen Leistungssportlern raten würde? „Nicht aufgeben. Es kommen immer wieder Phasen, in denen es richtig gut läuft.“ Karriere mit Balance Der Olympiasieger und Sportwissenschaftler Georg Hettich hat für seine Dissertation die menschliche Gleichgewichtskontrolle erforscht menschen „Da klingen die Gläser, da tönen die Geigen“: Für das Konzert im Sommerse- mester hat Lisa Hummel ein romantisches Märchen von Robert Schumann ausgewählt. Foto: Thomas Kunz Bei den Olympischen Winterspielen holte Georg Hettich 2006 eine Goldmedaille – heute untersucht der promovierte Sportwissenschaftler mit einem Roboter, wie das Gehirn Informationen aus den Sinnessystemen in die Gelenke überträgt. Dirigieren mit Herzblut Die Kirchen- und Schulmusikstudentin Lisa Hummel leitet den Unichor – und genießt es, weltliche Werke aufzuführen www.unichor-freiburg.de Fotos:SammyMinkoff,PatrickSeeger 032015