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uni'leben 03-2015

03 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 3aktuell „Wir schauen sehr genau hin“ Das Institut für Ethnologie der Universität Freiburg feiert sein 50-jähriges Bestehen Aufklären, aufzeigen, aufmerksam machen von Yvonne Troll Das Büro von Prof. Dr. Judith Schlehe sieht aus, wie man es von einer Ethnologin erwartet. Kunstvolle indo- nesische Schattenspielfiguren und ein ornamentales Batiktuch zieren die Wände. Aussagekräftige Stücke: Indem die – stets männlichen – Spieler den Figuren Worte in den Mund legten, war es zur Zeit des autoritären Systems in Indonesien möglich, auf scherzhafte Weise Kritik zu üben, erklärt sie. Texti- lien wiederum, die als Hochzeitsgaben überreicht werden und deren Herstel- lung eine Domäne der Frauen ist, sind wichtig in Bezug auf Status und Famili- enbeziehungen. Seit 2002 leitet Schle- he das Institut für Ethnologie der Uni- versität Freiburg. Dessen Gründung vor 50 Jahren ist maßgeblich Prof. Dr. Rolf Herzog zu verdanken, der das Institut aufbaute und ihm 22 Jahre lang vor- stand. Sein Nachfolger Prof. Dr. Ulrich Köhler leitete es 15 Jahre lang. Einer der ersten zehn Ethnologiestu- dierenden war Prof. Dr. Stefan Seitz. Sehr familiär sei die Atmosphäre ge- wesen, erinnert er sich. Herzog, den er als liebenswerten Menschen mit Charisma beschreibt, habe mit Be- richten über seine Aufenthalte in afri- kanischen Ländern ein regelrechtes Afrika- und Feldforschungsfieber unter den Studierenden ausgelöst. „Das war damals eine abenteuerliche Sache“, sagt Seitz. Ohne Internet, mit dem man sich heute bequem vorbereiten, infor- mieren und Kontakte knüpfen könne, sei vieles ad hoc gelaufen. Seine erste Forschungsreise führte ihn 1967 nach Ruanda. Dort beschäftigte er sich mit den Twa, einer ethnischen Minderheit, deren Familien in Einzelgehöften über das ganze Land verstreut lebten und das Töpferhandwerk ausübten. Von der Hauptstadt zu ihnen zu gelangen war eine Herausforderung. „Das Land verfügte in den 1960er Jahren über kei- ne nennenswerte Infrastruktur. Es gab überhaupt nur wenige Fahrzeuge.“ Die Menschen jedoch begeisterten ihn so sehr, dass er der Ethnologie treu ge- blieben ist. Bis zu seiner Emeritierung 2010 lehrte Seitz am Freiburger Institut. Projekt mit Indonesien Seit dessen Anfangsjahren hat sich das Fach stark gewandelt. Ursprüng- lich der Erforschung fremder, nicht industrialisierter Kulturen gewidmet, befasst sich eine gegenwarts- und praxisbezogene Ethnologie heute mit Themen wie Migration, Identität, kultu- rellen Differenzen oder interkulturellen Verflechtungen in der globalisierten Welt. Den Studierenden Theoriewis- sen und die anwendungsorientierte Methodik zu vermitteln ist Schlehe ein zentrales Anliegen. Feldforschung, insbesondere die teilnehmende Beob- achtung, bildet den Kern der ethnolo- gischen Wissenschaftsidentität. Wäh- rend Ethnologinnen und Ethnologen früher alleine ins Feld aufbrachen, um Daten zu sammeln, stehen aktuelle Ansätze im Zeichen der gleichberech- tigten Zusammenarbeit aller Akteurin- nen und Akteure. Ein Beispiel ist die Lehrforschung mit der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta/Indonesien. Gemeinsam und im jährlichen Wechsel forschen Ethnologiestudierende der Universität Freiburg in Indonesien und ihre indone- sischen Kommilitoninnen und Kommili- tonen in Deutschland. „Die zwei tragen- den Ideen sind das Forschen im Team und das Prinzip der Gegenseitigkeit“, sagt Schlehe. Die Beteiligten erleben sich in den unterschiedlichen Positio- nen der Forschenden und der Erforsch- ten. Ein Modell, das der heutigen Welt entspräche und richtungsweisend für künftige ethnologische Vorgehenswei- sen sei. „Feldforschungserfahrung und Auslandsaufenthalte sind für die Stu- dierenden unabdingbar, um ein indivi- duelles Profil zu entwickeln“, sagt sie. Deshalb habe man bei der Umstellung vom Magister auf Bachelor- und Mas- terabschlüsse darauf geachtet, die Mo- bilität im Studium zu erhalten. Dabei ist Schlehe die persönliche Betreuung der Studierenden weiterhin wichtig, auch wenn sich deren Zahl seit Herzogs Zei- ten vervielfacht hat. Um die Zukunft der Ethnologie macht sich Schlehe keine Sorgen. „Es gibt eine zunehmende Nachfrage nach Wis- sen, Kompetenzen und vor allem nach der Perspektive von Ethnologen.“ Etwa im Bereich der Politikberatung, Ent- wicklungszusammenarbeit, Migration und Kulturvermittlung, in Medien und Museen sowie im Tourismus, ergänzt Prof. Dr. Gregor Dobler, der 2010 die Nachfolge von Seitz antrat. Die Stär- ke des Fachs liege in der Nähe zu den Menschen. „Ethnologen suchen vor Ort nach dem Globalen und fragen im Globalen nach dem Persönlichen. Wir schauen sehr genau hin.“ von Anita Rüffer Sexuelle Orientierung, Behinderung, chronische Krankheit: Das waren die bisherigen Themen des „Tags der Viel- falt“, der im November 2015 zum vierten Mal an der Albert-Ludwigs-Universität stattfindet. „Jedes Jahr ist er einem anderen Schwerpunktthema aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gewidmet“, erklärt Dr. Aniela Knoblich, Leiterin der Stabsstelle „Gender and Diversity“, die den Tag organisiert. 2014 standen die Themen „sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Iden- tität“ auf dem Programm. Mit Thementi- schen – etwa zu Lehre und Forschung – und Gruppendiskussionen sensibilisier- te das Team die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Studierende dafür, dass Menschen sexuelle Orientierung meistens unbewusst wahrnehmen: „Bei heterosexuellen Beziehungen beispiels- weise wird sie oft gar nicht verhandelt, weil Heterosexualität als die Norm gilt.“ Nun laufen die Vorbereitungen für die diesjährige Veranstaltung. Doch welche Spuren hat der letztjährige Tag der Viel- falt hinterlassen? Austauschen über Lebenssituationen Beim Tag der Vielfalt entstand die Idee, einen „Queeren Stammtisch“ für alle Beschäftigten der Universität zu gründen. „Derzeit lernen wir uns, die jeweiligen Arbeits- und Lebenssitua- tionen sowie die damit verbundenen Vergnügen und Ärgernisse kennen“, berichtet die Soziologieprofessorin Nina Degele. Deutlich wird für sie da- bei, dass es vom Status abhängt, mit welchen Schwierigkeiten ein Mensch jeweils zu kämpfen hat oder welche Privilegien er genießt. „Einer Person mit Professur gegenüber etwa – das gehört heute zum politischen Korrekt- heitsdiskurs – äußert sich kaum jemand homophob.“ Bei Studierenden oder An- gestellten sei das durchaus anders. Der Stammtisch findet jeden 13. im Monat ab 20 Uhr im Lokal „Mehlwaage“, Metzgerau 4, 79098 Freiburg statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Anlaufstelle für diskriminierte Studierende „Bewusste Diskriminierungen sind selten“, betont Knoblich. Oft kämen sie subtil daher, zum Beispiel in Form eines flapsigen Witzes über Homo- sexualität in einer Vorlesung. Oft sind solche Situationen für Studie- rende kränkend und belastend. Prof. Dr. Gisela Riescher, Prorektorin für Redlichkeit in der Wissenschaft, Gleichstellung und Vielfalt, steht Stu- dierenden seit Kurzem als Ansprech- partnerin zur Verfügung: „Ein solches Angebot fehlte bisher und wurde ge- wünscht“, sagt Riescher. Sie bietet den Studierenden eine persönliche Beratung an, erarbeitet mit ihnen Lö- sungen und sucht das Gespräch mit den Beteiligten. Workshop „Gendered Innovations“ Diskriminierung kann sich auch darin äußern, dass Forschende Iden- titätsmerkmale wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung nicht im Blick haben: wenn zum Beispiel neue Me- dikamente nur an Männern getes- tet werden, bevor sie auf den Markt kommen. „Nicht immer entfalten sie bei Frauen und Männern jedoch die gleiche Wirkung“, sagt Knoblich. Oft gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zudem von Hetero- sexualität als Norm aus und blendeten andere Identitäten aus – auf Kosten der Genauigkeit eines Forschungspro- jekts. Die Universität hat die US-ame- rikanische Forscherin Prof. Dr. Londa Schiebinger eingeladen, die bei einem Workshop im September ihren Ansatz der „Gendered Innovations“ vorstellen wird. Die Veranstaltung richtet sich an Wissenschaftler und Studierende aller Disziplinen. Bei der Lehrforschung mit der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta/Indonesien arbeiten deutsche und indonesische Studierende im Team. Foto: Judith Schlehe www.ethno.uni-freiburg.de genderdiversity@zv.uni-freiburg.de www.diversity.uni-freiburg.de Foto: artfocus/Fotolia Tag der Vielfalt Der nächste Tag der Vielfalt findet am 19. November 2015 statt. Mit einem Quiz, einem Kurzfilm und einer „Fish- bowl-Diskussion“ wird das Thema „Eth- nische und soziale Herkunft am Arbeits- platz und am Studienort“ beleuchtet. Viele zum Markt zugelassene Medi- kamente werden nur an Männern ge- testet – Frauen könnten jedoch anders auf die Wirkstoffe reagieren. Foto: belahoche/Fotolia Direkte Diskriminierung erleben Studie- rende selten, sie begegnet ihnen zum Beispiel in Form eines flapsigen Witzes, den ein Dozent über Homosexualität macht. Foto: kasto/Fotolia „(Alters-)Unterschiede als Chance“ Wie können Menschen verschiede- ner Generationen mit ihren individu- ellen Erfahrungen und Hintergründen gut zusammenarbeiten? Die Freibur- ger Akademie für Universitäre Weiter- bildung (FRAUW) bietet im Oktober eine Fortbildung zu vielfältig zusam- mengesetzten Teams an: Führungs- kräfte werden über den Umgang mit Beschäftigten unterschiedlichen Al- ters reflektieren und gemeinsam Hand- lungsempfehlungen entwickeln. www.weiterbildung.uni-freiburg.de Bei einer Fortbildung sollen Führungs- kräfte über den Umgang mit Mitarbei- tern unterschiedlicher Generationen diskutieren. Foto: Photographee.eu/Fotolia Im November findet der nächste „Tag der Vielfalt“ statt – die Ergebnisse der bishe- rigen Veranstaltun- gen haben sichtbare Spuren hinterlassen prorektorin.redlichkeit-gleichstellung@ uni-freiburg.de  Queerer Stammtisch 032015

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