03 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 12 FOTO:SANDRAMEYNDT versum Wo haben Sie in Freiburg am liebsten gelernt, getanzt und gegessen? Weniger gelernt als mich gebildet, sehr viel gelesen, Altes und Neues, stets an eigenen Texten geschrieben, ob im Wald oder im Café Steinmetz. Getanzt nie. Gegessen im verrauchten Karpfen, in der Wolfshöhle – damals noch Pizzeria –, bei schönem Wetter im Stahl oder im Valentin. Umgetrun- ken in Webers Weinstube. Welche Erkenntnis aus Ihrer Studienzeit hat Sie nachhaltig geprägt? Die Ablösung der Ordinarien-Herrlich- keit durch einen produktiven Um- gangsstil zwischen Lehrenden und Lernenden sowie der Aufbruch in die Interdisziplinarität, ohne die wissen- schaftliches Arbeiten heute nicht mehr denkbar ist. Welchen Rat würden Sie Studierenden geben? Konzentriere dich auf eine Sache, von der du überzeugt bist, dass du damit etwas Nachhaltiges leisten kannst. Das mag für den raschen Einstieg in deine Karriere hinderlich sein, zahlt sich aber langfristig aus. Was ist schade daran, kein Student mehr zu sein? Im Kielwasser der 1968er konnten wir viel ausprobieren – in Freiburg eine politisch höchst spannungsreiche Zeit: Wyhl, Hausbesetzungen et cetera – und eine Streit- und Alternativkultur entwickeln und leben. „Typisch Student“ war zu meiner Zeit … … schalstrickende Philosophiestuden- ten, Lieder aus den Heften „Student für Europa“ auf dem Balkon der Stusie singen. Der Publizist und Schriftsteller Dr. Dirk Schindelbeck, geboren 1952, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte an der Universität Freiburg. Dort arbeitete er von 1992 bis 1997 in dem Projekt „Propaganda- geschichte der beiden deutschen Staaten im Vergleich“ mit. Anschließend machte er sich selbstständig. Von 2002 bis 2012 war er Dozent am Insti- tut für deutsche Sprache und Literatur der Pädagogischen Hochschule Freiburg sowie Chefredakteur der Zeitschrift „FORUM Schulstiftung“. Seit 2013 arbeitet er im Forschungs- projekt „Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesell- schaftlicher Entwicklungen“ an der Universität Jena mit. Sein neuestes Buch heißt „Tropfenfänger & kreisen- de Kolben. Deutsche Marken-Sonette 2.0.15“. Abgefragt Abgelichtet FOTO: SANDRA MEYNDT Von der eigenen Vagina kann man auch was lernen – findet zumindest ein staatliches College im US-amerikani- schen Halligalli-Bundesstaat Florida. In einem Seminar veranlasste es seine Me- dizinstudentinnen dazu, gynäkologische Ultraschalluntersuchungen am eigenen Körper vorzunehmen. Als ein paar Stu- dentinnen ihre Bedenken äußerten, wink- te die Dozentin ab: Erst an den eigenen Genitalien würde man das nötige Finger- spitzengefühl entwickeln. Didaktisch sei die Übung Bombe. Und die Studentin auch noch „sexy“, das sei schon okay. Ob es in deutschen Hörsälen ebenso erotisch zugehen sollte, sei dahingestellt. Aber sicherlich kann die Universität Frei- burg von der amerikanischen Kollegin lernen: Schließlich müssen Lehrkonzep- te heutzutage ohnehin innovativ und kreativ sein, warum also nicht auch kör- perbetont? Da tun sich ganz neue Po- tenziale für den Lerntyp „Autodidakt“ auf. Die Biologen zum Beispiel könnten sämtliche im Labor gezüchteten Kulturen von der Petrischale auf die eigene Haut verlagern. So lässt sich das Forschungs- objekt konkreter fassen. Auch die Juda- isten begreifen die Nuancen der israeliti- schen Religion sicherlich nicht, indem sie nur Thorarollen hin und her wälzen. Wie sich das Judesein wirklich anfühlt, kann der engagierte Nachwuchswissen- schaftler erst nach einer Beschneidung beurteilen. Die Psychologen sollten sich ebenfalls mehr aus der Komfortzone der Bibliothek trauen – schließlich war sich Sigmund Freud auch nicht zu fein für Experimente mit Kokain. Und die Wirt- schaftswissenschaftler könnten ihren kühlen Blick auf Statistiken durch eine neue Empfindsamkeit läutern. Entlang dem Körper aufgemalte Aktienkurse rü- cken die Menschen, die hinter den Zah- len stecken, in den Vordergrund und verleihen dem Begriff „Humankapital“ neue Dimensionen. Die Lerneffekte sind freilich nicht immer vorherzusagen: Der eine hat nun mal mehr, der andere weni- ger Nutzfläche. Zwei Studentinnen haben die Hoch- schule in Florida übrigens verklagt. Doch kein Grund zur Sorge: Wer seine Zöglinge dazu verdonnert, die eigene Vagina zu Übungszwecken verfügbar zu machen, findet vielleicht auch eine Lei- besvisitation im Gefängnis „sexy“. Abgelästert von Rimma Gerenstein Körperbetonte Lehre FOTO:HAMISHJOHNAPPLEBY Dr. h.c. phil. Dr. h.c. rer. nat. Zelt Abgehört von Nicolas Scherger Eher nicht, aber das ist in Ordnung. Ich bin Dienstleister für die Forschung, die soll im Vordergrund stehen. Ich bin zu- frieden, wenn ich zusehen darf, wie die Kinder staunen und sich freuen. Gab es in Freiburg auch Schattenseiten? Auf dem Münsterplatz? Witzbold. Alle zwei Jahre findet der Freibur- ger Wissenschaftsmarkt auf dem Münsterplatz statt. Wie gefällt das den Zelten, in denen die Stände auf- gebaut sind? Nicolas Scherger hat eines von ihnen gefragt. uni’leben: Guten Tag, Zelt. Wie hat Ih- nen der Wissenschaftsmarkt gefallen? Zelt: Gut, wie immer – auch wenn ich diesmal inhaltlich nicht passend be- stückt war. Medizin ist zwar interessant, aber meine Fachgebiete sind andere. Sie haben Fachgebiete? Ich bin Natur- und Geisteswissen- schaftler. Archäologische Ausgrabun- gen, ethnologische Feldforschung, geologische und umweltwissenschaft- liche Exkursionen, das sind meine Ein- satzgebiete. Mehrere Universitäten haben mir für meine Verdienste Ehren- doktorwürden verliehen. Aha. Weiß das Publikum auf dem Wissenschaftsmarkt Ihre Leistun- gen zu schätzen? Nein, ich meine … … schon klar. Also, die Hitze – und den Essensgeruch. Was für die Stra- ßenbahn der Döner, ist für mich die Münsterwurst. Die Senfflecken an mei- nen Wänden lassen sich ja abwa- schen. Aber der Röstzwiebelgeruch bleibt wochenlang haften. Widerlich. Das ist doch bei anderen Einsätzen ähnlich. Sogar schlimmer. Am übelsten sind ethnologische Projekte in Bayern: Fassanstich mit Weißwurst und Haxen. Bin ich erschrocken, als ich auch in Freiburg überall weiß-blau gesehen habe. Zum Glück ist das nur das Corporate Design der Universität. Kommen Sie in zwei Jahren wieder? Ich hoffe es, Forschungszelte sind ge- fährdet. Ich habe viele Freunde an Stürme, Erdrutsche, Bären und entfes- selte Lagerfeuer verloren. Anderer- seits: Lieber ende ich in der Wildnis als auf dem Zelt-Musik-Festival. Alumni antworten: Dirk Schindelbeck Impressum uni'leben, die Zeitung der Universität Freiburg, erscheint fünfmal jährlich. Herausgeber Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer Verantwortlich für den Inhalt: Rudolf-Werner Dreier, Leiter Öffentlichkeits- arbeit und Beziehungsmanagement Redaktion Rimma Gerenstein (Redaktionsleitung), Nicolas Scherger, Yvonne Troll Anschrift der Redaktion Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Albert-Ludwigs-Universität Fahnenbergplatz 79085 Freiburg Telefon: 0761/203-8812 Fax: 0761/203-4278 E-Mail: unileben@pr.uni-freiburg.de Auflage 14.000 Exemplare Gestaltung, Layout Kathrin Jachmann Anzeigen Gregor Kroschel Telefon: 0761/203-4986 E-Mail: gregor.kroschel@zv.uni-freiburg.de Druck und Verarbeitung Freiburger Druck GmbH & Co. KG Vertrieb Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungsmanagement Jahresabonnement Euro 9,– ISSN 0947-1251 © Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Alle Rechte vorbehalten. 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