04 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 12 von Tanja Kapp Die Zuschauer grölen auf den Rän- gen, das Rauschen wird mit jedem Schritt lauter. Der eigene Herzschlag legt sich dumpf pochend darüber. Alle Sinne sind angespannt, Gänsehaut überzieht den Körper. Im Stadion kann alles passieren. „Man bekommt einfach noch mehr Bock, da rauszugehen und zu spielen“, sagt Lena Petermann. Die- sen Adrenalinkick spürt die Fußballerin oft. 2014 trat sie beim Finale der U20- Weltmeisterschaft der Frauen in Kana- da gegen die nigerianischen Juniorin- nen an – und holte mit einem Treffer in der 98. Minute den Titel für Deutschland. „Die ganze Erinnerung ist noch da. Diese Eindrücke bleiben fürs ganze Leben“, sagt die 21-Jährige, die an der Universi- tät Freiburg Sport und Englisch studiert. Anfängerin des Jahres Obwohl die Stürmerin seit 2009 pro- fessionell kickt, setzt sie nicht alles auf die Karte „Sport“. Petermann wollte stu- dieren – und gleichzeitig an ihrer Fuß- ballkarriere feilen. Nach ihrem Abitur in Otterndorf bei Cuxhaven erhielt sie 2012 ein Stipendium von der University of Central Florida. Die Förderung junger Athletinnen und Athleten wird an US- amerikanischen Universitäten großge- schrieben. Es kam oft vor, dass Peter- mann, die sich in Florida für Sport- wissenschaften eingeschrieben hatte, in den Vorlesungen fehlte, weil sie mit der College-Mannschaft zu Wettkämp- fen nach New York, Houston oder Wa- shington unterwegs war. Die Hochschule hatte dafür Verständnis, auch als es auf die Prüfungen zuging. Petermann dank- te es ihr mit buchstäblich ausgezeich- neten sportlichen Leistungen: Die Ame- rican Athletic Conference verlieh ihr den Titel „Rookie of the Year“ – Anfängerin des Jahres. 2014 kehrte sie noch vor ihrem Ab- schluss nach Deutschland zurück, weil der SC Freiburg ihr ein Angebot ge- macht hatte. „In Deutschland gibt es weltweit die beste Liga. Hier habe ich einfach die besten Chancen, mich weiter- zuentwickeln“, sagt sie. Wenige Wochen nachdem sie den Vertrag in Freiburg unterschrieben hatte, wurde Petermann Teil des Kaders der A-Nationalmann- schaft. Im Mai 2015 berief Bundestrai- nerin Silvia Neid die Torschützin in den Kader für die Weltmeisterschaft in Ka- nada. Bei diesem Turnier war das Glück nicht immer auf der Seite der deutschen Mannschaft: Im Halbfinale schied sie gegen die USA aus, beim Spiel um Platz drei verlor sie gegen England. Als Profisportlerin weiß Petermann jedoch, dass es auf Disziplin ankommt: „Bei Niederlagen ist man im ersten Moment traurig, aber dann muss man sich schnell wieder aufrappeln und nach vorne schauen.“ Von Florida nach Freiburg Es war immer Lena Petermanns Plan, weiter zu studieren. Im Sommersemes- ter 2015 nahm sie ein Lehramtsstudium für das Unterrichtsfach Englisch an der Albert-Ludwigs-Universität auf. Mit dem Bachelorstudiengang Sportwissenschaft beginnt sie im Wintersemester 2015/16. Ob der Beruf der Gymnasiallehrerin etwas für sie ist, weiß sie noch nicht. Gerne würde sie Personal Trainerin werden und weiß, dass sie dabei die didaktischen Elemente des Lehramts- studiums gut gebrauchen könnte. Auch die Universität Freiburg lässt der Sportlerin viele Freiräume und nimmt auf ihre Karriere Rücksicht. Im ersten Semester musste Petermann wegen der Weltmeisterschaft den Vor- lesungen und Seminaren häufig fern- bleiben. Deshalb habe sie nur die Hälfte des ersten Semesters mitbekommen, sagt sie bedauernd. Trotzdem sei alles reibungslos verlaufen. Beispielsweise stellte ihr die Universität für eine der Einführungsveranstaltungen einen Tutor zur Seite, mit dem sie nun den Lernstoff nachholt. Inzwischen fühlt sie sich sehr wohl in Freiburg: „Es ist nicht zu groß und nicht zu klein und hat eine wunderschöne Altstadt.“ Und das Wetter sei besser als in ihrer Heimat im hohen Norden. Durch die Zeit in Florida fällt es ihr außerdem leicht, in der heißen Freiburger Mittags- sonne zu trainieren. Es scheint also, als passe die Stadt gut zu Lena Petermann. Sie kann sich vorstellen, längere Zeit hier zu leben und vielleicht einen Master- abschluss zu machen. Letztendlich ent- scheidet aber der Fußball darüber, wo- hin es sie verschlägt. Vielleicht kommt ja ein gutes Angebot. Alles kann pas- sieren – genau wie im Stadion. von Stephanie Streif Er war sieben Jahre alt, als er dem Krieg im ehemaligen Jugosla- wien mit dem Bus davonfuhr. Heute, 23 Jahre später, ist Zlatko Valentić ein studierter Philosoph und Histori- ker, der die Philosophie ins Gespräch bringt. Der 30-Jährige entwickelte in den vergangenen Jahren ein „Philo- sophisches Experiment“, mit dem er im Web auf Sendung geht. Er wolle als Philosoph in der Gesellschaft wir- ken, nicht nur im Studierzimmer lesen oder in akademischen Zirkeln über die menschliche Existenz diskutieren. Sein Sendungsformat erinnert an Sokrates, der vor etwa 2.500 Jahren mit seinen Marktplatzgesprächen die Philosophie öffentlich machte. Nur im Dialog, davon ist Valentić überzeugt, ist eine bessere Zukunft möglich – ob im ehemaligen Jugosla- wien oder anderswo auf der Welt. Sprache vermag vieles. Sie kann Natio- nen schaffen und spalten, sie kann aber auch vermitteln und Menschen zum Nachdenken bringen. Das ist es, was Valentić will: Sein philosophisches Experiment trägt den Untertitel „Im Medium unterwegs zum Denken“. Angefangen hat er vor fünf Jahren beim Radio. Damals studierte er noch in Salzburg/Österreich. Als er 2011 nach Freiburg kam, interviewte er für Radio Dreyeckland Geisteswissen- schaftlerinnen und -wissenschaftler im gesamten deutschsprachigen Raum. Meist waren es Studierende, mit denen er etwa über Friedrich Nietzsche, Macht oder die Essenz der Existenz sprach. Seit 2012 ist der Philosoph in Kooperation mit dem Freiburger uni.tv auch im Fernsehen zu erleben. Da sitzt er zum Beispiel mit prominenten Soziologen wie Hans Joas und Hart- mut Rosa bei einer Cola zusammen und fragt nach, warum die Welt ist, wie sie ist, und wie sie besser zu machen wäre. Bislang hat Valentić neun TV- und 15 Radiosendungen produziert. Nicht allwissend, aber offen Seine 40-minütigen Sendungen sind immer gleich aufgebaut: Zu Be- ginn stellt Valentić das Thema vor und geht dann mit seiner Gesprächs- partnerin oder seinem Gesprächs- partner ins Café, um das Thema dort erst gründlich auseinanderzunehmen und schließlich zu zwei, drei griffigen Thesen zusammenzusetzen. Damit begibt sich der Moderator auf die Straße und befragt Passantinnen und Passanten – zum Beispiel will er von ihnen wissen, ob es nicht doch besser wäre, zu kontrollieren, wofür die Wis- senschaft öffentliche Gelder ausgibt. Diese Alltagsgedanken diskutiert er am Ende der Sendung mit seinem Gast. Anders als Sokrates damals will Valentić nicht provozieren. Er hält nichts davon, die Philosophie zur ob- jektiven Instanz zu erklären. „Philoso- phinnen und Philosophen sind nicht allwissend.“ Gespräche müssten da- rum möglichst offen und nicht von oben herab geführt werden. „Wenn ich eine Diskussion beginne, muss ich davon ausgehen, dass auch mein Ge- genüber recht haben kann.“ Wichtig ist ihm auch, mit seinen Debatten ak- tuell zu bleiben. In der kürzlich ins Netz gestellten Sendung mit Hartmut Rosa etwa geht es um die beschleu- nigte Gegenwart, die Menschen täg- lich dazu antreibt, noch schneller und noch besser zu werden. Europa bereisen – mit Mikrofon und Kamera Etwa 200 Stunden investiert Valentić in eine einzige Sendung. Drei im Jahr sind es mindestens. Sein Projekt fres- se viel Zeit, gibt er zu. Zumal er in den vergangenen Jahren nicht nur seine Talks produziert, sondern auch Kontak- te zur Medienwelt geknüpft hat, unter anderem zu Sendern wie ARTE, 3Sat und dem SWR. All das brachte er auf den Weg, während er seinen Doppel- Master in Philosophie und Geschichte vorbereitete. Seine Vision ist, sein „Philosophisches Experiment“ bei ei- nem TV-Sender unterzubringen und internationaler zu gestalten. „Bislang haben wir nur in Deutschland, Öster- reich und den Niederlanden gedreht. Es wäre schön, künftig auch Geistes- wissenschaftler aus anderen europäi- schen Ländern zu interviewen.“ Zurzeit bereitet Valentić seine Pro- motion über „Hermeneutik als Kultur- politik“ vor. Darin wird er auch den nationalistischen Furor auf dem Balkan untersuchen, der in den dort gespro- chenen und geschriebenen Sprachen seinen Niederschlag gefunden hat. Das Thema lässt ihn bis heute nicht los. Nein, das Jugoslawien seiner Kindheit, als Bosnier und Slowenen, Kroaten und Serben noch friedlich ne- ben- und miteinander leben konnten, existiere nicht mehr, sagt er. Ein Ver- lust, der Valentić anzutreiben scheint. Schließlich können Gespräche die Welt verändern. Wie auf dem Marktplatz Mit seiner Sendung „Philosophisches Experiment“ will Zlatko Valentić zum Denken und Diskutieren anregen menschen Seit ihrer Rückkehr aus den USA spielt Lena Petermann für den SC Freiburg. In Deutschland rechnet sie sich die besten Chancen aus, sich weiterzuentwickeln. Foto: Patrick Seeger Moderator und Produzent: Etwa 200 Stunden steckt Zlatko Valentić in jede Sendung – im Jahr veröffentlicht er mindestens drei seiner Netzdebatten. Foto: Klaus Polkowski „Diese Eindrücke bleiben fürs ganze Leben“ Lena Petermann kickte bei zwei Weltmeisterschaften mit – im Hörsaal der Universität Freiburg konzentriert sie sich auf ihr Studium http://philosophisches-experiment.com 042015