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uni'leben 04-2015

04 20152 Sie ist der zweitgrößte Flächen- staat in Europa und gleichzeitig der jüngste: Im Sommer 2015 feierte die Ukraine 24 Jahre Unabhängigkeit. Seit dem Zusammenbruch der Sowjet- union kämpft das Land um eine eige- ne Identität – und im Konflikt mit Russland um noch mehr Souveränität. Die verhärteten Fronten lassen sich nur verstehen, wenn man die beson- dere Geschichte der beiden Länder bedenkt, betont Prof. Dr. Dietmar Neutatz von der Universität Freiburg. Rimma Gerenstein hat den Experten für osteuropäische Geschichte ge- fragt, welche Perspektiven er sieht. uni’leben: Herr Neutatz, die Ukraine hat seit ihrer Unabhängigkeit zwei Revolutionen erlebt und steckt der- zeit in einem Krieg, dazu kommen eine marode Wirtschaft und mehrere Korruptionsskandale. Warum schei- tert dieser Staat? Dietmar Neutatz: Er hat schwierige Ausgangsbedingungen. Die Geschich- te der Ukraine ist fest mit der Russ- lands verflochten – mehrere Anläufe, sich zu emanzipieren, sind vor 1991/92 gescheitert. Das Land ist von einer großen Vielfalt geprägt: Die Menschen in den unterschiedlichen Regionen machten im Laufe der Jahrhunderte durch die Zugehörigkeit zu Russland, Polen-Litauen und Österreich sprach- lich, kulturell und politisch unterschied- liche Erfahrungen. Hinzu kommen massive ökonomische Probleme. Die Ukraine hat die wirtschaftlichen Altlas- ten übernommen, an denen die Sowjet- union zugrunde gegangen war. Kann ein Land, in dem mehr als 100 Ethnien leben, überhaupt eine einheitliche Identität hervorbringen? Bei vielen Menschen in der Ukraine ist es gar nicht eindeutig, was sie eth- nisch und kulturell sind, weil sich die Frage lange Zeit nicht gestellt hat. Viele haben sich zum Beispiel mit der Sowjet- union identifiziert. Das macht es nicht leicht, das Bewusstsein einer gemein- samen ukrainischen Nation herzustel- len. Doch ich würde diesen Punkt auch nicht überbewerten. Als Historiker sehe ich, dass die Einheitlichkeit eines Staa- tes nicht so sehr über seinen Erfolg entscheidet. Was mehr zählt, sind posi- tive Perspektiven, die ein Land seiner Bevölkerung vermitteln muss – in erster Linie ökonomisch und sozial. Kann die Ukraine diese positiven Perspektiven selbst erzeugen oder muss sie dafür Bündnisse mit Ost und West eingehen? Die Ukraine ist sowohl mit Russland als auch mit der Europäischen Union wirtschaftlich verflochten und auf bei- de Seiten angewiesen, um Wohlstand herzustellen. Deswegen erscheint es mir als unrealistisch, auf eine einseiti- ge Partnerschaft zu setzen. Doch da- durch, dass Politik und Wirtschaft mit- einander verbunden sind, wird das Land zwischen Ost und West zerrie- ben. Es ist ein Teufelskreis: Der Krieg kostet immense Summen, die der Staat nicht hat. Gleichzeitig bietet er Russland die Möglichkeit, eine Stabili- sierung der Ukraine zu verhindern. Ist es realistisch, dass Russland seine imperialen Ansprüche aufgibt? Nicht nur Präsident Wladimir Putin, sondern auch russische Eliten betrach- ten die Ukraine als eine Art kleinen Bru- der. Vor allem im 19. Jahrhundert war „Ukrainer sein“ synonym mit „Bauer sein“, und bis heute haben viele Russen ein Problem damit, die Ukrainer als gleichberechtigte Nation mit An- spruch auf einen souveränen Staat zu akzeptieren. Es spielt aber noch ein zweites Moment hinein, nämlich der Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Die Sowjetunion hatte kurz vor der Auslö- schung gestanden, dann aber die Be- satzer zurückgeschlagen und daraus die Konsequenz gezogen, sich ein Sicherheitssystem mit einem großen strategischen Vorfeld in Europa zu schaffen, bis mitten nach Deutschland hinein. Mit dem Ende der kommunisti- schen Herrschaft ist diese Sicherheits- politik zusammengebrochen. Hinzu kommt, dass die USA nicht gerade sen- sibel mit den Interessen der Russen umgegangen sind und die Nato bis an die Grenzen Russlands vorgerückt ist. Trotzdem ist die Ukraine heute ein souveräner Staat. Richtig, man kann heute nicht mehr Machtpolitik im Stil des 19. Jahrhun- derts betreiben. Es gibt souveräne Staa- ten, die selbst darüber entscheiden, ob und mit wem sie ein Bündnis eingehen. Russland muss also akzeptieren, dass es seine Sicherheit nicht mehr auf Kosten der Nachbarstaaten definieren kann. Aber das kann nur gelingen, wenn man die Wünsche der Ukraine und an- derer Länder, die an Russland angren- zen, mit dem Teil russischer Interessen in Einklang bringt, die berechtigt sind. Wie könnte solch eine Lösung aussehen? Anfang der 1990er Jahre kamen aus Russland – und sogar noch unter Putin – immer wieder Signale, dass man daran interessiert sei, in gemein- same Sicherheitssysteme eingebun- den zu sein, um die Konstellation des Kalten Kriegs endgültig zu überwin- den. Aus dem Westen kam keine adäquate Antwort, denn so viel Mit- spracherecht wollte man Russland nicht zugestehen. Die Lösung kann aber nur in gemeinsamen Strukturen liegen. Sie kann nicht darin bestehen, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. Das hat zwar mit den baltischen Staa- ten und mit ostmitteleuropäischen Ländern geklappt, aber bei der Ukra- ine hätte das eine andere Qualität. Doch wenn man Russland in gemein- same Strukturen einbindet, darf es umgekehrt auch nicht soweit kommen, dass sich die Großmächte über die Köpfe der zwischen ihnen liegenden Staaten hinweg verständigen, wie das etwa in der Geschichte Polens mehr- mals der Fall war. Neue Impulse für den Dialog zwi- schen Kultur, Wissenschaft und Bür- gerschaft: Die Albert-Ludwigs-Univer- sität und die Stadt Freiburg haben mit einer Vertragsunterzeichnung das ge- meinsame Ziel festgelegt, im „Litera- turhaus Freiburg“ langfristig zusam- menzuarbeiten. Es wird künftig von dem Verein „Literatur Forum Südwest“, das 1988 von Autorinnen und Autoren aus Freiburg und der Region als ge- meinnütziger Verein gegründet wurde, betrieben und soll sich zum zentralen literarischen Kompetenzzentrum für Stadt und Region entwickeln. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die inhalt- liche Vernetzung und Kooperation mit Fakultäten und wissenschaftlichen Zentren der Universität, mit studenti- schen Theatergruppen, Freiburger Kul- tureinrichtungen sowie mit nationalen und internationalen Partnern ein riesi- ges Potenzial für alle Beteiligten eröff- net“, sagt Rektor Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer. Der Vertrag hat zunächst eine Laufzeit von 15 Jahren und tritt in Kraft, sobald die Universität das Miet- objekt an die Stadt übergibt. Die Uni- versität vermietet an die Stadt Büroflä- chen, Lagerflächen und den Theater- saal in der Alten Universität. Diesen werden das Literaturhaus und die stu- dentischen Theatergruppen, denen der Saal für ihre Proben und Aufführungen dient, gemeinschaftlich nutzen. Der Universität wird der Saal, bis auf einige Ausnahmen, an den Wochenenden sowie in der Sommerpause des Litera- turhauses zur Verfügung stehen. Für die übrigen Zeiten stellt die Universität den Theatergruppen weitere Probe- und Spielstätten bereit. Das Universi- tätsbauamt Freiburg (UBA) wird nun die Räume sanieren. Hierzu steuern die Universität und die Stadt jeweils 300.000 Euro, das UBA 150.000 Euro bei. Das Literaturhaus soll im Frühjahr 2016 eröffnen. unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de aktuell „Zwischen Ost und West zerrieben“ Die besondere Geschichte zwischen Russland und der Ukraine bietet Einblicke in den Konflikt der beiden Länder In der Alten Universität soll mit dem Literaturhaus ein neues Forum für den Austausch zwischen Kultur, Wissenschaft und Bürgerschaft entstehen. Foto: Sandra Meyndt Termine Lange Nacht der Universität Wie werden Etrusker in Horrorfil- men dargestellt? Wie viel von wel- chem Essen und zu welchen Zeiten ist gut? Und rockt ein Gott die Welt? Diesen und anderen Fragen werden Dozierende verschiedener Fakultäten in der ersten Freiburger „Langen Nacht der Universität“ nachgehen. Ziel der von Studierenden organisierten Ver- anstaltung ist es, auf die Fächervielfalt der Universität hinzuweisen. Die For- scherinnen und Forscher werden in 45-minütigen Vorlesungen jede Stun- de Einblicke in ihre jeweilige Disziplin bieten. Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch, 18. November 2015, um 18:30 Uhr im Audimax des Kollegien- gebäudes II, Platz der Alten Synagoge 1, 79098 Freiburg. Sie endet am 19. November um 7 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, der Eintritt ist kos- tenlos. Getränke und Essen stehen zu einem geringen Preis bereit. Tag der Vielfalt zum Thema „Herkunft“ Beim diesjährigen „Tag der Vielfalt“ an der Universität Freiburg am 19. Novem- ber 2015 wird das Thema „Herkunft“ im Mittelpunkt stehen. Der Begriff kann sich auf ein Land beziehen, in dem Menschen geboren wurden, leben oder mit dem eine Person oder Grup- pe durch ihre Familiengeschichte ver- bunden ist. Außerdem steht Herkunft im Zusammenhang mit Dialekten, sozia- len Umfeldern oder Bildungswegen. An der Universität Freiburg treffen Men- schen unterschiedlicher Herkünfte zusammen. Am Tag der Vielfalt be- leuchten verschiedene universitäre Akteurinnen und Akteure das Thema „Herkunft“ im Studien- und Arbeits- umfeld aus ihrer Sicht und diskutieren es in einem offenen Format. Die Stabs- stelle Gender and Diversity richtet die Veranstaltung aus. Alle Angehö- rigen der Universität sind herzlich eingeladen. www.stura.uni-freiburg.de/lnu2015 www.diversity.uni-freiburg.de/ TagderVielfalt Literaturhaus in der Alten Universität Russland muss akzeptieren, dass die Ukraine ein souveräner Staat ist – und dass es seine Sicherheit nicht mehr auf Kosten der Nachbarländer definieren kann, sagt der Historiker Dietmar Neutatz. Foto: Thomas Kunz www.uni-freiburg.de/universitaet/ refugees-welcome Menschen helfen, die vor Krieg und politischer Verfolgung in ihrer Heimat geflohen sind: Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg hat der Albert- Ludwigs-Universität und der Pädago- gischen Hochschule Freiburg eine gemeinsame Koordinationsstelle be- willigt. Sie wird am Studierendenwerk Freiburg-Schwarzwald angesiedelt und soll Maßnahmen aller Hochschu- len im Regierungsbezirk Freiburg zur Unterstützung von studieninteressierten Flüchtlingen koordinieren. Dies be- inhaltet auch die enge Vernetzung mit der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V., der Arbeits- plattform der elf Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, zu denen un- ter anderem die Caritas, die Diakonie und das Deutsche Rote Kreuz zählen. Die Universität hat zudem ein Service- portal im Internet eingerichtet, auf dem sie ihre Angebote für studieninteres- sierte Flüchtlinge sowie bestehende Initiativen und Projekte zur Flüchtlings- hilfe vorstellt. Sie wird die Informatio- nen auf diesem Portal fortlaufend er- gänzen und aktualisieren. Hilfe für Flüchtlinge Zum 15. Oktober 2015 hat das Uni- versitätsklinikum Freiburg die Klinik für Tumorbiologie (KTB) in Freiburg über- nommen. „Nach vielen Jahren der gu- ten Kooperation und des Austausches zwischen beiden Kliniken ist dieser Zusammenschluss eine gute und logi- sche Entwicklung“, sagt Prof. Dr. Jörg Rüdiger Siewert, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums. Da- mit bleibe die KTB ein Leistungszen- trum der Krebsmedizin in Freiburg. Der Akutbereich wird von der Klinik für Hä- matologie und Onkologie des Univer- sitätsklinikums unter der Leitung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Justus Duyster übernommen. Der Bereich der Rehabilitation wird in eine GmbH um- gewandelt, die ebenfalls vom Universi- tätsklinikum Freiburg geführt wird. Der Name „Klinik für Tumorbiologie“ bleibt als Standortname erhalten. Universitätsklinikum übernimmt Klinik für Tumorbiologie 0420152

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