05 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 9 von Stephanie Streif Ein Teenager mit schweren Ver- brennungen wird ins Princeton- Plainsboro-Krankenhaus eingeliefert. Die Ärztinnen und Ärzte hängen den Patienten schnellstmöglich an Infusio- nen und Monitore und versorgen seine Wunden. Auf der Leinwand herrscht Hektik, im Publikum eine super Stim- mung: Pizza, Bierflaschen und Scho- koriegel werden herumgereicht. Die „Dr.-House-Abende“ der offenen Fach- schaft Medizin, für die es kürzlich den Sonderpreis für studentisches Enga- gement der Universität Freiburg gab, sind im Wintersemester 2015/16 in die vierte Runde gegangen. Die Veran- staltungsreihe ist ein Erfolg: Knapp 170 Studierende sitzen im Virologie- Hörsaal und assistieren dem eigenwil- ligen, aber brillanten Gregory House, der normalerweise bei RTL über den Bildschirm humpelt. Tintenkleckse und Kaubonbons Das Konzept: Per Beamer wird eine Folge der US-Serie „Dr. House“ an die Wand geworfen. Die Moderatorinnen und Moderatoren unterbrechen die Vorführung immer wieder und fragen nach, ob jemand die Neuner-Regel bei Verbrennungen kenne oder warum man mit dem Patienten einen Rorschach- test mache, um eine Einblutung in den Subarachnoidalraum auszuschließen. Gemeinsam erläutern die Studierenden Fachbegriffe, beschreiben Symptome und stellen Differenzialdiagnosen. Für jeden wertvollen Beitrag gibt es einen Schokoriegel oder ein Kaubonbon, die auch mal durch den Raum fliegen. Schließlich muss es schnell gehen, nicht dass der Patient am Ende noch stirbt. Mitunter weisen die Studierenden Dr. House und seinem Team auch Feh- ler nach – wie bei der Anwendung des Rorschach- oder Tintenkleckstests, der eigentlich in der Psychodiagnostik zum Einsatz kommt. Bei krampfenden Verbrennungsopfern, die obendrein abnorme Kaliumwerte aufweisen, lasse sich damit gar nichts ausrichten. Die Idee zur Veranstaltungsreihe hatte Tim Brennemann. Er ist Medizinstudent im zehnten Semester und bekennender „House“-Fan. Der schmerzmittelabhän- gige Doktor, der als Leiter der diagnos- tischen Abteilung so ziemliches jedes medizinische Rätsel löst, hat es Brenne- mann angetan: „Eine spannende Figur, die nicht nur unterhaltsam ist, sondern einem auch viel beibringen kann.“ Die meisten medizinischen Inhalte der Serie seien gut recherchiert, findet der Student. Im Oktober 2013 ging er mit seiner Idee zur Fachschaft Medizin, im Januar stellte er sein Projekt auch der Studierenden- kommission vor, in der Studierende wie Lehrende der Humanmedizin sitzen. Da wurde kritisch nachgehakt: Unter ande- rem wollte ein Professor wissen, was eine Serie, die auf RTL liefe, an der Universi- tät zu suchen habe. Brennemann konn- te überzeugen, der erste „Dr.-House- Abend“ fand im April 2014 statt. Sechs Abende im Semester Sechs „Dr.-House-Abende“ gibt es im Semester. Die veranstaltet Tim Brenne- mann allerdings nicht alleine. „Wir sind zu sechst. Jeder Abend wird von einem Zweierteam bestritten.“ Knapp 30 arbeitsstunden investiert der Mediziner für eine zweistündige Präsentation. Jede Folge schaut er vier-, fünfmal an, um möglichst viel Wissenswertes herauszuziehen – den Unter- schied zwischen einer Computer- und einer Magnetresonanzto- mografie zum Beispiel oder die von Napoleons Chefchirurg entwickelte Madentherapie, bei der die Tierchen durch Wunden kriechen, um sie von abgestorbenem Gewebe und Bakterien zu befreien. Alle Zusatzinformationen präsentieren und erklären die Moderatoren auf Extrafoli- en. Dann gibt es noch das Quiz, das auch mal absurditäten der Medizin abfragt. Das Team, das die meisten Fragen richtig beantworten konnte, erhält einen Armvoll Knabberkram samt Bier und Limonade überreicht. Und der eingelieferte Teenager? Dr. House entdeckt an seinem Handgelenk einen Brandfleck, der – weil klein und kreisrund – von einer Zigarettenkippe stammen muss. Der arme Junge wollte sich mit Billigpräparaten das Rauchen abgewöhnen. Dumm nur, dass diese häufig mit Antidepressiva gestreckt werden, die das Serotoninsyndrom auslösen können. Der Patient überlebt. Dr. House und seine Assistentinnen und Assistenten im Virologie-Hörsaal der Universität Freiburg können mit sich und ihrer Arbeit zufrieden sein. kompass Lernen per Ferndiagnose Medizinstudierende analysieren gemeinsam die US-amerikanische TV-Serie „Dr. House“ Die Neuner-Regel bei Verbrennungen? Eine richtige Antwort wird mit Süßigkeiten belohnt. FoTo: THoMaS KUNz Diagnosekönig: Gregory House löst fast jeden Fall. FOTO: RTL/UNIVERSAL von Martin Jost Ach, ihr Menschen, wieso macht ihr es euch denn nur so furchtbar schwer?“, wundert sich Leo in Christiane Sadlos Roman „Hundeherz“. Leo ist der Terrier von Protagonistin Dora Liebig, und im Buch kommt er selbst zu Wort. Der Vierbeiner weiß nämlich besser als Frauchen, was gut für sie ist. Ginge es nach ihm, würde sie sich endlich einge- stehen, dass der bodenständige Florist Jochen Blume der Mann fürs Leben ist. Doch Doras Mutter Helena ist anderer Meinung. Die berühmte Schauspielerin hat den Zenit ihrer Karriere überschrit- ten und sich aufs Schreiben von ver- kopften Beziehungsratgebern speziali- siert. Helenas Rat für die Tochter lautet: Heirate einen Arzt mit Porsche, und genieße das Hausfrauendasein. Die egozentrische Mutter hält Dora mit Schuldgefühlen an der kurzen Leine. Rollenbilder überwinden am Typus der selbstsüchtigen Mutter, die ihre Nachkommen mit Übergriffen terrorisiert, besteht in der zeitgenössi- schen Literatur anhaltendes Interesse – man denke nur an Jonathan Franzens neuen Roman „Unschuld“. Mit einigen Klassikern der Weltliteratur hat Sadlos Buch den Hund als Erzähler gemein- sam – in der Biografie „Flush“ zum Bei- spiel stellt Virginia Woolf den Hund der Dichterin Elizabeth Barrett Browning in den Mittelpunkt. auch in puncto Femi- nismus dient Woolfs Werk Sadlo als Anknüpfungspunkt. Wenn sich die Hel- din Dora von der Mutter emanzipiert, muss sie sich gleichzeitig aus einem ur- alten Rollenbild lösen. Sie hat eben nicht Literaturwissenschaften studiert, um Helenas Manuskripte in Form zu bringen. Und sie ist nach dem Studium nicht bei verschiedenen Sterneköchen in die Lehre gegangen, um für den Arzt, den Helena für sie aussucht, am Herd zu stehen. Mütterlicher Terror Leo erkennt, wie die Mutter sein Frauchen manipuliert. Doch Frauchen versteht den – im Buch ironischerweise sehr eloquenten – Hund nicht. Er reprä- sentiert ihr Es, das sie mit aller Kraft wegdrückt. Leo tritt in den Boykott: Er erbricht, beißt und verteilt Flöhe. Das mütterliche Über-Ich geht so weit, einen Berliner Junkie anzuheuern, um Leo aus dem Weg zu räumen. Sadlo hat mit dem Terrier eine wirkungsvolle Meta- pher für das Unbewusste ihrer Heldin gefunden, das diese nicht zu entschlüs- seln vermag. Erst nach zahlreichen Zu- fällen, Intrigen und Missverständnissen entwickelt sie emotionale Intelligenz, die sie auf ihr Herz hören lässt. Christiane Sadlo hat in Freiburg und München anglistik, Germanistik und Jura studiert. Nach Jahren als Regie- und Dramaturgieassistentin ist sie heute als Drehbuchautorin erfolgreich. Von ihr stammen viele TV-Adaptionen von Rosamunde-Pilcher- und Utta-Danella- Romanen. Darüber hinaus hat Sadlo mehr als 60 Drehbücher unter dem Pseudonym Inga Lindström geschrieben. Das flohverseuchte Es Christiane Sadlos Schmonzette „Hundeherz“ lässt sich als Parabel auf den Kampf zwischen Hirn und Herz lesen Christiane Sadlo: Hundeherz. Blanvalet-Verlag, München, 2015. 350 Seiten, 8,99 Euro. Helenas Manuskripte in Form zu bringen. Christiane Sadlo: Hundeherz. www.ofamed.de/index.htm Lounge Chair & Ottoman, 1956 Der Klassiker der Möbelgeschichte: Der Lounge Chair von Charles & Ray Eames. Entspannung und Inspiration für Lounge, Lobby oder Wohnzimmer. Streit Service & Solution GmbH & Co. KG Tullastr. 70 ■ 79098 Freiburg ■ Tel. 07 61/ 50 49 60 ■ www.streit.de in Freiburg beiin Freiburg bei Streit inhouse Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 9 Im Oktober 2013 ging er mit seiner Idee zur Fachschaft Medizin, im Januar stellte er sein Projekt auch der Studierenden- kommission vor, in der Studierende wie Lehrende der Humanmedizin sitzen. Da wurde kritisch nachgehakt: Unter ande- rem wollte ein Professor wissen, was eine Serie, die auf RTL liefe, an der Universi- um möglichst viel Wissenswertes herauszuziehen – den Unter- schied zwischen einer Computer- und einer Magnetresonanzto- mografie zum Beispiel oder die von Napoleons Chefchirurg entwickelte Madentherapie, bei der die Tierchen durch Wunden Medizinstudierende analysieren gemeinsam die US-amerikanische TV-Serie „Dr. House“ Diagnosekönig: Gregory House löst fast jeden Fall. FOTO: RTL/UNIVERSAL 052015 Tullastr. 70 ■ 79098 Freiburg ■ Tel. 0761/ 504960 ■ www.streit.de