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uni'leben 01-2013

01 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 5forschen von Rimma Gerenstein Wie oft steigen Sie in die Straßen- bahn, ohne einen Fahrschein zu lösen? Setzen Sie sich gelegentlich ans Steuer, obwohl Sie einige Gläser Wein getrunken haben? Und ganz ehr- lich: Wann haben Sie das letzte Mal bei der Steuererklärung getrickst? Fra- gen, über die niemand gerne Auskunft gibt. Schließlich ist unklar, wie Freunde oder Kollegen reagieren würden. Das Gesetz hingegen bezieht eindeutig Position: Was gegen das Strafrecht verstößt, ist verboten. Franziska Kunz ist es gelungen, auf solche heiklen Fragen Antworten zu bekommen. Für ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Insti- tut für ausländisches und internationa- les Strafrecht sowie an der Universität Freiburg hat die Soziologin die Alters- kriminalität in Südbaden untersucht. Die Wissenschaftlerin fragte 2.000 Männer und Frauen zwischen 49 und 81 Jahren, welche illegalen Taten sie wie oft verüben – und wie sie die eigenen Handlungen bewerten. Vitalität nimmt ab, Weisheit nimmt zu Die Arbeit bezieht auch das Dunkel- feld ein, also Straftaten, die amtlich nicht registriert sind. Mit ihrer Disser- tation hat Kunz nicht nur die erste re- präsentative Studie über die Alterskri- minalität in Freiburg und der Region vorgelegt, sondern zugleich die erste umfassende Dunkelfeld-Untersuchung unter älteren Menschen weltweit. Ihre Ergebnisse widerlegen manches Kli- schee, das in den Medien kursiert. Etwa das der einsamen alten Dame, die im Supermarkt Brot klaut, weil sie zu wenig Rente bekommt. „Den meis- ten Delinquenten geht es finanziell gut“, sagt die Forscherin. „Sie wollen ihren Status erhalten oder ausbauen, zum Beispiel mit Steuer- oder Versi- cherungsbetrug.“ Die Erkenntnisse der Studie legen einen anderen Blick auf das Phänomen nahe: „Zwar wird die Kriminalität mit zunehmendem Alter weniger, doch insgesamt betrachtet sind ältere Menschen öfter Täter als Opfer.“ Vierzehn Delikte hat die Forscherin abgefragt – von harmlosen Vergehen wie dem Einstecken von zu viel Wech- selgeld bis zu schwerwiegenden, wie etwa Körperverletzung. Knapp fünf Jahre lang hat sie Befragungsmetho- den getestet, Fragebögen entworfen, Interviews geführt und Antworten ausgewertet. Nun liegen die Daten vor, sauber arrangiert in Tabellen, Bal- ken- und Kreisdiagrammen. „Mit solch einem reichen Datenschatz kann man allerlei Analysen anstellen.“ Doch die Soziologin interessiert sich für Moral – genauer gesagt für die Frage, wie sich die Vorstellungen von richtig und falsch im Laufe des Lebens und im Zuge des sozialen Wandels verän- dern. Um das zu untersuchen, teilte sie die Befragten in drei Altersgrup- pen ein. Dabei hat sie zum Beispiel festgestellt, dass die 49- bis 59-Jäh- rigen in verschiedener Hinsicht krimi- neller sind als die 60- bis 70-Jähri- gen – und diese wiederum krimineller als die 71- bis 81-Jährigen. Dahinter vermutet Franziska Kunz allerdings nicht den „allgemeinen Alterseffekt, bei dem die Vitalität, die Begehrlich- keiten und die Gelegenheiten abneh- men und dafür die Weisheit zunimmt“. Die Wissenschaftlerin erklärt den so genannten Kohorteneffekt, das heißt Unterschiede zwischen den Entwick- lungsverläufen verschiedener Gene- rationen, mit sozial-kulturellen Wand- lungsprozessen. Zusätzlich zu den Fragebögen, die die Probandinnen und Probanden zu Hause ausfüllten, wurden in einer anschließenden Studie noch knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ausführlichen Interviews befragt. In den Gesprächen sollten sie unter an- derem einige Geschichten bewerten: Ein Paar findet am Strand einen Ring, verkauft ihn und behält das Geld. Ein Arzt leistet einem leidenden Patienten Sterbehilfe. Ein Student fährt dreimal die Woche Pizza aus und steckt sich das Geld unversteuert in die Tasche. Laut Gesetz alles Straftaten – aber was sagen die Seniorinnen und Seni- oren? Handeln die Menschen mora- lisch oder unmoralisch? „Während die Älteren starre Vorstellungen von richtig und falsch hatten, zeigten sich die Jün- geren in ihrem Urteil flexibler“, lautet Kunz’ Resümee. „Die Älteren sagten: ‚Nein, einen gefundenen Ring darf ich nicht behalten, das ist Diebstahl.‘ Die Jüngeren argumentierten: ‚Na ja, wenn ich ihn nicht mitnehme, dann macht es halt ein anderer, und außerdem schadet das ja gerade niemandem.‘“ In allen Altersgruppen spiegeln sich die Eigenheiten ihrer jeweiligen Zeit wider, sagt die Forscherin: Die Moral der älteren Generation sei vor allem von kirchlichen Werten und Nor- men geprägt, deren Gültigkeit nicht abgestuft werden könne. Die jüngere Generation zeige hingegen Zeichen einer Gesellschaft, die immer säku- larer und individueller werde. „Dieb- stahl etwa ist nicht per se verboten. Wie man ihn bewertet, hängt eher von der konkreten Situation ab.“ Moral bedeute für jüngere Generationen vor allem, andere Personen nicht direkt zu schädigen – unabhängig davon, was das Gesetz darüber hinaus vor- schreibe. „Diese differenzierte Her- angehensweise eröffnet Spielräume bei der Interpretation von Normen – und damit die Möglichkeit, sich ohne schlechtes Gewissen Vorteile zu ver- schaffen.“ Öfter Täter als Opfer Die Soziologin Franziska Kunz hat die erste Studie zur Kriminalität und Moral von Senioren in Südbaden vorgelegt von Jürgen Schickinger Die Spemann Graduiertenschule für Biologie und Medizin (SGBM) steht vorwiegend erstklassigen Dokto- randinnen und Doktoranden aus den Natur- und Lebenswissenschaften offen. Die Einrichtung der Universität Freiburg begleitet junge Forscherinnen und Forscher seit fast sieben Jahren mit einem strukturierten, fächerüber- greifenden Ausbildungsprogramm zur Promotion. Einer der ersten Absol- venten, Johannes Kern, brachte sogar schon einen Doktortitel mit – in Medi- zin. Prof. Dr. Christoph Borner, der die Graduiertenschule leitet und Gruppen- leiter am Institut für Molekulare Medi- zin und Zellforschung ist, nennt den Dr. med. Dr. rer. nat. Kern, der inzwischen Facharzt ist, „unser Vorzeigemodell“: „So etwas hat es in Freiburg zuvor noch nie gegeben.“ Borners Graduiertenschule feierte noch weitere Erfolge: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft erkannte sie 2006 als erste Exzellenzeinrichtung der Universität Freiburg an. Auch die zweite Runde der Exzellenzinitiative bestand die SGBM mit Bravour. „Wir haben bewiesen, dass sie die Dokto- randenausbildung verbessert“, erklärt Borner. Bisher haben 36 Doktoranden aus zwölf Ländern die internationale Schule absolviert. Die Mehrheit von ihnen schloss die Promotion als Erst- autorin oder Erstautor von mindestens einer wissenschaftlichen Publikation ab. Die Ausbildung umfasst Pflichtteile und Angebote, aus denen die Dokto- randen nach eigenem Interesse aus- wählen können. Was sie leisten müs- sen, regelt ein „Ausbildungsvertrag“. Pflichtveranstaltungen sind die inter- disziplinären Treffen, Seminare und Module, die je nach Veranstaltung alle vier Wochen, alle zwei Monate oder einmal jährlich stattfinden. Hinzu kommen Kurse – jeweils mindestens einer zu technischen Methoden und Schlüsselqualifikationen. In Letzteren lernen die Doktoranden etwa, wis- senschaftliche Arbeiten zu verfassen, Teams zu managen oder Entdeckun- gen zu Patenten zu machen. Einmal im Jahr treffen sie sich außerhalb Freiburgs zu einer Klausurtagung, auf der sie ihre Forschungsthemen prä- sentieren. Ort, Transport, Unterkunft, Speisen und das soziale Begleitpro- gramm organisieren sie selbstständig. Eine Schnellspur für besonders Exzellente Von jährlich 300 bis 400 Bewer- berinnen und Bewerbern nimmt die SGBM nur etwa zehn bis zwölf auf. Nach dem Auswahlverfahren durch- laufen die Doktoranden mehrere Pro- bephasen. Ihre Fortschritte werden regelmäßig kontrolliert. Sie erhalten eine intensive „familiäre Betreuung“, wie Borner es ausdrückt – Unter- stützung und Rat von ihrem Promo- tionskomitee, das sie selbst aus Professoren und anderen Mentoren zusammenstellen. „Unsere Doktoran- den haben maximal 20 Prozent mehr Zeitaufwand als andere“, sagt Borner. Der Einsatz lohnt sich: Die meisten SGBM-Absolventen finden direkt im Anschluss eine Stelle. Der exzellen- te Ruf der Graduiertenschule spricht sich immer weiter herum. „Wir bekom- men immer bessere Bewerbungen“, freut sich Borner. Auch die Zahl inter- nationaler Kooperationen nimmt zu. Die Weiterbildung promovierter Medizinerinnen und Mediziner wie Johannes Kern ist ein Sonderzweig der SGBM. Borner will ihn ausbauen. In der klinischen Forschung seien Leute gefragt, die medizinische und natur- wissenschaftliche Kenntnisse mitbrin- gen. Zudem hat der Leiter vor, für die Biologie eine Fast-Track-Ausbildung zu etablieren. Diese Schnellspur erlaubt es hervorragenden Masterstudierenden, schneller zu promovieren. „Sie können ein Jahr sparen.“ Ausweiten will er auch das „Track 2“-Programm. Damit kön- nen Freiburger Forschungsgruppen, die Gelder für Promotionsstellen haben, über die SGBM exzellente Doktoranden rekrutieren. Doch was passiert, wenn die Finanzmittel aus der zweiten Runde der Exzellenzinitiative auslaufen? „Ab 2017 ist unsere Finanzierung unklar“, sagt Borner. Eine Grundfinanzierung für die Zeit danach habe die Universität zwar zugesagt, doch die SGBM müsse ver- suchen, weitere Gelder zu beschaffen – durch Förderinstitutionen oder Stif- tungen. Dabei hofft Borner auch auf die Industrie: „Es wäre schön, wenn sie künftig mehr Interesse an unse- rer Graduiertenschule zeigen und bei- spielsweise Stipendien zur Verfügung stellen würde.“ Mit Pflicht und Kür zum Doktortitel Die Spemann Graduiertenschule für Biologie und Medizin erweitert ihre Ausbildungsangebote Forschen im Labor, Seminare und Austausch mit Kollegen unterschiedlicher Disziplinen: Samuel Juillot und Anita Nieth profitieren von der Ausbildung an der Spemann Graduiertenschule für Biologie und Medizin. Foto: Thomas Kunz Einstecken von zu viel Wechselgeld, Trunkenheit am Steuer, Sterbehilfe: Was laut Gesetz ein Delikt ist, empfinden nicht alle Teilnehmer der Studie als falsch oder unmoralisch. Fotos: M.Schuppich, mezzotint, sudok1/alle Fotolia

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