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uni'leben 01-2013

01 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 8 campus Zur Quelle des europäischen Flusses Herzlich willkommen an der Albert-Ludwigs-Universität! Was erhoffen sich Erasmus-Studierende von ihrem Aufenthalt in Freiburg? Umfrage und Fotos von Hinnerk Feldwisch-Drentrup Laura Plasencia von den Kana- rischen Inseln/Spanien, 23 Jahre, studiert Jura und Politikwissen- schaft Von Freiburg erhoffe ich mir ein „an- deres“ Jahr: Ich möchte die Menschen, das Land und seine Kultur erkunden. Der Schwarzwald hat mir gleich sehr gefallen, auch die Stadt und ihr Kul- turleben. Sie hat die perfekte Größe – Freiburg ist keine zu riesige Metropo- le, aber groß genug für viele kulturelle Angebote. Sehr überrascht hat mich hier das sonnige Wetter. Michela Murru aus Cagliari/Italien, 26 Jahre, studiert Bildungs- planung und Instructional Design Mein Ziel ist, in Freiburg möglichst viel zu lernen. Insbesondere möch- te ich mein Deutsch verbessern. Ich bin zum ersten Mal hier und finde die Menschen sehr freundlich. Gleich in der ersten Woche habe ich gemerkt, dass man in Freiburg viel für die Uni tun muss: Wir müssen jede Woche ein Protokoll abgeben. An Partys habe ich eh kein Interesse, da ich auch Opern- sängerin bin und meine Stimme scho- nen muss. Neben dem Studium werde ich aber leider nicht viel Zeit zum Pro- ben haben. Angéla Ócsai aus Debrecen/Ungarn, 21 Jahre, studiert Germanistik Ich bin in Freiburg geboren. Meine Eltern sind aber nach Ungarn zurück- gezogen, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter hat in Freiburg Musik studiert, und wir haben jeden Sommer hier Urlaub gemacht. Die Stadt ist ein- fach wunderschön. Ich möchte mein Deutsch verbessern und neue Freun- de kennenlernen. Gerne würde ich wie meine Mutter länger hierbleiben – sie hat immer noch viele Bekannte in Freiburg. Barbora Kusinova aus Prag/Tsche- chien, 24 Jahre, studiert Medizin Von den drei Universitäten in Deutschland, unter denen wir wäh- len konnten, ist Freiburg eindeutig die beste – in der Medizin ist die Uni sehr berühmt. Da ich später gerne in Deutschland arbeiten würde, möchte ich hier meine Sprachkenntnisse ver- bessern und verstehen, wie das deut- sche Krankenhaussystem funktioniert. Außerdem habe ich gehört, dass es in Freiburg tolle Sinfonieorchester und Konzerte gibt. Gerne möchte ich die- sen Teil von Europa näher kennenler- nen, auch Frankreich und die Schweiz – und im Schwarzwald wandern. Peter Toth aus Sopron/Ungarn, 25 Jahre, studiert Forstwissen- schaften In Freiburg möchte ich unbedingt meine Sprachkenntnisse erweitern und meinen Fachwortschatz ausbauen, um deutsche Fachliteratur lesen zu kön- nen. Außerdem will ich das Institut für Forstwissenschaften hier genauer ken- nenlernen, da ich gerne meine Diplom- arbeit in Freiburg schreiben würde. Die Stadt ist sehr angenehm und gefällt mir mit ihren vielen grünen Flächen sehr. Natürlich ist auch der Schwarzwald für mich interessant. Gerne möchte ich mal zur Donauquelle nach Donau- eschingen, um zu sehen, wo dieser europäische Fluss entspringt. von Rimma Gerenstein Jeden Tag wartet Jürgen neben dem Fenster. Monate und Jahre ver- gehen – seine Mutter kommt nicht. Die Nonnen im St. Johannes Stift in Marsberg geben ihm „süße, leckere Bonbons“, die ihn aufmuntern sollen. Doch die kleinen Kugeln machen den Jungen träge. Später erfährt er, dass es sich um Psychopharmaka handelte, die ihn jahrelang betäubten. Oft wer- den Jürgen und die anderen Kinder im Heim geschlagen. Er sei ein Nichts- nutz, ein Bastard. Schließlich sei er nur geboren, weil seine Mutter von einem russischen Soldaten vergewal- tigt wurde. Er verdiene es nicht, am Leben zu sein. Nicht viele Menschen kennen diese Geschichte, das Schick- sal des Jürgen Schubert. Adi Kantor hat sie erzählt. Für ihre Masterarbeit hat die israelische Studentin von der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Thema gewählt, das in Deutsch- land ein Tabu ist. Sie untersuchte die Geschichte von so genannten Besat- zungskindern – Kindern, die entweder während oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zur Welt gekommen sind. Ihre Mütter waren Deutsche, ihre Väter sowjetische, fran- zösische, britische oder US-amerikani- sche Soldaten. „Ein Krieg vernichtet nicht nur Leben, sondern bringt auch Leben hervor“: In der Fachliteratur stieß die Studentin auf diesen Satz, der sie beeindruckte. Er brachte auf den Punkt, wie schrecklich und span- nungsgeladen die Umstände waren, in denen Besatzungskinder geboren wurden. „Diese Kinder stehen heute neben uns an der Ampel oder beim Bäcker. Aber in Geschichtsbüchern findet man nichts über sie“, sagt sie. In Westdeutschland geht man von ungefähr 68.000 Besatzungskindern aus, für Ostdeutschland sind kaum zuverlässige Zahlen dokumentiert. Für ihre Arbeit wechselte Kantor an das Historische Seminar der Univer- sität Freiburg – ihre Recherche führ- te sie jedoch auch in andere Städte. Sie war überrascht, wie schwierig es war, an Quellen und Informationen zu kommen. „Es gab nur eine Handvoll Archive, die dazu etwas in ihren Be- ständen hatten.“ Verleugnen und vergessen Wie reagierten Menschen in der Nachkriegszeit auf Kinder, deren Eltern vor kurzem zwei tödlich ver- feindeten Nationen angehört hat- ten? Welchen Platz hatten sie in der deutschen Gesellschaft – und hatten sie überhaupt einen? „Diese Kinder waren wie ein Spiegel, der die Deut- schen auf schmerzvolle Weise an ihre Niederlage erinnerte.“ Doch längst nicht alle Kinder entstammten Ver- gewaltigungen – sie waren auch oft das Resultat von Liebesbeziehungen. So auch Jürgen Schubert. „Seine Mutter wusste jedoch, dass es kei- nen Platz für ihn geben würde, wenn ihr Ehemann, ein Soldat der Waffen- SS, von der Front wiederkehren wür- de.“ Sie verleugnete ihre Beziehung zu Schuberts Vater und behaupte- te, dass sie vergewaltigt worden sei. Sie verließ das Kind am Tag seiner Geburt, die Behörden steckten ihn in eine Anstalt für geistig zurückgeblie- bene Kinder, obwohl der Junge ge- sund war. „Dieses Verleugnen, Ver- nachlässigen und Vergessen waren die häufigsten Reaktionen, mit denen die Kinder konfrontiert waren“, lautet das Fazit von Kantors Recherche. Und sie hat noch etwas Wesentli- ches über das Kapitel Besatzungskin- der in Deutschland herausgefunden: Das rassistische Gedankengut der Nationalsozialisten überlebte das Ende des Kriegs und schwappte weit über die vermeintliche „Stunde Null“ in die 1950er und 1960er Jahre, teil- weise auch in die Gegenwart herüber. Für Adi Kantor repräsentiert Jürgen Schuberts Geschichte ein soziales Phänomen im Nachkriegsdeutschland: „Besatzungskinder wurden als ‚Misch- lingskinder’ beschimpft, sie galten als eine Mischung zwischen ‚reinem und unreinem Blut’. Mit solchen Über- zeugungen war es für die deutsche Gesellschaft unmöglich, diese Kinder zu akzeptieren. Sie waren Feinde und ihre Mütter Verräterinnen.“ Verband der Freunde Adi Kantors Masterarbeit wurde vom Verband der Freunde der Universität Freiburg gefördert. Der gemeinnützi- ge Verein wurde 1925 gegründet, um bedürftigen Studierenden zu helfen. Mit seinen etwa 800 Mitgliedern und den von ihm verwalteten Stiftungen unterstützt er auch heute noch vor allem Studierende, zum Beispiel durch finanzielle Hilfen bei Exkursio- nen und Forschungsvorhaben oder durch Examensstipendien und Preise für hervorragende Leistungen. Schmerzhafter Spiegel Für ihre Masterarbeit hat Adi Kantor untersucht, warum Besatzungskinder im Deutschland der Nachkriegszeit keinen Platz hatten Historiker gehen von circa 68.000 Besatzungskindern in Westdeutschland aus. Für Ostdeutschland sind dagegen kaum zuverlässige Zahlen dokumentiert (Symbolfoto). Quelle: Stadtarchiv Freiburg i.Br., M 75/1.

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