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uni'wissen 01-2012

Für eine Studie haben sich gesunde und essgestörte Frauen im Spiegel betrachtet, während ein Eye Tracker auf dem Helm ihre Blickbewegungen aufgezeichnet hat. Das Ergebnis: Essgestörte Frauen schauen ­länger und häufiger auf Körperteile, mit denen sie nicht zufrieden sind (Szene nachgestellt). Foto: Kunz „Obwohl klare Kriterien essgestörtes von gesundem Verhalten abgrenzen, sind die Übergänge oft fließend“ Vanilleeis, eine ganze Familienpackung. Zehn Würstchen, dick mit Senf beschmiert. Schnell. Hastig. Schokoladenkekse, Brote mit Leberpastete, Bananen. Es könnte auch versal- zener Haferschleim sein – was sie sich in den Mund stopft, schmeckt die junge Frau nicht. ­Unzerkaut würgt sie die Lebensmittel herunter, kippt zwischendurch Milch nach, damit sie sich später leichter übergeben kann. Eigentlich war sie heute mit zwei Freundinnen verabredet. Aber das Kino hat sie abgesagt, um ungestört zu sein. Außerdem stellen die beiden in letzter Zeit unan- genehme Fragen: „Ich habe dich vorhin im Bad keuchen hören. Bist du krank?“ „Du gehst oft auf die Toilette. Alles in Ordnung?“ Essanfälle, die nichts mit Genuss zu tun haben und sich über zwei Stunden erstrecken, absicht- liches Erbrechen, allmähliches Abschotten von Familie und Freunden: Diese Symptome sind ­typisch für Menschen, die an einer Bulimia ner- vosa – auch Ess-Brech-Sucht genannt – leiden, ­erklärt Brunna Tuschen-Caffier. Die Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Freiburg untersucht seit 20 Jahren Essstörungen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen ist sie 2011 für ihre Grundlagen­ forschung mit dem Christina-Barz-Preis ausge- zeichnet worden. Das Team hat herausgefunden, welche Mechanismen dazu beitragen, dass ­Essstörungen entstehen und aufrechterhalten werden. Mehr als vier Jahre haben die Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler in Studien und Projekten Daten gesammelt und ausgewertet. Nun beginnt die Phase der Anwendung: Sie ­wollen die Erkenntnisse für die klinische Praxis, die Therapie von Essstörungen, nutzen – eine Aufgabe, die weitere Jahre in Anspruch neh­ men wird. Frauen sind eine Risikogruppe Zu den prominentesten Formen der Ess­ störungen gehören neben der Bulimia nervosa die Anorexia nervosa, auch als Magersucht ­bezeichnet, sowie die Binge-Eating-Störung, die erst seit Mitte der 1990er Jahre als eigenes Krankheitsbild erforscht wird. Menschen mit dieser Störung leiden an exzessiven Essanfällen. „Doch im Gegensatz zur Bulimia nervosa fehlen die Gegenmaßnahmen wie Erbrechen oder ­Diäthalten“, sagt Tuschen-Caffier. Alle drei Ess- störungen verbindet eine tiefe Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper – und die scheinbar ­untrennbare Verknüpfung von Selbstwertgefühl mit Figur und Gewicht. Ein Mechanismus, für den laut der Psychologin auch gesunde Frauen anfällig sein können: „In unserer westlichen ­Kultur definieren Frauen ihren Wert als Person stark über Aussehen und Schlankheit. Bei Ess- störungen zählen sie zu einer Risikogruppe.“ Von den ein bis drei Prozent der in Deutschland an Essstörungen leidenden Menschen sind mehr als 90 Prozent weiblich. „Obwohl klare Kriterien essgestörtes von ­gesundem Verhalten abgrenzen, sind die Über- gänge oft fließend“, sagt die Expertin. Auch ­gesunde Frauen haben ab und zu Heißhunger­ attacken, treiben Sport, um die Kalorien wieder 29

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