Die Sprache der Ilias ist ein Gemisch. In dem Epos über den Krieg um Troia stehen alte und junge Formen nebeneinander, oft innerhalb eines Verses. „Sprachphänomene des 8. vor- christlichen Jahrhunderts sind so gleichmäßig in den Text eingestreut, dass sich kaum ein Ab- schnitt von 30 Versen findet, der als Ganzes aus dem 10. Jahrhundert stammen oder älter sein könnte“, sagt Eva Tichy, Professorin für Indoger- manistik an der Universität Freiburg. Seit Lan- gem versuchen Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler herauszufinden, wie Altes und Junges in der Ilias verteilt sind – nicht zuletzt, um sagen zu können, worin die Eigenleistung des Dichters Homer besteht. Nach vier Jahren Textanalyse ist sich Eva Tichy sicher: Sie hat die Antworten gefunden. Tichys Ansatz verbindet zwei große Forschungs- traditionen. Die analytische betrachtet Homer als Dichter einer Ur-Ilias, die mündlich über liefert und später von anderen erweitert wurde. Die unitarische sieht ihn als Autor der schrift lichen Endfassung, der auf Stoffe, nicht aber auf Verse aus früheren Jahrhunderten zurückgreift. Tichy übernimmt die unitarische Sicht, dass das Gesamtwerk von Homer stammt, liefert aber zugleich einen analytisch aufbereiteten Text, der zeigt, wie er in seinem Werk eigene Neudichtung und traditionelles Versmaterial kombiniert hat. „Damit wird der Text durchsichtig, wie eine ‚‚Homer oder ein Vorgänger hat alte, in dem 15-silbigen Vorläufervers gedichtete Passagen übernommen und in den ionischen Hexameter umgesetzt “ Abschied eines Kriegers: Typische Szenen wie diese wurden in der mündlichen Tradition der antiken Dichtkunst immer wieder verwendet. Das Bild zeigt das Fragment einer Strickhenkelamphora aus der Zeit um 460 vor Christus, das aus Athen/Griechen- land oder der unmittelbaren Umgebung der Stadt stammt. Foto: Zahn/Archäologische Sammlung 5