ihnen nicht suggerieren, dass sie schön sind, obwohl sie sich selbst nicht schön finden. Statt- dessen leitet sie die Frauen dazu an, „ein Körper- schema aufzubauen, das positive und negative Dinge zulässt. Nach dem Motto: Ich habe eine schöne Nase, aber keinen so schönen Mund. Das ist okay, beides gehört zu mir.“ Keine Angst vor Kalorien Vor etwa zehn Jahren hat die Psychologin ein Konzept für die Behandlung von Patientinnen mit Essstörungen entwickelt, das drei Komponenten umfasst. Die erste Phase besteht aus einem Ernährungstraining, das Patientinnen helfen soll, ein gesundes Essverhalten aufzubauen und die Angst vor einer normalen Mahlzeit zu verlieren. Dabei geht es nicht um eine Ernährungs beratung – wie viele Kalorien in einer Portion Spaghetti bolognese stecken, wissen die Patien- tinnen meistens besser als ihre Therapeutinnen und Therapeuten. Aber sie wissen nicht unbe- dingt, warum Kohlenhydrate und Fette ihnen auch guttun. In der zweiten Phase folgt eine Körperbildtherapie. Die Patientinnen betrachten sich wiederholt im Spiegel und äußern ihre Gedanken und Sorgen, ähnlich wie bei den Experimenten. Allerdings dauern diese Sitzungen in der Regel zwischen 40 und 60 Minuten. Die Mädchen und jungen Frauen können im Behand- lungszimmer nicht einfach am Spiegel vorbei huschen wie im Kaufhaus. „Wir fordern sie auf, ihren Körper genau anzuschauen und detailliert zu beschreiben, was sie an ihm nicht mögen und welche Gefühle dieser Anblick bei ihnen auslöst. Außerdem fordern wir sie dazu auf, Körperzonen genau zu beschreiben, mit denen sie einiger maßen zufrieden sind.“ In der dritten Phase steht das Thema Stress und Essen im Mittelpunkt, wobei Stress ein Platzhalter für viele Belastungs situationen sei, die von Mensch zu Mensch variieren, erklärt die Wissenschaftlerin. „Dahinter können zum Beispiel hohe Leistungsanforde rungen an die eigene Person stecken, ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle oder auch der Wunsch, seinen Selbstwert zu steigern, indem man sagt: Ich bin stark, ich brauche das Essen nicht, ich halte den Hunger aus.“ Anhand von Fragebögen haben Tuschen- Caffier und ihr Team ausgewertet, wie sich die Therapie auf Essgestörte auswirkt. Die bisherigen Ergebnisse sprechen für die Wirksamkeit des Zum Weiterlesen Svaldi, J./Caffier, D./Tuschen-Caffier, B. (2012): Automatic and intentional processing of body pictures in binge eating disorder. In: Psycho- therapy and Psychosomatics 81/1, S. 52 – 53. Tuschen-Caffier, B. (2008): Körperbildstörungen. In: Herpertz, S./de Zwaan, M./Zipfel, S. (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Berlin/Heidelberg/New York, S. 82 – 86. Tuschen-Caffier, B. (2005): Konfrontation mit dem eigenen Körperbild. In: Wittchen, H.-U./ Neudeck, P. (Hrsg.): Konfrontationstherapie bei psychischen Störungen. Theorie und Praxis. Göttingen, S. 227 – 248. Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier hat an der Universität Heidelberg Psychologie studiert und wurde dort 1990 promoviert. 1998 folgte die Habilitation, in der sie psychische und physiologische Belastungs- reaktionen von Frauen mit Bulimia nervosa unter- suchte. Von 2000 bis 2003 vertrat sie als Pro- fessorin an der Universität Siegen die Klinische Psychologie in Forschung und Lehre. Von 2003 bis 2007 war sie in der glei- chen Funktion an der Universität Bielefeld tätig. Seit 2007 hat Tuschen- Caffier den Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg inne und leitet die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. Zu ihren Schwerpunkten gehören Grundlagenforschung so- wie Präventions- und Therapieforschung, insbe- sondere bei Patientinnen und Patienten mit Angst- und Essstörungen. Behandlungskonzepts. Doch die Evaluationen basierten bisher nur auf Selbstbewertungen der Patientinnen und Fremdbewertungen der Thera- peuten. Wie zuverlässig sind diese Daten? „Wir unterstellen niemandem, bewusst zu lügen. Aber es ist denkbar, dass Patientinnen ihre Aussagen beschönigen – zum Beispiel, weil sie die Thera- peuten nicht enttäuschen wollen“, erklärt Tuschen- Caffier. Die Daten, die der Blickbewegungsmesser aufgezeichnet hat, sind hingegen objektiv. Des- wegen wird die Forschergruppe dieselben Frauen nach der Therapie wieder in einem Badeanzug und mit einem Eye Tracker auf dem Kopf vor den Spiegel stellen. Das Team will überprüfen, ob sich die Betrachtungsmuster gegenüber dem eigenen Körper nach der Behandlung verändert haben. Das heißt: Fixieren die Patientinnen ihre Blicke weniger auf Körperzonen, mit denen sie unzufrieden sind? „Wenn das nicht so wäre, müssten wir unsere Therapie verändern“, sagt die Psychologin. „Grundlagen- mit Therapie forschung zu verbinden, das ist für mich eine Herzensangelegenheit.“ 31