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uni'wissen 01-2013

geringfügig abgewandelt, doch inhaltlich erfährt der Satz einen massiven Eingriff“, erklärt Ober­ hänsli­Widmer. Solche theologischen Auseinander­ setzungen waren der Ausgangspunkt für ihre Studie. Oberhänsli-Widmer wollte herausfinden, wie jüdische Denkerinnen und Denker mit dem Bösen umgehen: „Der schmerzhafte Wider­ spruch lähmt die Geistlichen, Gelehrten, Philo­ sophen und Dichter nicht. Er treibt sie dazu an, in neuen Bahnen zu denken, um das Verhältnis von Gut und Böse immer neu zu erklären.“ Die Forscherin untersuchte Texte aus mehr als 3.000 Jahren – von theologischen Quellen auf Hebräisch, Griechisch und Aramäisch über die philosophischen Schriften von Moses Maimonides und Moses Mendelssohn bis zu Sigmund Freuds psychologischen Abhandlungen und zeitgenössischen Romanen, Theaterstücken und Gedichten. Sie wolle die Bandbreite der jüdi­ schen Kultur zeigen, die unterschiedliche Tradi­ tionen vereine, sagt die Wissenschaftlerin: „Das Judentum besteht aus Dokumenten in unzäh­ ligen Sprachen aus fast allen Ländern dieser Erde.“ Trotz dieser Vielfalt entdeckte sie Parallelen in der Art und Weise, wie jüdische Denker gegen Gott argumentieren: „Man darf ihm zwar den Prozess machen, aber zuerst muss man sich in die Denkketten der jüdischen Kultur einreihen.“ Selbst moderne Schriftsteller, die nicht religiös sind, berufen sich auf Geistliche und Gelehrte, bevor sie ihre Meinung äußern. „Im Judentum zählen die Traditionslinien. Man kann nicht wie Aphrodite, aus dem Schaum geboren, die Welt aus dem Nichts erklären.“ Von Platons Seelenwagen zu Freuds Psychoanalyse Neues Gedankengut in bewährte Traditions­ ketten integrieren: Diese Regel fand die Judaistin auch in der Figur des „bösen Triebs“ wieder, einem rabbinischen Konzept des 1. und 2. nach­ Aus der hebräischen Bibel stammen Bilder des Bösen wie Chaosungeheuer oder gefallene Engel. In der jüdischen Geschichte verändern sie sich von Jahrhundert zu Jahrhundert – nicht nur in theologi­ schen Texten. Foto: Marén Wischnewski/Fotolia ‚‚Ohne einen bösen Trieb würde der Mensch nicht weiterkommen“ erschüttert von den Schrecken des Holocaust, die Kain­Figur neu: Sie inszenieren ihn als Nazi­ schergen, sehen in ihm das Menschenungeheuer, dem Gott das Urböse eingeschrieben habe. Widersinn schafft neue Bahnen Ein Gott, der quält, zerstört, unterdrückt – ist das derselbe Gott, zu dem Kinder beten, derselbe, der über ihr Leben wachen soll? Dieser Wider­ sinn zeigt sich bereits in der Bibel. In Jesaja 45,7 heißt es: „Der ich Licht bilde und Finsternis schaffe, der ich Wohlergehen wirke und Böses schaffe, ich bin es, der Herr, der dies alles wirkt.“ Dieser Bibelvers sei ein theologischer Skandal, betont die Judaistin. „Würde die Passage nicht so prominent im alttestamentlichen Prophetenbuch der Bibel stehen, wäre man geneigt, sie einfach zu streichen.“ Der Vers sei den Rabbinen ein Dorn im Auge gewesen. Sie hätten ihn gedreht und gewendet, doch nie verschwiegen. Schließ- lich habe er einen prominenten Platz in der Liturgie: Praktizierende Juden singen die Worte im täg­ lichen Gebet. Vielleicht haben die Geistlichen dem Vers in der Überlieferung deswegen die Brisanz genommen: „Die Rabbinen ersetzten ‚das Böse‘ durch ‚alles‘. Der Wortlaut wird nur 34

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