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uni'alumni 2014

Seit einem Jahr läuft an der Univer­ sität Freiburg der Sonderforschungs­ bereich (SFB) „Muße. Konzepte, Räume, Figuren“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Philosophie, Theologie, Soziologie, Ethnologie, Psy­ chologie, Kunstgeschichte, Medizin und den Literaturwissenschaften sind daran beteiligt. Stellvertretender Sprecher ist der Philosoph Prof. Dr. Günter Figal. Nicolas Scherger hat sich mit ihm über das Projekt unterhalten. uni’alumni: Herr Figal, wann haben Sie zuletzt Muße erlebt? Günter Figal: Gestern. Ich hatte einen Tag ohne Termine und konnte mich ohne Zeitvorgaben an den Schreibtisch setzen – die beste Situation, um kreativ zu arbeiten. Was bedeutet der Begriff? Muße ist eine Grundmöglichkeit des Lebens. Wir fragen grundsätzlich, wie man menschliches Leben anders verstehen kann, als eine durchgetaktete, industriell und medial geprägte Gesell­ schaft es vorsieht. Wir sind immer unter dem Diktat der Zeit: Terminkalender, Uhr, Telefon. Da entsteht der Wunsch, endlich mal wieder in Ruhe – in Muße – über etwas nachdenken zu können. Ihr SFB-Projekt heißt „Muße als räumliche Freiheit“. Was ist damit gemeint? In einer Situation ohne Zeitdruck geht es nicht um das Nacheinander verschie­ dener Tätigkeiten, sondern um das Neben­ und Miteinander von Möglich­ keiten. Außerdem ist Muße immer an spezielle Räume gebunden – von der Kirche über Bibliotheken und Theater bis zum Hotel und Thermalbad. Sie la­ den dazu ein, die Zeit nicht mehr wich­ tig zu nehmen. Je mehr das gelingt, desto mehr sind wir in Muße. Worin unterscheiden sich Muße und Freizeit? Freizeit ist Zeit, in der wir nicht arbeiten, sondern uns erholen, indem wir bei­ spielsweise wandern oder Museen anschauen. Sie kann Muße sein, ist aber nicht gleichbedeutend mit Muße, denn auch die Arbeit kann in Muße geschehen. Steckt hinter dem Konzept letztlich nicht doch der Wunsch, das pro- duktive Schaffen zu verbessern? Doch, aber auf eine paradoxe Weise – nämlich so, dass man nicht an diese Verbesserung denkt. Wenn wir ziel­ und erfolgsorientiert denken, stehen wir immer schon unter einem Druck, der die Entfaltung kreativer Möglichkeiten einschränkt. Ich arbeite am besten, wenn es gleichgültig ist, ob am Ende des Tages ein bestimmtes Ergebnis vorliegt oder nicht. Dann kommen Ideen, dann sieht man Zusammenhänge. Damit wäre es im Sinne der Wirt- schaft, solche Räume zuzulassen. Nicht nur zuzulassen, sondern bewusst einzuräumen. Dort, wo kreative Poten­ ziale gefragt sind, ist es geradezu ökonomisch effizient, auf durch Muße bestimmte Arbeitsformen zu setzen. Das Bedürfnis nach Räumen der Muße ist derzeit offenbar hoch. Warum? Meine Vermutung ist: Wir sind in einer neuen Phase der Moderne, die nicht mehr von dem im 19. Jahrhundert promi­ nent gewordenen Fortschrittsgedanken bestimmt ist. Die großen Utopien, die zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts wesentlich dazugehören, interessieren uns nicht mehr. Das Thema Muße, also die Frage, wie ein Leben ohne Zeitdruck möglich ist, gehört ebenso zum Abschied vom Fortschrittsparadigma, wie wir heute beispielsweise anders über die Nachhaltigkeit bei der Nutzung natürlicher Ressourcen denken. Was bedeutet Muße für die Wissenschaft? Freiräume der Forschung hat es immer gegeben – wenn man exzellenten For­ scherinnen und Forschern Zeit und Frei­ heiten lässt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass etwas dabei herauskommt. Wie erleben Studierende Muße? Für meine Studentenzeit galt, was man bei Wilhelm von Humboldt, dem Begrün­ der der modernen Universität, nachlesen kann: Zwischen Schule und Beruf sollten einige Jahre des freien Forschens und Nachdenkens in Muße möglich sein. An­ gesichts straff durchstrukturierter Studi­ enpläne ist das heute schwieriger. Die Herausforderung besteht darin, auch un­ ter diesen Bedingungen nach den bes­ ten Möglichkeiten für Muße zu fragen. „Muße ist eine Grundmöglichkeit des Lebens“ Günter Figal erforscht Räume, in denen sich Menschen dem Diktat der Zeit entziehen » www.sfb1015.uni-freiburg.de INTERVIEW 28 Forschen und nachdenken in Muße: Ein Tag ohne Zeitvorgaben ist für Günter Figal die beste Voraussetzung, um kreativ zu arbeiten. Foto: Thomas Kunz

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