Die Leidenschaft, mit der manche Volkswirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die reale Welt aus- schließlich durch mathematische Modelle erfassen, teilt Prof. Dr. Tim Krieger nur bedingt. Die Forschungsschwerpunkte des Wissenschaftlers, der 2012 die neu ge- gründete Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Universität Freiburg übernahm, sprechen für sich: Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik in offenen und alternden Volkswirtschaften, Wettbewerb zwischen Europas Steuer- und Sozialsystemen, Migration und die internationale Mobilität des Faktors Arbeit – volkswirtschaftliche Themen mit politischer Dimension, bei denen oft Erkenntnisse aus politik- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu berücksichtigen sind. Rentensysteme, Terrorismus, Finanzkrise Mit den Folgen der Zuwanderung für die Rentensysteme in alternden Gesell- schaften hat sich Krieger schon in seiner 2004 in München abgeschlossenen, mit dem Forschungspreis der Deutschen Rentenversicherung ausgezeichneten Doktorarbeit befasst. Über die Zusammen- hänge von Bildung, Arbeitslosigkeit und Migration publizierte er 2010 als Junior- professor in Paderborn in einer namhaf- ten Fachzeitschrift für Ökonominnen und Ökonomen. Artikel zu seiner aktuellen Forschung erscheinen inzwischen auch in angesehenen politikwissenschaftlichen Zeitschriften. Krieger beleuchtet beispiels- weise die ökonomischen Ursachen des Terrorismus und stellt die gängige Vor- stellung infrage, dass Investitionen in Bildung den Zulauf zu terroristischen Organisationen bremsen könnten. Seine Antrittsvorlesung in Freiburg hatte die Folgen der Finanzkrise für Europas Stellung in der globalen Wirtschaft zum Thema. Lauter Fragen, die in der Politik brand- aktuell sind und disziplinübergreifend ana- lysiert werden müssen. „Ich habe für solche Themen manchmal wohl eine Nase“, sagt Krieger lächelnd. In seinem Bücherregal steht die Erstausgabe von Walter Euckens „Grundlagen der Nationalökonomie“ ne- ben Schriften von Wilfried Guth, dem Na- mensgeber der Professur. Die Stifter, die Baden-Badener Unternehmer Gespräche e.V., wollen die Forschung und Lehre auf dem Gebiet der europäischen und internationalen Ordnungs- und Wettbe- werbspolitik in der ordoliberalen Tradition der Freiburger Schule stärken. Klassischer Ansatz, neue Fragen Für den bei seinem Amtsantritt gerade 40-jährigen Forscher traf dieser Wunsch mit seinem Interesse an Fragen der Global Economic Governance zusammen. Zwar werde der Ordoliberalismus alter Frei- burger Schule, der die Grundlage für die soziale Marktwirtschaft und damit für das Erfolgsmodell des deutschen Auf- schwungs nach 1945 lieferte, „in der Wissenschaft leider nur noch wenig wahr- genommen“. Wenn sich der klassische Ansatz jedoch verstärkt den Ordnungs- fragen der heutigen globalisierten Wirt- schaft öffne und die Verbindung zur modernen Institutionenökonomik suche, sei er zukunftsfähig. In Freiburg fühlt sich Krieger daher am richtigen Ort. „Ich habe die Ernennung auf diese Professur als Chance begriffen, die Fragen zu unter- suchen: Was dockt an die klassische Ordnungspolitik an? Was ist deren Weiter- entwicklung?“ Er sehe neue, spannende Themen kommen, etwa die Folgen der Digitalisierung für Unternehmen sowie für Verbraucherinnen und Verbraucher. So sei die ordnungspolitische Frage, wer – national wie international – auf welche Weise über private Daten verfü- gen darf, bisher von Ökonomen kaum beachtet worden, obwohl sie für das Konsumverhalten zukünftiger Generati- onen, die Internet und Smartphones nutzen, essenziell sein wird. Verena Adt » www.think-ordo.de Porträt Seit 2012 ist Tim Krieger Inhaber der Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik. Foto: Thomas Kunz Die Freiburger Schule weiterentwickeln Tim Krieger untersucht volkswirtschaftliche Themen mit politischer Dimension 28 Uni-Splitter uni'alumni 2016