„Der Kampf gegen einen übermenschlich erschei- nenden Feind ist entscheidend für die frühe Na- tionsbildung in Deutschland“, betont Leonhard. „Der Fokus auf die innere Nationalisierung setzt dieses starke Gegenmodell voraus. So werden die ‚Befreiungskriege‘ von 1813 zum Beginn der deutschen Einigung stilisiert – ein Auftakt, an den man auch 1870 und 1914 bewusst erinnerte, um sich in die Tradition dieser Kämpfe zu stellen.“ Eine Nation braucht also das Gegenüber, um das Eigene zu bilden – oder sich des Eigenen zu ver- gewissern. England, frei von Invasion und Fremd- herrschaft, reagiert entspannter auf das Erbe des französischen Kaisers. Die Zeitgenossen verwei- sen auf die eigenen Traditionen: den frühneuzeit- lichen Parlamentarismus und die politischen Freiheitsrechte. Außerdem hätten sie die absolu- tistische Stuart-Dynastie schon im 17. Jahrhun- dert beseitigt. „Diese Traditionen erlauben es nicht, dass ein Monarch übermächtig wie Napole- on werden kann“, unterstreicht Marquart. Die beiden Historiker überrascht an ihren Er- gebnissen, wie hartnäckig sich Heldenfiguren, Gegenhelden und Antihelden bis in die heutige Zeit halten. Sie tauchen in Krisenzeiten, bei poli- tischen Machtkämpfen oder sozialen und kultu- rellen Umbrüchen auf – manchmal in Form von Parodien, wie einer Zeitungskarikatur, die den Kopf des ehemaligen Monsieur le Président Nicolas Sarkozy auf Bonapartes Körper zeigt, manchmal als „Jedermann-Helden“, wie die Feu- erwehrmänner, die bei den Terroranschlägen von 9/11 in den Trümmern des World Trade Cen- ter ihr Leben ließen. Entscheidend sei, so die Forscher, dass auch demokratisierte Gesell- schaften Helden bräuchten, Menschen, deren Charisma sie übermenschlich erscheinen lasse. „Sie zwingen die Leute dazu, sich an ihnen zu orientieren, sich zu ihnen zu verhalten“, fasst Le- onhard zusammen. „Zu einem Helden muss man sich bekennen oder sich von ihm abgrenzen. Keinesfalls kann man ihn ignorieren.“ www.pr.uni-freiburg.de/go/bonapartismus Zum Weiterlesen Leonhard, J. (20144 ): Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München. Leonhard, J. (2010): Das Präsens der Revolution. Der Bonapartismus in der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Daum, W. (Hrsg.): Kommunikation und Konfliktaustragung: Verfassungskultur als Faktor politischer und gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Berlin, S. 293–317. Leonhard, J. (2007): Ein bonapartistisches Modell? Die französischen Regimewechsel von 1799, 1851 und 1940 im Vergleich. In: Knüppel, H. (Hrsg.): Wege und Spuren: Verbindungen zwischen Bildung, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard. Berlin, S. 277–294. (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam). „Der Kampf gegen einen übermenschlich erscheinenden Feind ist entscheidend für die frühe Nationsbildung in Deutschland“ Benjamin Marquart hat Geschichte und Germa- nistik an der Albert-Ludwigs- Universität und der Dalhousie University / Kanada studiert. Seit 2011 promoviert er im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierun- gen – Heroismen. Transfor- mationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Mo- derne“. In seiner Dissertation untersucht Marquart den Bonapartismus im europäi- schen Vergleich im so genannten langen 19. Jahr- hundert, dem Zeitraum zwischen 1789 und 1914. Sein Forschungsschwer- punkt ist die vergleichende europäische Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Foto: privat Prof. Dr. Jörn Leonhard hat seit 2006 die Professur für Westeuropäische Ge- schichte an der Universität Freiburg inne. Nach seinem Studium der Geschichte an den Universitäten Oxford / England und Heidelberg wurde er dort 1998 mit einer Arbeit über die historische Semantik des Liberalismus im europäischen Vergleich promoviert. Nach einem fünfjährigen Fellowship in Oxford wurde er 2004 in Heidelberg mit einer Arbeit über den Zusammenhang von Kriegserfahrungen und Nationsdeutungen in Europa und den USA zwischen 1750 und 1914 habilitiert. 2004 erhielt er einen Ruf an die Universität Jena. Leonhards Arbeit wurde unter anderem mit dem baden-württembergischen Landesforschungspreis 2010 prämiert. Zu seinen Schwer- punkten gehört die ver- gleichende Geschichte West- europas im 19. und 20. Jahr- hundert. Foto: FRIAS 19