Wenn Chromatin hingegen seine offene Form annimmt, ist die DNA frei zugänglich, und Tran- skriptionsfaktoren können leichter an die geneti- sche Erbinformation binden. „Epigenetische Veränderungen bewirken unter anderem, dass diese verpackte Chromatinstruktur in eine offene Struktur entfaltet wird oder andersherum“, er- klärt Schüle. Sie können ein Gen also in gewis- ser Weise durch Ver- oder Entpacken ein- oder ausschalten. Eine Strukturveränderung kann zum Beispiel ausgelöst werden, wenn ein Enzym – ein Stoff, der eine biochemische Reaktion auslöst, beschleunigt oder in eine bestimmte Richtung lenkt – die Histonproteine im Nukleosom beein- flusst. Das Enzym, um das sich die Forschung „Wir wollen die Grundlagen verstehen, um auf dieser Basis neue Therapieverfahren entwickeln zu können“ von Schüle und seiner Arbeitsgruppe hauptsäch- lich dreht, entfernt eine Methylgruppe vom His- ton und kann dadurch verschiedene Reaktionen auslösen. Da es an Lysin – eine Aminosäure, die häufig antennenartig vom Histon absteht – an- dockt, heißt das Enzym Lysin-spezifische Deme- thylase, kurz LSD1. Es könnte der Schlüssel zur sicheren Diagnose sowie zur Behandlung von Prostatakrebs sein. Bis 2004 war die gängige Lehrbuchmeinung: Wenn sich an einem der Histonproteine eine Me- thylgruppe befindet, lässt sich diese nicht mehr entfernen. Dann zeigten Wissenschaftler der Universität Harvard in Boston/USA, dass Enzy- me der Klasse Histon-Demethylasen genau dies bewirken und damit Gene abschalten können. 2005 legten Schüle und sein Team in einem Bei- trag in der Fachzeitschrift „Nature“ dar, dass LSD1 auch das Gegenteil kann: „Je nachdem, wo LSD1 die Methylgruppen vom Chromatin ent- fernt, kann es Gene auch aktivieren.“ Zusammengeknäult oder offen: Epigenetische Modifikationen können die Struktur von Chromatin, der Verpackung von Desoxyribonukleinsäure (DNA), verändern. Chromatin besteht aus so genannten Histonproteinen (rot), DNA (blau) und weiteren im Zellkern enthaltenen Proteinen (gelb). Grafik: Christian Eisenberg 99