von Stephanie Streif Nur raus aus der Stadt, wird sich der französi- sche Staatsbeamte und Schriftsteller François- René de Chateaubriand gedacht haben, als er sich in der Nähe von Paris ein Landschlösschen inmitten verwilderter Natur kaufte. „Dieser be- grenzte Raum schien mir geeignet, meine lang gehegten Hoffnungen in sich einzuschließen“, notiert er am 4. Oktober 1811, seine Memoiren beginnend. Doch bevor Chateaubriand mit der Schreibfeder ausholt, um sein ereignisreiches Leben zu Papier zu bringen, blickt er erst einmal in das üppige Dickicht seines Gartens und be- schreibt die vielen Obst- und Kastanienbäume sowie die noch kleinen, von ihm selbstgepflanz- ten Bäumchen. Warum? Nur dieser Ort, so hält er fest, vermöge ihm die in der Tiefe seiner Seele verborgenen Gefühle zu entlocken. Der Garten wird für ihn zum Gedächtnisraum, in dem er sich in einen Zustand der Muße hineinschreiben kann. So speziell dieser Moment des Innehaltens für Chateaubriand gewesen sein mag, so typisch ist er für viele Autorinnen und Autoren des 17., 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Der Topos vom idealen Rückzugsort, der das Erleben von Muße und die autobiografische Selbstreflexion ermöglicht, wird allerdings in der Moderne zunehmend brüchig. Wie indes die stillen Momente der Muße in der Literatur inszeniert wurden und werden, ist Thema des Sonderforschungsbereichs 1015 „Muße. Konzep- te, Räume, Figuren“ der Universität Freiburg. Ziel ist, bis Ende 2016 die Kulturgeschichte der un- 36 Idyllischer, brüchiger Rückzugsraum von Stephanie Streif Wie Autoren beim Schreiben autobiografischer Texte ihre eigene Erzählsituation schildern – und dabei manchmal Muße erleben