präsent: „Ich habe erlebt, dass Personen, die sich lange nicht gesehen haben, vorher noch mal auf Facebook recherchieren, um auf dem neuesten Stand zu sein.“ Auf ihr Thema gestoßen ist Sharaf 2007 wäh- rend eines Praktikums in einer Frauenrechtsor- ganisation in Kairo. „Ich habe bei einer Freundin mitbekommen, welch wichtige Rolle das Internet für ihre Liebesbeziehung gespielt hat.“ Das Netz könne ein „intimer Raum“ sein. Ein Chat zum Beispiel sei – bei entsprechender Vorsicht – eben schwieriger zu kontrollieren als ein Ge- spräch am Festnetztelefon im heimischen Wohnzimmer. „Das Internet hat gerade jungen Frauen, aber auch Männern einen enormen Spielraum gegeben.“ Ein Spielraum allerdings, den viele Kairoer vorderägyptischenRevolutionvorallemfürdie Freundschaftspflegenutzten–wenigerfürpoliti- sche Diskussionen. Zwar sei in Facebook- Gruppen über geplante Demonstrationen infor- miert worden, sagt Sharaf, aber in geringerem Ausmaß als heute. Bis etwa 2010 hätten die Menschen auch in sozialen Medien Angst ge- habt, sich politisch zu äußern: „Das hat sich dann aber schlagartig geändert.“ In der Hochphase der Revolution Ende Januar 2011 blockierte die Regierung Mubarak sogar für einige Tage das Internet und die Mobilfunknetze, um oppositionelle Kräfte zu schwächen. „Das war ein großer Fehler des Regimes“, sagt Sharaf: „Da haben sich auch Leute empört, die vorher nicht politisch aktiv waren.“ Gerade weil soziale Medien für die Freundschaftspflege und Freizeitgestaltung so wichtig seien, habe die Internetsperre unmittelbar in den Alltag vieler unpolitischer Bürgerinnen und Bürger eingegrif- fen. „Viele Freunde konnten nicht mehr miteinan- der kommunizieren – weil sie keine Festnetz- nummern voneinander hatten.“ Facebook als interaktive Zeitung DasssozialeNetzwerke–Facebookebenso wie der weniger stark genutzte, aber vielen Akti- vistinnen und Aktivisten als Informationsmedium dienendeKurznachrichtendienstTwitter–einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf der Revoluti- on hatten, ist für Sharaf offensichtlich. Aufgrund ihres Forschungsansatzes konnte sie jedoch vor allem einen Effekt in umgekehrter Richtung bele- gen: Die Revolution in Ägypten veränderte die Art und Weise, wie Freunde auf Facebook mitei- nander kommunizierten. Das ging teilweise so weit, dass Freundeskreise sich auflösten: „So- bald das Internet wieder da war, haben sie ange- fangen, sich zu streiten“, sagt Sharaf. Informationen, Links zu Zeitungsartikeln, Fotos, politische Comics seien geteilt worden. „Face- „Es gibt kaum eine Basis für enge Freundschaften über Schichten hinweg – auch nicht im Internet“ Straßenkunst im Kairoer Stadtteil Nasr City: Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter hatten einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf der Revolution in Ägypten. Gleichzeitig veränderte diese die Art und Weise, wie Freunde im Internet miteinander kommu- nizierten. Foto: Kathrin Sharaf Ein Spielraum allerdings, den viele Kairoer 1010