„Es gibt in armen Ländern nicht mehr Terrorismus als in reichen“ 11. September 2001 in den USA großes Aufsehen in den Medien erregten, seien etwa 85 Prozent aller Terrorakte reine Inlandstaten, unterstreichen Schulze und Kis-Katos. „Die meisten Opfer gibt es heute nicht im Westen, sondern in Ländern wie Irak, Afghanistan und Pakistan.“ Staaten mit brüchiger Autorität sind anfällig Wenn nicht Armut, was treibt Menschen dann in Terrororganisationen? Als „terrorfreundliches“ Um- feld haben Schulze und Kis-Katos vor allem Staa- ten mit brüchiger Autorität ausgemacht. Kis-Katos erläutert: „Für Terrorismus anfällig sind politisch in- stabile, das heißt schwache Staaten oder Länder in einer Übergangssituation, beispielsweise ehemali- ge Mitgliedstaaten der auseinandergebrochenen Sowjetunion, oder Staaten, in denen die Staatsge- walt fehlt, wie Afghanistan oder Irak.“ Demokrati- sche und halb demokratische Staaten seien stärker von Terror betroffen als streng autokratische, ver- mutlich, weil in Ersteren „die Persönlichkeitsrechte größeren Schutz genießen“, erklärt Kis-Katos. Damit würden die Eingriffsmöglichkeiten des Staa- tes beschränkt. Das geringste Terrorrisiko bestehe inradikalenAutokratienwieNordkorea–wobeider von Schulze und Kis-Katos zugrunde gelegte Terrorbegriff staatlichen Terror ausschließt. Schul- ze warnt indessen vor einem falschen Umkehr- schluss: Mehr Demokratie führe nicht automatisch zu einem Anstieg des Terrors. Obgleich die Freiburger Forschenden keinen Kausalzusammenhang zwischen Armut und Terror sehen, gibt es Indizien dafür, dass Terroror- ganisationen von der wirtschaftlichen Not der Menschenprofitierenkönnen.BeieinerFallstudie haben Kis-Katos, Schulze und dessen ehemaliger Masterstudent Ahmet Turgut entdeckt, dass die Anwerbungszahlen der von der Bundesrepublik als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK parallel zur nationalen Arbeitslosenkurve in der Türkei steigen und fallen. Gut erkennbar sei außerdem, dass Terroristen- hochburgen wie Magnete wirken und wesentlich höhere und weniger konjunkturabhängige Rekru- tierungszahlen ausweisen. Die „Terrorperipherie“ dagegen sei viel anfälliger für „terroristische Kon- junkturzyklen“.DieAutorinunddieAutorenhaben für ihre Fallstudie Hunderte von der PKK veröf- fentlichte Nachrufe auf getötete Kämpfer ausge- wertet. Sie stellten fest, dass die wirtschaftlichen Umstände zum Beispiel in der Kurdenmetropole Diyarbakir kaum eine Rolle für die Beitrittsent- scheidung spielten, während sich junge Männer aus Dörfern am Rande des Kurdengebiets in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vermehrt der PKK anschlossen. Die Wirtschaftswissenschaftler haben Terrorismuskategorien entlang ideologischer Linien identifiziert. Die Zahlen der weltweit auf die einzelnen Typen entfallenden Terroranschläge liegen weit auseinander. Grafik: qu-int 5119 Gesamtzahl der Anschläge von organisierten TerrorgruppenmitideologischemHintergrund(1970 –2008) Quelle: Global Terrorism Database 2012 3054 5592 20101980 1990 20001970 Anzahl 2000 1500 1000 500 0 Islamismus Ethnischer Separatismus Rechtsradikalismus Linksradikalismus Sonstiger religiöser Extremismus 16087 26962 37