Pluripotent“ steht für Alleskönner. So genannte pluripotente Stammzellen haben das Poten- zial, sich in jede Art von Körperzelle weiterzuent- wickeln. Die Hoffnungen, die sich an einen medizinischen Einsatz von Stammzellen knüp- fen, sind gigantisch. Unter anderem wollen Ärz- tinnen und Ärzte mit ihrer Hilfe die Krebsentstehung besser verstehen, untergegan- genesGewebe–beispielsweisenacheinemIn- farkt am Herzmuskel – ersetzen oder Nervenfasern nach einer Wirbelsäulenverlet- zung reparieren. Bis 2006 konnten Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler Stammzellen jedochnurausEmbryonengewinnen,wasins- besondere für die Forschung am Menschen enorme ethische Herausforderungen mit sich brachte. Für die Entdeckung einer Technik, mit der sich spezialisierte Körperzellen in pluripotente Stammzellen zurückverwandeln lassen, erhielt der japanische Medizinprofessor Shin’ya Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Medizin. Die Forschung ansogenannteninduzierten–alsokünstlichum- programmierten–pluripotentenStammzellengilt als das am schnellsten wachsende Forschungs- feld in der Biologie. Bei der künstlichen Erzeu- gungpluripotenterStammzellennachYamanaka brachten die Wissenschaftler einen Cocktail aus Genen, darunter den Transkriptionsfaktor Oct-4, mithilfe von Viren in die neu zu startende Zelle ein. Abitur für die Zelle Was dann bewirkt, dass die Spezialisierung der Zelle ausradiert wird, sodass diese sich in eine Stammzelle zurückverwandelt, ist noch nicht genau bekannt. Prof. Dr. Wolfgang Driever „In einem ganz kurzen Übergangszustand haben die Zellen die Möglichkeit, alles zu werden” Aufgereiht wie an einer Perlenkette: Zebrafischeier sind mehr als einen halben Millimeter groß und unter dem Mikroskop gut sichtbar. Foto: Peter Mesenholl und Dr. Daria Onichtchouk vom Exzellenzcluster BIOSS Centre for Biological Signalling Studies und der Abteilung Entwicklungsbiologie der Uni- versität Freiburg haben mit ihrem Team einen weiteren Baustein dieses komplizierten Gesche- hensaufgedeckt–amModellorganismusZebra- fisch. In einem Artikel in der Fachzeitschrift „Science“ zeigen die Forscherinnen und For- scher, dass Pou5f1, die Zebrafisch-Entspre- chung des Gens Oct-4, nicht nur dazu dient, eine spezialisierte Zelle neu zu starten und in eine pluripotente Stammzelle zurückzuverset- zen. Pou5f1 schaltet auch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium die eigenen Gene des Em- bryos an. Dieser Moment heißt „zygotischer Übergang“. Die Zygote ist die erste Zelle eines neuen Lebewesens, die bei der Verschmelzung einer Ei- mit einer Samenzelle entsteht. Die Entwicklung derZygotebestimmenzunächstausschließlich Gene, die ihr die Eizelle mitgegeben hat. Mit demzygotischenÜbergangwerdendiemütterli- chen Gene von den eigenen abgelöst. Beim Menschen passiert das nach der ersten Zelltei- lung im Zwei-Zell-Stadium, bei Fischen erst bei Erreichen einer Größe von etwa 1.000 Zellen. Danach sind Zellen im Embryo für eine kurze Entwicklungsphase pluripotent. 13